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 Widernatürlich: ein Kuss, eine Berührung

Für die Nazis waren Schwule nur Verbrecher / Urteile bis heute rechtskräftig / Eine Ausstellung

Der siebzehn Jahre alte Robert Odemann verliebte sich 1922 in den zwei Jahre älteren Architekturstudenten Martin Ulrich Eppendorf, genannt Muli. Zehn Jahre lang blieben sie zusammen, bis Muli durch einen Unfall starb. Odemann, ein Kabarettist, wurde 1937 erstmals wegen seiner Homosexualität verhaftet und am 17. Juni 1938 "wegen widernatürlicher Unzucht" zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. 1940 kam er auf Bewährung frei. Zwei Jahre später nahm ihn die für Homosexualität zuständige Kriminalpolizei wieder fest; nach einer anderthalbjährigen Haftstrafe wurde er "vorbeugend" ins Konzentrationslager Sachsenhausen überstellt, wo er bis 1945 blieb. Auf dem Todesmarsch in Richtung Ostsee gelang ihm die Flucht; er starb, ohne rehabilitiert worden zu sein, 1985 in Berlin.

Bis zur Verschärfung des Paragraphen 175, die am 1. September 1935 in Kraft trat, wurden ausschließlich "beischlafähnliche"  homosexuelle Handlungen bestraft. Dann reichte schon ein Flirt, ein Kuss, eine Berührung zur Gefängnisstrafe aus. Nach Verbüßung der Freiheitsstrafe wurden die Männer oft in "Schutzhaft" genommen, das heißt, sie kamen ins Konzentrationslager, später auch an die Front. Im Jahr 1936 wurde in Berlin die "Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung" als kriminalpolizeiliche Abteilung geschaffen, und 1940 wurde durch einen Erlass Himmlers die Bestrafung ohne Gerichtsurteil legalisiert. Von 1933 bis 1945 waren in Deutschland 130.000 Männer in so genannten rosa Listen als Verbrecher erfasst, 45.000 wurden wegen ihrer sexuellen Neigung verurteilt. Allein die Berliner Staatsanwaltschaft führte 17.200 Ermittlungsverfahren, es kam zu 5.700 Verurteilungen. Dazu wurden die Tatbestandsmerkmale auch anderer Paragraphen des Strafgesetzbuches erweitert, beispielsweise war der Griff an das bedeckte Geschlechtsteil eines anderen Mannes eine strafbare "Tätliche Beleidigung" gemäß Paragraph 183.

Die irrationalen Vorstellungen vom Nutzen der Sexualität für den "Volkskörper" hielten sich noch lange. Der Lagerführer von Sachsenhausen und Kommandant von Auschwitz, Rudolf Höß, schrieb während seiner Haft in Polen, dass man die "Krankheit" durch schwerste körperliche Arbeit in den Konzentrationslagern zum "Erlöschen" bringen könne. Die wegen ihrer sexuellen Orientierung eingesperrten Männer mussten die härtesten Arbeiten verrichten, etwa 15.000 wurden ermordert. Nach 1945 hielt die Diskriminierung und Strafverfolgung Homosexueller weiter an. Die verschärfte Fassung des Paragraphen 175 war bis 1969 gültig, und erst im März 1994 wurde Homosexualität aus dem Strafgesetzbuch ganz gestrichen. Die Anerkennung der homosexuellen KZ-Insassen als Opfer des Faschismus und der Versuch einer Wiedergutmachung blieben bis heute aus.

Nach zehnjähriger Vorbereitung wurde am Sonntag in der Gedenkstätte Sachsenhausen und im Schwulen Museum Berlin eine Ausstellung über die Verfolgung Homosexueller im Nationalsozialismus eröffnet. Die Gestapo konnte vor Ende des Krieges große Mengen Akten vernichten, und so kann man heute anhand der verbliebenen Materialien und Zeugenberichte nur schätzen, dass zwischen 10.000 und 12.000 Homosexuelle in Sachsenhausen einsaßen. Von den 400 Männern, von denen die Historiker vermuten, dass sie überlebt haben, ist heute niemand mehr auffindbar. Die Ausstellung zeigt persönliche Dokumente, Fotos und Zeichnungen homosexueller Männer jener Zeit.

Es hat lange gedauert, bis die Ausstellung möglich gemacht werden konnte. Steffen Reiche, Brandenburgs Minister für Bildung, Kultur, Jugend und Sport, sagte zur Eröffnung, er hoffe, dass die neue Mehrheit im Bundestag die bis heute rechtskräftigen Urteile gegen Homosexuelle endlich aufheben und sich entschuldigen werde. Der Berliner Kulturstaatssekretär Alard von Rohr kritisierte die "gesellschaftliche Verspätung" der Aufarbeitung dieses Geschichtskapitels.

MARTIN Z. SCHROEDER
(FAZ vom 27.3.2000)
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