Es wird weiter relotiert

Von Hakenkreuz malenden Kindern und Antifa-Experten

von Anabel Schunke {ACHGUT, 08.01.2020"}

Kürzungen und Bilder: Nikolas Dikigoros

[Das Lügen-Magazin 'Der Spiegel' verbreitet Fake News]

Eigentlich sollte man meinen, dass der Spiegel nach dem Relotius-Skandal seiner Sorgfaltspflicht bezüglich der Quellenangaben seiner Autoren etwas ernstzunehmender nachkommt, als es noch vor einiger Zeit der Fall war. Konnte man im Fall Claas Relotius noch wohlwollend im Sinne des Spiegel einwenden, dass der Mann Augenzeugen schlicht und ergreifend erfunden hat, diese vermeintlichen Augenzeugen sich zumeist im Ausland befanden und solche Reisen zur Überprüfung in Zeiten schwindender Abonnenten ja auch teuer sind, fällt es im aktuellen Fall zunehmend schwer, dem Spiegel nicht doch so etwas wie Vorsatz, mindestens aber geballten Unwillen zu unterstellen. 

Denn Silke Fokken, ihres Zeichens Redakteurin im Bildungsressort des Spiegel mit öffentlich-rechtlichem Migrationshintergrund und ihr Co-Autor Sven Heitkamp geben in ihrem Artikel „Wenn Kinder Hakenkreuze malen“ selbst an, dass sie im Prinzip keine seriösen Quellen für eben diese und andere Behauptungen haben. 

Gemäß den Ausführungen der Autoren gäbe es Kinder, die Nazisymbole malen und vom „Volkstod“ redeten. Kinder, die nicht mit Asylbewerbern spielen wollen oder andere Kinder mit Behinderung abwerten würden. Also Kinder, die von ihren Neonazi-Eltern mit Nazi-Ideologie beeinflusst werden. „Wie sollten Erzieherinnen und Erzieher mit solchen Kindern umgehen? Wie mit ihren Eltern? Und wie genau zeigt sich das Problem im Kita-Alltag?“, fragen die Autoren, und man kann sich als Leser vor Spannung augenblicklich kaum halten. 

Doch statt weiterer knallharter Neonazi-Kindergarten-Stories gibt es zunächst einmal einen Dämpfer. Nachdem die bedrohliche Kulisse von Hakenkreuz-malenden, vornehmlich aus dem Osten Deutschlands stammenden, kleinen Kindern geschaffen wurde, stellen die Autoren nämlich fest, dass es „trotz aufwendiger Recherche“ kaum möglich sei, eine Antwort aus erster Hand auf dieses drängende Problem unserer Zeit zu bekommen. Kita-Träger und Berater würden Anfragen abwiegeln, weil man Einrichtungen und Erzieherinnen schützen müsse. Vor der Öffentlichkeit und selbstverständlich vor den Neonazis. Im Klartext heißt das: Es gibt keine einzige direkte Quelle beziehungsweise Person, die tatsächlich bestätigen könnte, dass es im Osten eine Reihe von Kindern gibt, die schon im Kindergartenalter (!) Hakenkreuze malen, vom „Volkstod“ reden und etwas gegen Behinderte und Asylbewerber haben.

Das große Ganze anstatt Quellen aus erster Hand

Auch fragt man sich unweigerlich an dieser Stelle, weshalb KiTa-Träger und Berater zum Schutz vor der Öffentlichkeit abwiegeln sollten. Einer Öffentlichkeit, in der nichts so wenig hinterfragt und unproblematisch aufgenommen wird wie der tatsächliche oder auch nur vermeintliche Kampf gegen Rechts. Muss man heutzutage nicht viel mehr Angst haben, wenn man sich kritisch über das wachsende Problem kleiner religiöser Extremisten mit archaischen Wertvorstellungen und ihre Eltern äußert? Eine Tatsache, für deren Beweis man, trotz des Risikos, umgehend auf dem öffentlichen Scheiterhaufen zu landen, keinerlei Probleme hat, mit oder ohne „aufwändige Recherche“, eine Antwort aus erster Hand zu bekommen? 

Aber solche Spitzfindigkeiten sollen hier nicht weiter irritieren. Und weil man keine Quellen aus erster Hand hat, die das Gesagte belegen, macht man erst einmal weiter mit dem großen Ganzen. Denn „klar ist“, schreiben Fokken und Heitkamp, dass die Zahl der Rechtsextremisten in Deutschland laut Verfassungsschutz zuletzt gestiegen sei. Zwar lehne eine Mehrheit der Bevölkerung Neonazi-Positionen ab, „rechtspopulistische Einstellungen“ seien jedoch fest verankert, „wie Studien belegen“ würden. Verlinkt wird hierbei auf einen Spiegel-Artikel mit der Überschrift „Jeder zweite Deutsche hat Ressentiments gegen Asylbewerber“. Von Sätzen wie „Die meisten Asylbewerber werden in ihren Heimatländern gar nicht verfolgt“ bis zu Kindern, die mit Nazisymbolen und und „Volkstod-Rhetorik“ aufwachsen ist es beim Spiegel eben nicht weit.

Weitere verlinkte Quellen sind ein Artikel zu einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, aus der hervorgeht, dass AfD-Anhänger zu Rassismus und Homophobie neigen würden, und die vor einiger Zeit aufgrund ihrer hanebüchenen Äußerungen zu Kindern mit geflochtenen Zöpfen bereits in die Schlagzeilen geratene Kita-Broschüre der Amadeu Antonio Stiftung. Das war es dann aber auch schon mit den verlinkten Quellen, die allesamt immer noch keine Hakenkreuz-malenden Kinder in KiTas belegen.

Aber gut, dass wir mal drüber gesprochen haben

So stützt der Text sich letztlich einzig und allein auf die Behauptungen zweier Personen, die von den Autoren immer wieder zitiert werden und deren Aussagen sich wiederum auf angebliche Erzählungen von Erziehern stützen. Esther Lehnert, „Professorin für Geschichte und Theorie und Praxis der sozialen Arbeit mit Schwerpunkt Rechtsextremismus“ an der Alice-Salomon-Hochschule, die, wie es der Zufall so will, auch den Arbeitskreis „Geschlechterreflektierende Rechtsextremismusprävention“ der besagten Amadeu Antonio Stiftung leitet und Danilo Starosta vom sächsischen Kulturbüro, der gerne mal der Jungle World Interviews gibt und auf sogenannten „Antifa-Abenden“ auftritt. Immerhin wächst den Profiteuren des ungebrochenen deutschen Nazi-Hypes doch noch kurz ein Gewissen, als sie einräumen, dass man nicht sagen könne, wie weit das Problem verbreitet sei, „weil es in Zahlen nicht erfasst wird“, es sich wohl aber nicht um ein „Massenphänomen“ handele. 

Was bleibt also von der markigen Überschrift übrig? Außer ein paar Ratschlägen, wie man mit Kindern und Eltern im Fall der Fälle umgehen sollte, nicht viel. Aber gut, dass wir mal drüber gesprochen haben und wissen, dass es irgendwo irgendwann laut den Erzählungen von Frau Lehnert und Herrn Starosta vom antifaschistischen Kulturbüro zu Fällen kam, in denen Kinder Hakenkreuze gemalt haben, auch wenn nicht jedes Kind, „das Hakenkreuze malt“, aus einem „Nazi-Haushalt“ stammen würde. 

Im Prinzip lässt der Text von Fokken und Heitkamp und die Tatsache, dass er durch die redaktionelle Prüfung gegangen ist, nur einen Schluss zu: dass dem Spiegel mittlerweile alles egal ist und man eigentlich mit sich und journalistischen Standards seit der Aufdeckung des Falls Relotius abgeschlossen hat. Wurde der Leser bei Relotius zumindest noch auf kreative Art und Weise durch erfundene Protagonisten verarscht, die als tatsächlich existent ausgegeben wurden – verpackt in wunderschöne, malerische Willkommens-Kultur-Worte, die in den Zeitgeist passten –, gibt man sich nunmehr nicht einmal mehr die Mühe, zu verschleiern, dass die eigene Argumentation auf ziemlich wackeligen Beinen steht. Getreu dem Motto: Nichts genaues weiß man nicht, aber die Nazis sind allgegenwärtig, wird in der Hoffnung, dass schon keiner nachfragen wird, einfach drauf losgeschrieben. Während bei Veröffentlichungen, die nicht in den linken Zeitgeist passen, auch noch das Offensichtlichste penibel belegt werden muss und dann trotzdem noch der Vorwurf der Fake-News erhoben wird, wird beim Spiegel einfach fröhlich weiter und deutlich preiswerter relotiert. 

Bevor die letzten Leser abhauen 

Vielleicht sollte man sich – im Sinne der eigenen Rest-Glaubwürdigkeit – beim Spiegel an Themen versuchen, die sich zur Abwechslung belegen lassen. Am sich epidemisch ausbreitenden Judenhass an Schulen durch Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund zum Beispiel. Oder am bereits angesprochenen religiösen Fundamentalismus. Man könnte über die wachsende Zahl von Schülern sprechen, die schon im Grundschulalter an Ramadan fasten und mit denen kaum mehr ein normaler Unterricht möglich ist. 

Über Schülerinnen, die nicht zu einem männlichen Lehrer in die Klasse wollen oder vollverschleierte Mütter, die eine Entschuldigung von Lehrkräften erwarten, weil diese ihnen die Hand geben wollten. Über Grundschüler, die darüber diskutieren, ob man ein Moslem ist, wenn man Gummibärchen isst, und Eltern, die sich über einen Museumsbesuch der Schule mit den Kindern beschweren, weil das Museum vor hunderten von Jahren einmal ein Kloster war – alles übrigens Anekdoten aus einer einzigen Frankfurter Schule. Aufgeschrieben von der Schulleiterin höchstpersönlich und damit aus erster Hand. Ein Buch von vielen zum Thema. Mit belegbaren Fakten. Und ja, hier handelt es sich ausnahmsweise tatsächlich um ein Massenphänomen, das unsere Demokratie spätestens in den nächsten Jahren vor ernsthafte Herausforderungen stellen wird. 

Eventuell möchte der Spiegel ja auch hier noch einmal nachfragen, wie es um die Einstellung der Schüler zu Behinderten, Juden und Andersgläubigen bestellt ist, und die Amadeu Antonio Stiftung kann dann eine entsprechende Broschüre zum Umgang mit religiös-fundamentalistischen Eltern und ihren radikalisierten Kindern herausgeben. Material gäbe es dazu genug. 

Über den Betrug von Claas Relotius hieß es später, dass er auch deswegen möglich war, weil er in den Zeitgeist passte. Weil er der Redaktion das gab, was man lesen wollte. Eventuell sollte man beim Spiegel endlich damit beginnen, zu schreiben, was ist und nicht, was ins eigene Weltbild passt - bevor auch noch die letzten Leser abhauen.


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