Otto "Tull" Harder

Die andere Seite

(Fortsetzung von Teil 1)

Leider beginnt an dieser Stelle der unrühmliche Teil der Geschichte:

Der immer im Mittelpunkt stehende Harder sprach nach seiner fußballerischen Karriere leider dem Nazi-Regime zu und trat schon 1932 der NSDAP bei. Er wurde SS-Untersturmführer und fungierte u.a. als Wächter im KZ Hamburg-Neuengamme.

Harder wuchs in einem deutsch-nationalen Elternhaus auf und war dementsprechend erzogen. Er war dadurch besonders empfänglich für Parolen der Rechten. Bereits im Ersten Weltkrieg erhielt er das Eiserne Kreuz I. und II. Klasse. [Das qualifiziert ihn natürlich als unverbesserlichen Nazi, auch wenn es die Nazis noch gar nicht gab, Anm. Dikigoros.]

Und in den zwanziger Jahren, als die Mannschaft in Köln gastierte, prügelte sich Harder mit einem englischen und französischen Soldaten.

Dennoch stellt sich beim genaueren Betrachten der Geschichte Harders doch etwas Widersprüchliches heraus: Obwohl Harder sich nach seiner Fußballkarriere mit seinem Eintritt in die NSDAP und später in die SS als Nazi outete, hatte er offenbar keine Probleme damit, jahrelang mit einem nichtdeutschen Spieler für den HSV zusammen zu spielen. [Wieso auch? Den Nazis galten die Norweger doch als "nordische Artverwandte", Anm. Dikigoros.]

Dieser Spieler hieß Asbjörn Halvorsen (Spitzname "Assi"), stammte aus Norwegen und stieß im Jahr 1921 zum Hamburger Sportverein, für den er dann immerhin 12 Jahre Fußball spielte. Fünf Endspiele um die deutsche Meisterschaft absolvierte der gelernte Schiffsmakler, der als sehr guter Defensivstratege in die HSV-Historie einging. Zunächst wollte er sich Altona 93 anschließen, bevor glückliche Umstände den Kontakt zum Hamburger SV herstellten.

Tull Harder und Halvorsen wurden mit der Zeit gute Freunde. Vielleicht erklärt sich dieses durch die häufigen gemeinsamen Erfolge, die beide mit dem HSV feiern konnten. [Na, das mit der "Freundschaft" sollte man doch nicht überbewerten, jedenfalls nicht mehr seit 1927. Noch 1926 war Tull Harder der erfolgreichste Torschütze der Nationalelf gewesen. Im Oktober 1927, beim Länderspiel gegen Norwegen in Altona, saß er dagegen - zusammen mit dem Dresdner Richard Hofmann - nur auf der Bank. (Auswechslungen waren bei Pflichtspielen zwar noch nicht erlaubt, aber es war ein Freundschaftsspiel, da war es mit Zustimmung der anderen Mannschaft zulässig.) Denn Norwegen galt nur als "2. Wahl", und Reichstrainer Dr. Nerz wollte die bewährten Kräfte schonen und auch mal den jungen Nachwuchsleuten eine Chance geben. Das waren im Sturm Schorsch Hochgesang und Sepp Pöttinger, und sie spielten anfangs wie Sau - bei Halbzeit stand es 2:0 für Norwegen. Das Hamburger Publikum tobte und forderte lautstark a) den PelzKopf von Nerz und b) die Beineden Einsatz von Tull Harder. Die Deutschen fragten höflich bei den Norwegern um Erlaubnis; aber die sagten - in Person ihres Mannschaftskapitäns, der Leser ahnt schon, wer das war - "njet". In der 2. Halbzeit drehten Hochgesang und Pöttinger dann auf, spielten die Norweger fast im Alleingang an die Wand und schickten sie mit einer 6:2-Packung nach Hause. Tull Harder aber wurde nie wieder in die Nationalelf berufen - und das verdankte er seinem "guten Freund" Assi Halvorsen. Anm. Dikigoros.]

Allerdings trennten sich Ihre Wege bei der Machtübernahme der Nazis im Jahre 1933 zwangsläufig.

Halvorsen kehrte 1933 zurück nach Norwegen, wo er als Teamchef der norwegischen Nationalmannschaft Theorie und Taktik lehrte.

In dieser Funktion fügte er dem braunen Deutschland und seinem Führer auf sportlicher Ebene eine empfindliche und die wohl denkwürdigste Niederlage in der Ära des Nationalsozialismus bei. Während des Olympischen Fußballturniers traf Deutschland 1936 auf Norwegen und selbst Hitler war bei diesem Spiel anwesend um sich auch im Fußballsport von der Überlegenheit der Deutschen zu überzeugen. Doch das Spiel ging 0:2 verloren durch zwei Tore von einem Spieler namens Issaksen. Weit vor Ende des Spiels hatte der Führer das Olympiastadion verlassen und es war angeblich das erste und letzte Fußballspiel dem er beiwohnte.

(In der Zeit des Nazi-Regimes wurde das Fußballgeschehen von den Nationalsozialisten leider in erheblichem Maße beeinflusst. Jüdische Fußballer wurden drangsaliert und von Wettbewerben ausgeschlossen. Der FC Schalke 04 gewann in den 12 Jahren Nazi-Herrschaft mit seinem kongenialen ?? Duo Ernst Kuzorra und Fritz Szepan 6 Meisterschaften - wer weiß schon was da gedreht worden ist? [Gar nichts, die Schalker beklagen vielmehr, daß sie in den Jahren, als sie die Meisterschaft nicht gewannen, von den "Nazi-Schiedsrichtern" verpfiffen wurden, Anm. Dikigoros.] Viele Spitzenfußballer kamen in der Wehrmacht unter bzw. mussten dort einrücken und an der Waffe Dienst leisten. Sepp Herbergers Motivation für Fritz Walter, als jener zur Wehrmacht einrücken musste, lautete: "Ein guter Fußballer ist auch ein guter Soldat.")

Während der Zeit der Okkupation durch die Nazis (April 1940), war Halvorsen erheblichen Demütigungen ausgesetzt und wurde schließlich 1943 mit vielen anderen Gefangenen nach Deutschland verschleppt. Es gibt die Anekdote, dass Halvorsen Tull Harder während seiner Gefangenschaft im Hamburger KZ Neuengamme wiedersah. Ist diese Begebenheit richtig, so war es sicherlich kein schöner Wiedersehensanlass.

Über den Aufenthalt von Halvorsen im KZ Vaihingen/Enz wurde folgendes berichtet:

"Der Mann, der sich im Frühjahr 1944 im Krankenlager des Konzentrationslagers befindet, ist mehr tot als lebendig. Er wiegt nicht mehr als 40 Kilogramm, leidet an Typhus, Pneumonie, Rheuma, Fieber und - natürlich Unterernährung. Die Lagerleitung verlegt ihn in die Todeszelle. Es ist der Fußballer Asbjörn Halvorsen..."

Glücklicherweise überlebt Halvorsen die Zeit im KZ [im Gegensatz zu fast allen deutschen Sportlern, die in alliierte Kriegsgefangenschaft gerieten, wie z.B. Harders und Alvorsens Mannschaftskamerad Rudi Noack, Anm. Dikigoros] und kann nach dem Krieg nach Norwegen zurückkehren, wo er für den norwegischen Fußballverband tätig wurde.

Doch zurück zu Harder. Er genoss in der SS wie viele Sportler Privilegien, diente als Repräsentant bei besonderen Sportereignissen und erschien in der Uniform der "Schutzstaffel".

(Aktive Sportler konnten bei einem entsprechenden Vorgesetzten jede Menge Trainingseinheiten absolvieren und bekamen über die Maße Heimaturlaub. Häufig wurden von Sportlern eher Repräsentativaufgaben von der SS gefordert, denn schließlich wollten die Nationalisten bei entsprechenden Anlässen gut dastehen.)

1939 wurde Harder Wachmann im KZ Sachsenhausen bei Berlin, aber nach kurzer Zeit äußerte er den Wunsch einer Versetzung nach Hamburg. Fortan fungierte er als SS-Rottenführer im KZ Hamburg-Neuengamme. [Merkwürdig: Ein Untersturmführer soll zum Rottenführer degradiert worden sein? Da kann doch irgendetwas nicht stimmen, Anm. Dikigoros.] Das erklärt auch die Anekdote über das Treffen mit Halvorsen. Später wurde er noch Lagerführer des KZ Ahlem in Hannover.

Nach dem Krieg wurde Harder inhaftiert und aufgrund seiner Kriegsverbrechen 1947 von einem britischen Militärgericht im Curio-Haus zu 15 Jahren (lebenslänglicher) Haft verurteilt. Recht fadenscheinig waren seine Verteidigungsversuche vor Gericht: "Leute waren nur im KZ, wenn sie etwas ausgefressen haben" oder "...so viele Menschen im KZ gestorben sind, weil die inneren Organe der Häftlinge durch schlechte Nahrung in jüdischen Ghettos geschwächt waren..." Im KZ Hamburg-Neuengamme starben zwischen 1933 und 1945 insgesamt 55.000 Menschen. [Darin eingerechnet sind diejenigen, die 1943-45 den alliierten Terror-Bombardements auf Hamburg und Umgebung zum Opfer fielen, sowie diejenigen, die im April 1945 evakuiert und auf der "Cap Arcona" und anderen Rote-Kreuz-Schiffen in der Neustädter Bucht in vermeintliche Sicherheit wurden. Sie fielen samt und sonders dem letzten großen Terror-Bombardement der Alliierten zum Opfer, deren Jagdbomber selbst einzelne Überlebene, die in der Ostsee trieben, mit Tieffliegerangriffen jagten und ermordeten. Neuengamme war kein Vernichtungslager, Anm. Dikigoros.]




Harder verbüßte nur 4 Jahre seiner Haftstrafe, da sogenannte "Sportsfreunde" ein Gnadengesuch für Ihn erwirkten. Als er sich nach seiner Entlassung beim HSV zurückmeldete (im Jahr 1947 hatte der HSV ihn zeitweilig von der Mitgliederliste gestrichen - richtigerweise!?) wurde er von den Menschen begeistert empfangen. Seinem Status als Hamburger Idol war seine Nazi-Vergangenheit nicht abträglich. Er soll von Anhängern des Vereins sogar auf den Platz getragen worden sein - wie schnell Menschen manchmal vergessen können. Es stellt sich hier die Frage, ob das Vergessen (bzw. Verdrängen) immer der richtige Weg ist.

Im Jahr 1953 sah Tull Harder Asbjörn Halvorsen wieder. In der WM-Qualifikation trafen Deutschland und Norwegen wieder einmal aufeinander. Vieles, was in den Jahren 33-53 geschehen ist, dürfte beim abendlichen Bankett sicherlich kein Thema gewesen sein. Vielmehr freute sich der Norweger über den Umstand wieder in Hamburg zu verweilen und alte Mannschaftskameraden zu treffen. Hatte Halvorsen verziehen oder kannte er Harders Vergangenheit nicht??

Am 4. März 1956 starb Harder nach einer Operation im Krankenhaus in Hamburg-Barmbek (andere Quellen berichten über Herzversagen als Todesursache).

Halvorsen starb 14 Monate früher im Januar 1955 auf einer Reise die er für den norwegischen Fußballverband tätigte.

Auf jeden Fall wird Harder in den Sportgeschichtsbüchern, die noch über den HSV geschrieben werden, seinen festen Patz haben. Das hat er sich durch seine erfolgreiche Spielweise auch verdient.

Ingo Kapteinat


Nachbemerkung:
Ingo Kapteinat irrte. Im Zuge der "Vergangenheitsbewältigung" wurde Tull Harder bald zur persona nun grata und aus den Geschichtsbüchern - auch denen der "Fußball-Historiker" - getilgt. Als 1974 in einem Prospekt zum Fußball-WM-Spiel BRD-Polen in Hamburg versehentlich sein Name erwähnt wurde, mußte die gesamte Auflage vernichtet werden. Seitdem ist sein Name in offiziellen Veröffentlichungen tabu. Im August 2005 titelte die WELT in einem Beitrag von Udo Muras: "Als Fußballspielern der Ruhm geraubt wurde." Nanu - hatte man Tull Harder wieder entdeckt und wollte das ihm angetane Unrecht wieder gut machen? Aber nein - "Widergutmachung" ist nur auf der anderen Seite angesagt, und sei sie auch noch so an den Haaren herbei gezogen: Der DFB hatte einen Stürmer namens Julius Hirsch ausgegraben, der in den Jahren 1911-1914 sage und schreibe sieben Länderspiele absolviert hatte (wobei er in sechsen torlos geblieben war), der angeblich 1943 nach Auschwitz verschleppt wurde und 1945 verschollen war. Berühmt war er nie gewesen - jedenfalls nicht als Fußballer; er war einfach Mitläufer, der in einer Zeit mit aufgestellt wurde, als manche "Länderspiele" noch von Regionalauswahlen bestritten wurden - und er spielte nun mal bei den beiden erfolgreichsten süddeutschen Vereinen der Vorkriegszeit, dem Karlsruher FV und der SpVg Fürth. (Einer der wenigen in der damaligen Zeit, die ohne feste Verwurzelung hin und her wechselten.) Welcher Ruhm hätte ihm also geraubt werden können, als die bösen Nazis das eine "Länderspiel" gegen Holland, in dem er als Torschütze erfolgreich war, aus ihren Statistiken strichen, weil es nur von einer deutschen Süd-West-Auswahl bestritten wurde? Gar keinen, denn er war zu Lebzeiten nie berühmt. Tull Harder dagegen - der sein erstes Länderspiel zusammen mit Julius Hirsch (dessen letztes es war) bestritt, hat man seinen Ruhm wirklich geraubt - und das waren nicht die bösen Nazis, sondern die guten Demokraten!
N.D.


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