Reinhard Mey

Poor old Germany

Auf den Müll, ihr Bücher, die ihr lang' schon nicht mehr up to date,  
dick und deutsch, im Bücherschrank hier zwischen meinen Paperbacks steht  
Deine Räuber sind längst Killer, Wilhelm Tell greift zur MP 
Sorry for you, Freddy* Schiller - sorry, poor old Germany.  

Auch der Götz hat nachgelassen; wenn er heute flucht und schwört, 
bringt er's nur noch zu 'nem blassen, ordinären 4-letter-word  
Werther ersäuft seine Nöte, Faust sitzt in der Psychiatrie 
Sorry for you, Johnny Goethe - sorry, poor old Germany.  

Mann, könntest Du die Urenkel des Ribbeck auf Ribbeck im Havelland seh'n,  
da öffnen sich Dir die Senkel, mein lieber Theo Fontane 
Ribbecks Birnbaum ist längst Asche, und der gutmüt'ge einstige Kinderfreund 
füllt als Dealer sich die Tasche: Come here, Baby, willst 'nen Joint?  

"Weiß nicht, was soll es bedeuten", Deine Worte sterben aus, 
sind nicht mehr "in" bei den Leuten, hier spricht alles wie die Mickymaus 
Loreley rettet alleine Haarspraywerbung im TV 
Sorry for you, Henry** Heine, sorry, poor old Germany 
Schade für uns, wie ich meine - sorry, dear old Germany.


*Der hieß zwar nicht "Freddy", aber auch nicht durchgehend "Friedrich", wie man hierzulande oft meint; vielmehr nahm er zur Zeit Napoléons die französische Staatsbürgerschaft und den Namen "Frédéric" an - ob das soviel besser war? (Aber diese[r] Frage stellte sich Reinhard Frédéric Mey natürlich nicht ;-)
**Auch der hieß zwar nie Henry H., trug aber ursprünglich durchaus einen englischen Namen, nämlich Harry (Chaim); erst seit seiner Konvertierung zum Christentum nannte er sich Heinrich H. Wie dem auch sei - er hat das Lied von der Loreley geschrieben, und dafür gebührt ihm unser aller Dank. Als die BLÖD-BILD-Zeitung anno 2015 zum 25. Jahrestag der "Wiedervereinigung" 42 Millionen Haushalten unverlangterweise eine kostenlose Sonderausgabe in die Briefkästen werfen ließ, gab es da auch eine Sparte "25 Dinge, die jeder in Deutschland mal gemacht haben sollte". An 1. Stelle stand: "Von einem Rheindampfer aus die Loreley bewundern". Natürlich habe ich das mal getan - und noch viel öfter vom Abteilfenster des Zuges aus, der direkt am Rhein entlangfährt, eine Zeitlang beinahe täglich. Das war's aber auch fast schon - sonst habe ich nur noch zwei weitere Dinge aus jener fragwürdigen Liste gemacht. (Und das ist schon verdammt lang her ;-) Ein halbes Dutzend weiterer habe ich mir für den Rest meines Lebens fest vorgenommen, und über ein paar andere ließe ich noch mit mir reden (aber nicht streiten - das sind sie nicht wert); doch der Rest jener Liste offenbart nur, welch [Un-]Geistes Kind der [un-]verantwortliche Redakteur ist, der sie zusammengestellt hat: 5x mal wird empfohlen, sich zu besaufen. (Nichts für ungut, man kann ja mal auf dem Nürnberger Christkindlmarkt einen Glühwein trinken; aber dort steht ausdrücklich: "... einen Glühwein zuviel trinken"!) Und warum sollte ich eine Currywurst auf Sylt bestellen oder einen Döner in Kreuzberg? Wer meine Webseite mit Rezepten kennt weiß, daß ich mir solchen Fraß noch nie angetan habe und auch nicht gedenke, das jemals zu tun! Und warum sollte ich "mit einem [stinkenden] Trabi durch die Gegend knattern" (ich bin mal in einem [viel besseren] Wartburg durch einen Teil der damals noch nicht wiedervereinigten "DDR" gefahren, aber das zählt wohl nicht), "auf der Autobahn Tempo 200 fahren", "auf einer Fähre nach Helgoland seekrank werden" oder mich in ein Fußballstadion begeben, wo sich kriminelle Hooligans aus Dortmund und Gelsenkirchen wegen irgendeiner Balltreterei auf dem grünen Rasen gegenseitig krankenhausreif schlagen? Bittesehr, meinen Segen haben sie; aber ich möchte nicht persönlich zwischen die Fronten geraten, zumal ich da ganz neutral bin! Wenn mich ein Sportereignis interessiert, an dem ich nicht aktiv teilnehmen kann, dann schaue ich es mir allenfalls im Fernsehen an!
Nicht, daß ich den halben Tag vor der Glotze hocken würde - Filme sind vielmehr das Metier meiner Frau, und die wartet nicht, bis sie mit ein paar Jahren Verspätung ins Fernsehen kommen, sondern schaut sie sich aktuell im Kino an. Und in jener Verdummungs-Sonder-Ausgabe gab es auch eine Rubrik "25 deutsche Filme, die jeder gesehen haben sollte." Ich habe sie meiner Frau vorgelegt - die 24 davon gesehen hat - und um Benotung gebeten. Sie gab 1x "sehr gut", 1x "gut", 1x "befriedigend", 1x "mangelhaft", 19x glatt "ungenügend", und 1x "schlechter als ungenügend". (Sie kann Marlene Dietrich nicht ausstehen, und "Der blaue Engel" hält sie für ihren schlechtesten Film überhaupt ;-) Fairnesshalber muß ich dazu sagen, daß auch ich ein knappes halbes Dutzend davon gesehen habe (alle im Fernsehen ;-) und die Bewertungen meiner Frau in keinem einzigen Fall teile; ich fand sie mit einer Ausnahme durchweg "ausreichend", d.h. ich hätte weder "Lola rennt" mit "sehr gut" noch "Das Boot" mit "mangelhaft" bewertet. (Und für "Der blaue Engel" hätte ich immerhin ein glattes "ungenügend" ohne Abstriche spendiert ;-) "Paul und Paula" werde ich mir anschauen, wenn es nächstesmal im Fernsehen wiederholt wird, da es ein schöner Musikfilm sein soll und meine Frau ihn mit "gut" bewertet hat. Sie hat anschließend mit der Bemerkung, "dieser Kotzlick" (sie meinte Dieter Kosslick, der die BLÖD-Liste zusammengepfuscht hatte) sei "ein Vollidiot, der von Filmen überhaupt keine Ahnung hat", ihre eigene Liste der 25 besten deutschen Filme aufgestellt. (Überschneidungen: null!) Zugegeben, auch von denen habe ich nur ein knappes halbes Dutzend gesehen; aber ich muß sagen, daß mir davon immerhin 80% gut gefallen haben - was für das Urteil meiner Frau spricht: Die Feuerzangenbowle, Der Hauptmann von Köpenick, Schtonk und - aus der Ex-DDR: Go, Trabi, go! (Ja, alles Komödien - schwere Kost liegt mir nunmal nicht ;-)
Wie gesagt, ich bin eher ein Film- und Fernsehmuffel; ich höre viel lieber Musik oder lese mal ein gutes Buch. Aber die Betonung liegt auf "gut" - was in derselben Sonderausgabe unter der Überschrift "25 Bücher auf Deutsch, die jeder gelesen haben sollte" erschien, zählt überwiegend nicht dazu. (Kein Wunder: Die Liste stammte von Hellmuth Karasek, neben dem polnischen Juden Marcel Reich-Ranicki wohl der übelste Schmierfink und Kritikaster, der jemals in der deutschen Literaturszene sein Unwesen trieb. Als ich die Liste sah, habe ich mich doppelt gefreut, daß der Kerl zwei Tage vor deren Erscheinen endlich abgekratzt war!) Natürlich habe ich die meisten der dort aufgezählten Machwerke im Bücherschrank stehen - was kauft man nicht alles, wenn einem permanent vorgegaukelt wird, man müsse das alles gelesen haben! 12 davon habe ich angefangen zu lesen, aber nur eines davon bis zum Ende: "Im Westen nichts Neues", und auch das fand ich im Rückblick eher mittelmäßig. (Remarque hat deutlich Besseres geschrieben - wie die meisten anderen dort aufgeführten Autoren auch, was zeigt, welch ein Ignorant Karasek war.) Die anderen 11 waren nicht mal das und kaum die ersten paar Seiten wert, nach deren Lektüre ich sie beiseite gelegt habe. Wohlgemerkt, ich bin nicht lesefaul; ich könnte sofort 25 deutschsprachige Bücher nennen, die es wert sind, von der ersten bis zur letzten Seite gelesen zu werden - aber wie gesagt kein einziges von jener Liste. Denen sollte man vielmehr mit R.M. zurufen: "Auf den Müll, ihr Bücher," und zwar ganz ernsthaft! Eines will ich vorläufig ausnehmen, da ich es noch nicht kenne: "Jeder stirbt für sich allein" - das einzige Buch von Hans Fallada, das ich bisher nicht gelesen habe; dabei bin ich ein großer Fallada-fan, besser gesagt ein großer Fan seiner Bücher. Ich wiederhole ja immer wieder: Kein Lied kann etwas dafür, von wem es gesungen wird; und ebensowenig kann ein Buch etwas dafür, von wem es geschrieben wurde; es kann selbst dann gut sein, wenn sein Autor ein Krimineller, ein Kommunist und ein Alkoholiker war, wie Fallada. (Natürlich hat der bloß die Manuskripte eingereicht; zu Meisterwerken hat sie wohl erst sein Lektor bei Rowohlt gemacht, der heute verfemte Ernst von Salomon ;-)
Und zu "guter" (oder eher: schlechter) Letzt, da ich nun schon zweimal über Alkohol[iker] geschrieben habe: In jener Sonderausgabe gab es auch eine Rubrik "25 deutsche Weine, die jeder mal getrunken haben sollte", die mit dem Satz beginnt: "Der deutsche Wein hat seit 1990 eine erstaunliche Karriere gemacht." Wohl wahr - in Deutschland ist ja vieles (ich würde sogar sagen: fast alles) schlechter geworden als es bis 1990 war; aber die "Karriere" des deutschen Weins ist für mich das Sinnbild des deutschen Niedergangs schlechthin. Bis 1990 gab es - mal abgesehen von Südafrika vor der Machtergreifung durch Mandelas schwarze Terroristen - wohl kein anderes Weinland auf der Welt mit einem derart guten Preis-Leistungs-Verhältnis wie Deutschland. Nur wenige Jahre später hatte ich mir das Weintrinken abgewöhnt - es gab und gibt ja nur noch Pippivagabundus oder edle Tropfen zu Apothekenpreisen. Von meinen einstigen Lieblingsweinen war eh keiner dabei; und von den beiden - seinerzeit noch trink- und bezahlbaren - Weinen auf der Liste, an die ich mich zu erinnern glaube, haben sich die Preise seitdem beinahe verzehnfacht: 59 Teuros pro Flasche ist selbst eine Riesling-Auslese "Erdener Treppchen" nicht wert; und für eine Flasche fränkischen Silvaner kann nur ein ausgemachter, pardon, ein Escherndorfer Lump 15 Teuros verlangen - armes Deutschland!

Hansis Schlagerseiten