GISELHER WIRSING

Der maßlose Kontinent

Roosevelts Kampf um die Weltherrschaft

TEIL IV

Auf der Suche nach dem Feind

Ungefähr ein Jahr vor dem Ausbruch des zweiten großen Weltringens in diesem Jahrhundert sahen wir in Chicago die Parade, die sich über viele Stunden anläßlich des Unabhängigkeitstages über den glutheißen, aufgeweichten Asphalt der Michigan-Avenue bewegte. Unter den Abteilungen der Armee und der Marine marschierte ein kleines Häuflein alter Männer in sonderbaren altmodischen Uniformen. Ihnen voraus wurde eine zerfetzte amerikanische Fahne getragen. Einige fuhren im Wagen, weil sie nicht mehr gehen konnten. Es waren die Veteranen aus dem spanisch-amerikanischen Krieg von 1898, die letzten Überlebenden der "Rauhen Reiter", mit denen Theodore Roosevelt seine Außenpolitik des "Dicken Stockes" eingeleitet hatte. Das Publikum begrüßte sie mit weniger stürmischen Ovationen als die Abteilungen des Heeres, der Schulen und der männlichen und weiblichen Pfadfinder. Offenbar war es sich nicht darüber im klaren, welche Bewandtnis es mit diesen alten Männern hatte, auf deren Schärpen man die mit goldenen Buchslaben gestickten Worte: Kuba, Philippinen, Porto Rico lesen konnte. Sie zogen vorüber als eine Erinnerung daran, daß in jenem Jahr die Geschichte der Vereinigten Staaten als imperialistische Großmacht erst vierzig Jahre alt war. Nur ein gutes Menschenalter!

Der spanisch-amerikanische Krieg und die ihm unmittelbar vorausgehenden Jahre sind in der Tat der große Wendepunkt, von dem ab sich die Vereinigten Staaten in überraschend kurzer Zeit aus einem noch immer halb kolonialen und weltpolitisch an der Peripherie liegenden isolierten Kontinent in die Reihe der großen imperialistischen Weltmächte vorschieben. Wir sehen, wie dieser Vorgang fast genau parallel läuft mit der Erreichung der geographischen Grenze auf dem nordamerikanischen Festland selbst. Von seiner Entstehung ab ist der Dollarimperialismus unauflöslich verbunden mit der Machtzusammenballung bei der Hochfinanz. Ebenso wie der innere Staats- und Parteienapparat von der Jahrhundertwende ab von ihr endgültig beherrscht wird, wird auch die Außenpolotik des sich reckenden Giganten im amerikanischen Norden von den expansiven Interessen der großen Wirtschaftsgruppen bestimmt. Erdöl, Zinn, Kupfer, Zucker, Kautschuk und Finanzanleihen sind die Stichworte, nach denen sich diese Außenpolitik vollzieht. Strategische Gesichtspunkte, durch die der Erwerb einer Reihe von Stützpunkten in geographischer Schlüssellage nach britischem Vorbild erfolgt, ordnen sich in das System des Dollarimperialismus ein. Das State Department – das Auswärtige Amt der Vereinigten Staaten – ist dabei im wesentlichen die große Geschäftsagentur des Finanzkapitals, das die Machtmittel des Staates diplomatisch und militärisch für die Kapitalinteressen der verschiedenen beherrschenden Wirtschaftsgruppen einsetzt. Die Marinetruppen, die insbesondere im karibischen und nördlichen südamerikanischen Raum auftreten, sind die Vollstrecker der großen Planungen der Hochfinanz. Sie haben die Rohstoffe ebenso wie die Zinsendienste der Anleihen sicherzustellen. Für die Entwicklung der amerikanischen Außenpolitik in Mexiko und Mittelamerika sind die Bank- und Erdölinteressen ebenso maßgebend wie für die Fernostpolitik das "Chinakonsortium", das von der Morgan-Gruppe beherrscht wird. Vom Weltkrieg ab gilt dies auch für die Europapolitik, bei der die Diplomatie im Kielwasser des von der Hochfinanz eingeschlagenen Kurses der Anleihepolitik fährt.

Weder die Dollardiplomatie noch die spätere Kriegspolitik Roosevelts und der neue amerikanische Imperialismus entsprechen den Grundsätzen, nach denen sich die Außenpolitik der Vereinigten Staaten ursprünglich entwickelt hat. Um den großen Zug der geschichtlichen Entwicklung übersehen zu können, müssen wir uns mit ihnen zunächst befassen. Wir werden daher, bevor wir auf die Periode Roosevelt eingehen können, einen Blick auf die Traditionen der amerikanischen Außenpolitik zu werfen haben, wir werden uns dann mit der unter Staatssekretär Stimson eingeleiteten Wendung zur Machtpolitik im Fernen Osten befassen und schließlich die in der Neutralitätsgesetzgebung hervorbrechende Gegenströmung kennenlernen. Die vorsätzliche Wendung zur Kriegspolitik unter dem dreimal wiedergewählten Präsidenten Roosevelt wird sich dann von diesem Hintergrund abheben. Die Ideengeschichte der amerikanischen Außenpolitik ist gleichzeitig die Geschichte der amerikanischen Propaganda. Kaum ein anderes Land hat seine außenpolitischen Ideen von Anfang an in dem Maße als "Weltideen" verkündet wie die Vereinigten Staaten. Die Suggestion des Amerikanismus hat denn auch bis in unsere Tage Wirkungen ausgelöst, die nur durch die unkritische Hinnähme dieser Propaganda in weiten Gebieten der Welt möglich waren. Dies galt ebenso in der Epoche der ursprünglichen Abwehrideologie der Monroe-Lehre, wie in der des Dollarimperialismus (zu der Weltkrieg und Nachkriegszeit hinzuzurechnen sind), wie schließlich in der jüngsten Epoche der Weltherrschaftsbestrebungen unter Roosevelt. Dem inneren Zusammenhang dieser drei Epochen gilt die Darstellung dieses und der folgenden Teile unseres Buches.

Triebkräfte der Außenpolitik der USA.

Die Ideen der amerikanischen Außenpolitik waren im 19. Jahrhundert – im britischen Zeitalter – dem allgemeinen Zuge der Weltpolitik fremd, ja entgegengesetzt. Während England damals das universale Prinzip der "Allgegenwart" in allen Erdteilen verkörperte und die Weltkarte mit buntscheckigen Einflußgebieten an allen Ecken und Enden gleichzeitig überzog, war die amerikanische Außenpolitik – fußend auf George Washingtons Warnung vor der Einmischung in die Konflikte Europas – Erdteilpolitik. Sie trat dem britischen Universalismus, dem Anspruch auf Rechte und Vorrechte überall in der Welt, als raumgebundener, auf einen Erdteil beschränkter Regionalismus entgegen. So ist sie in der berühmten Erklärung des Präsidenten Monroe vom 2. Dezember 1823 formuliert worden. Mit der Aufstellung dieses raumgebundenen außenpolitischen Prinzips ist damals unversehens einer der großen Wendepunkte der Politik der großen Mächte erreicht worden.

Der ursprüngliche Gehalt der Monroe-Doktrin ist später, etwa seit 1896/98, durch den Dollar-Imperialismus überwuchert und schließlich in sein Gegenteil verkehrt worden. Das Ordnungsprinzip, das Monroe und sein Staatssekretär John Quincy Adams formuliert haben, rechnet heute wie damals zu den großen und unvergänglichen Lehren, deren wirkliche Befolgung und sinngemäße Anwendung nicht nur für Amerika, sondern auch für die anderen Erdteile die Konfliktstoffe derart beschränken müßte, daß der Ausbruch neuer Weltkriege schwerlich mehr zu erwarten wäre. Die Monroe-Doktrin in ihrer ursprünglichen Gestalt entsprach gewiß ebenso der halbkolonialen Situation, in der sich damals die Vereinigten Staaten befanden, wie sie ein Ausdruck der geographischen Insellage des amerikanischen Kontinents war, der nach dem Unabhängigkeitskrieg und dem englisch-amerikanischen Krieg 1812/14 damals ebenso unangreifbar erscheinen mußte, wie er es heute noch ist. Der eigentliche Sinn dieser Lehre ist indes von Raum und Zeit unabhängig. Er ist so modern und entspricht so sehr den Gegebenheiten der heutigen Welt, daß Adolf Hitler sich zu den Gedanken, die ursprünglich in der Monroe-Doktrin ausgesprochen waren, rückhaltlos bekennen, ja, daß er sie als eine der Grundlagen einer künftigen Weltordnung ansprechen konnte. Die Geschichte der amerikanischen Außenpolitik der letzten Jahrzehnte ist nichts als ein fortgesetzter und immer weiter um sich greifender Verrat an den großen Prinzipien, die George Washington und James Monroe aufgestellt haben.

Die Äußerung Adolf Hitlers über die Monroe-Doktrin erfolgte während des Frankreichfeldzuges im Führerhauptquartier gegenüber dem amerikanischen Korrespondenten Karl v. Wiegand am 9. Juni 1940. Sie lautet; "Ich glaube nicht, daß die Doktrin, wie sie Monroe proklamiert hat, als eine einseitige Inanspruchnahme der Nichteinmischung aufgefaßt werden konnte oder kann. Denn der Zweck der Monroe-Doktrin bestand nicht nur darin, zu verhindern, daß europäische Staaten sich in amerikanische Dinge einmischen – was übrigens England, das selbst ungeheuere territoriale und politische Interessen in Amerika besitzt, fortgesetzt tut – sondern daß ebenso Amerika sich nicht in europäische Angelegenheiten einmengt. Die Tatsache, daß selbst George Washington eine derartige Warnung an das amerikanische Volk ergehen ließ, bestätigt die Logik und Vernünftigkeit dieser Auslegung. Ich sage daher: Amerika den Amerikanern, Europa den Europäern!"

Die Worte Washingtons, auf die Adolf Hitler sich hierbei bezog, sind jene berühmten Sätze aus seiner Abschiedsbotschaft: "Es ist unklug, wenn wir uns durch künstliche Bindungen in Schwankungen der europäischen Politik oder den Wechsel zwischen europäischen Freundschaften und Feindschaften verwickeln lassen … Die einzig wahre Politik für uns ist die, unseren Kurs zu steuern, frei von jedem dauernden Bündnis mit irgendeinem Teile der auswärtigen Welt."

Die Monroe-Doktrin bedeutet nichts als eine Fortentwicklung der von Washington aufgestellten Grundsätze. Sie ist von derart fundamentaler Wichtigkeit, daß wir wenigstens kurz bei ihr verweilen müssen, zumal die herrschende amerikanische Staatslehre noch heute daran festhält, "die Monroe-Doktrin nehme unter den politischen Grundsätzen der Vereinigten Staaten den obersten Rang ein. Sie sei der Ausdruck des einzigen feststehenden Gedankens der Außenpolitik, der dauernden Einfluß auf die Führung der Staatsgeschäfte habe" (John A. Kasson). Ihre Entstehung führt uns in das Zeitalter der Heiligen Allianz. Die spanischen Kolonien in Südamerika hatten eben ihre Unabhängigkeit erlangt. 1822 waren die neuentstandenen Republiken von Monroe anerkannt worden. Im darauffolgenden Jahre war in Spanien im Auftrage der Heiligen Allianz eine französische Armee einmarschiert, um die dort bestehende konstitutionelle Monarchie wieder in eine absolute Monarchie zu verwandeln. Dies war ohne besondere Schwierigkeiten geglückt, und die Allianz befaßte sich nun mit der Frage, ob die Möglichkeit bestehe, auch die bisherigen spanischen Republiken in Südamerika wieder unter spanische Herrschaft zurückzuführen.

Der Grundsatz der Erdteilpolitik

Das stieß in England auf erhebliche Widerstände, da sich gerade in diesen Jahren der britische Außenhandel mit Südamerika stark entwickelt hatte. Canning, der damalige Leiter der britischen Außenpolitik, befürchtete nun, der wachsende wirtschaftspolitische Einfluß Englands in Südamerika würde einen erheblichen Rückschlag erleiden, wenn es etwa der Heiligen Allianz gelänge, die spanischen Kolonien wieder zurückzuerobern. Dies hätte Madrid nur mit französischer Hilfe erreichen können. Für Canning tauchte daher das Gespenst eines französisch-spanischen Handelsmonopols in Südamerika auf, das er von vornherein zu verhindern bestrebt war. So wandte er sich an die Regierung der Vereinigten Staaten mit dem Vorschlag, England und die USA. sollten mit einer gemeinsamen Erklärung hervortreten, daß sie die Zurückgewinnung der Kolonien durch Spanien für ausgeschlossen hielten und daß sie die Übergabe irgendeines Teiles dieser Besitzungen an eine andere Macht nicht gleichgültig mit ansehen könnten.

Hierüber berichtete Richard Rush, der amerikanische Gesandte in London, nach Washington, nicht ohne hinzuzufügen, daß er ein gewisses Mißtrauen gegenüber den Motiven der Vorschläge Cannings nicht unterdrücken körine. "Es stellt sich heraus", so schrieb er an Staatssekretär Adams, "daß England seine eigenen Zwecke verfolgt und bemüht ist, hierfür unsere Hilfe in Anspruch zu nehmen. Was die Unabhängigkeit der neuen amerikanischen Staaten zu deren eigenem Besten betrifft, so scheint dies eine ganz andere Frage für die englische Diplomatie zu sein. Es handelt sich um Frankreich, dessen Macht nicht vergrößert werden darf, nicht um Südamerika, das befreit werden soll." In Washington kam man infolgedessen zu dem Schluß, daß man keinesfalls mit England eine gemeinsame Erklärung abgeben dürfe, sondern daß man selbständig vorgehen müsse, um gegen den britischen Imperialismus ebenso einen Damm aufzurichten wie gegen den französischspanischen. Und dies um so mehr, als sich die Vereinigten Staaten gleichzeitig auch gegen die russischen Ansprüche wenden mußten, die damals der Zar von Alaska aus (das erst 1867 von den USA. gekauft wurde) auf Kalifornien erhob. Das Ergebnis dieser Erwägungen war dann die Botschaft von Monroe an den Kongress. Sie ist ein umfangreiches, mehrere Seiten füllendes Dokument, aus dem wir hier nur die Kernsätze anführen:

"An den Kriegen der europäischen Mächte in Angelegenheiten, die sie selbst betreffen, haben wir uns niemals in irgendeiner Weise beteiligt; auch verträgt es sich nicht "ih unserer Politik, dies zu tun. Nur wenn unsere Rechte angetastet oder ernstlich bedroht werden, weisen wir Kränkungen zurück und treffen Maßnahmen für unsere Verteidigung … Wir sind es der Aufrichtigkeit und den freundschaftlichen Beziehungen, die zwischen den Vereinigten Staaten und den europäischen Mächten bestehen, schuldig, zu erklären, daß wir jeden Versuch, ihr System auf irgendeinen Teil dieser Erdhälfte auszudehnen, als gefährlich für unseren Frieden und unsere Sicherheit ansehen würden … Gegen die bestehenden Kolonien oder Besitzungen irgendeiner europäischen Macht haben wir nichts einzuwenden gehabt und werden wir nichts einwenden. Aber hinsichtlich der Regierungen, die ihre Unabhängigkeit erkläri und aufrechterhalten haben und deren Unabhängigkeit wir nach gründlicher Erwägung und aus Gründen der Gerechtigkeit anerkannt haben, könnten wir ein irgendwie geartetes Eingreifen einer europäischen Macht, um sie zu unterjochen oder sonstwie Gewalt über ihr Schicksal zu erlangen, nur als den Beweis einer unfreundlichen Einstellung gegen die Vereinigten Staaten ansehen."

Die Politik gegenüber Europa wird dann schließlich folgendermaßen umrissen: "Unsere Politik Europa gegenüber … bleibt dieselbe, nämlich: Jede Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines seiner Staaten zu vermeiden, die jeweilige de-facto-Regierung als die für uns legitime anzusehen, freundliche Beziehungen zu ihr zu pflegen und diese Beziehungen durch eine freimütige, feste und mannhafte Politik dauernd zu gestalten, in allen Fällen die berechtigten Ansprüche jeder Macht zu befriedigen, aber Kränkungen von keiner zu dulden."

Die Monroe-Doktrin ist weder zum amerikanischen Gesetz erhoben, noch ist sie von fremden Mächten mit einer einzigen Ausnahme als geltendes Völkerrecht anerkannt worden. Die Ausnahme war das Statut der Liga der Nationen, in dem Wilson im Artikel 21 die ausdrückliche Anerkennung der Monroe-Doktrin erzwang, obwohl die Vereinigten Staaten später der Liga gar nicht beitraten. Jeder Vertrag aber, den von nun ab die Vereinigten Staaten abschlössen, jede diplomatische Vereinbarung, die sie trafen, stand nach amerikanischer Auffassung unter dem Vorbehalt der Monroe-Doktrin, deren Auslegung indes stets souverän Sache der Vereinigten Staaten bleiben sollte. Sie ist später mehrfach durch amerikanische Präsidenten autoritativ ergänzt worden, so vor allem durch den Präsidenten Polk im Jahre 1845 und mit der Entstehung des Dollarimperialismus wiederum durch die Präsidenten Cleveland und Theodore Roosevelt. Ein Versuch, die jungen südamerikanischen Republiken zur Anerkennung der Monroe-Doktrin zu bewegen, der bereits 1825 auf einer panamerikanischen Konferenz in Panama gemacht wurde, schlug indes fehl. Es war insbesondere die britische Diplomatie, die dies zu verhindern wußte, wie denn überhaupt die Monroe-Doktrin bis 1898 vornehmlich gegen England angewandt und ausgespielt worden ist.

Das Moderne und Zukunftweisende an der Monroe-Doktrin war nicht etwa, daß durch diese Lehre überhaupt hätten Kriege verhindert werden können, wohl aber, daß mit; ihrer Aufstellung und der stillschweigenden Billigung durch die anderen Großmächte für einen langen Zeitraum Erdteilkriege ausgeschaltet worden sind, die sonst wohl unvermeidlich entstanden wären. Der südamerikanische Raum hätte ohne Monroe-Doktrin zum Schlachtfeld der aufeinanderstoßenden Interessen der verschiedenen europäischen Großmachtsvölker wie auch der Vereinigten Staaten und so zum Keimboden für Weltkriege werden können. Der positive Gehalt der Monroe-Doktrin war also, der ursprünglichen Idee ihrer Urheber nach, eine Abgrenzung der Erdteile und ihrer politischen Einflußsphären. Sie widersprach damit der universalistischen Theorie der Engländer, deren entgegengesetztes Prinzip es war, daß England in allen Weltteilen "Interessenzonen" errichtete, die dazu dienten, daß England überall, sei es in Asien, sei es in Europa oder in Amerika, den Anspruch erhob, auf die politische Gestaltung der verschiedenen Räume einzuwirken und sie besonderen britischen Zwecken dienstbar zu machen.

Aus diesem Grunde ist auch von England stets geleugnet worden, daß die Monroe-Doktrin ein Bestandteil des Völkerrechts sei. Als Canning von ihr Kenntnis nahm, erhob er sofort Einwendungen, obwohl die damalige Haltung der amerikanischen Regierung taktisch jenen Zielen diente, die auch England selbst anstrebte. Noch die offizielle Darstellung der britischen auswärtigen Politik der Universität Cambridge, die nach dem Weltkrieg erschien, behandelt daher das Prinzip der Monroe-Doktrin mit auffallender Kühle, ja, mit kaum unterdrückter Gehässigkeit. Triumphierend stellt sie fest, daß nach dem ersten Fehlschlag der Panamerikanischen Konferenz in Panama (1825) sich "unter den Delegierten von Südamerika ein tiefes Mißtrauen in die Gutgläubigkeit der großen Macht im Norden ausbreitete. Die Republiken waren daher gehalten, sich enger an britischen Rat und britische Hilfe in ihren Kämpfen gegen die Anfangsschwierigkeiten ihrer neugewonnenen Freiheit anzulehnen." Daß hierbei Großbritannien als Protektor der Sklaverei auftrat, während die Nordstaaten der Union schon damals die Sklaverei abschaffen wollten, sei nur als amüsanter Seitenblick auf die britische Humanitäte angemerkt.*


*The Cambridge History of British Foreign Policy, Bd. II, S. 234, Cambridge 1923.


Verfälschung zum Offensivinstrument

Die Monroe-Doktrin beruhte also darauf, daß die Vereinigten Staaten jede Einmischung eines fremden Imperialismus in die amerikanische Sphäre ablehnten und als Angriff auf ihre eigene Hoheit betrachteten, während sie umgekehrt – und dies gab dieser Politik überhaupt die moralische Berechtigung – versprachen, ihre eigene Machtsphäre nicht in fremde Räume auszudehnen, sich der Einmischung in die außenpolitischen Streitigkeiten und in die Innenpolitik der europäischen Staaten zu enthalten und die jeweils tatsächlich herrschende Regierung als legitim anzuerkennen. Für die gesamte amerikanische Sphäre war also die Monroe-Doktrin von vornherein nichts anderes als eine politisch-völkerrechtliche Umschreibung der Unantastbarkeit des amerikanischen Lebensraumes, aus der die Vereinigten Staaten allerdings das Recht ableiteten, die Ordnung der gesamten amerikanischen Welt selbstverantwortlich in die Hand zu nehmen. Nach außen beruhte das Prinzip auf der von den Vereinigten Staaten versprochenen Gegenseitigkeit der Nichteinmischung.

Dieses Prinzip ist dann mit dem Beginn des Dollarimperialismua mehr und mehr verlassen worden. Seit 1898 verlangen die Vereinigten Staaten auf Grund der Monroe-Doktrin nach wie vor, daß alle anderen Mächte sich einer Einmischung in die amerikanische Sphäre enthalten, während sie für sich selbst das Recht in Anspruch nehmen, sich überall dort, wo sie angeblich Interessen zu vertreten haben, in fremde Sphären einzumischen. Da seit der Jahrhundertwende und zumal nach dem Weltkrieg der amerikanische Finanzkapitalismus buchstäblich überall in der Welt durch Anleihen, Finanzberater und andere Mittel "Interessenzonen" errichtet hatte, wurde die Monroe-Doktrin schließlich in ein Mittel der allgegenwärtigen und allumfassenden Intervention in Südamerika, Europa, Afrika und Asien umgefälscht. Aus einem zunächst rein defensiven Prinzip zur Abgrenzung der Erdteile wurde ein imperialistisches Ofjensivinstrument erster Ordnung. Wenn wir daher heute von der Monroe-Doktrin als von einem wichtigen Grundsatz einer künftigen Weltordnung sprechen, so ist damit nicht die universalistisch-imperialistische Verfälschung der Monroe-Doktrin gemeint, sondern jenes ursprüngliche Prinzip der Gegenseitigkeit der Nichteinmischung, auf das sich auch Adolf Hitler in seiner Äußerung über die Monroe-Doktrin bezogen hat.

Es waren bezeichnenderweise die Engländer, die unter Verzicht auf ihre bisherige Haltung seit der Jahrhundertwende eine rein imperialistische Auslegung der Monroe-Doktrin unterstützten, weil sie auf diese Weise in den Vereinigten Staaten einen gelehrigen Schüler ihrer eigenen Weltherrschaftslehre und einen Helfer für die Aufrechterhaltung jenes weltpolitischen Gleichgewichtes zu finden hofften, aus dem England bereits durch anderthalb Jahrhunderte so großen Nutzen gezogen hatte, das sich aber nun allmählich zu verschieben drohte. Der Zugriff der Vereinigten Staaten auf die Philippinen und die endgültige Annexion von Hawaii sind daher von England ausgesprochen begünstigt worden, nachdem sich kurz vorher die deutsch-englischen Bündnisverhandlungen unter Salisbury zerschlagen hatten, die, wenn sie von Erfolg begleitet gewesen wären, der Weltgeschichte eine andere Richtung gegeben hätten. In jener Zeit tauchen denn auch Begründungen für den sich schnell entwickelnden amerikanischen Imperialismus auf, die nur allzu fatal an entsprechende Äußerungen der Engländer bei ihren kolonialen Eroberungen erinnern. Als man 1898 den Spaniern die Philippinen abgenommen hatte, erklärte Präsident McKinley: "Gott hat den Vereinigten Staaten die Pflicht auferlegt, den unter der spanischen Mißregierung verdummten und entarteten Filipinos die Segnungen wahrhaft christlicher Kultur nahezubringen."

In London trafen diese Phrasen auf volles Verständnis. Dort war man gerade mit dem beginnenden Burenkrieg beschäftigt, zu dem aus dem altbekannten Arsenal ganz ähnliche ideologische Verbrämungen des nackten Imperialismus benötigt wurden. Diese Verfälschung der Monroe-Doktrin, unter deren Schutzmantel sich der Dollarimperialismus zu entwickeln und zuerst in die asiatische und später in die europäische Sphäre überzugreifen begann, ist um jene Zeit in den Vereinigten Staaten selbst sehr wohl bemerkt worden. Bis zum Weltkrieg, ja bis heute gab es stets eine mächtige Partei, die sich gegen weltpolitische Abenteuer, ja, die sich sogar gegen die imperialistische Auslegung der Monroe-Doktrin in Mittel- und Südamerika erregt wandte. Es waren im wesentlichen die Mächte des Finanzkapitalismus in Gemeinschaft mit ihrer "außenpolitischen Geschäftsagentur", dem State Department, die diese Opposition, die sich auf die ursprünglichen Ideen von Washington, Jefferson, Monroe und Adams berief, mundtot zu machen wußte. Erst in unserer Zeit ist dann auch die amerikanische Staatsrechtslehre fast geschlossen der Verfälschung der Monroe-Doktrin gefolgt.

Vierundzwanzig Angriffskriege der USA

Gerade in den letzten Jahren haben Präsident Roosevelt und sein Kreis den Eindruck zu vermitteln versucht, als ob die Vereinigten Staaten während des letzten Jahrhunderts durch ihre sich auf die Monroe-Lehre gründende Politik ein Hort des Friedens gewesen seien und als ob die "Westliche Hemisphäre" von den Wirren, in die sich Europa und Asien immer wieder hineingezogen sahen, verschont geblieben wäre. Diese Legende verflüchtigt sich beim ersten Blick auf die amerikanische Geschichte seit der Erklärung derMonroe-Doktrin. Sie zeigt von 1823 bis 1941 eine Kette von nicht weniger als vierundzwanzig nordamerikanischen Angriffsunternehmungen, wobei weder die Kämpfe mit den Indianern noch verschiedene kleinere Interventionen in Ostasien mitgerechnet sind. Bei keinem dieser vielen Angriffskriege und Revolutionen, die Amerika geführt oder entfesselt hat, sind die Vereinigten Staaten der angegriffene Teil gewesen. In allen Fällen waren sie auch nach der amerikanischen Geschichtsdarstellung selbst die Angreifer.

In einem Anhang am Schluß des Buches haben wir sämtliche wichtigeren Angriffskriege, die die USA. in den letzten hundert Jahren geführt haben, zusammengestellt. Die Übersicht über diese zahllosen Angriffskriege wie über die Revolutionen, die die Vereinigten Staaten kaltblütig und unter Einsatz großer Macht- und Geldmittel in kleineren Ländern entfesselten, gibt indes nur einen ungefähren Überblick über die tatsächliche Entwicklung des Dollarimperialismus. Zu diesem System gehört es, daß der kriegerische Angriff und die Landung nordamerikanischer Marinesoldaten, die für ganz Mittel- und Südamerika wie auch für Ostasien das Symbol des Yankeeimperialismus sind; nur als letztes Mittel eingesetzt wurden. Seit dem letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts wurde die Politik der Anerkennung oder Nichtanerkennung süd- und mittelamerikanischer Regierungen zu einem der wichtigsten Instrumente des USA.-Imperialismus. Wenn in irgendeinem südamerikanischen Staat eine Revolution ausbrach, die sich gegen den Yankee-Einfluß mittelbar oder unmittelbar richtete, erzwang Washington durch die Nichtanerkennung solcher Regierungen häufig eine neue Revolution, durch die dann irgendwelche Gruppen an die Macht kamen, die bereit waren, sich der Herrschaft des Dollars zu unterwerfen.

Der Weltkrieg, der in dieser Liste der unprovozierten Angriffskriege der Vereinigten Staaten nur als einer unter vielen erscheint, hat natürlich eine weit grundsätzlichere Bedeutung. Die Kriegserklärung Wusons war der erste formale Bruch großen Stils mit der ursprünglichen Idee der Monroe-Doktrin. Konnte man die von der Republikanischen Partei bestimmte Epoche von 1896 bis 1912 als das Zeitalter des imperialistischen Isolationismus ansprechen, so traten mit Wilson ganz neue außenpolitische Strömungen in den Vordergrund. Die Gegenseitigkeit der Nichteinmischung, die die Grundlage der Monroe-Doktrin war, verschwand. Statt dessen entwickelte nun Wilson die Prinzipien der kollektiven Sicherheit und eines kollektiven Internationalismus, die dann von England und Frankreich übernommen und in der Epoche der Genfer Liga zum obersten Grundsatz der europäischen Westmächte gemacht wurden. Für die Westliche Hemisphäre wollten indes die Vereinigten Staaten den Vorbehalt der Monroe-Doktrin ungebrochen aufrechterhalten. Tatsächlich hat sich Genf auch niemals in Streitigkeiten zwischen amerikanischen Staaten einzumischen vermocht.

Der Weltgläubiger

Nach dem Weltkrieg schwang das Pendel wieder zum imperialistischen Isolationismus der Vereinigten Staaten zurück. Die Epoche Harding-Coolidge-Hoover knüpfte im wesentlichen dort an, wo bereits McKinley und Theodore Roosevelt gestanden hatten. Die Vereinigten Staaten griffen in dieser Zeit in die europäischen Verhältnisse nur indirekt ein, während sie gleichzeitig den Kampf um Südamerika intensiv fortsetzten, und zwar insbesondere gegen England, dessen mächtige Kapitalposition vor allem in den ABC-Staaten einen steten Anlaß zu Reibungen bildete. Die Beziehungen zu Europa sind nun dadurch bestimmt, daß die Vereinigten Staaten das größte Gläubigerland der Welt geworden sind. Onkel Sam hatte sich in Onkel Shylock verwandelt, wie die Engländer bitter tagtäglich in ihrer Presse erklärten. Die Alliierten des Weltkrieges sowie die neugebildeten europäischen Staaten schuldeten nach dem Waffenstillstand und der ersten Wiederaufbauperiode den Vereinigten Staaten insgesamt 10,35 Milliarden Dollar, von denen 4,2 Milliarden allein auf Großbritannien, 3,4 Milliarden auf Frankreich und 1,6 Milliarden auf Italien entfielen. Durch diese neue Rolle als Weltgläubiger wurde indes auch in der Periode von Harding bis Hoover der Dollarimperialismus gegenüber Europa fortgesetzt. Waren es bisher Kuba, Haiti, San Domingo und Nikaragua, wo amerikanische Botschafter als Vollstrecker der Wünsche von Wall Street auftraten, so war es nun das zu Boden geworfene Deutsche Reich, in dem unter der Bezeichnung "Reparationsagenten" die von der amerikanischen Regierung autorisierten Vertreter des Bankhauses Morgan – Dawes, Young und Parker Gilbert – auftraten. Sie erschienen allerdings nicht als offizielle Regierungsvertreter, sondern als "einfache amerikanische Bürger" an der Spitze der Tributkommissionen, deren letzte Deutschland bis zum Jahre 1988 tributpflichtig machen wollte.

Die Rolle, die in Südamerika die amerikanischen Marinesoldaten spielten, übernahmen die französischen Negerregimenter an Rhein und Ruhr. Es war indes nicht nur Deutschland, das auf diese Weise zum Objekt amerikanischer Finanzberater wurde, sondern auch eine Anzahl kleinerer europäischer Staaten, wie z. B. Polen, die Türkei und andere. Zwischen 1920 und 1930 waren es etwa 25 Länder, in denen sich amerikanische Finanzberater auf dem Umweg über die Budget- und Anleihepolitik wesentlichen Einfluß auf die auswärtige und Handelspolitik verschafft hatten. Einer der bekanntesten, Edwin Kemmerer, hat allein in zehn Staaten als Finanzberater gewirkt. Einige dieser Tributeintreiber waren Beamte im State Department gewesen, wie z. B. Charles Dewey, ehe er als Finanzberater nach Polen ging. Die oben bereits erwähnte Gewohnheit, die wichtigsten Botschafter- und Gesandtenposten durch repräsentative Mitglieder der Finanzoligarchie zu besetzen, kam hinzu. Die Tätigkeit des Morgan-Partners Dwight Morrow als Botschafter in Mexiko diente z. B. den Sonderinteressen des amerikanischen ölkapitals, während Dawes als Botschafter in London ebenfalls die Interessen des Hauses Morgan vor allem in den damals tobenden Kämpfen zwischen England und den Vereinigten Staaten um Südamerika vertrat.

Der Dollarimperialismus reichte nun weit über die Westliche Hemisphäre hinaus. Er trat in Deutschland ebenso auf wie in Iran. Er hatte Südamerika fast völlig unterworfen und sah nun im Fernen Osten das wichtigste aller zukünftigen Betätigungsfelder. Hier, so glaubte man in Washington und New York, biete sich für die amerikanische Macht die größte Chance der Errichtung einer Interessenzone von ungekannten Ausmaßen. Ganz China, so hoffte man, würde sich in eine mittelbare amerikanische Kolonie verwandeln lassen. Der Ferne Osten gab denn auch nach dem Kriege den nächsten Anlaß zu einem abermaligen Bruch mit den Prinzipien der Monroe-Doktrin, der im letzten Jahre der Präsidentschaft Hoovers durch den Staatssekretär Henry Stimson erfolgte.

Die Monroe-Doktrin sieht ausdrücklieh die Anerkennung der de-facto-Regierungen in Europa als Grundprinzip der amerikanischen Außenpolitik vor. Der Ferne Osten ist in ihr naturgemäß nicht erwähnt, weil er um 1823 als weltpolitisches Problem noch gar nicht existierte. Als Staatssekretär Stimson nach der Eroberung der Mandschurei durch Japan am 7. Januar 1932 in einer Note an die japanische und chinesische Regierung, die später als die Stimson-Doktrin bekanntgeworden ist, mitteilte, die Vereinigten Staaten würden Gebietsveränderuneen, die sich auf Grund kriegerischer Ereignisse ergeben hätten, nicht anerkennen, war damit ohne allen Zweifel das Prinzip der Monroe-Doktrin der Nichteinmischung ebenso grundsätzlich durchbrochen wie durch den Kriegseintritt von 1917. Entsprechend dem weltweiten Einnuß, den der Dollarimperialismus des größten Tributgläubigers sich erworben hatte, konnte dieser Schritt nur bedeuten, daß die Vereinigten Staaten in Zukunft die gegenüber den südamerikanischen Ländern geübte Oberherrschaft nun auf wichtige andere Gebiete der Welt jenseits der Westlichen Hemisphäre zu übertragen beabsichtigen. Die Anerkennung oder Nichtanerkennung einer Regierung hatte sich bereits, wie wir gesehen haben, zu einer der wichtigsten Waffen der amerikanischen Außenpolitik in der Westlichen Hemisphäre entwickelt. Diese Waffe sollte nunmehr im Fernen Osten, gegebenenfalls aber auch in Europa angewandt werden. Sie ist später nach der Eroberung Abessiniens durch Italien, die sich gewiß von der Eroberung Hawaiis durch die USA. in nichts unterschied, ebenso verwendet worden, wie man dies beim Zusammenschluß Deutschlands und Österreichs versuchte. Auch heute noch gibt es für das State Department einen "Freistaat Danzig", eine Tscheche-Slowakei usw. Die Stimson-Doktrin stellt daher den Übergang der Vereinigten Staaten vom imperialistischen Isola-

190] Neue Formen des Imperialismus

tionismus der Zeit nach dem Weltkrieg zu einem neuen expansiven Imperialismus dar, der in der Epoche Franklin Roosevelts sich dann voll entfalten sollte.

Stimson bezog sich in seiner Note an Japan und China ausdrücklich auf den sogenannten Kellogg-Pakt (unterzeichnet am 27. 8. 1928). Er erklärte, die Vereinigten Staaten seien nicht bereit, irgendeine Situation, einen Vertrag oder ein Übereinkommen anzuerkennen, das im Gegensatz zu den Verpflichtungen des Kellogg-Paktes stehe. Nun ist der Kellogg-Pakt, durch den die "Ächtung des Krieges" erreicht werden sollte, von vorneherein ein mehr als fragwürdiges und dehnbares Vertragsinstrument gewesen. Er verdammt den Krieg als "Instrument der nationalen Politik". Wie Carl Schmitt hierzu treffend bemerkt hat, bedeutet dies, daß es einerseits Kriege geben soll, die als Instrument der nationalen Politik verboten sind, daß es aber andererseits "erlaubte Kriege" geben soll, die etwa in der Art einer Völkerbundsaktion als "gerecht" bezeichnet werden. Mit anderen Worten: der Kellogg-Pakt war der Versuch des mit dem französischen und englischen verbundenen amerikanischen Imperialismus zu bestimmen, welche Kriege erlaubt und welche verboten sein sollten, welche Kriege geächtet und welche als moralisch einwandfrei geführt werden dürften.

Sowohl hinter dem Kellogg-Pakt wie hinter der sich auf ihn gründenden Stimson-Doktrin vom Januar 1932 stand die Idee, daß die großen herrschenden Imperialismen Englands, Frankreichs und Amerikas dafür Sorge zu tragen hätten, daß an der in Versailles aufgerichteten Weltordnung durch die an die Tür pochenden aufstrebenden Großmachtvölker unter keinen Umständen gerüttelt werden dürfe. Durch die Dollardiplomatie waren ungeheure Gebiete der Welt außerhalb der Westlichen Hemisphäre praktisch dem amerikanischen Finanzdiktat unterworfen. Auch vom amerikanischen Gesichtspunkt aus war die Welt "endgültig" verteilt. An dieser Weitordnung sollte nicht mehr gerüttelt werden. Der Kellogg-Pakt wie die Stimson-Doktrin waren der Ausdruck dieser politischen Machttheorie. Mit der tatsächlichen Verbannung des Krieges hatten sie nichts zu tun, da die Nutznießer der bestehenden Weltordnung sich weder in Asien noch in Europa Mühe gaben, vor-

191] Angriff auf Fernost beginnt

sorglich die Ursachen und Gründe für etwa zu befürchtende Kriege durch eine gerechte Verteilung der Weltrohstoffe und durch das freiwillige Aufgeben des Tributsystems zu beseitigen. Zugrunde lag also mit einem Wort der Versuch, die großen zivilisierten Nationen in Völker erster und zweiter Klasse einzuteilen und mit allen Mitteln zu verhindern, daß die Völker zweiter Klasse an den Vorrechten der Völker erster Klasse teilhaben konnten. Von nun ab wurde das Wort " Wellfriede" eine der Waffen im imperialistischen Arsenal der Vereinigten Staaten; denn was war Weltfriede von Kellogg und Stimson? Nichts anderes als die Erzwingung der Aufrechterhaltung der in Versailles geschaffenen Ordnung!

Während indes die Vereinigten Staaten in Europa dem Versailler Diktat selbst nicht beigetreten und auch den Beitritt zur Genfer Liga vermieden hatten, während sie also England und Frankreich die Rolle des Polizisten in Europa überlassen hatten, hatten sie im Fernen Osten dafür Sorge getragen, daß dort ein Vertragssystem entstand, durch das die imperialistisch-kapitalistische Unterwerfung Chinas und die Herabwürdigung eines großen Landes zur "amerikanischen Interessenzone" vertragsmäßig festgelegt wurde. Der erste Schritt hierzu war die Washingtoner Flottenkonferenz vom Jahre 1921 gewesen, auf der die amerikanischen Diplomaten erreichten, daß das bis dahin bestehende britisch-japanische Bündnis vom Jahre 1902 aufgelöst und durch einen Viermächtevertrag zwischen den Vereinigten Staaten, England, Frankreich und Japan ersetzt wurde, in dem die Flottenstärken Amerikas, Englands, Japans und Frankreichs auf 5:5:3:1,75 festgelegt wurden, wobei die italienische Flotte gleichstark wie die französische sein sollte. Die Auflösung des britisch-japanischen Bündnisses bedeutet für die Vereinigten Staaten einen gewaltigen Fortschritt für ihre Machtpolitik im Fernen Osten, da nun die Möglichkeit bestand, Japan in der Zukunft zu isolieren, falls es sich etwa dem von den USA. in China verfochtenen Prinzip der "Offenen Tür" widersetzen sollte.

Unmittelbar anschließend an die Flottenkonferenz gelang es denn auch, im Februar 1922 in Washington den sogenannten Neunmächtevertrag unter Dach und Fach zu bringen, durch den sämtliche am Südostpazifik interessierten Mächte sich verpflichte-

192] Machtpolitik am Gelben Meer

ten, "die Souveränität, die Unabhängigkeit und die territoriale und verwaltungsmäßige Unantastbarkeit Chinas und das Prinzip der Offenen Tür" zu garantieren. Japan konnte nur mit großer Mühe zur Unterzeichnung dieses Vertrages bewogen werden, durch den, wie sich Griswold, der Geschichtsschreiber der amerikanischen Fernostexpansion, ausdrückt, "die Fernostpolitik der Bereinigten Staaten zum internationalen Gesetz erhoben wurde". Tatsächlich bedeutet der Flottenvertrag zusammen mit dem Neunmächteabkommen von Washington die Errichtung einer nordamerikanischen Vorherrschaft im Fernen Osten. Dies war das eigentliche positive Ergebnis des Weltkrieges für die USA. England war gezwungen worden, seine erste Rolle im Fernen Osten aufzugeben, und Japan war zunächst in eine rein defensive Position zurückgeworfen. Dies wurde schon dadurch unterstrichen, daß im Washingtoner Flottenvertrag Japan und Amerika übereinkamen, die Südseeinseln nicht zu befestigen und die dort bereits bestehenden Befestigungen nicht weiter auszubauen. Die amerik.-nische Offensivzone war damit allerdings auf Hawaii als vorgeschobensten westlichsten Punkt begrenzt, während die Philippinen, Guam und die Aleuten unbefestigt bleiben sollten, umgekehrt konnte aber Japan seine weit in den Pazifik hereinreichenden Erwerbungen militärisch nicht verwenden, denen viel größere Bedeutung zukam. Angesichts der unbestreitbaren wirtschaftlichen Überlegenheit der Vereinigten Staaten konnte dieses Abkommen sich auf die Dauer nur zu Ungunsten Japans auswirken.

Die Erwerbung der Philippinen im spanisch-amerikanischen Krieg hatte für die Machtpolitik in Ostasien die Grundlage gelegt. Nimmt man Manila als den Mittelpunkt eines Radius von 2500 Meilen, "dann sieht die Einbildungskraft fast die Bevölkerung der halben Welt von dort aus mit Waren versehen, denn es wohnen und arbeiten innerhalb dieses Umkreises, der Wladiwostok, Indien, das Arabische Meer, Ozeanien und Nordaustralien umfaßt, annähernd 800 Millionen Menschen"1. Dies waren ohne allen Zweifel auch die Erwägungen gewesen, die schon bei der Erwerbung der Philippinengruppe für das amerikanische Finanzkapital

1 Nearing/Freeman, a. a. O.

193] Morgans Chinakonsortium

eine ausschlaggebende Rolle gespielt hatten. Die American-Chinese Development Company hatte im selben Jahr 1898 die Konzession für den südlichen Teil der großen Bahnstrecke Peking-Kanton erworben, die als kontinentale Transversale ganz China erschließen sollte. Schon vordem war amerikanisches Kapital in die Mandschurei eingeströmt. Wahrend aber die anderen Großmächte China in Interessenzonen aufgeteilt hatten, waren die Vereinigten Staaten als der zuletzt Gekommene daran interessiert, daß China möglichst als Ganzes erhalten blieb, weil nur so sich das amerikanische Kapital die fundamentale Position erobern konnte, die es zu gewinnen hoffte. Thomas Lamont, der " Außenminister" des Hauses Morgan, hat dies ganz offen ausgesprochen. Es versteht sich, daß später die Vereinigten Staaten diese ihre Politik gegenüber den europäischen Interessenten mit hohen moralischen Prinzipien umkleideten. Wahrend die europäischen Mächte Teile aus dem großen Kuchen haben wollten, hofften die Finanzpiraten der Großbanken New Yorks die Beute ungeteilt und als Ganzes in ihren Tresor einbringen zu können.

An der Mandschurei waren vor allem Harriman und das mit ihm verbündete jüdische Bankhaus Kühn, Loeb und Co. interessiert. Harriman stellte damals den kühnen Entwurf eines Bahnprojektes rund um die Welt auf, in dem ein zu entwickelndes mandschurisches Eisenbahnnetz eine wichtige Rolle spielte. 1911 gelang es einem internationalen Bankenkonsortium, unter der Führung von J. P. Morgan die sogenannte chinesische Währungsanleihe durchzusetzen, durch die der chinesischen Regierung 50 Millionen Dollar zu 5 v. H. aufgezwungen wurden. Durch diese Anleihe, so hoffte man, würde man in der Lage sein, ständig auf die Innenpolitik Chinas einwirken zu können. Durch diese amerikanischen Kapitalinteressen in der Mandschurei wie auch durch die Anleihepolitik des Chinakonsortiums wurde der weltpolitische Gegensatz zu Japan als eine endgültige Barriere einer friedlichen Entwicklung Ostasiens aufgerichtet. Unmittelbar nach dem Weltkrieg reiste Lamont persönlich nach Japan, um ein neues Chinakonsortium vorzubereiten. 1920 war es wiederum unter der Führung der Morgan-Gruppe und unter Beteiligung britischer und

194] Japan gewinnt die erste Runde

auch zunächst noch japanischer Bankgruppen zustande gekommen. Mit China selbst wurde über die Gründung dieses neuen Konsortiums gar nicht verhandelt – obwohl nach außen das State Department ständig von der Souveränität der inzwischen entstandenen jungen chinesischen Republik sprach.

Es war Japans Bestreben seit dem Abschluß des Neunmächtevertrages, sich der Fesseln, die seiner natürlichen Expansionspolitik in Asien damit auferlegt waren, wieder zu entledigen. Man sah in Tokio, wie das amerikanische Kapital nun in immer reichlicher fließendem Strom ganz China überschwemmte und wie der riesige natürliche Reichtum dieses Landes auf diese Weise unter amerikanischen Einfluß geriet. Als dann im September 1931 der japanische Gegenstoß in der Mandschurei erfolgte und in kurzer Zeit das gesamte mandschurische Gebiet unter japanische Herrschaft gebracht war, hoffte Stimson durch die Veröffentlichung seiner Nichtanerkennungsdoktrin England und vielleicht auch Frankreich zu einer gemeinsamen Intervention gegen Japan mitzureißen. Die Idee des "Krieges für die Aufrechterhaltung der kollektiven Sicherheit", die das nachfolgende Jahrzehnt dann völlig beherrschen sollte, ist bei diesem Anlaß zum erstenmal von einer imperialistischen Großmacht formuliert worden. Schon damais sprach man in Amerika davon, daß der " Weltfriede" durch einen Krieg gegen Japan gerettet werden müsse. England zeigte sich indes noch nicht bereit, auf diesen gefährlichen Vorschlag einzugehen. Wenige Tage nach der Veröffentlichung der Stimson-Doktrin erklärte vielmehr das Foreign Office, daß es in Japan das Vertrauen habe, daß die Politik der "Offenen Tür" auch in der Mandschurei weiter befolgt werde. In der ganzen Welt und insbesondere in Japan wurde diese Verlautbarung des Foreign Office als eine sichtbare Zurückweisung der amerikanischen Ansprüche aufgefaßt.

Vergeblich führte Stimson mit Sir John Simon eine Reihe erregter transatlantischer Telefongespräche, durch die er die Teilnahme Englands an einer gemeinsamen Aktion gegen Japan doch noch zu erreichen hoffte. England zog sich auf die Liga der Nationen zurück, die zwar die Stimson-Doktrin übernahm, im übrigen aber die Ergreifung von Sanktionen ablehnte. Im Herbst 1932

195] Die StiniSüii-Doktrin

entstand der neue mandschurische Staat. Japan wurde in Genf formell "verurteilt" und schied daraufhin aus der Liga aus. Die erste Runde des nun anhebenden Kampfes um die neue Weltordnung war unter der Parole " Asien den Asiaten" gegen die Interessen der amerikanischen Hochfinanz gewonnen worden. Japan hatte dabei erfahren, daß ihm in den Vereinigten Staaten ein erbitterter Gegner erwachsen war, der den Anspruch auf seine Interessen in China niemals freiwillig preisgeben wird. Umgekehrt galt in den Vereinigten Staaten in jenen Jahren Japan als der "Hauptfeind". Unter dem Einfluß des Finanzkapitals hatte die amerikanische Presse eine wilde Agitation gegen die Japaner entfaltet, durch die das amerikanische Volk in die Überzeugung hineingesteigert worden war, eine japanische Aktion in der Mandschurei und in Nordchina bedrohe die "Sicherheit" der Vereinigten Staaten. Nichts konnte absurder sein.

Der Bruch der Monroe-Doktrin durch die Stimson-Doktrin erscheint uns heute als das dramatische Vorspiel jener Politik beständiger Einmischung in die Fragen anderer Erdteile, die später die Präsidentschaft Franklin Roosevelts kennzeichnen sollte. Stimsons Versuch, die Maschinerie der "kollektiven Sicherheit" gegen Japan in Gang zu setzen, schlug fehl. Der Geist aber, aus dem diese Politik geboren wurde, begann nun die Vereinigten Staaten mehr und mehr zu beherrschen. Insbesondere das State Department wurde zum Vertreter einer imperialistischen Einmischungspolitik in allen Weltteilen. S. R. Hornbeck, der Leiter der Fernöstlichen Abteilung im State Department, hatte Stimson bereits damals zu seiner unüberlegten Aktion gegen Japan angestachelt. Bis heute ist der verhängnisvolle Einfluß dieses Mannes für die Fernostpolitik der Vereinigten Staaten maßgebend geblieben. Bald sollten ihm in der Europäischen Abteilung Politiker von ähnlich hartnäckiger imperialistischer Überzeugung zur Seite treten. "In Stimsons Geist", schreibt Griswold, " mischten sich die wirtschaftlichen Träume der Dollardiplomaten und all jener Propheten des vergangenen Jahrhunderts, die in China den ungeheueren Markt der Zukunft sahen mit den "Visionen und dem Ideal der Missionare, durch deren Augen fast alle Amerikaner sich gewöhnt hatten, die

196] Die Stimson-Doktrin

Probleme Chinas zu sehen". Der Geist Wilsons begann wieder aufzustehen. Stimson erklärte typisch, der Zweck seiner Politik sei, "der moralischen Entrüstung in der ganzen Welt über den Friedensbruch in der Mandschurei Ausdruck zu verleihen". Hatte sich Amerika im ersten Nachkriegsjahrzehnt nach dem Fiasko der Wilsonschen Ideale damit begnügt, die Früchte der Dollardiplomatie rings um die ganze Erde einzuheimsen, so verband sich dies nun wiederum mit dem Anspruch, die Welt moralisch zu belehren und "auf den richtigen Weg zu führen". Daß dieser richtige Weg zufällig derjenige war, den Stimsons Freund Lamont schon ein Jahrzehnt früher bei der Errichtung des finanzkapitalistischen Chinakonsortiums eingeschlagen hatte, wurde dabei natürlich nicht erwähnt. Acht Jahre später sehen wir Stimson im Kabinett Roosevelts als Kriegsminister wieder auftauchen. Die Prinzipien, mit denen er damals den Imperialismus der Vereinigten Staaten moralisch zu umkleiden versuchte, sind dann zur Grundlage der Außenpolitik der USA. überhaupt geworden. England, das bei der Erklärung der Stimson-Doktrin noch zögerte, befand sich dann im Krieg. Die Voraussetzungen, die Stimson schaffen wollte, waren eingetreten. Nur hatte er übersehen, daß Japan inzwischen eine Militärmacht ersten Ranges geworden war.

Für die erste Periode der Außenpolitik Franklin Roosevelts war indes zunächst eine gewisse Milderung des nordamerikanischen Imperialismus bezeichnend. Die Probleme der Innenpolitik und der Versuch, durch das New Deal die Vereinigten Staaten zu reformieren, beherrschten den Vordergrund. Von 1933 bis 1937 steht für die Roosevelt-Regierung die Außenpolitik in der zweiten Linie. Sie ist in diesen ersten Jahren das Werk Cordell Hulls, den Roosevelt 1933 zum Staatssekretär machte. Hull gehörte nicht zum ursprünglichen Freundeskreis des Präsidenten. Seine Ernennung war ein Kompromiß mit der Mächtegruppe der Senatoren des demokratischen Südens. In den ersten Monaten seiner Tätigkeit im State Department hat ihm Roosevelt daher in Bullitt und

197] Cordell Hull

Raymond Moley zwei Berater aus dem "inneren Zirkel" des New Deal an die Seite gegeben. Hull hat sich dieses Einflusses indes zu entledigen gewußt. Erst später mußte er die Führung der Außenpolitik an das Weiße Haus selbst abtreten.

Hull ist in vieler Hinsicht die Verkörperung des alten Amerika. Wenn er in dem wunderlichen Gebäude des State Department fast scheu das unansprechende Zimmer betritt, in dem er täglich die Presse empfängt, wenn er dann umständlich sein Pincenez putzt und schließlich mit leiser, etwas stockender Stimme, auf den Rücken einer Stuhllehne gestützt, einige Bemerkungen zum Tage macht, könnte man ihn kaum für einen Mann von besonderem Format halten. Doch verrät die Gestalt und das leicht melancholische Antlitz einen starken, wenn auch starren Charakter. Es weht um ihn der enge provinzlerische Geist des amerikanischen Südens. Dabei steht das Pedantische und Konventionelle seines Auftretens nicht völlig unbewußt im Gegensatz zu der bis zum Schauspielerischen legeren Haltung seines Nachbarn im Weißen Haus. Geboren 1871 in einem kleinen Blockhaus in den undurchdringlichen Wäldern von Tennessee, stammt er aus einer Gegend, die, von beiden Ozeanen ebenso entfernt wie von der Metropolis New York, den kontinentalen Amerikanismus rein entwickelt hat. Seine Verwandten sitzen noch heute dort als kleine Farmer und Kolonialwarenhändler. Ware dieser Mann nicht Staatssekretär geworden, wäre er dadurch nicht gezwungen, sich täglich mit Problemen fremder Völker zu befassen, für deren Ursprung und bewegende Kräfte er auch nicht das leiseste Gefühl hat, müßte man ihn sympathisch finden. 24 Jahre lang vertrat er Tennessee im Abgeordnetenhaus und zwei Jahre im Senat, bis er Staatssekretär wurde. Er war dort Fachmann für Erbschaftssteuern und Zolltarife. Niemand im Kongreß konnte es seit langem auf diesen beiden Gebieten mit ihm aufnehmen.

Als er ins State Department einzog, war er fest überzeugt, der größte Teil sowohl der innerpolitischen wie der Probleme der Weltpolitik ließen sich durch eine liberale Zoll- und Außenhandelspolitik beheben. Dies war seine fixe Idee. Er war überdies als "Internationalist" in der Endphase Wilsons stark hervorgetreten. Bis

198] Cordell Hull

zum Schluß hatte er sich für die Unterzeichnung des Versailler Diktates und für den Beitritt der USA. zur Genfer Liga eingesetzt. Von jeher vertrat er die Meinung, daß, wenn Wilson Erfolg gehabt hätte, "der Frieden im wahren Sinne des Wortes" für die ganze Welt gesichert gewesen wäre. Europa und Ostasien hat er aus eigener Anschauung kaum je kennengelernt. Er begnügte sich damit, das Weltbild, das er sich nun einmal gemacht hatte, in die Praxis der Außenpolitik umsetzen zu wollen. Als der letzte Doktrinär des Freihandels, der irgendwo an wichtiger Stelle der Welt noch die Außenpolitik eines großen Staates leitet, erwies er sich als völlig blind für die Fragen, die unser Jahrhundert überall in der Welt aufgeworfen hat. Cordell Hull, der steife Gentleman aus dem Süden, ist darum nicht minder zu einer verhängnisvollen Kraft geworden als der engere Kreis um das Weiße Haus.

Er begann damit, eine Unzahl von Handelsverträgen mit den verschiedensten südamerikanischen und später auch europäischen Staaten abzuschließen. Je nachdem, ob ihm das leicht oder schwer fiel, gewöhnte sich Hull allmählich daran, die Staaten in "böse" und "gute" einzuteilen. So gehört es zu den Merkwürdigkeiten der Desorganisation unserer heutigen Welt, daß die naiven Urteile und Sympathien eines engstirnigen Politikers aus den amerikanischen Südprovinzen bedeutsam für das Schicksal von Völkern werden können. Für seine Utopie gab es weder drängende nationale noch soziale Probleme in der übrigen Welt. Auf Grund der Handelsstatistiken ließ sich vielmehr mit dem Rechenstift genau feststellen, auf welche Weise ein "Maximum an allgemeiner Wohlfahrt" in allen vier Weltgegenden erreicht werden könnte. Erscheinungen, die in dieses Bild nicht paßten, wurden als "nationalistische Psychosen" oder noch Schlimmeres angesprochen. Jede tiefere Einsicht in die Wurzeln, aus denen sich die Unordnung, ja die Erkrankung ganzer Weltteile herleiteten, fehlte. Mit Recht schreibt der amerikanische Publizist Hubert Herring schon 1938: "Die Amerikaner sollten untersuchen, wie stark die friedlichen Demokratien die politische und wirtschaftliche Katastrophe mit verursacht haben, die einen großen Teil Europas verschlang und heute Asien bedroht. Mr. Cordell Hull beschäftigt sich nicht mit solchen

199] Anfänge der Außenpolitik Roosevelts

Grundfaktoren. Seine Moralpredigten verlieren daher an Kraft. Niemand kann sich mit den laufenden Weltnöten auseinandersetzen, der von der Behauptung ausgeht, daß der Vertrag von Versailles gerecht und ehrenhaft war … Die Weltkarte ist für Cordell Hull fertig, und obschon er die etwaige Notwendigkeit für Änderungen freimütig zugestehen würde, gibt er doch keinerlei Fingerzeige, wie dies geschehen könnte."

Die Außenpolitik des New Deal begann indes mit einem merkwürdigen Widerspruch. Roosevelt hatte die für den Sommer 1933 anberaumte Londoner Weltivirtschaftskonferenz zunächst begrüßt und die Stabilisierung der Währungen als Ziel aufgestellt. Hull trat in London denn auch als feierlicher Oberpriester der Wiederherstellung der liberalen Weitwirtschaft auf, als Roosevelt Anfang Juli in einem Telegramm an die Konferenz mitteilte, die Stabilisierung des Dollars käme nicht in Betracht. In typischer Sprunghaftigkeit hatte der Präsident seine Meinung unter dem Einfluß anderer Berater geändert. Die Konferenz löste sich daraufhin auf. Es war der letzte Versuch, die Weltwirtschaft im alten Stile wieder in Gang zu bringen. Die Vereinigten Staaten blieben zunächst noch bei der Isolierungspolitik.

Auch auf anderen Gebieten zeigten sich ähnliche Tendenzen. Im April 1934 wurde vom Kongreß der sogenannte Johnson-Akt angenommen, durch den bestimmt wurde, daß keine Person in den Vereinigten Staaten berechtigt ist, Geld an irgendeine fremde Regierung zu leihen, die sich bei der Rückzahlung ihrer Schulden an die Vereinigten Staaten im Rückstand befindet. Dies war der vorläufige Schlußstrich unter die endlose Kriegsschuldendebatte, die während der Präsidentschaft Hoovers im Vordergrund der Außenpolitik gestanden hatte. Es war hierbei der ausgesprochene Wille des Kongresses, eine Wiederholung der amerikanischen Anleihepolitik während des Weltkrieges zu vermeiden. Mit Ausnahme von Finnland hatten sämtliche Anleiheempfänger aus dem Weltkrieg mit der Zahlung ihres Zinsen- und Amortisationsdienstes aufgehört. Amerika, so schien es, hatte hieraus die Konsequenzen gezogen.

Auf einer anderen Ebene lag die im September 1933 vollzogene Anerkennung der Sowjetunion durch die Roosevelt-Regierung.

200] Anfänge der Außenpolitik Roosevelts

Litwinow war zwar zu den Verhandlungen nach Washington gereist. Hierauf hatte der linke Flügel der Demokraten gedrängt, aber auch das Großkapital hoffte, sich durch die Anerkennung der Sowjetunion den russischen Markt erobern zu können. Dies ist allerdings erst 1941 unter wesentlich anderen Bedingungen erfolgt!

Es entsprach der außenpolitischen Ideologie dieser Anfangszeit, daß die Vereinigten Staaten auf den verschiedensten Feldern zunächst bestehende Schwierigkeiten zu bereinigen versuchten. Den Philippinen wurde im Jahre 1934 die Unabhängigkeit für das Jahr 1946 versprochen. Bis zu diesem Zeitpunkt sollte das amerikanische Militär von den Philippinen zurückgezogen und eine selbständige Zivilverwaltung errichtet werden. Die Außenpolitik spielte bei diesem Entschluß zunächst nur eine untergeordnete Rolle. Der Kongreß wurde vielmehr von wirtschaftlichen Erwägungen bestimmt. Es waren vor allem die Farmer, die in den Vereinigten Staaten selbst Zucker anbauten, die diesen Entschluß erzwangen. Roosevelt, der zunächst die drohende Politik Stimsons gegen Japan nicht fortzusetzen beabsichtigte, stimmte dem Kongreß unter der Voraussetzung zu, daß die Vereinigten Staaten auch in der Zukunft gewisse Sonderrechte für die Flotte auf den Philippinen behalten sollten.

Auf derselben Linie lag zunächst auch die Südamerikapolitik der neuen Regierung. 1933 trat in Montevideo die 7. Panamerikanische Konferenz zusammen. Auf der 6. Konferenz in Havanna im Jahre 1928 hatten die Südamerikaner mit sehr kräftigen Worten ihren Abscheu vor der Interventionspolitik der Yankees kund getan. Hull verkündete nun in Montevideo die "Politik der guten Nachbarschaft" und unterschrieb einen Vertrag, an dem alle amerikanischen Staaten bis auf Kanada teilhatten, der vorsah: "Kein Staat hat das Recht, in die inneren oder äußeren Angelegenheiten eines anderen Staates zu intervenieren." 1934 wurde das PIatt-Amendment aufgehoben, jene Regelung, durch die die zahlreichen Interventionen auf Kuba in der amerikanischen Verfassung verankert waren. Der Versuch, die Monroe-Doktrin aus einem Prinzip der Vereinigten Staaten in ein Prinzip aller Länder der Westlichen Hemisphäre zu verwandeln, schien tatsäch-

201] Schlagwort der "Guten Nachbarschaft"

lieb gewisse Fortschritte zu machen. Die Grundlage dieser Politik war allerdings, daß mittlerweile die wirtschaftliche Stellung der Vereinigten Staaten in Südamerika so stark geworden war, daß ihre Vorherrschaft auch unter Aufgabe der rauheren Formen der Dollardiplomatie möglich erschien.

Das Mißtrauen der Südamerikaner gegen jede bindende Vereinbarung mit den Yankees war indes durch die Gesten der ersten Jahre der Roosevelt-Regierung keineswegs völlig verschwunden. Sie ließen sich nur zum Abschluß von nichtssagenden Konsultativpakten bewegen. Die Aufrechterhaltung der Handelsbeziehungen zwischen Südamerika und Europa war gerade in diesen Jahren der Weltwirtschaftskrise für alle diese Länder von entscheidender Bedeutung. Sie beabsichtigten nicht, sich durch ein verschwommenes panamerikanisches Ideal von ihrer historischen Verbindung mit Europa abschneiden zu lassen. Südamerika sah in der Formel der "Politik der guten Nachbarschaft" zunächst eben nur eine Formel und witterte dahinter die Gefahren einer neuen Phase des Dollarimperialismus. Man hatte dafür in Rio, Buenos Aires und , Valparaiso gute Gründe:

In Europa sowohl wie im Fernen Osten begannen sich die Spannungen zu verdichten. Die Abessinienkrise war zwar vorübergezogen, ohne daß Washington über einige unfreundliche Erklärungen an die italienische Adresse hinaus sich dazu geäußert hätte, aber" in Südamerika befürchtete man, daß der Grundsatz der strikten Verweigerung jeglicher Art von militärischen Beistandsleistungen bei nichtamerikanischen Auseinandersetzungen von den Vereinigten Staaten nicht respektiert werden würde. Hinzu kam, daß die Handelspolitik Hulls von 1935 ab den Außenhandel insbesondere Deutschlands zu diskriminieren versuchte. Hull begann in seinen Handelsverträgen Klauseln gegen einen Export nach solchen Ländern einzufügen, "deren Ausfuhr unmittelbar durch die Regierungen subventioniert wird".

Und schließlich sahen sich die südamerikanischen Länder ebenfalls von 1935 ab durch Washington in der Rüstungsfrage unter Druck gesetzt. In Buenos Aires (1936) haben Roosevelt und seine Berater, vor allem Sumner Welles, dem in diesen Jahren die

202] Gerald Nye deckt auf

Führung der südamerikanischen Beziehungen anvertraut war, versucht, die südamerikanischen Staaten zu einer Aufrüstung zu veranlassen, die von Nordamerika finanziert und durch Anleihen sichergestellt werden sollte. Dies war, mitten in der Zeit, in der die Formel von der "guten Nachbarschaft" Trumpf war, bereits ein bedenkliches Anzeichen für die Rückkehr der USA. zur üblichen Dollardiplomatie.

Als dann Washington Anfang 1937 mit Brasilien in Verhandlungen zwecks Vermietung von Kriegsschiffen eintrat, wurden diese Befürchtungen in allen südamerikanischen Staaten immer stärker. Argentinien erhob formell Einspruch und erklärte den Plan der Vermietung von Kriegsschiffen als eine gröbliche Verletzung der panamerikanischen Idee, da er dazu geeignet sei, südamerikanische Staaten in fremde Streitigkeiten zu verwickeln. Als der brasilianische Präsident Vargas jedoch im Herbst 1937 sein Regime in eine autoritäre Regierung umwandelte, zogen die Vereinigten Staaten ihr Leih- und Pachtangebot, das als der unmittelbare Vorläufer des späteren Leih- und Pachtgesetzes an England anzusehen ist, wieder zurück. Alle diese Ereignisse hatten jedenfalls dazu geführt, daß die Politik der "guten Nachbarschaft" in Südamerika selbst als erheblich kompromittiert angesehen wurde.

W/

Wahrend so die anfänglich scheinbar sogar antiimperialistischen

Intentionen der Roosevelt-Regierung durch ein allmähliches Wiederbeginnen der Dollardiplomatie in Südamerika in düsteres Zwielicht getaucht wurden, war die Stimmung des amerikanischen Volkes wie auch des Kongresses strikt gegen jede Verwicklung der Vereinigten Staaten in einen außeramerikanischen Konflikt gerichtet. Im Jahre 1934 hatte ein Senatskomitee unter der Leitung von Gerald P. Nye eine umfangreiche Untersuchung der nordamerikanischen Munitionsindustrie begonnen, aus der einwandfrei hervorging, daß die Rüstungsindustrie und die Hochfinanz für den Kriegseintritt der Vereinigten Staaten 1917 verantwortlich gewesen waren. Das Land verlangte daraufhin stürmisch, daß durch

203] Neulraliiälsgesetz vom Kongreß erzwungen

Gesetzgebung eine Wiederholung derart verbrecherischer Vorgänge verhindert würde. Als im darauffolgenden Frühjahr die Abessinienkrise Europa zu erschüttern begann, handelte der Kongreß schnell und entschlossen.

Ende August 1935 wurde das erste Neutralitätsgesetz verabschiedet, durch das der Verkauf oder Transport von Waffen und Munition an Kriegführende verboten wurde, sobald der Präsident die offizielle Feststellung traf, daß irgendwo in der Welt ein Kriegszustand eingetreten sei. Dieses erste Neutralitätsgesetz sah ferner vor, daß der Präsident Reisen von amerikanischen Bürgern auf Schiffen von kriegführenden Nationen verbieten konnte. Roosevelt sowohl wie vor allem Hull und die Beamten des State Department versuchten, den Kongreß schon damals an dieser Neutralitätsgesetzgebung zu hindern. (Der Historiker Beard schreibt sogar: "Roosevelt und Hull verabscheuten den Neutralitätsakt von 1935 von Grund aus.") Als dann der italienisch-abessinische Krieg ausgebrochen war, ließ Roosevelt keinen Zweifel daran, daß er die Sanktionspolitik Englands und der Genfer Liga moralisch zu unterstützen beabsichtigte. Er ließ die neue Neutralitätsgesetzgebung zum erstenmal spielen. Sie mußte sich in diesem Fall einseitig gegen Italien wenden. Zu weiteren Festlegungen des Präsidenten kam es indes nicht, da das Hoare-Laval-Abkommen dem abessinischen Konflikt die gefährliche Spitze nahm. Die üblichen Abstimmungen, durch die die öffentliche Meinung in den Vereinigten Staaten dauernd untersucht wird, zeigten indes damals, "daß das Volk mfehr Vertrauen in die Fähigkeit des Kongresses als in die des Präsidenten hatte, die Vereinigten Staaten außerhalb des Krieges zu halten" (T. A. Bailey).

1936 ergänzte der Kongreß den Neutralitätsakt durch die Vorschrift, daß an Kriegführende keine Anleihen gewährt werden durften, und nach dem Ausbruch des Bürgerkrieges in Spanien wurde die Neutralitätsgesetzgebung Anfang 1937 auch auf den spanischen Bürgerkrieg ausgedehnt. Alle diese Maßnahmen vollzogen sich mehr oder minder gegen den Willen des Präsidenten. Einige Äußerungen aus dem Weißen Haus sowohl wie auch von Staatssekretär Hull hatten das Mißtrauen der Mehrheit des Kongresses

204] Cash and Carry für England

in eine wirklich neutrale Haltung der Exekutive erweckt. Das amerikanische Volk hat wohl niemals stärker als gerade in jenen Jahren seinem Wünsch Ausdruck gegeben, daß es eine Wiederholung der Situation des Weltkrieges zu vermeiden wünschte. Noch war indes Roosevelt mit den innerpolitischen Problemen so stark beschäftigt, daß seine Absicht, die alleinige Führung in der Außenpolitik zu übernehmen, zurückstand. Noch brandeten die Wogen eines herannahenden großen europäischen und asiatischen Konflikts nur wie ein fernes Murmeln an die Küsten Amerikas. Noch hatten die wenigsten eine Vorstellung, wie schnell und wie groß diese Gelahren sich durch die Parteinahme des Präsidenten entwickeln konnten.

Als im Frühjahr 1937 der Kongreß die zunächst nur auf zwei Jahre berechnete Neutralitätsgesetzgebung zu erneuern hatte, beschlossen Roosevelt und Hull in das neue Neutralitätsgesetz unter allen Umständen Vorschriften einzufügen, durch die der britischen Regierung gegenüber Deutschland und Italien der Rücken gesteift werden sollte. Auch die Einflüsse des Finanzkapitals, das sonst in dieser Zeit mit Roosevelt auf schlechtem Fuße stand, drängte in dieser Richtung. Es waren die Monate, in denen die Aufmerksamkeit des Kongresses durch den Streit um den Obersten Gerichtshof völlig ausgefüllt war. Die Neutralitätsgesetzgebung schien demgegenüber von geringerer Bedeutung zu sein. Auf diese Weise gelang es tatsächlich, einen Neutralitätsakt zum Gesetz werden zu lassen (l. 5. 1937), durch den die Macht des Präsidenten ganz erheblich erweitert und England gleichzeitig in dem Glauben ermuntert wurde, es werde im Ernstfall trotz des Vorherrschens des Friedenswillens im amerikanischen Volke die Vereinigten Staaten hinter sich haben.

Es wurden zwei neue Bestimmungen eingeführt, die von größter Tragweite sein sollten: Das eine war die berühmt gewordene Cashand-Carry-Klausel, durch die vorgeschrieben wurde, daß alle von Kriegführenden in Amerika gekaufteil Waren bar bezahlt und auf neutralen oder Schiffen der Kriegführenden abgeholt werden mußten. Die zweite Bestimmung sah vor, daß der Präsident für den Handel mit Kanada auch während eines Krieges, in den das Britische Reich verwickelt ist, Ausnahmen anordnen kann, die es ge-

205] Bündnis mit den Briten

statten, daß die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Kanada und den Vereinigten Staaten ungehindert weiterlaufen. Die Cashand-Carry-Klausel war ohne Zweifel eine einseitige Begünstigung Großbritanniens, da dieses Land im Kriegsfall allein über die notwendigen Goldvorräte und über die notwendigen Schiffe verfügte, um Waren in Amerika zu kaufen und sie abzuholen. In der Tat hatte der britische Handelsminister Lord Runciman Anfang 1937 in Washington eine Reihe von geheimen Konferenzen mit Roosevelt gehabt, in denen die Grundlinien des neuen Neutralitätsgesetzes besprochen worden sind. Der Kongreß hatte mit seiner Neutralitätsgesetzgebung ganz andere Absichten verfolgt. Schließlich aber war ein Neutralitätsbegriff zustande gekommen, durch den die Neutralität der Vereinigten Staaten zu einem Instrument der britischen Weltpolitik gemacht wurde. Das war die Vorstufe für Roosevelts späteres Weltherrschaftsprogramm.

Senator Hiram Johnson aus Kalifornien, eines der angesehensten Mitglieder des Senats, erklärte noch während der Abstimmungsdebatte unverhüllt, daß das Neutralitätsgesetz nichts anderes als ein geheimes Bündnis mit Großbritannien sei. Er sagte: "Zunächst streichen wir die Profite ein, dann aber verstecken wir uns im Hintergrunde, damit irgendein anderer das Risiko trage. Diese Entschließung wird uns nicht aus dem Kriege heraushalten, weil sie die bitterste Verstimmung bei allen Kriegführenden außer denjenigen entfachen wird, die stark genug sind, um unsere Rohstoffe zu erlangen. Sie macht uns im Atlantik zu Bundesgenossen Großbritanniens. Keine andere Nation als Großbritannien kann mit Sicherheit das Meer überqueren und seine Handelsschiffe über den Atlantik geleiten." Dies alles schien damals dem Kongreß nicht so wesentlich. Unglückseligerweise gab er damit Roosevelt außenpolitisch weitgehend freie Hand. Die Folgen für die amerikanische Nation sollten sich bald als unabsehbar erweisen.

Der Kongreß sowohl wie die gesamte amerikanische Nation waren in diesen fünf Jahren von 1933 bis 1937 einer mannigfachen Propaganda für einen neuen "Internationalismus" ausgesetzt, die teils von den Juden in Amerika ausging, teils von britischen Propagandazentralen. (Schon 1933 hatten die Juden eine

206] Innere Widerstände gegen Imperialismus

Boykottbewegung gegen deutsche Waren zu entfesseln versucht, die sich indes nur bedingt durchzusetzen vermochte. Gewisse Anzeichen sprachen immer deutlicher dafür, daß Roosevelt und Hull bereit waren, sich in diese ideologische Weltfront einzuordnen. Erst die Neutralitätsgesetzgebung vom Frühjahr 1937 schuf hierfür jedoch reale Grundlagen. Die überwältigende Mehrheit des amerikanischen Volkes war sowohl der jüdischen wie der britischen Propaganda, wie auch der außenpolitischen Festlegung durch den Präsidenten feindlich gesinnt. Charles Beard formulierte diese damals herrschende Überzeugung treffend:

"Im Mittelpunkt dieser amerikanischen Lebensanschauung stand die Idee, daß durch innerpolitische Maßnahmen die amerikanische Zivilisation verbessert werden soll, nachdem mindestens ein Drittel des Volkes schlecht behaust, schlecht gekleidet, schlecht ernährt und schlecht erzogen ist. Zur Verteidigung dieser Zivilisation und ihres Kontinents genügt bei einer entsprechend klugen Politik eine kleine, aber schlagkräftige Armee und Flotte, Verbunden mit dieser Anschauung war die Überzeugung, daß die amerikanische Demokratie nicht versuchen sollte, die Atlaslast der 'Bürde des weißen Mannes' in der Form eines weltüberspannenden Imperialismus auf sich zu laden und daß sie nicht versuchen sollte, in die schwierigen Probleme der europäischen Nationen einzugreifen."

Die Vertreter dieser Auffassung, von der sich damals nur eine kleine Minderheit von jüdischen Publizisten und sonstigen Politikern ausschloß, beriefen sich auf die Theorien von John A. Hobson, der darauf hinwies, daß der Imperialismus vornehmlich durch eine falsche Verteilung des Reichtums im Innern großer Länder entsteht, d. h. durch riesige Kapitalansammlungen, die im Inland keine hohen Profite mehr finden können und infolgedessen den Weg nach außen suchen und dann die Politik mit sich fortreißen. Die Heilung von diesem Übel kann infolgedessen niemals durch einen "fiktiven" Weltmarkt, sondern nur durch entsprechende innerwirtschaftliche Maßnahmen erfolgen, durch eine gesündere Verteilung des nationalen Reichtums, durch die der Wohlstand und die Kaufkraft des ganzen Volkes gehoben wird.

207] Roosevelts Wendung zum Krieg

Die Wendung Roosevelts von einer dem allgemeinen Wunsch der Amerikaner entsprechenden Neutralitätspolitik zur Kriegspolitik und Kriegshetze läßt sich auf den Monat genau festlegen. Im August 1936, vor der zweiten Präsidentenwahl also, hält Roosevelt eine umfassende außenpolitische Rede in Chautauqua. In ihr erklärt er noch seine Absicht, "die Neutralität aufrechtzuerhalten, wie groß auch immer der Druck dagegen von außen oder innen sein möge … Sollte in einem anderen Kontinent wieder Krieg ausbrechen, wollen wir die Tatsache nicht übersehen, daß sich Tausende von Amerikanern finden würden, die versucht wären, um schnöden Mammons willen unsere Neutralität zu vernichten. Sie würden uns sagen, und unglücklicherweise würden ihre Ansichten weite Verbreitung finden, daß das Arbeitslosenproblem der Vereinigten Staaten gelöst würde, wenn sie diese und jene Waren für kriegführende Nationen produzieren und sie verschiffen könnten. Sie würden uns sagen, daß, wenn sie Kredit an die kriegführenden Nationen geben könnten, die Zinsen in den Vereinigten Staaten dafür benutzt werden können, um Wohnhäuser und Fabriken zu bauen. Sie würden uns sagen, daß Amerika den Welthandel an sich reißen könnte … Wenn wir die Wahl haben, ob wir Profite machen oder Frieden haben wollen, wird die Nation antworten: Wir wollen den Frieden."

Es erscheint nachträglich schier unglaublich, daß Roosevelt noch 1936 so gesprochen hat. Man glaubt geradezu eine Rede von Lindbergh von 1940 vor sich zu haben. Damals war er noch überzeugt, das New Deal in den Vereinigten Staaten zum Siege führen zu können. Wir sahen, wie im Frühjahr und Sommer 1937 alle diese Hoffnungen zusammengebrochen waren und wie er am Ende des Streits um den Obersten Gerichtshof ein politisch beinahe erledigter Mann war. Die amerikanische Nation hatte sich von ihm abgewandt. Dies war Ende August 1937. Wahrend er gleichzeitig sieht, wie Adolf Hitler in seinem eigenen Bereich von Erfolg zu Erfolg eilt, wie das Arbeitslosenproblem in Deutschland um diese Zeit schon so gut wie gelöst ist, wie die ganze Nation sich hinter den selbstgewählten Führer schart, sieht er seine eigene weltgeschichtliche Rolle dahinschwinden. Gleichzeitig beginnt Japan im Fernen Osten nach einer Pause von fünf Jahren sein Programm der großasiatischen Raumeinheit wieder aufzunehmen. Am 7. Juli 1937 waren bei der Marco-Polo-Brücke in der Nähe von Peking die ersten Schüsse gefallen, die den neuen japanisch-chinesischen Krieg heraufbeschwören sollten. In diesem Augenblick nun sieht Roosevelt die große Chance. War es ihm nicht geglückt, durch friedliche Mittel zur weltgeschichtlichen Figur zu werden, so soll ihm nun der Krieg dazu verhelfen.

Sechs Wochen nach dem Zusammenbruch des New Deal und nur ein gutes Jahr nach der Neutralitätsrede von Chautauqua tritt er am 5. Oktober 1937, anläßlich der Einweihung einer Brücke in Chicago, mit jener Rede hervor, die schon heute dem Geschichtsschreiber als der eigentliche Beginn eines neuen Weltkrieges erscheinen muß. (Ross meint die so genannte "Quarantäne-Rede", Anm. Dikigoros.) Bis zu diesem Augenblick waren das Ringen Deutschlands um seine Gleichberechtigung und seinen Lebensraum und das Ringen Japans um die Erreichung einer großasiatischen Föderation Bewegungen, die auf den europäischen, bzw. asiatischen Raum beschränkt blieben und die keineswegs zu einem weltüberspannenden Krieg, sondern schließlich zu einer Abgrenzung der neuen Lebenssphären der jungen Großmachtvölker mit den Interessenbereichen der alten Großmächte hätte führen können. Kein wirkliches amerikanisches Interesse war in Mitleidenschaft gezogen. Nicht die geringste Notwendigkeit für einen Weltkonflikt lag vor, als nun Roosevelt plötzlich generelle Prinzipien in aggressivstem Tone aufstellte, durch die Nordamerika die in anderen Weltgegenden vorhandenen Spannungen unvermutet auf sich selbst bezog und damit sofort künstlich verschärfte. Von jenem 5. Oktober 1937 bis zum Ausbruch des Krieges von 1939 und schließlich der offenen Beteiligung der Vereinigten Staaten an diesem Kriege führt die kaum mehr unterbrochene Linie der bewußten Heraufbeschwörung der Katastrophe. Roosevelt erklärte in Chicago:

"Unschuldige Völker und Staaten werden grausam in der Gier nach Macht und Herrschaft geopfert, die kein Gefühl für Gerechtigkeit besitzt… Wenn sich solche Dinge in anderen Teilen der Welt ereignen, so soll sich niemand einbilden, daß Amerika davon verschont bleibt, daß es Gnade zu erwarten hat, daß diese Westliche Hälfte der Erde nicht angegriffen wird und daß sie fortfahlen kann, ruhig und friedlich zu leben … Die friedliebenden Nationen müssen sich gemeinsam gegen jene Vertragsverletzungen und jene Mißachtung menschlicher Instinkte zur Wehr setzen, die heute einen Zustand internationaler Anarchie und Unbeständigkeit schaffen, vor dem es kein Entweichen durch Isolierung oder Neutralität gibt… Der Friede, die Freiheit und die Sicherheit von 90% der Weltbevölkerung sind bedroht durch die verbleibenden 10%, die mit einem Zusammenbruch aller internationalen Ordnung und allen Rechts drohen … Wenn eine physische Krankheit sich epidemisch auszubreiten beginnt, beteiligt sich die Gemeinschaft an einer Quarantäne der Patienten, um die Allgemeinheit vor der Ausbreitung der Krankheit zu schützen."

Dies waren die wichtigsten Punkte der sogenannten Quarantänerede. Wie man sieht, enthält sie bereits im Kern alle Elemente, die später die Kriegspolitik Roosevelts kennzeichnet: 1. Die Behauptung einer angeblichen Bedrohung der Westlichen Hemisphäre, ohne daß hierfür ein vernünftiger Grund genannt werden kann. 2. Die Behauptung, daß die Nachkriegsverträge eine wirkliche Ordnung der Welt herbeigeführt hätten, die nun durch Kräfte der Anarchie bedroht würde, während in Wirklichkeit die vollständig internationale Anarchie und die Rechtlosigkeit und politische Deklassierung großer Kulturvölker das Ergebnis dieser Nachkriegsverträge war. 3. Die Behauptung, daß die im Diktat von Versailles und den sonstigen Verträgen der ersten Nachkriegsjahre aufgerichtete Machtordnung endgültig zu sein habe und daß diejenigen, die davon benachteiligt sind, von den Nutznießern dieser Machtordnung mit Gewalt zurückgeschlagen werden müssen. 4. Schließlich, daß die Aufrechterhaltung des "Weltfriedens" infolgedessen auch durch einen Krieg erzwungen werden müsse, teils es nicht gelingen sollte, die jungen und benachteiligten Großmachtvölker, die später als die Habenichtse bezeichnet wurden, einzuschüchtern und auf die Dauer in einem verlorenen Winkel anzuketten.

Die Rede von Chicago rief in den Vereinigten Staaten einen wilden Sturm der Entrüstung hervor. Am nächsten Tage enthüllte die "New York Herald Tribune", daß der Text schon einige Tage vorher dem Foreign Office in London zur Kenntnis gegeben worden war. Die große Mehrzahl der Amerikaner war infolgedessen davon überzeugt, daß der Präsident völlig unerwartet die Neutralitätspolitik zugunsten eines verschleierten Bündnisses mit England aufzugeben versuchte. Fast des ganzen Landes bemächtigte sich eine fieberhafte Aufregung, da es diesen Kurs nicht billigte. Insbesondere im Kongreß mehrten sich alsbald die Stimmen, die zur Besonnenheit rieten. Unter der Führung des Abgeordneten Ludlow wurde ein Gesetzesentwurf eingebracht, der eine Volksabstimmung für den Fall eines außerhalb der Vereinigten Staaten zu führenden Krieges vorsah. Die unvermutete Kriegsdrohung des Präsidenten schien mächtige Gruppen im Kongreß diesem Gesetzesentwurf Ludlows geneigt zu machen.

Auf der anderen Seite triumphierte nun plötzlich die zunächst verhältnismäßig kleine Minderheit, die schon seit langem darauf ausging, das Gewicht der Vereinigten Staaten sowohl in Europa wie in Ostasien in die Waagschale des Kampfes der Mächte zu werfen. Es waren drei höchst verschiedene Kräfte, die sich hier bezeichnenderweise sofort zu Worte meldeten: Zwei Tage nach der Rede von Chicago veröffentlichte Henry Stimson in den "New York Times" einen ganzseitigen Brief, in dem er die Rede des Präsidenten als eine "Führertat" begrüßte, die hoffentlich "Amerika dazu veranlassen werde; sich auf seine Verantwortlichkeiten in dieser Krise zu besinnen und sie in die Tat umzusetzen". Stimson, als eines der führenden Mitglieder der Republikanischen Partei und als enger Vertrauensmann des Hauses Morgan und des amerikanischen Konsortiums zur Ausbeutung Chinas, gab damit zu erkennen, daß das Finanzkapital zum erstenmal mit einer Handlung des Präsidenten einverstanden war. Aus dieser Wurzel sollte sich später der Friedensschluß zwischen Roosevelt und der Hochfinanz, der Eintritt Stimsons in Roosevelts Kabinett und die Aufstellung Willkies als Scheinkandidat der Republikanischen Partei entwickeln.

Ähnlich begeistert äußerte sich der führende jüdische außenpolitische Publizist Walter Lippmann, ein enger Freund des Kreises um Frankfurter. Das Judentum, das schon seit 1933 versucht hatte, die amerikanische Politik gegen Deutschland auszurichten, witterte, daß nun endlich der Zeitpunkt herannahte, zu dem seine Rachepläne verwirklicht werden konnten. Vielfältige Vorarbeiten waren in der Stille geleistet worden. Nun konnten sie offen zutage treten.

Und schließlich erklärte der "Daily Wbrker", das Blatt der Kommunisten, einen Tag nach der Chicago-Rede: "Die Kommunistische Partei begrüßt die Begründung einer positiven amerikanischen Friedenspolitik durch den Präsidenten. Es besteht nicht der geringste Zweifel darüber, daß sie die wesentlichen Merkmale dessen enthält, was allein geeignet ist, Amerika aus dem Kriege zu halten. Eine derartige Politik ist von der Kommunistischen Partei von jeher gefördert worden." Was die Kommunisten unter "Friedenspolitik" verstanden, war seit eh und je bekannt. So, wie sich in der Chicago-Rede alle wesentlichen Elemente der späteren Kriegspolitik des Präsidenten finden, so sind auch sofort die Kräfte, die diese Politik unterstützen werden, in ihren drei verschiedenen Ausprägungen auf dem Plan: Hochfinanz, jüdische Intelligenz und Kommunisten.

Was erhoffen sie sich? Gewiß, sehr verschiedenes! Die Hochfinanz und die mit ihr verbundene Gruppe der Schwerindustrie beurteilte zunächst ihre eigenen Aussichten bei der Entstehung eines etwaigen Krieges weniger hoffnungsfroh als vor 1917. Sie sah in Roosevelt einen von der herrschenden Schicht Abtrünnigen. Sein Reformplan war indes gescheitert, und die Möglichkeit, den ehrgeizigen Mann im Weißen Haus nunmehr für ganz andere Zwecke einspannen zu können, schien für Männer wie Thomas Lamont oder den jüdischen Großbankier Bernard Baruch immerhin verlockend. Die hochkapitalistischen Diehards glaubten, im Falle eines Krieges werde sehr schnell aus den Vereinigten Staaten eine Militärdiktatur werden, die dann mit der Gewerkschaftsbewegung gründlich aufräumen würde. Umgekehrt hofften die Kommunisten, die als Organisation zahlenmäßig unbedeutend waren, die aber durch weit verbreitete Vereinigungen, wie z.B. die "League for Peace und Democracy", mittelbar einen großen Einfluß ausübten, ebenfalls, daß durch einen Krieg und die innere Krise, die er auslösen mußte, ihr Ziel, die Errichtung der Diktatur des Proletariats, wesentlich gefördert werden könnte. Zwischen diese beiden Tendenzen eingeklemmt stand der Präsident mit seinem engeren Beraterstab, der von einer kriegerischen Entwicklung oder doch einem "Notstand" ebenso wie die Hochfinanz und die Kommunisten erwartete, daß ihm dann unbeschränkte diktatorische Vollmachten zufallen würden, wie sie in dem als Gesetz bereits vorliegenden Industriell Mobilization Plan vorgesehen waren. Alle drei Gruppen erhoben in der Öffentlichkeit lautes Getöse für die Erhaltung der Demokratie, während sie in Wirklichkeit, jede für sich, die Aufrichtung einer mehr oder minder offenen Diktatur zur Erreichung ihrer eigenen Ziele wünschten. Einig waren sie sich nur darin, daß alles dafür getan werden müsse, damit dieser Notzustand eintrete.

So ist es zu erklären, daß an sich so völlig verschiedene Gruppen wie die Hochfinanz und die Kommunisten vom Oktober 1937 ab mit Roosevelt Hand in Hand zu arbeiten begannen und sich ihm mit ihren Macht- und Geldmitteln zur Verfügung stellten. Zweifellos stellte hierbei das Judentum, das sowohl in der Hochfinanz wie im linksradikalen Flügel stark vertreten war, das verbindende Element dar. Dies war um so eher möglich, als, wie wir gesehen haben, von der zweiten New-Deal-Periode ab Roosevelt fast überhaupt nur noch mit jüdischen Beratern umgeben war. Das Zweckbündnis zwischen Hochfinanz und Linksradikalismus war naturgemäß allein auf die Außenpolitik beschränkt. In der Zeit, in der die Sowjetunion durch den deutsch-russischen Pakt vom August 1939 ausgeschaltet war, kam es sogar zu heftigen Anschuldigungen gegen die Kommunisten von seilen der beiden anderen Gruppen. Erst nach dem Ausbruch des Krieges gegen die Sowjetunion wurde die Einigkeit wiederhergestellt, die zwischen 1937 und 1939 bei den Interessenten am Kriege bereits bestanden hatte.

"England expects …"

Die ünehrlichkeit der von allen drei kriegshetzerischen Gruppen ausgehenden Propaganda, die sich in dem Stichwort "Demokratie" traf, war von vornherein gegeben, da alle drei Gruppen in Wirklichkeit die Diktatur erstrebten. Hier lag von vornherein die eigentliche Schwäche, hier waren die inneren Widersprüche der Position, die nun von den Vereinigten Staaten bezogen wurde, Wahrend sich Roosevelt sowohl wie die Hochfinanz und der Linksradikalismus als die Anwälte der "Menschheit" gegen die "Barbarei" gebärdeten, erschienen alle diese Phrasen jedem tiefer Blickenden höchst unglaubwürdig. Zahlreiche Senatoren und Abgeordnete wiesen nun unablässig darauf hin, daß die drei Gruppen der Kriegshetzer nicht von einer großen Idee durchdrungen waren, sondern daß im besten Falle nackter Machttrieb ihr Handeln bestimmte, wenn nicht Profitgier und Schlimmeres. Die Juden allerdmgs, die den Präsidenten ständig bearbeiteten und beeinflußten, waren von alttestamentarischem Haß gegen Deutschland geleitet. Für sie galt von Anfang an, daß ihnen jedes Mittel recht war, das schließlich zur Herbeiführung einer Weltkonstellation gegen das deutsche Volk und die nationalsozialistische Idee der Gemeinschaft dienen konnte. Der britische Einfluß gesellte sich nun der sich vom Oktober 1937 ab hektisch entfaltenden Kriegspropaganda in den Vereinigten Staaten hinzu. Wir haben im zweiten Abschnitt dieses Buches die soziologische Grundlage der beständigen Verstärkung des britischen Einflusses vor allem in der amerikanischen Geldoligarchie skizziert. Wir haben auch bei der Schilderung des Entwicklungsganges Roosevelts gezeigt, welch überragende Rolle die Orientierung nach England schon in seinen jüngeren Jahren und vor allem während und kurz nach dem Weltkrieg gespielt hat. In den Jahren von 1937 ab sollten diese englischen Unterströmungen in der amerikanischen Politik und Gesellschaft eine politisch ausschlaggebende Bedeutung erhalten. Es verhält sich dabei nicht etwa so, daß wir erst nachträglich diese Momente in den Fluß der amerikanischen Entwicklung hinein interpretieren. Zwei amerikanische Bücher, in denen die verhängnisvolle Rolle des britischen Einflusses und die Zwangsläufigkeit, mit der die Außenpolitik Roosevelts und der beiden anderen kriegstreiberischen Gruppen schließlich den Krieg auslösen mußte, sind vielmehr bereits 1937, bzw. 1938 erschienen. Quincy Howe hat in seinem grundlegenden Werk "England Expects every American to do his Duty" ein erstaunlich klarsichtiges Bild von dem verhängnisvollen Einfluß entworfen, den die Nachäffung Englands in der amerikanischen Oberschicht ebenso wie die gesellschaftlichen und geschäftlichen Verbindungen der Engländer nach Amerika auf die amerikanische Außenpolitik schließlich haben mußte. Nicht minder scharfsinnig hat Hubert Herring, der Herausgeber von "Harpers Magazine", in seinem Buche "And so to War", das im März 1938 abgeschlossen wurde, vorausgesagt, daß der neue Kurs Roosevelts unter allen Umständen zu einem kriegerischen Konflikt von ungeheurem Ausmaß führen müßte. Er sagte am Schlüsse seines Buches: "Wir steuern auf eine unvermeidliche Verwicklung in die Kriege Europas und Asiens zu. Der Präsident der Vereinigten Staaten begeht mit ruhigem Gewissen und voller Absicht Dinge, die ihn mit Woodrow Wilson vor der Geschichte zu einem der gefährlichsten Männer stempeln, die je im Weißen Haus gesessen haben. Der Staatssekretär fordert durch seine Unbeugsamkeit und seinen Glauben an die Nützlichkeit des Zwanges gleichfalls das harte Urteil der Geschichte heraus. Beider Weg ist der Weg zum Krieg." Und Quincy Howe schrieb: "Das anglo-amerikanische Bündnis, das sich auf die Aufrechterhaltung des Status quo in der ganzen Welt gründet, ist praktisch durch nichts gerechtfertigt. Weit davon entfernt, das Prinzip einer weltweiten Zusammenarbeit aufzustellen, versucht es lediglich die Uhrzeiger vom 20. zum 19. Jahrhundert zurückzustellen – wie es Lord Lothian in seinem Aufruf an die Vereinigten Staaten zugegeben hat, sie mögen England helfen, die imperialistische Ordnung wiederherzustellen, wie sie fünfzig oder hundert Jahre früher bestanden hat. Dieser Anwalt einer englisch-amerikanischen Vereinigung hofft, eine englisch-amerikanische Herrschaft über die eine Hälfte der Erde zu errichten. Wie die andere Hälfte leben soll, ist ihm offensichtlich gleichgültig." Beide Bücher wie zahllose Aufsätze in der "Saturday Evening Post" jener Zeit beweisen, daß die Gefahren, die sich mit Roosevelts Wendung zur Kriegspolitik ergaben, längst vor dem Ausbruch der Katastrophe erkannt worden sind. Es lag also nichts "Zwangsläufiges" in dieser Politik. Bewußt und planmäßig wollte sie vielmehr den Krieg in Europa und damit die Erklärung eines "Notstandes" in den Vereinigten Staaten heraufführen.

Das britische Netzwerk, das politisch und gesellschaftlich über die Vereinigten Staaten gespannt war, mußte in der Tat bei dem Beginn einer europäischen Krise von höchster Bedeutung werden. Den Untergrund bildeten jene kulturellen Institutionen, die von englischer Seite Cecil Rhodes und von amerikanischer Andrew Carnegie ins Leben gerufen hatten. Beide Magnaten der hochkapitalistischen Piratenzeit waren überzeugte Anhänger der Notwendigkeit einer englisch-amerikanischen Union, für deren Herbeiführung die Rhodes-Stipendien in Oxford, wie große Teile der wissenschaftlichen Carnegie-Stiftungen bestimmt waren. Der Präsident des Carnegie-Endowment for International Peace, Nicholas Murray Butler, hat gleichzeitig als Rektor der größten amerikanischen Universität, der Columbia University in New York, eine überragende organisatorische Stellung im wissenschaftlichen Leben der Vereinigten Staaten. Butler hat diese Stellung, unterstützt durch die gewaltigen Gelder der Carnegie-Stiftung, im letzten Jahrzehnt vor Ausbruch des Krieges systematisch dazu benutzt, um das amerikanische Volk davon zu überzeugen, daß sein Schicksal auf Tod und Leben mit dem Englands und des Empire verbunden sei.

Eine eigene Organisation, die 1917 gegründete English-Speaking Union, wurde von diesen Kreisen ins Leben gerufen. Durch sie sollte die breitere Oberschicht der Vereinigten Staaten dazu erzogen werden, daß sie das Schicksal ihres eigenen Landes unauflöslich mit dem britischen verbunden sah. Nichts ist bezeichnender als daß das amerikanische Direktorium der English-Speaking Union in seinen wichtigsten Posten mit Männern besetzt ist, die direkt oder indirekt vom Hause Morgan abhängig sind. Das Haus Morgan aber war schon während des Weltkrieges der aktive Mittelpunkt der britisch-amerikanischen Allianz. Ahnlich wie in England die Mitglieder des engeren Kreises der Plutokratie, finden wir auch in den Vereinigten Staaten immer wieder denselben Personenkreis in den Direktorien der verschiedensten Vereinigungen vertreten, die zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung gegründet worden sind. So stellt sich z. B. heraus, daß auch die League of Nations Association, die dazu berufen war, Propaganda für eine Annäherung der Vereinigten Staaten an den "Völkerbund" zu machen, von Partnern des Hauses Morgan ins Leben gerufen und finanziert worden ist. Dasselbe gilt für die besonders einflußreiche Foreign Policy Association, in deren Direktorium sich die Frau des "Außenministers" der Hochfinanz Thomas Lamont zusammen mit Felix Warburg, dem Morgan-Partner Owen D. Young und dem Journalisten William Allen White finden.

Alle diese Organisationen haben es verstanden, durch zahllose Vorträge, durch die Organisierung eines starken Echos in der Presse und im Rundfunk beständig die Aufmerksamkeit des amerikanischen Publikums auf sich zu lenken. Ihre wissenschaftlichen Abteilungen, ihre Zeitschriften beeinflußten weiteste Kreise und insbesondere die zahlreichen Frauenklubs, von denen so unendlich viel für die Entwicklung der öffentlichen Meinung in den Vereinigten Staaten abhängt. Rechnet man schließlich noch hinzu, daß die maßgebendsten Journalisten der "New York Times", soweit sie nicht Juden sind, geborene Engländer sind, zieht man in Betracht, daß z. B. der Chef aller europäischen Korrespondenten dieser einflußreichsten amerikanischen Zeitung, F. Birchall, englischer Nationalität ist, so ergibt sich, daß die Briten in den Vereinigten Staaten über gewichtige Machtinstrumente verfügten, mit denen die öffentliche Meinung durchsetzt werden konnte. Hinzu kam der wirtschaftliche Einfluß in zahllosen Gesellschaften, vor allem der Finanz und des Versicherungswesens, durch den bedeutende kapitalistische Gruppen in ihren finanziellen Interessen auf Tod und Leben mit der britischen Plutokratie verbunden waren.

Diese Kräfte begannen nun von 1937 ab, nachdem der Präsident selbst das Zeichen dafür gegeben hatte, mit der jüdischen und kommunistischen Propaganda, die sich schon vorher gegen Deutschland wie auch gegen Japan entfaltet hatte, parallel zu wirken. Wer etwa im Jahre 1938 sowohl die Vereinigten Staaten wie England besucht hat, konnte dabei feststellen, daß die Organisationen des Hasses und der Verhetzung in Amerika viel schneller und gründlicher gearbeitet hatten als in England selbst. Verunglimpfungen Hitlers und des deutschen Volkes im allgemeinen, wie übrigens auch eine indirektere Verächtlichmachung der anderen europäischen Völker mit Ausnahme des englischen, trieben bereits Blüten, von denen sich niemand eine Vorstellung machen kann, der sie nicht selbst tagtäglich gesehen hat. In England selbst war zu jenem Zeitpunkt wohl nur die eigentliche Kriegspartei um Churchill, Eden und Duff Cooper zur Herbeiführung eines Krieges bereits endgültig entschlossen. Die britische Politik und das Foreign Office hatten sich durch das Einsetzen ihres Propagandaapparates in den Vereinigten Staaten zunächst wohl nur eine Rückendeckung zu schaffen versucht. Bald aber sollten sie selbst zu den Gefangenen derjenigen Kräfte werden, die sie sich als Bundesgenossen gesichert hatten. Mit der Rede des Präsidenten in Chicago waren die Dämme gebrochen.

RooseveIt hatte zu diesem Zeitpunkt allerdings noch gar nicht entschieden, nach welcher Seite sich das Hauptgewicht der neuen aggressiven Außenpolitik der Vereinigten Staaten wenden würde. Es ist dies eine der seltsamsten Erscheinungen, die es wohl je in der Weltgeschichte gegeben hat: Die Vereinigten Staaten waren und sind die einzige Großmacht, von der wir wissen, die keinen natürlichen Feind besitzt. Dies war von jeher der völlig ungewöhnliche Vorteil, dessen sich die USA. erfreuen konnten. Die einzige Gefahr, die ihnen gedroht hatte, die Expansion des britischen Weltreiches, solange es die fast unbestrittene Alleinherrschaft zur See besaß, bestand nicht mehr, seitdem die Engländer sowohl in Europa wie in Ostasien die Partnerschaft der Vereinigten Staaten für bestimmte weltpolitische Zwecke – z. B. die Bildung eines Gegengewichtes gegen Rußland im Fernen Osten, dann gegen Japan schon seit der Jahrhundertwende – gesucht hatten. Diese aus der geographischen Lage entspringende "natürliche Feindlosigkeit" hatte in der inneren Politik von jeher die Folge gehabt, daß kein Druck von außen den schwierigen inneren Verschmelzungsprozeß der einander vielfach entgegengesetzten landschaftlichen und auch rassischen Tendenzen beschleunigte. Der amerikanische Traditionalismus, die Erstarrung des amerikanischen Mythos, wie wir sie geschildert haben, und der ungehemmte Individualismus des Finanzkapitals, dies alles war überhaupt nur durch die Insellage des nordamerikanischen Kontinents denkbar und möglich.

So entsprach die traditionelle amerikanische Isolierungspolitik in der Tat einer einzigartigen Situation. Selbst im Russischen Reich, das im Osten und Westen immer unmittelbar von der Entwicklung der Politik der anderen Großmächte betroffen war, konnte sich niemals ein derart abgeschlossenes Kontinentalgefühl entwickeln wie in den Vereinigten Staaten. Kaum hat man im Osten New York oder im Westen Kalifornien landeinwärts hinter sich gelassen, spürt man, wie unendlich weit die Bewohner des eigentlichen Inlandes Amerikas sowohl von Europa wie vom Fernen Osten entfernt sind. Dies hat auch dem Mittelwesten zu seiner berühmten Stellung als Zentrum der Isolierungspolitik verholten.

Roosevelt beschloß nun, nachdem seine Persönlichkeit nicht ausgereicht hatte, die einander widerstrebenden Kräfte des nordamerikanischen Kontinents von innen auf ein einheitliches Ziel auszurichten, künstlich einen Druck von außen zu erzeugen und das Volk – einschließlich der Südamerikaner – dazu zu "erziehen", daß es sich durch außeramerikanische Mächte bedroht fühlen sollte. Wir haben gesehen, daß man sogar zeitlich genau fixieren kann, wann dieser Entschluß gefallen ist. Der Zynismus allerdings, der zu einer solchen Handlungsweise gehört, ist kaum zu überbieten, da es ja sehr bald klar war, daß eine solche Politik unter allen Umständen einen Krieg heraufbeschwören mußte. Allerdings glaubte Roosevelt in dieser Periode noch, daß der Krieg von anderen Völkern geführt werde und daß die Vereinigten Staaten es gar nicht nötig haben würden, sich aktiv an ihm zu beteiligen. Was er wollte und brauchte, war nur die Herbeiführung des "Notstandes" in Amerika selbst, d. h. die Herbeiführung einer ungeheuren Rüstungskonjunktur, die auf anderem Wege nicht zu erreichen war. Also ein "Feind" war nötig, eine "Bedrohung" der Vereinigten Staaten mußte glaubhaft gemacht werden.

In der Tat schien Roosevelt zuerst geglaubt zu haben, daß Japan als ein solcher Feind ausreichen würde. Die Rede von Chicago wurde denn auch zuerst mehr auf Japan denn auf Deutschland und Italien bezogen. Die Propagandamaschine lief an, um Japan als ein drohendes Schreckgespenst erscheinen zu lassen. Wir erwähnten bereits, daß die Chicago-Rede vorher dem Foreign Office in London zugänglich gemacht worden war. Roosevelt suchte, wie von amerikanischer Seite später nachgewiesen wurde1, um diese Zeit England zu "einer gemeinsamen englisch-amerikanischen Blockade gegen Japan zu bewegen, und zwar nicht nur zu einer Blockade durch Propaganda, sondern durch die beiden Flotten". Schon in diesem Augenblick setzte also die amerikanische Geheimdiplomatie ein, durch die die Vereinigten Staaten durch unterirdische Abmachungen festgelegt werden sollten. England ließ sich aber nur zur Einberufung einer internationalen Konferenz unter Teilnahme der Vereinigten Staaten bewegen. Sie trat in Brüssel im November 1937 zusammen und endete mit demselben Fiasko wie alle ähnlichen Versuche vom Genfer Podium aus. Japan, das sich durch die Rede Roosevelts in seiner Ehre getroffen fühlte, lehnte die Beteiligung überhaupt ab. Von dem amerikanischen Vorschlag einer Blockade Japans durch die englisch-amerikanische Flotte blieb nichts übrig als die Entsendung einiger amerikanischer Kreuzer nach Singapur, die mit der Eröffnung der neuen britischen Flottenbasis begründet wurde (Februar 1938). Die englische Regierung wollte sich noch in keiner Weise festlegen. Immerhin war durch das Auftauchen amerikanischer Flotteneinheiten in Singapur, das mit einer amerikanisch-englisch-französischen Note an Japan verbunden wurde, es solle über seine künftigen Flottenbaupläne Auskunft geben, zum erstenmal deutlich gemacht, daß die Regierung in Washington Singapur als "amerikanisches" Problem ansehen wollte. Der Auftakt zum neuen amerikanischen Imperialismus war damit erfolgt.

In der Zwischenzeit rollte bereits die Propagandamaschine in Amerika selbst, und der Präsident tat alles, um das Land mit ihrem Dröhnen zu erfüllen. Fast kein Tag vergeht von nun ab, an dem nicht durch irgendwelche Sensationsmeldungen, die sehr oft vom Weißen Haus beeinßußt waren, die "Erziehung" des amerikanischen Volkes zum Krieg weitergetrieben wurde. Die Juden in der Presse, im Rundfunk und in den Parteien hatten ihre große Chance erkannt. Bald schon sollte dieser Apparat ganz automatisch weiterlaufen. Bald schon sollte Deutschland im Mittelpunkt dieser Hetzpropaganda stehen und der "Feind" endgültig gefunden sein. Wir können aus der Flut des Materials nur die wichtigsten Beispiele herausgreifen, aus denen sich die Technik dieser alsbald hemmungslos das Land überschwemmenden Völkerverhetzung ergibt.

Noch im Dezember 1937 gelang es Roosevelt, seinen Gegner bei der Präsidentschaftswahl von 1936, den ehemaligen Governor von Kansas Alfred London, zu einem offenen Brief an den Präsidenten und zu einer Verurteilung der Friedenspartei zu veranlassen, die damals noch um den bereits erwähnten Gesetzesvorschlag Ludlows kämpfte, durch den die Entscheidung über Krieg oder Frieden einer Volksabstimmung übertragen werden sollte. Landen schrieb an Roosevelt: "Ich gratuliere Ihnen zu Ihrem festen 'Nein' gegen eine vorgeschlagene Gesetzgebung, die dem Kongreß die Macht nehmen würde, den Krieg zu erklären." Die Antwort Roosevelts an Landen erregte Aufsehen, weil in ihr der Präsident zum erstenmal seinen Führungsanspruch in der Weltpolitik formulierte. Er schrieb: "Man kann die Augen nicht davor verschließen, daß Amerika ein Teil einer großen Welt von anderen Nationen ist, und als solche sind wir selbst zur Führerschaft bei dem Versuch, sich dem Ziel des allgemeinen Friedens zu nähern, verpflichtet." Das Wort "leadership" war in solchem Zusammenhang seit Wilson in den Vereinigten Staaten nicht mehr gebraucht worden. Bereits Anfang Januar 1938 gelang es denn auch, die Ludlow-Entschließung im Repräsentantenhaus mit dem knappen Stimmverhältnis von 209 gegen 188 Stimmen zu Fall zu bringen. Nur 21 Stimmen fehlten damals, und eine Friedenspolitik der Vereinigten Staaten wäre erzwungen und die zynische Suche Roosevelts nach dem Feind beendet gewesen. Niemals nämlich, das war klar, hätte man bei einer Volksabstimmung eine Mehrheit für einen unprovozierten Angriffskrieg erzielen können. Herring erwähnt, daß Roosevelts Wahlmanager James Farley vor dieser entscheidenden Abstimmung "vom Telefon einen höchst wirksamen Gebrauch machte. Kongreßmitglieder, die für ihre Wahlbezirke Vorteile erwarteten und diese Vorteile als Argument für ihre Wiederwahl brauchten, wurden an jene einfache Tatsache erinnert, die kein Abgeordneter in den Vereinigten Staaten ungestraft vergessen darf."

In dieses Frühjahr 1938 fallen die letzten Versuche des New Deal, die neue wirtschaftliche Katastrophe mit den bisherigen Mitteln abzuwenden. Ein neues riesiges staatliches Investitionsprogramm, vor allem zugunsten der WPA, wird vom Kongreß beschlossen. Der Präsident aber ist an diesen Versuchen nicht mehr so wie früher interessiert. Von nun ab tritt der New-Deal-Kreis mit Corcoran und Cohen stärker in den Hintergrund. Eine neue Mannschaft wird zur täglichen intimen Besprechung in den Privaträumen des Weißen Hauses versammelt. Von den bisherigen Beratern behalten nur der Jude Rosenman, dem wir schon bei der Gründung des New Deal begegneten, Hopkins und vor allem Felix Frankfurter ihre alte Bedeutung. Sie werden nun zur Formulierung der neuen aggressiven außenpolitischen Pläne eingesetzt. Frankfurter ist auch in der jetzt beginnenden Phase der wichtigste Mann hinter den Kulissen. Sein glühender Haß gegen den Nationalsozialismus und das deutsche Volk überhaupt gewinnt nun auf den Präsidenten einen übermächtigen Einfluß. Wie vorher in der innenpolitischen Phase hält er sich indes klug zurück und beschränkt sich auf seine geheime Beraterrolle. Hatte er vordem seine Zöglinge Corcoran und Cohen dafür eingesetzt, die Reden des Präsidenten zu entwerfen und hierdurch m der täglichen innenpolitischen Routinearbeit seinen Einfluß dauernd in der Umgebung Roosevelt spielen zu lassen, so war es nun der New Dealer Adolph A. Berle, dem Frankfurter dieselbe Rolle für die Außenpolitik zuschob. Berle war ursprünglich, wie die übrigen Gehilfen Frankfurters, im New-Deal-Apparat beschäftigt gewesen, bis ihn sein Beschützer rechtzeitig als Beigeordneten Unterstaatssekretär im State Department untergebracht hatte. In Berle wurde nun dem Präsidenten der Mann beigegeben, der von der Rede in Chicago ab fast alle seine wichtigen außenpolitischen Erklärungen wie auch einen- großen Teil der offiziellen Noten formulierte. Als Instrument Frankfurters sollte er sich bald unschätzbar machen.

Neben Berle gehört von nun ab Hull, der bis dahin keineswegs zum inneren Kreis des Präsidenten zählte, und schließlich als Dritter im Bunde Sumner Welles zu den engsten Beratern des Präsidenten. Schon morgens zum Frühstück erschienen diese drei in den privaten Räumen des Weißen Hauses, um mit dem dann noch zu Bett liegenden Präsidenten die Telegramme der auswärtigen Missionen der vergangenen Nacht durchzusprechen. Sumner Welles, von seinen Untergebenen der "Kalte Fisch" genannt, begann dabei den alternden Hull immer mehr in den Hintergrund zu spielen und die eigentliche Durchführung der amerikanischen Außenpolitik zu übernehmen. Sozial aus derselben Schicht wie Roosevelt stammend und von Jugend an mit dem Präsidenten befreundet (Jahrgang 1892), gilt Welles in diesem Kreis als Diplomat der alten Schule. Wortkarg, mit harten, vollkommen beherrschten Gesichtszügen, die kein "Keep Smiling" kennen, strahlt er eine unnahbare Distanz aus, die durch die Eleganz seiner Kleidung und das äußere Gehaben eines Sprosses aus einer der reichsten Familien der Vereinigten Staaten unterstrichen wird. Seine Frau haben wir bereits in jenen Kreisen kennengelernt, die zum Wahlfonds Roosevelts erhebliche Summen beigesteuert haben. Welles ist 1915 auf Roosevelts persönliche Empfehlung in den auswärtigen Dienst eingetreten, wo er zunächst in Tokio und Buenos Aires eingesetzt wurde. Eisige Abneigung gegen Japan und die Überzeugung von der Richtigkeit eines verhüllten Dollarimperialismus in Südamerika waren die Grundsätze, die er dann als Leiter der Südamerikanischen Abteilung im Staatssekretariat zu entwickeln begann. Aus der persönlichen Beeinflussung der südamerikanischen Politiker mit einer fein abgestuften Skala von Mitteln machte er eine ganze Wissenschaft. Ebensowenig wie Hull hat indes Welles aus eigener Anschauung irgendeine Vorstellung von den bewegenden Kräften in Europa. (Als die einzige äußere Verbindung zu unserem Erdteil mag seine Kusine gelten, die mit dem Zeremonienmeister des Königs von Italien, Marchese d'Aieta, vermählt ist.)

In Welles vor allem fand der Präsident einen Berater, der die These, daß die Welt der Zukunft durch die "Westliche Hemisphäre" beherrscht werden müsse, mit der eisernen Konsequenz eines am Vorbild der britischen Herrschaftsmethoden aufgezogenen Imperialisten vertrat. So war es natürlich kein Zufall, daß Welles sich 1938 aus Europa ausgerechnet denjenigen amerikanischen Diplomaten in seine engste Umgebung ins Staatssekretariat nach Washington holte, der als der schärfste und hartnäckigste Gegner des Nationalsozialismus galt, den bisherigen Gesandten in Wien, Messersmith. Dieser hatte bis zum letzten Augenblick seinen ganzen Einfluß gegen den Anschluß und den erklärten Willen des gesamten deutschen Volkes im ehemaligen Österreich einzusetzen versucht und sich hierbei vor allem des jüdischen Finanzkapitals in Wien um das Haus Rothschild bedient. Der Rat von Messersmith spielt in den entscheidenden Monaten 1938/39 auch im Weißen Haus eine verhängnisvolle Rolle. Später wurde er zum Botschafter in Kuba ernannt.

Dies war im wesentlichen der Beraterkreis, der nun in Washington die Schaffung einer Kriegsstimmung planmäßig organisierte. Ihm entsprach jenseits des Atlantik die Besetzung der wichtigsten Botschaften mit einer Anzahl von Männern, die teils die Befehle des außenpolitischen Gehirntrusts auszuführen, teils aber auch an Ort und Stelle durch entsprechende Informationen auf die Entscheidung in Washington selbst einzuwirken hatten. Der amerikanischen Tradition folgend, waren für die Botschafterposten fast ausschließlich Dollarmillionäre ausersehen worden; solche allerdings, die seit jeher mit Roosevelt in engen persönlichen Beziehungen gestanden hatten. Bereits 1936 war William C. Bullitt, Erbe eines millionenschweren Kohlenmagnaten aus Philadelphia, auf die persönliche Initiative Roosevelts hin von Moskau nach Paris versetzt worden, wo er an die Stelle des jüdischen Millionärs Jesse Straus trat (Warenhaus Macy, New York), den wir als Hauptfinanzier der ersten und zweiten Roosevelt-Wahl kennengelernt haben. Vom Frühjahr 1938 ab wurden Bullitt durch eine interne Anordnung sämtliche amerikanische Botschafter und Gesandte in Europa (einschließlich des darüber wenig entzückten Kennedy in London) dienstmäßig unterstellt. Bullitt wurde Roosevelts Hauptberater jenseits des Ozeans. In kritischen Zeiten pflegte der Präsident täglich mit ihm mehrfach zu telefonieren und die Linie seiner europäischen Politik bis ins kleinste Detail abzustimmen. Es ist später versucht worden, bestimmte Äußerungen von Bullitt nur seinem persönlichen Temperament zuzuschreiben. Die enge Verbindung, die Tag und Nacht vor dem Kriegsausbruch und dann noch bis zur Niederlage Frankreichs zwischen Bullitt und Roosevelt bestand, erhärtet indes, daß Bullitt das getreue Spiegelbild der Politik des Weißen Hauses gewesen ist und daß alle seine Äußerungen einem wohlberechneten Plan entsprangen.

Bullitt (Jahrgang 1891) war während der Versailler Diktatkonferenz zum erstenmal durch eine Sondermission in Erscheinung getreten, die ihn im Auftrag Wilsons nach der Sowjetunion führte, nachdem er vorher bereits als Leiter der Geheimabteilung für mitteleuropäische Angelegenheiten im Staatssekretariat eine gewisse Rolle gespielt hatte. Er erstattete 1919 aus Moskau einen Bericht, in dem er schon damals für die Anerkennung der Sowjets und für die Einstellung des Krieges der Alliierten gegen Lenin eintrat. Da ihm Wilson indes kein Gehör schenkte, trat er aus dem Staatsdienst aus. Moley berichtet, wie er dann 1933 nach dem Amtsantritt Roosevelts sich in dessen New-Yorker Hotel einmietete und ihm ständig in den Ohren lag, er möge ihm einen entsprechenden Job beschaffen. Diese Möglichkeit ergab sich nach der Anerkennung der Sowjets. 1934 zog er als erster amerikanischer Botschafter im roten Moskau ein. Seine ursprüngliche Begeisterung endete indes mit einer herben Enttäuschung. Als er 1936 nach Paris übersiedelte, war er, der von Stalin persönlich offenbar recht schlecht behandelt worden ist, voll Abscheu über die Zustände im Sowjetreich. In Paris sollte er nun nach dem Startschuß von Chicago alsbald eine Tätigkeit entfalten, die für die Herbeiführung des Krieges von geradezu ausschlaggebender Bedeutung geworden ist. Er hat den Franzosen unablässig den Glauben eingeflößt, die ganze Macht der USA. stehe im Kriegsfälle hinter Frankreich. Die französische Kriegspartei bekam durch diese Zusicherungen Bullitts, der sich in der eitlen Rolle des Potentaten aus einer fernen Welt gefiel, immer mehr Auftrieb. Zeitweise schien dieser Snob aus Philadelphia, dessen oberflächliche Urteile selbst dem diplomatischen Korps auf die Nerven gingen, ganz Paris zu beherrschen. Er trat als Überfranzose auf, bis – als Ergebnis –Paris in deutsche Hände fiel.

Während Roosevelt nach Berlin Hugh Wilson, einen ausgesprochenen Berufsdiplomaten, setzte, mit dem er bezeichnenderweise keinen engeren persönlichen Kontakt hatte, wurde Warschau mit einem engen Freund Bullitts, Drexel-Biddle, besetzt, einem Mitglied der mit dem Hause Morgan eng verbundenen Bankierfamilie Biddle aus Philadelphia. Erst nach Wien und dann nach Sofia wurde ebenfalls einer der Dollarmillionäre, G. H. Earle, entsandt, der später durch seine wüsten Gelage in den Sofioter Nachtbars wie durch Schlägereien und insbesondere durch seine Rolle bei der Reise Donovans als würdiger Stellvertreter Bullitts in Europa bekannt geworden ist. Nach London schließlich kam Joe Kennedy, einer der wenigen Millionäre und Großbankiers, die sich aktiv in den Aufbau des New Deal eingeschaltet hatten. Kennedy, von irischer Abstammung und katholisch, sollte sich später als der einzige dieser Dollarmillionäre erweisen, der bis zu einem gewissen Grade nicht nur seine eigene Meinung wahrte, sondern der auch aus Überzeugung die Kriegstreibereien des Weißen Hauses wenn wohl nicht ablehnte, so doch jedenfalls in ihren Konsequenzen nicht billigte. Die Verbindung mit der Kriegspartei in England ist denn auch weniger über Kennedy als über Bullitt gelaufen, der ebenso wie mit dem Präsidenten mit der eigentlichen Zentralfigur der Kriegstreiber in England, mit Sir Robert Vansittart, tägliche telefonische Verbindung unterhielt.

Schon bald nach dem Anschluß hatte sich die Spannung in Europa durch die nun brennend gewordene Frage der Sudetendeutschen zusehends verdichtet. Der außenpolitische Gehirntrust in Washington und Europa konnte nun zum erstenmal "in großer Form" in Aktion treten. Es würde zu weit führen, wenn wir ein Mosaikbild aller Einzelheiten entwerfen würden, mit denen Roosevelt nun auf die europäische Politik Einfluß zu gewinnen versuchte. Der Kampf drehte sich im wesentlichen für ihn um die Gewinnung Europas für seine eigenen Ziele. Die Kriegspartei in England war zunächst in den Hintergrund getreten. Auch Vansittarts Einfluß war nach dem Ausscheiden Edens aus dem Kabinett (20. 2. 1938) offiziell beschränkt worden. Chamberlain hatte ihm als Zivilleiter des Secret Service allerdings eine Aufgabe übertragen, die sich besonders verhängnisvoll auswirken mußte: die Organisierung der britischen Propaganda in den Vereinigten Staaten. Hierdurch konnte sich die Konspiration der Kriegshetzer in Washington und London, die sich im Winter 1937/38 gegenüber Japan noch nicht voll ausgewirkt hatte, erst voll entfalten.

Zu den Doilarmillionen, die die amerikanischen Juden für die Propaganda gegen Deutschland aufbrachten – im Sommer 1938 finanzierte z. B. das Judentum eine kurzlebige, prachtvoll aufgemachte Zeitschrift "Ken", die nur der Erzeugung des Hasses gegen den Nationalsozialismus diente – kamen nun die Pfundmillionen, die Vansittart durch die zahllosen Kanäle der britischen Propaganda in den Vereinigten Staaten einsetzte. Diese Propaganda aber richtete sich damals in erster Linie gegen Chamberlain selbst! Er wurde dem amerikanischen Volk als ein schwächlicher Narr dargestellt, dessen Versuche, am Frieden festzuhalten, verabscheuungswürdig wären. Der Ausdruck "Appeaser" wurde damals zur beliebtesten Schmähung erhoben. Und dies nicht zum wenigsten durch das Geld und die Einnüsse, die Vansittart von London aus spielen ließ. Roosevelt und sein Kreis boten ebenfalls alles auf, um eine Einigung zwischen Deutschland und England zu verhindern. Als die Krise sich zuspitzte, war es Bullitt, der zum erstenmal das ganze Gewicht der Vereinigten Staaten in die Waagschale der Kriegsparteien in Europa warf. Am 3. September 1938 erklärte er in Anwesenheit der französischen Kabinettsmitglieder Bonnet, Mandel und de la Chambre auf einem Bankett in Bordeaux: "Frankreich und die Vereinigten Staaten sind unzertrennbar im Krieg und im Frieden verbunden."1 Der Ausspruch Bullitts wurde in Frankreich als Bestätigung dafür aufgefaßt, daß im Kriegsfalle die Vereinigten Staaten an die Seite Englands und Frankreichs treten würden. Hull hielt die üblichen Moralpredigten und erklärte, die Welt sei von internationaler Anarchie und Gesetzlosigkeit bedroht. Indes hatte die Äußerung Bullitts in den Vereinigten Staaten eine derart heftige Kritik hervorgerufen, daß Roosevelt sich gezwungen sah, sie zu dementieren2. In London und Paris wurde man daher vorsichtig in der Beurteilung der wirklichen amerikanischen Haltung. Es kam zu Berchtesgaden, Godesberg und schließlich zu München. Der Frieden war noch einmal gerettet worden.

Während man nun hätte denken sollen, daß auf Grund der dauernden Reden über den Weltfrieden die amerikanische Politik erleichtert aufgeatmet hätte, setzte in Washington geradezu ein Sturm der Entrüstung ein, der sich insbesondere über das Haupt Chamberlains ergoß. Der Präsident selbst ließ keinen Zweifel daran, daß er die Vereinbarung von München mißbilligte. Hatte er indes mit Ausnahme des Versuchs einer Flottenblockade gegen Japan im Winter 1937/38 bis dahin noch eine Festlegung der Vereinigten Staaten vermieden oder sie jedenfalls nur durch Bullitt unförmlich aussprechen lassen, so setzte unmittelbar nach München eine fieberhafte Aktivität im Weißen Hause ein, die zunächst zum Ziel hatte, diejenigen Kräfte in England endgültig in die Enge zu treiben, die ebenso wie Adolf Hitler und Mussolini an die Möglichkeit einer friedlichen und dauernden Lösung der europäischen Spannung glaubten. Hier nun wurde der neben Frankfurter zweitwichtigste jüdische Berater eingeschaltet, der die Verbindung zur Kriegspartei in England bereits sichergestellt hatte: Bernard Mannes Baruch.

In England war der aus München zurückkehrende Chamberlain bekanntlich von der Kriegspartei mit heftiger Opposition empfangen worden, während ihm das Volk wegen der Erhaltung des Friedens zujubelte. Duff Cooper legte ostentativ sein Amt als Marineminister nieder. Churchill machte kein Hehl daraus, daß er Chamberlain für einen "gefährlichen Verräter" hielt. Chamberlain sah sich infolgedessen gezwungen, zur Beruhigung dieses Flügels der Konservativen jenes übereilte Aufrüstungsprogramm schon kurz nach München anzukündigen, durch das der eben erreichte Friedensschluß sofort wieder in Frage gestellt wurde. Ohne klare Linie schwankte er zwischen beiden Gruppen der Tories hin und her. Die englische Kriegspartei beschloß nun Verstärkung aus Washington zu holen. Sie wandte sich in Rundfunkreden an die Vereinigten Staaten. Eden hatte mit einer solchen transatlantischen Rede schon am Vorabend von Godesberg begonnen. Am 16. Oktober 1938 folgte Churchill mit einem Aufruf an das amerikanische Volk, es solle gemeinsam mit England den Diktatoren Widerstand leisten. "Wollen die Amerikaner warten", so fragte Churchill genau sechzehn Tage nach München, "bis die britische Freiheit und Unabhängigkeit zu Boden geschlagen ist, damit sie dann die Sache der Demokratie allein verfechten müssen, wenn sie zu drei Vierteln bereits ruiniert sein wird?" Dies waren genau die Stichworte, die Roosevelt von der britischen Kriegspartei brauchte. Baruch hatte die Vermittlung übernommen, zu welchem Zweck der 68 jährige unmittelbar nach München zu einer kurzen Reise nach London entsandt wurde.

Baruch war bereits vor dem Weltkrieg als Bankier und Börsenmakler zum dreißigfachen Dollarmillionär geworden. Seine Bankfirma diente den Interessen der beiden gigantischen jüdischen Kupfermonopolfirmen Guggenheim und Lewison. 1915 war er von Wilson in dessen engeren Stab berufen worden. Er gehörte damals zu jenen Kräften, die den Kriegseintritt der Vereinigten Staaten betrieben. 1917 wurde er an die Spitze einer Kommission für die Beschaffung von Kriegsgerät für die Alliierten gestellt. 1918 schuf er das amerikanische Kriegsindustrieamt (War Industries Board), das praktisch die gesamte amerikanische Industrie kontrollierte und regulierte. Vor einem Untersuchungsausschuß des amerikanischen Senats hat er später den denkwürdigen Ausspruch getan:

"Ich hatte im Kriege wahrscheinlich mehr Macht als irgendein anderer; das stimmt zweifellos." Wilson nahm ihn zur Pariser Diktatkonferenz als seinen Hauptfinanzberater mit. Oftmals ist Baruch als einziger zu den Beratungen der damaligen "Großen Wer" zugezogen worden. Die finanziellen Bestimmungen des Versailler Diktats zur Ausblutung Deutschlands waren im wesentlichen sein Werk. Auch der Dawesplan, durch den Deutschlands Zahlungskraft bis an den Rand versklavt wurde, ist hauptsächlich noch von Baruch entworfen worden. Wir sehen, wie wiederum einer der Urheber des Versailler Diktats und noch dazu eines der mächtigsten Mitglieder des New-Yorker Finanz judentunis von Roosevelt an einem entscheidenden Punkt der geschichtlichen Entwicklung zu einer aktiven Rolle bestimmt wird.

Die Wiedereinschaltung Bernard Baruchs in die aktive Politik war für den Geist, der in Washington herrschte, um so bezeichnender, als ein Untersuchungsausschuß des Repräsentantenhauses unter dem Vorsitz des Abgeordneten W. J. Graham festgestellt hatte, daß Baruch seinen Posten als Präsident des Kriegsindustrieamtes zu Schiebungen mißbraucht hatte, die selbst amerikanische Ausmaße übertrafen. Baruch war, wie bereits erwähnt, in großem Stile an Kupfergeschäften des Guggenheim-Trusts und des Anaconda-Trusts interessiert. Schon vor der Kriegserklärung hatte er mit diesen Kupfergesellschaften einen Preis für die Aufkäufe des Staates vereinbart, durch den der bis dahin übliche Gewinn von 33 v. H. auf 200 v. H. gesteigert wurde. Einigen Gesellschaften wurde durch Baruch im Jahre 1917 sogar ein Gewinn von 800 v. H. zugeschanzt. Das Graham-Komitee klagte Baruch und seinen Gehilfen Eugene Mayer, der später von Hoover zum Präsidenten der Reconstruction Finance Corporation ernannt wurde, an, beide hätten durch diese Preisfestsetzungen den amerikanischen Staat um Hunderte von Millionen Dollar betrogen. Baruch konnte allerdings nachweisen, daß er während des Krieges selbst keine Aktien jener Gesellschaften besaß, die er begünstigte. Tatsächlich hat er aber gerade jenen Kupfertrusts, denen er selbst seinen Aufstieg zum dreißigfachen Dollarmillionär verdankte, riesige Gewinne vermittelt. Außerdem spielte er unmittelbar nach dem Kriege in den Direktorien dieser Kupfertrusts wieder eine ausschlaggebende Rolle. Hatte es jemals ein Graham-Komitee gegeben? Als Baruch von Roosevelt wieder hervorgeholt wurde, schien sich niemand mehr an den Kupferskandal des Weltkrieges zu erinnern.

Baruch verfügte, wie in der Vorrede zu seinem 1941 neu aufgelegten Bericht über die amerikanische Industrie im Kriege wörtlich zu lesen steht, über "engsten Kontakt zu europäischen Staatsmännern und besonders zu Winston Churchill. Er war im höchsten Maße entsetzt über das schnelle Anwachsen der deutschen Militär- und Luftmacht und über die Nonchalance, mit der die amerikanische Regierung diese Probleme behandelt hatte." In jenen Tagen nach München, nachdem Baruch in London die unmittelbare Verbindung zu Churchill hergestellt und ihm wahrscheinlich mitgeteilt hatte, daß er als erklärter Führer der britischen Kriegspartei das Vertrauen Roosevelts wie auch des amerikanischen Finanzjudentums habe, kehrte er nach Washington zurück, wo er in der zweiten Oktoberhälfte eingeladen wurde, im Weißen Haus selbst mehrere Tage zu wohnen, damit gewisse Konferenzen sich ungestört abwickeln konnten. Als Baruch diese Besprechungen verließ, erklärte er: "Amerika braucht einen Aufrüstungsplan, der in fünf Jahren 5,7 Milliarden Dollar verschlingen wird." Er sprach gleichzeitig von einer " realen und akuten deutschen Gefahr in Südamerika. Dies ist das einzige Gebiet, wohin Hitler sich zur Eroberung von Rohstoffen wenden kann. Die südamerikanischen Republiken sind wehrlos, nur die USA. können sie vor der Eroberung durch eine so starke Militärmacht wie Deutschland bewahren." Wenige Tage vorher hatte Churchill in einer Rundfunkrede an das amerikanische Volk erklärt: "Selbst in Südamerika beginnen die Naziintrigen die dortige Gesellschaft ungeachtet der Monroe-Doktrin zu unterminieren." Man sieht, wie die Churchill-Baruch Transatlantik Company ausgezeichnet zusammenspielte!

Die bei Baruchs Aufenthalt in London vereinbarten Stichworte wurden nun wechselseitig ausgespielt, so daß das amerikanische Volk allmählich den Eindruck erhalten mußte, es sei wirklich von einer ernsthaften deutschen Gefahr bedroht. Vznsittarts Propagandamaschine in den Vereinigten Staaten war nach München nur wenige Tage gestopt worden. Jetzt verstärkte sie ihre Tourenzahlen. Man kann rückblickend sagen, daß schon wenige Wochen nach München die amerikanische Regierung und die britische Kriegspartei der ganzen Welt vollkommen klargemacht hatten, daß sie auf den baldigen Ausbruch eines Krieges hinarbeiteten. Die Achsenmächte waren nun gezwungen, sich auch ihrerseits auf diese letzte Eventualität einzustellen, obwohl Adolf Hitler und Mussolini daran festhielten, daß es ihnen mit Hilfe der britischen Friedenspartei gelingen würde, den Einfluß der Kriegshetzer schließlich dennoch auszuschalten.

Die Reise Ribbentrops nach Paris und das deutsch-französische Friedensabkommen, das in diesen Wochen vorbereitet wurde, sollten insbesondere dazu dienen, einen neuen Ausbruch des europäischen Konflikts zu vermeiden. In diese schon wieder sehr erregten Tage fiel nun die Ermordung des deutschen Legationssekretärs vom Rath durch den Juden Herschel Crynszpan in Paris. Es kam daraufhin zu scharfen antisemitischen Demonstrationen in Deutschland, die Roosevelt erneut zum Anlaß nahm, um öl ins Feuer zu gießen. Die amerikanische öffentliche Meinung wurde bis zum äußersten aufgeputscht. Dorothy Thompson, die Frau von Sinclair Lewis1, die bereits während der Sudetenkrise erklärt hatte, das beste wäre, wenn die Vereinigten Staaten den Krieg an Deutschland erklärten, eröffnete an der Fifth Avenue ein Unterstützungsbüro für den Mörder Grynszpan und sammelte Geld, um den Rechtsanwalt Moro-Giatferri, der vorher den Massenmörder Landru verteidigt hatte, als Anwalt Grynszpans zu gewinnen. Ihre hysterischen Radioreden gellten über das Land. Der Präsident selbst ließ sich in einer Pressekonferenz zu einer unverschämten Äußerung gegen Deutschland hinreißen und berief Botschafter Wilson aus Berlin ab, woraufhin dann die Reichsregierung auch Botschafter Dieckhoff aus Washington abzureisen bat. Dreiviertel Jahr vor dem eigentlichen Ausbruch des Krieges hatte Roosevelt durch die Abberufung des amerikanischen und die erzwungene Zurückziehung des deutschen Botschafters bereits dafür gesorgt, daß die normalen diplomatischen Beziehungen nicht mehr funktionieren konnten.

Mitte Dezember wurde schließlich Innenminister Ickes beauftragt, eine völlig unqualifizierte und von Verbalinjurien strotzende Rede gegen Deutschland zu halten. Alsop und Kintner, die beiden offiziellen amerikanischen Geschichtsschreiber dieser Periode – Alsop ist ein entfernter Vetter des Präsidenten – sagen hierzu:

"Als die Wilhelmstraße den Text der Rede von Ickes empfangen hatte, beauftragte sie den Geschäftsträger, in Washington zu protestieren. Der Präsident und Welles hatten dies vorausgesehen. Als der unglückliche deutsche Geschäftsträger im State Department erschien, war Welles schon für ihn bereit. Er hatte kaum seinen Protest vorgebracht, als Welles ihn in seinem eisigsten Stil hinauswarf. Die Presse erklärte, daß der Protest zurückgewiesen worden sei. Auch im günstigsten Falle ist Welles steif und zugeknöpft, in diesem Falle aber war sein Benehmen so, daß selbst die Fettschicht eines arktischen Walfisches gefroren wäre. Welles erheiterte sich an der Angelegenheit sehr. Roosevelt war später über diese Geschichte ebenso entzückt, als er sie sich brühwarm erzählen ließ." Aus dieser amerikanischen Schilderung mag man ersehen, wie bewußt und zynisch von Roosevelt, Welles, Bullitt und anderen schon damals der Versuch gemacht wurde, Deutschland zu provozieren und die mit dem Münchener Abkommen erreichte Besserung der Atmosphäre in Europa wieder zu trüben. Selbst die Verherrlichung eines gemeinen politischen Mörders mußte dazu herhalten.

Inzwischen schickte man sich in Washington an, auch eus dem anderen Stichwort, das unablässig von der amerikanischen Agitation ausgegeben worden war, der angeblichen Bedrohung Südamerikas durch Deutschland, politisches Kapital zu schlagen. Schon die Äußerungen Baruchs, Hulls und Churchills zu diesem Thema waren offensichtlich darauf berechnet, auf die im Dezember

233] Kanada als erstes Beuteziel

1938 in Lima zusammentretende Achte Panamerikanische Konferenz Eindruck zu machen, zu der Hull an der Spitze einer großen amerikanischen Delegation in dem Augenblick abfuhr, als der amerikanische Botschafter in Berlin nach seiner Abberufung in Washington eintraf. Diese Konferenz war indes durch Roosevelt selbst schon vor dem Höhepunkt der Sudetenkrise im August 1938 auf eine seltsame Weise vorbereitet worden:

Der Präsident war damals einer Einladung der kanadischen Universität Kingston gefolgt und hatte auf kanadischem Boden eine Rede gehalten, die in dem Satze gipfelte: "Ich gebe Ihnen meine Versicherung, daß das Volk der Vereinigten Staaten nicht müßig dabeistehen wird, falls kanadischer Boden durch irgendein anderes Reich bedroht werden sollte." Die üblichen dunklen und unklaren Behauptungen über angebliche Angriffsabsichlen anderer Mächte auf die beiden amerikanischen Kontinente gingen diesen Worten voraus. Kanada, das bisher als Glied des britischen Weltreiches völlig außerhalb aller panamerikanischen Bestrebungen stand, wurde so unvermutet in die Monroe-Doktrin miteinbezogen. Die Engländer selbst reagierten süßsauer. Einerseits entsprach die Erklärung ihrer Linie der stärkeren Rückendeckung durch die Vereinigten Staaten, andererseits war es vollkommen klar, daß ein Verteidigungsversprechen für ein Gebiet, das in Wirklichkeit auch nicht der geringsten Angriffsdrohung ausgesetzt sein konnte, nach geschichtlicher Erfahrung nichts anderes bedeutete, als die Einbeziehung in die nordamerikanische Einflußsphäre. Über nichts hatten die Briten bis dahin eifersüchtiger gewacht, als über die Sicherheit Kanadas vor den Expansionsbestrebungen der USA., die seit dem Weltkrieg mit ihren Kapitalanlagen die Engländer in Kanada weit überflügelt hatten. Der Mantel der Monroe-Doktrin über Kanada bedeutete also zweierlei: Einmal sah Roosevelt hier eine neue Möglichkeit, seine völlig ungerechtfertigte Behauptung einer Bedrohung der westlichen Hemisphäre zu wiederholen und dadurch die bereits nervös werdende Stimmung in den Vereinigten Staaten aufzustacheln, andererseits aber kündigte sich damit zum erstenmal an, daß der neue USA.-Imperialismus unter Umständen auch vor dem britischen Empire nicht Halt machen würde. Eine

234] Südamerika – zweites Ziel

französisch-kanadische Zeitung schrieb offen: "Der Herr schütze uns in den nächsten Jahren vor unseren Freunden!"

Nun hoffte Roosevelt, die Konferenz in Lima dazu benutzen zu können, um den USA.-Imperialismus auch gegenüber den südamerikanischen Staaten endgültig befestigen und den gesamten südamerikanischen Kontinent zu einer einzigen riesigen Luft- und Marinebasis der USA. ausbauen zu können. Hull hatte kaum seine Antrittsbesuche in den feierlich-altmodischen Hotelräumen der zwanzig außer den USA.-Vertretern erschienenen süd- und mittelamerikanischen Außenminister gemacht, als er mit dem Plan hervortrat, sämtliche Teilnehmerstaaten der Konferenz sollten sich zu einem automatisch wirksamen Militärpakt zusammenschließen. Dies hätte angesichts der geringen Rüstung der großen südamerikanischen Staaten nichts anderes zu bedeuten, als daß der Generalstab der USA. schon damals hätte von allen militärisch wichtigen Punkten Besitz ergreifen können. Zu diesem Zwecke hatte Hull in Lima sämtliche Militär- und Marineattachés der USA. in Mittel- und Südamerika um sich versammelt. Ihre geheimen Beratungen mit dem Staatssekretär liefen dauernd als zweite Konferenz neben der offiziellen Zusammenkunft der Außenminister her. Der Plan Hulls scheiterte jedoch an dem Widerstand des argentinischen Außenministers Castillo, der die Gefährlichkeit der Entwürfe Hulls sofort erkannt hatte und sich kurz nach Eröffnung der Konferenz "aus Gesundheitsgründen" an die chilenischen Seen begab, um auf diese Weise eine einmütige Annahme der nordamerikanischen Vorschläge zu durchkreuzen. Durch diese Haltung Argentiniens kam es dann auch schließlich dazu, daß der imperialistische Expansionsversuch der Vereinigten Staaten zurückgeschlagen wurde. Die Erklärung von Lima, die am Weihnachtstag 1938 unterzeichnet wurde, enthielt nichts als eine nochmalige Bekräftigung der farblosen Solidaritätserklärung von Buenos Aires einschließlich eines Konsultativabkommens für den Fall einer Bedrohung von außen.

Dies bedeutete einen schweren Rückschlag für die militärischen Pläne Roosevelts, der um so gewichtiger war, als die von den Vereinigten Staaten völlig beherrschten und abhängigen Vertreter ausgerechnet Panamas, Haitis und Kubas, sich auf Weisung Hulls in

235] Rückschlag in Lima

wüsten Schimpfereien gegen die "deutsche Barbarei" ergangen hatten. Obgleich die meisten der vertretenen süd- und mittelamerikanischen Regierungen reine Diktaturregierungen waren, wurde die Fiktion des "gemeinsamen Interesses der amerikanischen Demokratien" aufrechterhalten. Ein Widerspruch, auf den schließlich sogar die nordamerikanische Presse hinwies. Auch das zweite Ziel Hulls auf der Konferenz, die wirtschaftliche Ausschaltung Deutschlands in Südamerika, konnte nicht erreicht werden. Der deutsche Import nach den meisten südamerikanischen Ländern hatte sich außerordentlich gehoben (Anteil Deutschlands am Import Brasiliens 1933 12 v. H., 1937 24 v. H., am Import Chiles 11,4 v. H. und 26 v. H. usw.), so daß die südamerikanischen Regierungen keinen Grund sahen, diese für sie selbst vorteilhaften Handelsbeziehungen einzuschränken. Die südamerikanischen Staaten übersahen sehr wohl, daß der vom Präsidenten veranlaßte Alarm über eine angebliche Bedrohung Südamerikas nichts anderes als ein Bluff war, hinter dem sich der abgewandelte Dollarimperialismus verbarg.

Der Präsident ließ sich durch die Enttäuschung von Lima in seinem verhängnisvollen Kurse indes nicht beirren. Die übliche Botschaft zum Jahresanfang an den Kongreß strotzte erneut von Verdächtigungen gegen Deutschland, Italien und Japan. In ihr kam zum erstenmal das Schlagwort "Methods short of War" vor – Methoden, die bis an den Rand des Krieges führen, aber nicht den Krieg selbst bedeuten – das von nun ab die amerikanische Außen- und Rüstungspolilik beherrschen sollte. Die Neujahrsbotschaft 1939 war bereits ein verschleiertes Hilfsversprechen an England und Frankreich. Sie strotzte von Kriegsdrohungen.

In Europa herrschte zu diesem Zeitpunkt verhältnismäßige Ruhe. Der Präsident aber sprach vom Krieg und verlangte nun offiziell die Aufhebung des Waffenausfuhrverbots sowie weitere Bewilligungen für das bereits von Baruch angekündigte riesige Aufrüstungsprogramm. Die Vereinigten Staaten sollten eine Flotte erhalten, die das bereits im Mai 1938 vom Kongreß angenom-

236] Krieg wird als unvermeidlich dargestellt

mene große Flottenbauprogramm noch erweitern sollte, obwohl bereits bei den Kongreßverhandlungen im vorhergehenden Jahre die Admiralität hat zugeben müssen, "daß die vorhandene Flotte vollkommen ausreichte, um sowohl Japan wie einen etwaigen Angriff vom Atlantik her von den amerikanischen Küsten fernzuhalten". Maßgebende Senatoren, wie auch der Historiker Beard, kamen daher zu dem Schluß, daß dieses "Überflotten"-Bauprogramm niemals der Verteidigung, sondern nur Angriffszwecken dienen konnte. Später wird man die Beweise dafür erhalten, daß seit dem Frühjahr 1938 Roosevelt geheime Besprechungen mit der britischen Admiralität eingeleitet hatte, die auf die gemeinsame Operation der beiden Flotten in allen sieben Weltmeeren hinausliefen.

Das Entscheidende an dieser ganzen Periode ist, daß Roosevelt und sein außenpolitischer Gehirntrust den Krieg als etwas schlechthin Unvermeidliches darstellten, daß sie ununterbrochen bestrebt waren, die in England noch immer starken Kräfte für die Erhaltung des Friedens zurückzudrängen und daß sie schließlich die Hilfe der Vereinigten Staaten, ja, den aktiven Kriegseintritt in Aussicht stellten. Bereits im November 1938 hatte sich eine Unterhaltung Bullitts mit dem polnischen Botschafter Potocki folgendermaßen vollzogen: "Auf meine Frage, ob die Vereinigten Staaten an einem solchen Krieg teilnehmen würden, antwortete er:

'Zweifellos ja, aber erst dann, wenn England und Frankreich zuerst losschlagen.' Die Stimmung in den Vereinigten Staaten ist, wie er sagte, gegenüber dem Nazismus und Hitlerismus so gespannt, daß schon heute unter den Amerikanern eine ähnliche Psychose herrscht wie vor der Kriegserklärung Amerikas an Deutschland im Jahr 1917."  Ganz ähnlich äußerte sich Bullitt einige Monate später, im Februar 1939, gegenüber dem polnischen Botschafter in Paris, Lukasiewicz: "Sollte ein Krieg ausbrechen", sagte er damals, "so werden wir sicherlich nicht zu Anfang an ihm teilnehmen, aber wir werden ihn beenden1." Unzählige ähnliche Äußerungen dürften in diesen Monaten von Roosevelt selbst,

1 Deutsches Weißbuch Nr. 3, Polnische Dokumente (auch für die vorhergehenden und folgenden polnischen Zitate).

237] "USA.-Grenze am Rhein"

von Bullitt und anderen Vertrauten gegenüber europäischen Diplomaten der Westmächte gemacht worden sein, wie sie von den polnischen Botschaftern in ihren geheimen Berichten nach Warschau mitgeteilt wurden.

Ende Februar 1939 kam es zu einem alarmierenden Zwischenfall. Bullitt hatte im Auftrage des Präsidenten eine geheime französische Militärmission nach den Vereinigten Staaten eingeladen Bei dieser Gelegenheit stürzte ein französischer Pilot bei einem Versuchsfluge ab. Der Senat raste geradezu, nachdem sich nun herausstellte, daß der Präsident fremde Militärmissionen heimlich und gesetzwidrig mit den militärischen Geheimnissen der amerikanischen Wehrmacht vertraut machte. Um den Sturm beizulegen, lud Roosevelt schließlich das militärische Untersuchungskomitee des Senats zu sich ins Weiße Haus. In der üblichen Weise malte er ein dunkles Bild von den Verhältnissen in Europa und behauptete neuerdings, Deutschlands eigentliches Ziel sei es, die Vereinigten Staaten zu überfallen. Nach der offiziellen amerikanischen Version kam es hierbei zu folgender Aussprache:
Roosevelt: "Aus diesen Gründen muß die Sicherheit der Rheinfront die Vereinigten Staaten notwendig interessieren."
Ein Senator: "Meinen Sie, daß also unsere Grenze am Rhein liegt?"
Roosevelt: "Nicht so, aber praktisch ist die gesamte Welt bedroht, wenn die Rheinfront bedroht ist. Sollte sie einmal durch Hitler fallen, wäre die Reichweite der deutschen Aktionsmöglichkeiten unbegrenzt."

Dieses Gespräch ist auch in Bullitts Unterhaltung mit Botschafter Lukasiewicz bestätigt worden. Ohne Wortklauberei bedeutete es, daß der Präsident der USA. in der Tat behauptete, die Grenzen der Vereinigten Staaten lägen am Rhein! Die Äußerung Roosevelts wurde damals schon der Öffentlichkeit bekannt. Wie üblich, war das große Publikum empört. Die ganze Angelegenheit wurde dann mit Dementis vertuscht, der eigentliche Zweck aber war erreicht: Die Kriegspartei in London konnte nun mit noch viel größerer Sicherheit das Argument der amerikanischen Hilfe in ihre Pläne einsetzen. Sie zögerte nun nicht mehr, alles so vor-

238] Das Ultimatum, das den Krieg erzwang

zubereiten, daß eine Katastrophe schließlich unvermeidlich werden mußte. Dies aber hätte sie ohne die amerikanischen Zusicherungen niemals gewagt.

Auch ohne Kenntnis der Geheimarchive ist es uns weitgehend möglich, die wirkliche Rolle, die Roosevelt vor dem Ausbruch des Krieges gespielt hat, zu enthüllen. Es ergeben sich hierbei folgende drei Stadien: 1. Herbst 1937: Antrag an England auf eine gemeinsame Blockade Japans. 2. Frühjahr 1938: Nach der Ablehnung dieses Antrages geheime Verständigung der britischen und amerikanischen Admiralstäbe über das künftige Flottenbauprogramm beider Nationen und strategische Abstimmung der gemeinsamen künftigen Operationen im Atlantik und Pazifik. 3. März 1939: Geheime Zusicherung des Präsidenten, daß er im Kriegsfalle England und Frankreich sowohl durch Materiallieferungen wie auch im Notfall aktiv zu Hilfe kommen werde.

Wie man sieht, ist das dritte Stadium das ausschlaggebende. Wir sind hierüber durch eine Enthüllung der beiden ausgezeichnet informierten amerikanischen Journalisten Allen und Pearson unterrichtet, die am 14. April 1939 in der Zeitung "Washington Times Herald" und einer Reihe anderer Zeitungen erschien. Diese Enthüllung ist merkwürdigerweise bei der bisherigen Darstellung der Vorgeschichte des Krieges nicht berücksichtigt worden, obwohl sie offensichtlich den Schlüssel dafür gibt, weshalb England es überhaupt gewagt hat, trotz seiner militärischen Unterlegenheit die wahnsinnnigen Forderungen Polens und die Ablehnung aller gemäßigten deutschen Vorschläge in Warschau so zu unterstützen, daß der Krieg schließlich unvermeidlich wurde. Gewisse britische Kreise gestützt vor allem auf die City, seien im Februar und März 1939 bereit gewesen, durch Handelsvertragsverhandlungen mit Deutschland das in München erreichte Abkommen auch wirtschaftlich zu unterbauen und auf eine neue, gesündere Grundlage zu stellen. (In der Tat war es ja im März 1939 so weit, daß eine britische Industriedelegation nach Deutschland abreisen wollte.) Hull, der

239] Das Ultimatum, das den Krieg erzwang

über diese Verhandlungen Informationen erhalten habe, sei der Ansicht gewesen, sie hätten einen Bruch des 1938 unterzeichneten britisch-amerikanischen Handelsvertrages dargestellt. Die amerikanische Regierung habe infolgedessen die Mitte März mit der Selbstauflösung der Tscheche-Slowakei zusammenhängenden Vorgänge benutzt, um Chamberlain brüsk vor ein Ultimatum zu stellen. Erst durch dieses Ultimatum sei dann der Umschwung in England eingetreten. Tatsache ist, daß die englische Regierung am 14. März, dem Tag, vor dem Hacha das deutsch-tschechische Übereinkommen unterzeichnet hatte, in einer offiziellen Pressekonferenz im Foreign Office mitteilte, daß keinerlei Grund für eine Alarmstimmung bestehe und daß die britische Regierung den Ereignissen völlig ruhig gegenüberstehe. Dieselbe Haltung nahm London indes auch noch am 15. März nach der Unterzeichnung ein.

Allen und Pearson erklären nun, daß in der Nacht zum 16. oder am 16. März Roosevelt an Chamberlain eine ultimative Note geschickt habe. In ihr habe es kurz und bündig geheißen, daß England keinerlei moralische oder materielle Hilfe mehr von den Vereinigten Staaten erwarten könne und daß auch der Verkauf von Flugzeugen an England sofort eingestellt werde, falls die britische Regierung an der Politik von München weiter festhalte. In dieser Note sei Roosevelt so weit gegangen, daß er die Frage stellte, ob England eigentlich ebenfalls bereits eine "Nazi-Nation" oder ob es noch eine Demokratie sei. Er habe gefordert, die Politik der britischen Regierung müsse in den nächsten Tagen hierauf der amerikanischen Regierung Antwort geben. Die Note habe sich darauf bezogen, daß Roosevelt schon unmittelbar nach München Chamberlain durch Kennedy habe mitteilen lassen, daß die Politik des Appeasement nach seiner Ansicht aufgegeben werden müsse. Chamberlain habe damals vage zugestimmt, und dies sei der Grund gewesen, weshalb Roosevelt vom Oktober 1938 ab all jene provokatorischen Reden und Maßnahmen unternommen habe, die in den vorhergehenden Seiten beschrieben worden sind. Roosevelt habe dann aber festgestellt, daß gewisse englische Kreise Berlin darauf aufmerksam gemacht hätten, daß sie keineswegs mit der provokatorischen und aggressiven Politik Washingtons überein-

240] Das Ultimatum, das den Krieg erzwang

stimmten. (Das trifft nach deutschen Quellen zu.) Dies sei der Grund für jene schwere Krise in den englisch-amerikanischen Beziehungen gewesen, die dann in Roosevelts Ultimatum vom 16. März ihren Höhepunkt gefunden haben.

Tatsache ist, daß die britische Regierung die Erklärung des Protektorats Böhmen und Mähren in den ersten beiden Tagen, die der Unterredung zwischen dem Führer und Hacha folgten, in ruhiger und vernünftiger Haltung aufnahm. Auch in London sah man also die Bildung des Protektorats zunächst als eine unvermeidliche Entwicklung an, nachdem Tiso die Slowakei von den Tschechen losgetrennt hatte. Tatsache ist ferner, daß Roosevelt in diesen Tagen vor Wut kochte und daß das State Department sofort damit begann, feindselige Erklärungen abzugeben. Dies alles spricht dafür, daß Chamberlain nicht etwa durch die zwangsläufige Entwicklung in Böhmen, Mähren und der Slowakei, sondern durch das Ultimatum Roosevelts zu jener Politik gebracht worden ist, die den Krieg früher oder später unvermeidlich machte. Roosevelt ist es also gewesen, der den Umschwung in diesen entscheidenden Tagen Mitte März 1939 herbeigeführt hat. (Nur nebenbei sei angemerkt, daß er damals Benesch nach Washington kommen ließ und mit ihm mehrfach konferierte.)

Bereits im Februar hatte Bullitt dem polnischen Botschafter in Paris, Lukasiewicz, gesagt: "Die Vereinigten Staaten verfügen England gegenüber über verschiedene und ungeheuer bedeutsame Zwangsmittel. Allein die Drohung ihrer Anwendung dürfte genügen, England von einer Kompromißpolitik auf Kosten Frankreichs zurückzuhalten." Hier findet sich also bereits derselbe Gedanke, der wenige Wochen später in die Tat umgesetzt worden ist. Wären diese Zwangsmittel von Roosevelt gegenüber England nicht in ultimativer Form angewandt worden, hätten alle Aussichten dafür bestanden, daß das deutsch-englische Verhältnis schließlich doch in ein ruhiges Fahrwasser gekommen, daß eine vernünftige Regelung des Korridorproblems auf Grund der gemäßigten deutschen Vorschläge erzielt worden und daß so schließlich eine allgemeine Befriedung Europas eingetreten wäre. Noch Ende März 1939 wiederholte Bullitt in einer weiteren Besprechung

241] Der Hauptschuldige am Krieg

mit Lukasiewicz – Polen verlangte damals von England Garantien – seine Mitteilung, daß "die Vereinigten Staaten im Besitze von Mitteln seien, mit denen sie einen wirklichen Zwang auf England ausüben könnten. An die Mobilisierung dieser Mittel werde er ernstlich denken."

Alles Weitere, was nun folgte, ist in diesem Zusammenhang verhältnismäßig uninteressant. Durch Monate hindurch hatte der Präsident mit der britischen Kriegspartei erst durch die Vermittlung Baruchs, dann auf direktem Wege – ein Besuch Edens in den Vereinigten Staaten kurz nach München soll nicht unerwähnt bleiben – zusammengewirkt, um die zarte Pflanze einer europäischen Friedensentwicklung bis zur Wurzel zu vernichten. Er hatte sich dabei nicht gescheut, ultimative Druckmittel gegen England in Anwendung zu bringen, bis schließlich der schwache und greisenhafte Chamberlain zur Kriegsbereitschaft gebracht war. Churchill, Eden und Vansittart unterstützten diese Aktion Roosevelts innerhalb der Konservativen Partei. Niemals aber wären sie aller Voraussicht nach ohne die aktive Rolle, die der amerikanische Präsident übernahm, zum Ziele gekommen. Wieweit Roosevelt dabei seine verfassungsmäßigen Kompetenzen überschritt, wieweit er sein eigenes Volk unter Übergehung des Kongresses auf die Beteiligung an diesem Kriege festlegte, wird wohl erst später einmal ein amerikanisches Untersuchungskomitee feststellen. Daß er, der auch im buchstäblichen Sinne weit vom Schuß saß, indes die Hauptverantwortung für die Entstehung des Krieges im Jahre 1939 trägt, kann schon heute von niemandem mehr bestritten werden, der die geheimen Vorgänge in diesen Monaten überschaut: Ohne Roosevelts dauerndes Eingreifen wäre die Kriegspartei in England zur Ohnmacht verurteilt gewesen.

Im März 1939 belegte Roosevelt die deutsche Ausfuhr nach den Vereinigten Staaten ohne ersichtlichen Grund mit Sonderzöllen. Am 11. April trat er auf seiner Pressekonferenz zum erstenmal mit dem hervor, was er eigentlich während dieser Monate

242] Erstes Duell mit Adolf Hitler

meinte. An diesem Tage war in der "Washington Post" ein Leitartikel erschienen, in dem es hieß: "Es ist nun Sache der Vereinigten Staaten, die Führung in der Bekämpfung der Diktatoren zu übernehmen, sei es durch Drohungen, sei es, wenn dies nicht ausreicht, durch Krieg."

Roosevelt erklärte der amerikanischen Presse ausdrücklich, daß er diese Gedankengänge völlig billige. Diese offenherzige Bemerkung erwies sich jedenfalls als der geeignete Auftakt für das wenige Tage später – am 15. April – an Hitler und Mussolini gesandte Telegramm, in dem er die Führer der beiden volksregierten Staaten aufforderte, sie sollten das Gebiet und die Besitzungen von einunddreißig europäischen und vorderasiatischen Staaten und Protektoraten garantieren. Die Abfassung dieses Telegramms war nach Form und Inhalt derart ungewöhnlich, daß sogar Churchill in einem offenherzigen Augenblick von den "taktlosen Worten" dieses Dokuments sprach. Schon durch seine in Deutschland und in Italien natürlich bekanntgewordene Äußerung von der Pressekonferenz vom 11. April war erwiesen, was Roosevelt mit dieser Botschaft beabsichtigte. Die Antwort wurde ihm am 28. April in jener berühmten Rede Adolf Hitlers zuteil, die für alle Zeiten zu den Meisterwerken politischer Redekunst rechnen wird. In einundzwanzig Punkten erteilte der Führer des deutschen Volkes Roosevelt eine derart gründliche und im übrigen auch gerade für die öffentliche Meinung in Amerika verständliche Lektion, daß man im Weißen Haus die Köpfe zusammensteckte und schließlich übereinkam, sich am besten gar nicht zu rühren. Es hatte sich herausgestellt, daß sogar die schon verhetzte amerikanische öffentliche Meinung die Argumente Hitlers so einleuchtend fand, daß dagegen so gut wie nichts zu sagen war.

Die unausgesetzten Provokationen vor und nachher blieben von der höchsten deutschen Stelle unbeantwortet, da tatsächlich in dieser Rede alles Grundsätzliche, was über Politik und Methode Roosevelts gesagt werden mußte, bereits enthalten war. Während sich nun im Juni die Vereinigten Staaten zu dem Empfang des britischen Königspaares rüsteten, versuchte Roosevelt mit Aufbietung aller Mittel das Waffenausfuhrverbot an Kriegführende

243] Roosevells Herausforderung Japans

Murch den Kongreß aufheben zu lassen. Wie Alsop und Kintner bezeugen, brach in der entscheidenden Konferenz mit der Senatskonnnission Hull sogar in Tränen aus, als er sah, daß die Senatoren seiner Aufforderung nicht Folge leisteten! Auch der jüdische Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Repräsentantenhauses, Sol Bloom, konnte trotz aller Bemühungen, Drohungen und Erpressungen nicht mehr erreichen. Der Kongreß weigerte sich noch immer, Roosevelt in seiner Kriegspolitik zu unterstützen.

Dagegen konnte die amerikanische Regierung von sich aus auf einem anderen weltpolitischen Felde eine wichtige Entscheidung treffen, durch die ebenfalls neue scharfe Spannungen erzeugt werden mußten: Am 27. Juli 1939 kündigte sie den seit fast dreißig Jahren in Kraft befindlichen Handelsvertrag mit Japan. Ab Ende Januar 1940 sollte danach ein vertragsloser Zustand einsetzen, obwohl sich der Handelsvertrag für beide Seiten hervorragend bewährt hatte. Noch 1938 hatte Japan 7,7 v. H. der amerikanischen Gesamtausfuhr aufgenommen, während 6,5 v. H. der amerikanischen Gesamteinfuhr aus Japan kamen. Die Vernichtung dieses wichtigen weltwirtschaftlichen Instruments entsprach dem wohlberechneten Kriegsplan. Die europäische Krise war mittlerweile, wie Roosevelt dies mit seinem Ultimatum an Chamberlain im März gewünscht hatte, weiter und weiter gediehen. Bullitt telefonierte aus Paris dsm Präsidenten, daß man dort die Lage inzwischen für aussichtslos hielt. Ununterbrochen liefen geheime Besprechungen mit den Engländern, die sich nur noch um die beim Kriegsausbruch zu treffenden Maßnahmen drehten. Das Ergebnis dieser geheimen Verhandlungen war die Forderung Englands auf eine gewisse "Arbeitsteilung" zwischen England und Amerika: Die Engländer verlangten, daß die Vereinigten Staaten von vornherein die Last der Verantwortung im Fernen Osten auf sich nehmen sollten, da die britische Hochseeflotte auf längere Zeit nicht in der Lage war, durch die Entsendung eines starken

244] Kriegsvorbereitung in Fernost

Geschwaders nach Singapur oder nach Hongkong die englische Macht dort selbst zur Geltung zu bringen.

Chamberlain scheint in diesen geheimen Beratungen immer wieder darauf hingewiesen zu haben, daß die Vereinigten Staaten durch ihre Haltung im März ja selbst für die in Europa hoffnungslos gewordene Lage verantwortlich seien. Als Voraussetzung für die nun von England offen eingeschlagene Kriegspolitik wurde daher in London eine drohende Haltung der Vereinigten Staaten gegenüber Japan gefordert. Dies waren die Hintergründe für die Kündigung des japanisch-amerikanischen Handelsvertrages. Sie widersprachen den wohlverstandenen Interessen Amerikas vollständig, da der amerikanische Handel mit Japan weit bedeutender als der amerikanische Handel mit China war. Andererseits waren nach Berechnungen aus dem Jahre 1931 die britischen und die japanischen Kapitalanlagen in China ungefähr gleich hoch. Sie betrugen damals 36,7 bzw. 37 v. H. der gesamten ausländischen Anlagen, während der amerikanische Anteil sich nur auf 6 v. H. belief. Von den 758 Millionen Dollar, die die Vereinigten Staaten 1935 im gesamten fernöstlichen Bereich angelegt hatten, waren 387 Millionen in Japan, dagegen nur 132 Millionen in China investiert. Allerdings war es gerade das Bankhaus Morgan, das, wie wir schon zeigten, im Chinakonsortium maßgebend beteiligt war und das infolge seines übermächtigen Einflusses auf die amerikanische Regierung stets eine anti japanische Politik durchzusetzen vermochte. Diese Tendenzen waren wahrend der New-Deal-Periode in den Hintergrund getreten. In dem Augenblick aber, in dem die geheimen britisch-amerikanischen Abmachungen der letzten Monate vor Kriegsausbruch sich politisch auszuwirken begannen, mußte auch automatisch der Einnuß der Morgan-Gruppe in Washington wieder steigen. Die Tatsache, daß Japan sich zum drittbesten Kunden der Vereinigten Staaten entwickelt hatte, spielte bei diesen Erwägungen offenbar keine Rolle. Die schönen Prinzipien Hulls, den Weltfrieden durch Handelspolitik zu retten, schienen dort, wo sie machtpolitischen Tendenzen widersprachen, schnell vergessen zu sein. Mit der Kündigung des japanischen Handelsvertrages wurde die europäische Spannung automatisch auf den Fernen Osten über-

[245]  Kriegsausbruch

tragen, da Japan sich nun der sicheren Grundlagen seines Außenhandels beraubt und sich gezwungen sah, sich auf andere Methoden und Wege zu besinnen, wie es diese Grundlagen im fernöstlichen Raum selbst wiedergewinnen könnte.

Im letzten Monat vor dem Kriegsausbruch schließlich ordnete Roosevelt die Verstärkung des Bundesamtes zur Bekämpfung der Spionage (Federal Bureau of Investigation) an, um damit der Sensationspresse neuen Auftrieb zu geben, die beständig die Kriegsstimmung durch die Aufmachung von ganz geringfügigen Spionageprozessen schürte. Im August schließlich wurde auch entsprechend den Anregungen Baruchs bereits ein Kriegsbeschaffungsamt (War Resources Board) gegründet, dessen Leitung bezeichnenderweise nicht mehr einem der Leute des New Deal, sondern einem ausgesprochenen Vertreter der Hochfinanz, Edward Stettinius aus dem Direktorium der U. S. Steel Corporation (Morgan-Gruppe), übertragen wurde. Als dann schließlich die Spannung Ende August ihren Höhepunkt erreichte, ordnete der Präsident persönlich an, daß die "Bremen", die gerade in New York lag, einige Tage nicht ausfahren durfte. Er hoffte, sie auf diese Weise sicher in die Hände der Engländer spielen zu können, was jedoch durch die Geschicklichkeit ihres Kapitäns zum Gelächter der ganzen Welt mißlang. Damit eröffnete der Präsident schon vor dem eigentlichen Kriegsausbruch die nun nicht mehr abreißende Kette seiner unneutralen Akte.

Der Kriegsausbruch selbst ließ ihn, den Friedensfreund, reichlich unberührt. Alsop und Kintner berichten, daß er am l. September, 2 Uhr 40 morgens, durch einen Anruf Bullitts aus Paris geweckt wurde, der ihm die Tatsache der ersten Schlachten in Polen mitteilte. "Der Präsident bewies jedoch ein gesundes Nervensystem, er legte sich wieder hin und schlief weiter bis um 6 Uhr 30, als Bullitt abermals anrief und mitteilte, daß er Daladier resigniert und tief traurig angetroffen habe." Am 3. September, nach der britisch-französischen Kriegserklärung, sprach er zum

[246]  "Arsenal der Demokratien"

amerikanischen Volk. Seine Rede gipfelte in dem bezeichnenden Satz: "Diese Nation wird neutral bleiben, aber ich kann nicht verlangen, daß jeder Amerikaner auch in seinen Gedanken neutral sein soll." Im übrigen gab er die Versicherung ab, daß die Vereinigten Staaten aus dem Kriege herausbleiben und "daß die Regierung zu diesem Zwecke jede Anstrengung machen würde".

Zum 21. September wurde der Kongreß einberufen, und die Aufhebung des Waffenembargos gegen England und Frankreich verlangt. Erst am 3. November gelang es indes, diesen Beschluß des Kongresses herbeizuführen, da die Kräfte, die sich für eine strikte amerikanische Neutralität einsetzten, noch immer überraschend stark waren. Gleichzeitig hielt Hull in Panama eine Panamerikanische Konferenz ab, auf der beschlossen wurde, daß in einer sogenannten Sicherheitszone, in einem Abstand von 300 Meilen jenseits der gesamten nord- und südamerikanischen Küste, Kriegshandlungen nicht geduldet werden sollten. England selbst hat sich an diesen Beschluß niemals gehalten, wie im Dezember 1939 der Kampf eines britischen Flottenverbandes mit der "Graf Spee" sowie zahllose Einbrüche zur Verfolgung deutscher Handelsschiffe bewiesen.

Der Präsident wurde auch nach dem schnellen deutschen Sieg in Polen von der Überzeugung geleitet, daß es aller Voraussicht nach genügen würde, wenn die Vereinigten Staaten als " Arsenal der Demokratien" England und Frankreich mit Kriegsmaterial belieferten, wenn man sich also auf die "Methods short of War" beschränkte. In dieser Überzeugung wurde er vor allem durch Bullitt bestärkt, der in der französischen Armee und insbesondere in der Maginotlinie ein unüberwindliches Hindernis für einen siegreichen deutschen Feldzug im Westen sah. Wie die britische Regierung dürfte in jener Zeit Roosevelt geglaubt haben, daß man den Krieg als " Sitzkrieg" durch eine langausgedehnte Blockade gegen Deutschland gewinnen könne. Roosevelts strategische Ansichten über den Verlauf des Krieges gründeten sich auf den Glauben an die absolute Überlegenheit der Seemacht über die Landmacht. Kein Gebiet des modernen Lebens besaß seit jeher für den Präsidenten ein größeres Interesse als die Kriegsmarine. So wie seine Privaträume im Weißen Haus mit unzähligen Bildern von Schiffen geschmückt sind, wie er eine Sammlung von Schiffsmodellen besitzt, mit denen er nach den in Amerika üblichen "intimen Berichten aus dem Weißen Haus" sonntags wie ein Junge zu spielen pflegt, so verbrachte er auch während seiner Präsidentschaft einen nicht unerheblichen Teil seiner Zeit bei der amerikanischen Marine. Als 1941 Halifax auf dem eben in Dienst gestellten neuen britischen Schlachtschiff "King George V." ankam, stürzte sich Roosevelt, unter Mißachtung jeglichen Protokolls, auf die Falltreppe, nicht, weil er es nicht erwarten konnte, den hageren puritanischen Lord in die Arme zu schließen, sondern weil er darauf brannte, dieses neueste große Kriegsschiff sofort mit eigenen Augen in allen Details besichtigen zu können.

Die theoretischen und strategischen Überzeugungen, die diesem Glauben an die Allmacht der Flotte im modernen Krieg zugrunde liegen, hat sich Roosevelt während seiner Tätigkeit im amerikanischen Marineamt im Weltkriege erworben. In der amerikanischen Marine herrschten damals noch die Theorien des Kapitäns und Marineschriftstellers Alfred Mahan, der kurz vor der Jahrhundertwende eine berühmte Buchserie: "Der Einfluß der Seemacht auf die Geschichte", veröffentlicht hatte, in der nachgewiesen wurde, daß im modernen Krieg die Seemacht unter allen Umständen die Überlegenheit besitzen müsse. Schon Theodore Roosevelt ist bei seinen imperialistischen Bestrebungen von Mahan stark beeinflußt worden, wie übrigens auch Kaiser Wilhelm II. und der japanische Admiral Togo. Mahan hatte auf reichlich pedantische Weise einfach die Geschichte der britischen Seemacht systematisiert und die Politik der Erwerbung von Stützpunkten, kolonialen Einflußgebieten usw. zu einem allgemeinen Prinzip erhoben. Roosevelt glaubte nun als gelehriger Schüler Mahans, daß durch die geheime Zusammenarbeit der britischen mit der amerikanischen Flotte und die entsprechende Aufgabenverteilung im Atlantik und Pazifik der Kriegsausgang von vornherein festläge. Auch Churchill, der ebenfalls zu den Schülern Mahans zu rechnen ist, huldigte der gleichen Auffassung. Die Maginotlinie schien zudem dieser strategischen Schule nichts als eine glückliche Übertragung des Prinzips der Überlegenheit des Schlachtschiffes auf den Landkrieg zu sein. Um so furchtbarer war die Überraschung, als erst in Norwegen die kleine deutsche Kriegsmarine und dann in Holland, Belgien und Frankreich das deutsche Heer alle diese Theorien wie ein Kartenhaus zum Zusammensturz brachten. Der Krieg, den Roosevelt so glühend herbeigesehnt und für dessen Vorbereitung er alles getan hatte, begann sich plötzlich anders zu entwickeln, als man vorausgesehen hatte. Probleme von einer Gewalt und Bedeutung tauchten auf, die man niemals geglaubt hatte in die scheinbar so sichere Rechnung einsetzen zu müssen. Der Krieg war zur Revolution geworden.

So bringt der Mai 1940 die entscheidende Krise der westlichen Kriegführung und Strategie wie auch die Krise der Kriegspolitik Franklin Roosevelts.


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