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Aura des Unaussprechlichen

Das Schwule Museum zeigt eine Ausstellung zur Geschichte der Homosexuellengruppe "Gesellschaft für Reform des Sexualstrafrechts" im restriktiven Berlin der 50er-Jahre

"Die Spur", hat Walter Benjamin gesagt, "ist die Erscheinung einer Nähe, so fern das sein mag, was sie hinterließ. Die Aura ist die Erscheinung einer Ferne, so nah das sein mag, was sie hervorruft. In der Spur werden wir einer Sache habhaft, in der Aura bemächtigt sie sich unserer."

So lapidar, wie der Titel der Ausstellung "Die Homosexuellengruppe Gesellschaft für Reform des Sexualstrafrechts und das Berlin der 1950er Jahre" klingt, muten auf den ersten Blick auch die Spuren an, die sich über die Wände des Berliner Schwulen Museums ziehen: Dokumente, Kopien von Statistiken, Paragrafen, Zeitungsartikeln, Vereins- und Polizeiakten, wissenschaftlichen Gutachten. Als nüchterne Schriftstücke zeugen sie vor allem von dem juristischen Kampf, den Berlins einzige Schwulengruppe in den Fünfzigern gegen eine Hinterlassenschaft des Faschismus führte, dem Ringen um die Abschaffung des von den Nazis verschärften Paragrafen 175, der auch in der Adenauer-Ära mit derselben Härte gegen jede Form von homosexuellen Handlungen angewendet wurde. Erst im Zusammenspiel mit Privatfotos und Briefen, Pressebildern, Zeichnungen und Gemälden offenbart sich bruchstückhaft die Aura des infamen Versuchs der gezielten Kriminalisierung schwuler Kultur, die vor keinem Lebensbereich Halt machte. "Strichjunge Karl - ein kriminalistischer Tatsachenbericht aus dem Reich der Liebe, die ihren Namen nicht nennt" hieß eine Veröffentlichung des mit dem Berliner Kreis assoziierten Staatsanwaltes Botho Laserstein, der sich aufgrund seiner Verfolgung durch die Behörden und seiner Entlassung aus dem Justizdienst 1955 das Leben nahm.

Die kalte Aura des Unaussprechlichen, des Verschweigens, liegt über dieser Ausstellung wie über dem Nachkriegsdeutschland, zu dessen Klima die Emigrantin Hannah Arendt bei einem Besuch im Jahr 1950 anmerkte: "Doch nirgends wird dieser Alptraum von Schrecken und Zerstörung weniger verspürt und nirgendwo wird weniger darüber gesprochen als in Deutschland. Überall fällt einem auf, daß es keine Reaktion auf das Geschehene gibt, aber es ist nur schwer zu sagen, ob es sich dabei um eine irgendwie absichtliche Weigerung zu trauern oder den Ausdruck einer echten Gefühlsunfähigkeit handelt."

Weder Täter noch Opfer homosexueller Verfolgung wollten an ihre Vergangenheit erinnert werden, an die Verschleppung und Ermordung tausender Schwuler in Konzentrationslagern wie Sachsenhausen oder Auschwitz. Zahlreiche Mitglieder der GfRdS waren selbst interniert gewesen und dennoch war die Frage des Vereins nicht die der Entschädigung der NS-Opfer. Ihr Unterfangen, neben der Abschaffung des Paragrafen 175 auch die Schutzaltergrenze für "einvernehmliche sexuelle Kontakte zwischen Männern" von 21 auf 16 zu senken, musste wirklichkeitsfremd wirken angesichts der Tatsache, dass in den Gründungsakten der Gesellschaft der Begriff "Homosexualität" nicht offen genannt wurde.

Die von den Medizinern und Juristen des Vereins angestrebte "wissenschaftliche Erforschung des Sexualrechts" stützte sich auf die Forschungen Magnus Hirschfelds und konzentrierte sich auf die These, dass Homosexualität genetisch-biologisch konstituiert sei und nicht, wie von den Nazis und der schwulenfeindlichen Gesellschaft der Fünfzigerjahre behauptet, ein durch Verführung verbreitetes abartiges soziales Verhalten, das auszurotten sei.

Diese Frage besiegelte den Aufbruch und den Niedergang der Bewegung, denn sie führte zu einer paradoxen Situation. Das Hinaustreten in die Öffentlichkeit zwang zu einem Rückzug in die Privatsphäre. Durch ihr Bestreben, an die Emanzipationsbewegungen der Weimarer Republik anzuknüpfen, Opfer juristisch zu beraten, Gutachten zu erstellen oder kontroverse wissenschaftliche Beiträge zu veröffentlichen, waren die Beteiligten der GfRdS gezwungen, jeden Anschein von Anrüchigkeit zu vermeiden, der erneut zu Verfolgungen geführt hätte.

Die Fragmente des schwulen Lebens der Protagonisten des Vereins, wie des prominenten Rechtsanwalts Walter Hesse oder des Mediziners Alexander Boroffka, entfalten sich vor dem Ausstellungsbesucher als die erzwungenen Kopien konformer Existenz. Nichts an den Privatfotos, die im Schwulen Museum zu sehen sind, erscheint auffällig: wohl distinguierte Herren, die sich zu einem Glas Sherry treffen, so als wären sie nie jung gewesen, mit ihren Ehefrauen in die Kamera lächeln, mit Freunden in der Sonne sitzen. Die Unfähigkeit der Deutschen, sich dem tatsächlich Geschehenen zu stellen, die Hannah Arendt ihrem Volk attestierte, scheint sich in diesen Bildern als eine bürgerliche Erstarrung fortzusetzen. So wie diese Aufnahmen spricht jede Spur der Arbeit des Berliner Kreises von dem ungeheuren Verlust, den die Beibehaltung des Paragrafen 175 bedeutet hat.

OLIVER KOERNER VON GUSTORF

(taz Berlin lokal Nr. 6526 vom 18.8.2001)

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Schwule unterm Nierentisch

Eine Ausstellung im Schwulen Museum Berlin widmet sich den fünfziger Jahren

Von Jens Roselt

Homosexuelle Männer seien entweder Tunten oder betont maskuline Typen - letztere erkenne man daran, dass sie auch in überheizten Lokalen ihre dicken Rollkragenpullover nicht auszögen: Diese Erkenntnisse zur "Persönlichkeit des Homosexuellen" stammen aus der Feder des Kriminalbeamten, der in den fünfziger Jahren in Westberlin die "Sonderdienststelle zur Bekämpfung der Homosexualität" leitete. Während die junge Bundesrepublik ihr demokratisches Coming-out auf den Weg brachte, machten in Berlin Polizei und Justiz eifrig Jagd auf schwule Mitbürger, unter Einsatz von Beamten, die bereits während der Nazi-Diktatur für Repressalien und Verfolgung zuständig waren. Selbst anerkannte Opfer des Naziregimes mussten nachträglich um ihren Status als Verfolgte fürchten. Wer Anfang der Fünfziger schwul war, musste auf der Hut sein vor Denunziation und sozialer Demontage. Dass es trotzdem Ansätze zu einem vielfältigen und selbstbewussten schwulen Leben geben konnte, zeigt eine Ausstellung im Schwulen 
Museum Berlin.

Im Zwielicht der Illegalität entstanden zwischen den Trümmern der Nachkriegszeit Netzwerke, deren Formate auch heute noch stilbildend sind: Zeitschriften und Treffpunkte, "Etablissements" genannt. In der Hauptstadt, die während der Weimarer Republik ein Mekka für Schwule und Lesben war, zählte man 1949 bereits wieder "23 Herren- und etwa 15 Damen-Clubs". In Publikationen mit klingenden Namen wie Die Freundschaft oder Amicus erschienen Kontaktanzeigen: "Reitersmann, 
26, energisch, unabhängig, z. Zt. in Arbeit, sucht Briefwechsel mit pädagogisch erfahrenem Freund." Um Kontakt zu Gleichgesinnten aufzunehmen, waren "Homophile" und "Homoeroten" nicht nur auf die Pissoirs in Bahnhofsnähe angewiesen. Es gab auch eine Art schwuler Society, die sich etwa in der Wohnung des Fürsten Kropotkin in der Uhlandstraße zu Soireen und Hausbällen traf. Wahrscheinlich war 
das schwule Leben der Adenauer-Ära nicht mehr oder weniger spießig als das der heterosexuellen Bundesbürger. Als 1957 mit Veit Harlans Anders als du und ich der erste Nachkriegsfilm mit schwulem Thema in die Kinos kam, durften ihn die Deutschen nur in zensierter Fassung sehen. Die Flucht einer schwulen Hauptfigur nach Italien wurde von den Aufsichtsbehörden beanstandet, der Mann im Film musste am Bahnhof Zoo verhaftet werden.

Die Berliner Ausstellung konzentriert sich auf die Arbeit der "Gesellschaft für Reform des Sexualstrafrechts e.V.", die sich der "wissenschaftlichen 
Durchdringung des Sexuallebens der menschlichen Gesellschaft" verschrieben hatte. Bereits die Eintragung ins Vereinsregister 1951 war ein komplizierter Akt, weshalb man auf den Begriff Homosexualität im Vereinsnamen gleich ganz verzichtete. Dabei war die wissenschaftliche Ausrichtung der Vereinigung kein Deckmantel. Die Mitglieder waren neben Künstlern größtenteils Akademiker - Juristen oder Mediziner -, deren emanzipattorisches Engagement vor allem die Entkriminalisierung homosexueller Lebenspraktiken zum Ziel hatte. Der Paragraf 175 blieb in der von den Nazis 1935 verschärften Version auch für die Bundesrepublik gültig. Mitte der fünfziger Jahre machte die Berliner Justiz sogar Anstalten, einzelne NS-Urteile nachträglich zu vollstrecken. In Ostberlin galt hingegen die liberale Fassung des Gesetzes aus der Weimarer Republik, in der "wechselseitige Onanie" nicht strafbar war.

Nachdem der Bundesgerichtshof 1952 das geltende Recht bestätigt hatte, nahm die Verfolgung und Aburteilung schwuler Männer im Vergleich zur Zeit der Diktatur zu. Razzien und Massenverhaftungen wurden im Vereinsarchiv dokumentiert. Es scheint, als habe mancher Hitler nicht nur die Autobahnen, sondern auch das strenge Vorgehen gegen die angeblich abnorme Sexualität zugute gehalten. Die 
medizinischen Forscher des neu gegründeten Vereins beschäftigten sich deshalb mit den Ursachen der Homosexualität. Sie waren bemüht nachzuweisen, dass diese keine zivilisatorische Degeneration, sondern eine normale Lebensform ist. So wurde die Hypothese einer "genuinen Homosexualität" entwickelt. Diese erbbiologische Auffassung konnte auch der juristischen Zielsetzung Argumente an die Hand geben. Denn wenn Schwulsein eine angeborene Veranlagung ist, trifft den Schwulen keine Schuld und er kann nicht bestraft werden.

Auch kuriose Vorschläge zur Verbesserung der Lage der Schwulen wurden an den Vereinsabenden diskutiert, wie der eines Zürcher Gastredners, der sich für die Ausrufung eines "Homo-Staates" nach israelischem Vorbild stark machte und diesbezüglich schon Kontakt mit südamerikanischen Regierungen zwecks Landerwerbs aufgenommen hatte. Die politische Elite der Bundesrepublik konnte für die Forderungen des Vereins nicht gewonnen werden. Die ohnehin geringe Mitgliederzahl sank Ende der fünfziger Jahre rapide. Junge Schwule interessierten sich für die Mitarbeit überhaupt nicht, und 1960 löste sich der Verein auf. Seine Mitglieder zogen sich in private Nischen zurück. Die meisten 
haben die Abschaffung des Paragrafen 175 nicht mehr erlebt.

Das Wirken der "Gesellschaft für Reform des Sexualstrafrechts" stellt nur einen kleinen Ausschnitt schwuler Aktivitäten in den fünfziger Jahren dar. Von einer Schwulenbewegung kann dabei noch keine Rede sein. "Was prominent und wohlhabend ist, hält sich im Hintergrund", notiert ein Beobachter der Berliner Szene jener Jahre. Wie auch in anderen Bereichen der Gesellschaft erweist sich gerade die historische Kontinuität zwischen Nazi-Diktatur und Aufbaujahren als Widerspruch 
der jungen Bundesrepublik. Doch dass Bigotterie und Verlogenheit nicht bloß Markenzeichen der finsteren Fünfziger sind, zeigt auch die jüngste Diskussion um Homoehe und schwule Politiker.

(Frankfurter Rundschau vom 24.07.2001)

Anmerkung:
Es muss natürlich heißen: "Gesellschaft zur Reform des Sexualrechts
e.V." (ohne "straf"!). Wir suchen dringend weitere Zeitzeugnisse schwulen Lebens aus den fünfziger und sechziger Jahren und bitten bei Vorhandensein um Kontaktaufnahme über eMail: [email protected], Tel. 030 - 69 59 90 50 oder Fax 030 - 693 40 37.

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In den Pausen Häppchen

Eine Ausstellung über den Kampf um eine Sexualrechtsreform

Von Denise Dismer

Potenzielle Straftäter zu identifizieren kann sehr einfach sein: "Sie kleiden sich häufig bewusst sportlich, tragen Schillerkragen und ziehen auch in überheizten Lokalen dicke Rollkragenpullover nicht aus. Wenn sie sich unbeobachtet glauben, mustern sie ihre Partner mit forschen Blicken." So erkennt Hauptkommissar Ernst Schramm Schwule der Kategorie "maskuliner Typ". Deren Gegenstück, die "Tunten", "garnieren den Hals mit Chiffontüchern und sind in ihrem Gehabe weibisch. Das Haar tragen sie lang, es wird dauergewellt und auch gefärbt". Wer in den fünfziger und sechziger Jahren der Homosexualität verdächtig war, musste stets Razzien in den einschlägigen Lokalen fürchten. Jegliche homosexuelle Handlung war nach Paragraf 175 verboten.

Für die Aufhebung dieses Paragrafen setzte sich die Gesellschaft für Reform des Sexualrechts (GfRdS) ein. Das Schwule Museum dokumentiert die Entkriminalisierungs-Bewegung der Nachkriegszeit in Biografien und Fotos, Zeitungsartikeln, Federzeichnungen, Ölgemälden, Kunstdrucken, Schwulenzeitschriften, Briefen und Plakaten. Auch der Film "Wir stellen uns der Diskussion. Anders als du und ich" von 1957 zählt dazu, den die Zensur seines Happy Ends beraubte: Dem homosexuellen Protagonisten Boris gelingt nicht - wie im Drehbuch vorgesehen - die Flucht nach Italien, stattdessen wird er am Bahnhof 
Zoo verhaftet. Ein Ende, das den Erfahrungen der GfRdS-Mitglieder entsprach - viele von ihnen wurden strafrechtlich verfolgt, einige bereits durch den Nationalsozialismus. So auch der prominente Schöneberger Rechtsanwalt Werner Hesse, der in der Nachkriegszeit zur ersten Anlaufadresse für nach Paragraf 175 Angeklagte wurde.

Hesse setzte sich wie Botho Laserstein, ehemaliger Staatsanwalt und Autor des Rechtsratgebers "Angeklagter, stehen Sie auf!", für strafbedrohte Schwule ein. Der Kulturphilosoph Richard Grützmacher veröffentlichte in der Zeitschrift "Der Weg zu Freundschaft und Toleranz" einen Aufsatz über Nietzsche, dessen "Auffassung von der Männerfreundschaft verkennt und verurteilt ihre erotische Grundlage nicht". So posiert auf dem Titelblatt des vom Wilmersdorfer 
Buchhändler Rolf Putzinger herausgegebenen Schwulenblattes auch ein stählerner Jüngling in knapper Badehose.

Doch die Mitglieder der GfRdS entsprachen dieser Vorstellung des 
durchtrainierten, schwulen Sunny-Boys nicht. Die meisten näherten sich dem Rentenalter. 1951 bezeichnete Richard Gatzweiler Homosexualität in seiner Schrift "Das dritte Geschlecht" als "gefährliche Seuche" und das katholische "Petrus-Blatt" beklagte die "zu milden Urteile gegen Homosexuelle". Die GfRdS schrieb Protestbriefe und erstattete Strafanzeige gegen Gatzweiler - ohne Erfolg. Auch die Hoffnung, als Opfer des Nazi-Regimes anerkannt zu werden, erfüllte sich nicht. Die Verfolgung von Schwulen sei für die Faschisten nur ein "Vorwand"
gewesen, heißt es in einem Brief der Vereinigung der Verfolgten des
Naziregimes, Juden hingegen seien aus "weltanschaulichen, also politischen Gründen" diskriminiert worden.

Wegen dieser Misserfolge widmete sich die Homosexuellengruppe Ende der fünfziger Jahre eher Kunst und Literatur. In einer Privatwohnung traf man sich zum literarischen Salon: Bruno Balz, der für Zarah Leander "Kann denn Liebe Sünde sein?" komponiert hatte, gehörte dazu, der Schriftsteller Arnold Bauer und der Schauspieler Otto Sauter-Sarto. Ältere Herren, die sich ein Glas Sherry, in den Pausen Häppchen und zum Abschluss einen Cognac gönnten. Als die Gruppe sich 1960 auflöste, waren von den über 70 Mitgliedern nur 24 übrig geblieben. Die neuen Mehrheitsverhältnisse im Bundestag waren es, die 1969 zu einer Reform des Sexualrechts führten - nicht der Einfluss einer schwulen Protestbewegung. 

(Der Tagesspiegel vom 23.07.2001)

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