Der Tod in Polen
Die volksdeutsche Passion.

Kapitel 14:
Mit dem Thorner Verschlepptenzug
auf Warschau zu


WloclawekIn Wloclawek treibt man den Thorner Zug in die gleiche Turnhalle, in die man auch den Bromberger Zug legte, nur bringt der Thorner statt der Nacht den Tag darin zu. Die Junaki halten immer noch an den Nachtmärschen fest, während die Strelzi sie schon aufgegeben haben. An diesem Tage gibt es wieder nichts zu essen, gibt es auch keinen einzigen Tropfen zu trinken. So sehnen sich die Gefangenen trotz ihrer Erschöpfung nach dem Weitermarsch, vielleicht bietet sich draußen eher Gelegenheit, einmal einen Schluck Wasser aus irgendeiner Pfütze zu erhalten. Vielleicht regnet es sogar - wie herrlich wäre das! Man würde einfach mit herausgestreckter Zunge marschieren, den Kopf weit zurückgeworfen, würde sich den Regen auf diese Weise stundenlang in den Mund rinnen lassen...

Aber als sie wieder hinausgelassen werden, sehen sie zu ihrer Enttäuschung, daß am Himmel mit klarem Leuchten die Sterne stehen. Sicherlich hat es dafür wenigstens Tau, aber sie dürfen ja nicht aus der Reihe treten, dürfen sich ja nicht einmal bücken. Vielleicht kommt bald ein Fliegerangriff, dann müssen sie sich in die Gräben werfen, dann können sie sich das feuchte Gras in die Münder stecken, ihre vor Trockenheit aufgeschwollenen Schleimhäute ein wenig kühlen. Aber obwohl es heller Mondschein ist, zeigt sich kein Flieger, so beginnen auch in diesem Zug die Delirien. Einer sieht im Graben das fette Rankwerk der Melonen wachsen, hängt nicht an jedem Busche eine der saftigen Früchte? "Wenn ich doch nur dorthin könnte, mich nur einmal danach bücken dürfte", sagt er zu seinem Nachbarn. "Mit einem Griff hätte ich eine, es ist ja alles voll davon..." Er sieht sich vorsichtig um, aber dicht hinter ihm geht ein Posten, eine Weile schleppt er sich taumelig weiter, immer den Kopf in den Graben gewandt, schließlich erträgt er es nicht mehr, springt er mit einem Satz hinein... Im gleichen Augenblick schießt der Posten auch schon, ein paarmal greifen seine Hände noch um sich, greifen im hohen Gras suchend nach den Melonen... "Willst wohl flüchten?" schreit der Posten, repetiert das Gewehr. "Hab' dich die ganze Zeit beobachtet, verdammte Hundeleiche, aber mir entkommst du nicht..."

In der dritten Morgenstunde nahen endlich ein paar Flieger, sofort wirft sich alles auch ohne Kommando in die Gräben. Wie kühl das Gras ist, wie naß es auch ist! Einige wühlen ihre Gesichter hinein, andere stopfen große Büschel in den Mund. Aber das Glück wird noch größer, daneben läuft ein Rübenfeld entlang, möglichst unmerklich reißt jeder eine aus, nimmt einen Arm voll Blätter dazu, sie lassen sich so herrlich kauen, ihr Brei ist wie Balsam in den entzündeten Mündern! So sind sie denn für ein paar Stunden gerettet, durch die deutschen Flieger gerettet - dankbar schauen sie zu den grauen Adlern hinauf, wie sie im fahlen Mondlicht donnernd nach Osten ziehen.

Ein paar Stunden fühlen jetzt alle Erleichterung, dann aber beginnen die alten Qualen wieder von neuem. Fast alle gehen jetzt miteinander eingehakt, so können die mittleren beim Gehen beinahe schlafen, denn die Beine bewegen sich allmählich mechanisch. Schlafen tun auch alle sofort beim kleinsten Aufenthalt, viele so tief, daß sie selbst die brüllenden Kommandos zum Weitermarsch nicht hören. Kommt aber einmal das Kommando zum Niedersetzen, so werfen sich alle schlagartig nieder, wo sie im Augenblick gerade stehen, sei es im knöcheltiefen Staub, sei es im Kot vorbeigetriebenen Viehs, sei es im Blute eines Erschossenen. Es ist ja gleich, nur sofort liegen, nur keine Sekunde versäumen...

Pfarrer Dietrich geht den Zug jede Nacht ein paarmal ab, von einem mürrischen Wachtmeister geleitet. Er ist wie ein getreuer Hirte, der seine Herde sorglich umkreist. Stößt er in einem Glied auf jemanden, der bereits allzu sichtbar hin und her schwankt, auch keinen Kräftigen mehr neben sich hat, führt er ihn selbst an den Schluß, hilft ihm auf einen Wagen der Kranken. Oft aber muß er schon beim nächsten Gang erkennen, daß der von ihm dem Wagen Zugebrachte nicht mehr darauf ist, dennoch darf er keine Frage nach seinem Verbleiben tun. Muß er denn auch noch fragen, sagen die Schüsse nicht genug, die man so oft am Ende des Zuges hört?

Aber es sind nur mehr wenige, die durch Schüsse umkommen, die meisten sterben durch Bajonette. Wenn ein Junak plötzlich müde wird, geht er einfach an einen dieser Wagen. Ist auf diesem Wagen gerade Platz, ist es gut - ist er voll, reißt er den Nächstbesten herunter. Breit setzt er sich statt seiner auf das Gefährt, während die Spießgesellen den Kranken "liquidieren", nach ein paar Stichen einfach in den Graben rollen. Auf diese Weise reichen die wenigen Wagen stets für die Kranken aus, gibt es trotz andauernden Zuzugs immer nur die gleiche Zahl...

Auf den Straßen herrscht jetzt auch nachts ein unheimliches Leben, tausende von Bauerngefährten schieben sich mit ihnen nach Osten, zwischen ihnen ziehen mit hungrigem Brüllen ganze Viehherden dahin. Häufig erkennen die Gefangenen Thorner Fahrzeuge darunter, die einfach von den Flüchtlingen requiriert wurden, Kraftwagen der städtischen Wasserwerke wechseln mit Straßenreinigungsgefährten, Milchwagen der deutschen Molkereien folgen Lieferwagen von Firmen, deren Besitzer sich im Zuge selber vorwärtsschleppen, einmal werden sie sogar von dem schönen Personenwagen eines Fabrikanten überholt, in dem eine ganze Reihe von ihnen zahllose Feiertagsfahrten machte. Ganz Westpolen scheint auf dem Wege nach Osten, kaum ein Pole in den alten deutschen Provinzen geblieben zu sein.

"Das ist das schlechte Gewissen!" sagt der alte Rausch befriedigt. Er ist von unverwüstlicher Kraft, dieser alte Sibirier, trotzdem ihn eine Sorge quält: Er sieht seit Tagen seinen Sohn nicht mehr, vielleicht ist er entflohen, vielleicht aber auch...

Beim nächsten Halt sieht er einen Hilfspolizisten, der lange Jahre bei ihm in der Fabrik arbeitete. Er ruft ihn mit Namen an, der Posten kommt mißtrauisch näher. "Du kennst mich doch, ich bin dein alter Chef - war ich jemals ungut zu dir, half ich dir nicht oft?"

"Das tatest du!" sagt der Hilfspolizist, sieht sich scheu um.

"Nun höre mal... Hier hast du meine goldene Uhr, ich will nur eines dafür von dir: Du sollst mir sagen, was mit meinem Sohne ist! Du kennst ihn doch, hast ja mit ihm gearbeitet..."

Der Pole windet sich, schielt auf die Uhr, sagt endlich leise: "Er ist tot..."

Der alte Rausch zuckt ein wenig zusammen, schweigt eine Weile, sagt dann schließlich, dem Polen seine goldene Uhr hinüberreichend: "Nun mußt du noch etwas dafür geben, nun mußt du mich auch noch totschießen. Nein, ich will mit euch Schweinen nicht mehr leben, wo ihr mir meinen Sohn noch habt erschossen... Komm, nimm doch, zier dich nicht - aber nimm mich gleich mit, dort ist ein schöner Baum..." Und der Pole nimmt die Uhr, aber ihn selbst läßt er nicht heraustreten, sagt statt dessen mit unterdrückter Stimme: "Ich will dafür noch erkunden, wo dein Sohn liegen blieb..." und tritt zur Seite, geht den Weg zurück...

Als der Zug sich endlich Kutno nähert, stößt er auf zahllose Truppenverbände, die in Eilmärschen zur Verstärkung heranziehen. Aber auch diese frischen Verbände sind keine Truppen im deutschen Sinn mehr, irgendwas hat auch ihren inneren Halt schon gelöst, so daß sie keine volle Kampfkraft mehr besitzen können. Vielleicht bringen sie uns doch nicht mehr durch, denken die Verschleppten in neuer Hoffnung, vielleicht geraten wir noch mitten in eine Schlacht? Über dem Bahnhof von Kutno spielt sich ein Fliegerangriff nach dem anderen ab, doch obwohl sie nicht weit von diesem Bahnhof durch die Stadt marschieren, haben sie nicht ein einziges Mal das Gefühl wirklicher Angst: Es gilt ja nicht uns, denken sie kindlich, sie werden ja uns nicht treffen, unsere deutschen Brüder... An vielen Stellen brennen schon die Häuser, sie stehen gleich schaurigen Fackeln zu beiden Seiten ihres nächtlichen Weges, das berstende Donnern aber klingt ihnen wie Trommeln des Jüngsten Gerichts.

In der Nähe Kutnos werden sie wieder auf ein Gut getrieben, diesmal ist ein alter Kuhstall ihre Tagesunterkunft. Wieder gibt es nichts zu trinken, außer dem Inhalt eines alten Betonbeckens, das sich irgendwoher mit Tropfwasser füllte. In diesem Becken liegt zuunterst uralter Mist, von dem das Wasser auch gelb wie Tee ist, zudem reicht es kaum für die Hälfte zu einem Schluck - wie werden jene trotzdem beneidet, die dieses Mal etwas davon bekommen! Gegen Mittag hat Dr. Raapke von einem Bauern erreicht, daß er dem Zuge eine große Kanne Milch verkauft. Als er die Kanne endlich gegen teure Zlotys anbringt, besteht diese Milch zwar zu zwei Dritteln aus Wasser, aber wenigstens bekommen nun auch die Leerausgegangenen ihren Schluck. Eine Stunde später gelingt dem Pfarrer Dietrich ein großer Schlag, er kann vom Gutshof selber für ein Sündengeld ein Schwein erstehen. In höchster Hast machen sich die Frauen darüber her, es wird geschlachtet, wird abgebrüht, schon kocht es kleingeschnitten in einem großen Kessel. Während der Zeit des Kochens bemächtigt sich der Verschleppten ein förmliches Fieber, wird es noch zur Zeit gar werden, wird man sie nicht gerade kurz vorher zum Aufbruch treiben?

Man treibt sie nicht vorher hinaus, wie man es mit Recht annehmen konnte, man wartet sogar freundlich, bis alles gar ist, aber kaum ist diese erste Suppe seit acht Tagen fertig, als sich die Junaki breitbeinig heranschieben. "Eine gute Suppe habt ihr uns gekocht!" sagen sie höhnisch, ziehen ihre Eßgefäße, setzen sich mit breitem Grinsen um den Herd. Fast zweimal füllt sich ein jeder, schlingt es schmatzend in sich hinein - dann werfen sie die Töpfe den Frauen zum Waschen hin, schreien mit grölenden Stimmen das gefürchtete Wort: "Abmarsch..."

Rasch füllen sich die Frauen wenigstens noch alles, was sie an Gefäßen bei sich haben, können den Rest auch noch den Männern in ihren Stall hinübertragen - aber für diese kommt es schon zu spät, nur wenige können noch ihre Konservenbüchsen füllen, zum Essen kommt auf dem Gutshof selbst kaum einer. Als sich der ganze Zug, dadurch ein wenig aufgehalten, nicht so schnell als sonst formiert, geht ein Polizeiwachtmeister auf den Kübel zu, stößt ihn mit seinem Fuße um. "Nun werdet ihr wohl schneller machen!" ruft er dazu, jagt sie mit der Pistole aus dem Stall hinaus.

In dieser Nacht marschieren sie nach Dobrzelin, wo man sie in einer Zuckerfabrik unterbringt, einem riesigen Industriewerk modernster Bauart. Hier haben sie viel unter den sichtlich verhetzten Arbeitern zu leiden, die sie auch wieder in aller Weise mit Frontnachrichten versorgen. Die Meldungen haben immer noch den gleichen Tenor, was schert es diese sturen Analphabeten, daß ein Drittel Polens schon besetzt ist, fast alle aktiven Armen auf regelloser Flucht sind?

In dieser Zuckerfabrik bleiben sie aber nur zwei Stunden, schon kommt in großer Aufregung wieder Befehl zum Weitermarsch. Sie sollen diesen Tag in einem nahen Walde zubringen, was auch den letzten der Fünfhundert mit tiefer Freude erfüllt. Endlich einmal wieder an wirklichem Tageslicht sein, nicht in fürchterlicher Enge auf schmutzigen Planken liegen, nicht von Fliegen bei lebendigem Leibe gefressen werden. "Sicher fürchten die Junaki einen Fliegerangriff", sagt Dr. Raapke, "sonst wären sie auch nicht so aufgeregt!"

Aber sie kommen auch nicht einmal bis zum Walde, mitten auf diesem Marsch kommt schon Gegenbefehl. "Im Eilmarsch bis zur Station Zychlin!" heißt es mit einem Male. Im Eilmarsch also, denken die Verschleppten, wie aber nennt man das, was wir bisher leisten mußten? Es war bisher kein Eilmarsch, das erkennen sie im nächsten Augenblick: Von allen Seiten schlägt man solange auf sie ein, bis man die Fünfhundert tatsächlich im Laufschritt hat. Das nimmt mit einem Schlage vielen die Kraft, die es in alter Weise noch manchen Tag ertragen hätten - zu Dutzenden fallen sie auf der Strecke nach Zychlin, hinten schweigt das Schießen auf diesem Wege keinen Augenblick. Das Knallen wirkt auf die Gehetzten wie Peitschenschläge, die sie trotz aller Schwäche immer wieder vorwärtstreiben, vielleicht werden sie auch in Zychlin endlich einwaggoniert, vielleicht sind dort die Qualen endgültig zu Ende? Dies vage Wissen, daß es zu einer Station geht, trägt manchen über die entscheidenden Sekunden hinweg, ohne das wären auf diesem Wegstück Hunderte gefallen...

Auf dem Bahnhof in Zychlin steht tatsächlich ein Güterzug unter Dampf, sogar ein paar D-Zugwagen sind an ihn gehängt. Die Männer werden zu je zweiundsechzig in die Güterwagen gepfercht, die Frauen aber führt man tatsächlich in die D-Zugwagen, so daß sie sich wahrhaftig einmal richtig setzen können. Es sind von hier aus nur mehr hundertfünfundzwanzig Kilometer bis Warschau, in drei Stunden können sie also am Ziel sein. Endlich setzt sich der Zug auch in Bewegung, aber fast bei jeder Blockstelle hält er lange.

Die Hitze steigt durch dieses viele Stehen in der Sonnenglut zu tropischer Höhe an, die Luft ist in dem kleinen Raume von zweiundsechzig Menschen allzu rasch verbraucht. Und wieder nichts zu trinken, wieder nichts zu essen... Endlich gelingt es Dr. Raapke an einem Streckenwärterhaus, einen am Bahndamm spielenden Jungen heranzurufen. "Bring mir eine Kanne Wasser", sagt er zu ihm, "ich habe so viel Kranke im Wagen..." Lange traut der Junge sich nicht, endlich bringt er eine Flasche Wasser, sagt dazu schüchtern: "Ein Liter - ein Zloty..." Irgend jemand hat eine Art Eierbecher bei sich, mit diesem wird der eine Liter nun in zweiundsechzig winzige Teile aufgeteilt, was Gott sei Dank für jeden einen halben Eierbecher ergibt! Wenn es auch nicht zum Trinken reicht, reicht es doch wenigstens dafür, sich innerlich ein wenig zu kühlen, die geschwollenen Zungen, die zersprungenen Lippen...

Aber auch diese Fahrt ist unversehens zu Ende, man merkt mit jeder Stunde, daß der Kommandant sich keinen Rat mehr weiß. Ist der Zug schon fast mit eingekesselt, versucht er durch dies Hinundher auf irgendeine Weise durchzubrechen? Nach fünfzehn Kilometern Fahrt jagt man sie auf freiem Felde schon wiederum hinaus, treibt man sie abermals im Geschwindschritt nach Leonzyn. Von neuem bleiben wiederum Dutzende am Wege liegen, die aber jetzt des Knallens wegen nicht mehr erschossen, sondern nur noch geräuschlos erschlagen werden. In diesem Städtchen werden sie zum erstenmal nicht in einem Stalle, sondern in einem Feuerwehrhause untergebracht, in dessen großer Remise sie mit wildem Staunen einen mächtigen Hydranten finden.

Es hebt ein Trinken an, wie es keiner geträumt: Ein Stöhnen der Wollust erfüllt den ganzen Raum, einzelne lassen sich förmlich vollaufen, verschlucken sich dabei, fast alle füllen sich zum Schlusse nochmals die Münder, schlucken es zur Kühlung ihrer Schleimhäute jedoch lange nicht hinab. Nach dem Trinken aber kommt ein anderes, kommt das Waschen der geschwollenen Füße - in langen Reihen sitzen sie auf dem steinernen Boden, neben sich irgendein aufgesammeltes Gefäß voll jener kühlen Flut. Langsam werden die Lappen von den geschundenen Füßen gewickelt, bei einzelnen ist das Fleisch schon bis auf die Sohlenknochen abgelaufen, bei fast allen sind die Zehen nur mehr eine eitrige Masse. Wie wohl das kühle Wasser tut, wie unsäglich wohl es tut... Nachdem sich alles die Geschwüre notdürftig gesäubert hat, reißen sie sich aus ihren Hemden die letzten guten Stücke, binden sie sich die armen Füße von neuem sorglich ein... Wenn auch der Hunger nagend ist, so ist doch wenigstens der Durst gelöscht, zudem der tollste Schmerz der Fußwunden gestillt - wenn jetzt vielleicht der Pfarrer in der Stadt...

Aber diesmal gelingt es auch dem Pfarrer nicht, ohne Nahrung müssen sie noch in der gleichen Nacht weiter. Bald hinter Leonzyn fließt die Bzura, eine Weile sucht der Kommandant nach einer Furt, denn die großen Brücken sind von den Truppen längst verstopft. Nach kurzem Suchen findet er auch eine, an der das Wasser nur dreiviertel Meter tief ist, hier treibt man die Fünfhundert im Eilmarsch hindurch. "Wenn wir das vor ein paar Tagen gehabt hätten", sagen viele zueinander, "wir hätten uns wohl alle für einen Augenblick hineingeworfen!"

An dieser Furt sehen die Verschleppten zum ersten Male zerstörte Fuhrparks, auch eine Batterie liegt mit toten Pferden in der Bzura, daneben in weitem Umkreis zahllose bäurische Flüchtlingswagen. Wieder ist die Nacht hell, schauerlich wirken die fahlen Gesichter der Gefallenen, die sie seit einer Stunde immer zahlreicher begleiten... Waren hier denn schon Gefechte? denken sie in neuer Hoffnung. Wohl waren dort schon Gefechte, aber einen Tag zu früh, für sie einen Tag zu früh, dennoch haben sie wieder Glück: Eine Stunde später liegt die Furt schon unter deutschem Artilleriefeuer, eine Stunde später hätte die Schlacht an der Bzura alle Fünfhundert zermalmt...

Ermordete 
Volksdeutsche vor Warschau
Massenhaft erschlagene und erschossene Volksdeutsche vor Warschau. Verstreut an Straßen, auf Feldern und in Wäldern. Aufgefundene werden am Sammelort rekognosziert.
Größer
Aber obwohl sie jetzt schon Warschau nahe sind, sind sie noch immer nicht in Sicherheit. Alle paar Stunden müssen sie eine neue Richtung wählen. Wäre der Kommandant nicht ein so guter Feldsoldat, hätten sie sich sicher schon irgendwo festgerannt. Zum Glück hat auch das Eilen wieder nachgelassen, die Junaki selbst waren es, die gegen das Tempo protestierten, es trotz ihrer wohlgenährten Leiber nicht durchhalten konnten. Einmal rasten sie noch kurz auf dem Gute Lomna, einem Mustergut des Bruders des Staatspräsidenten Moscicki, sehen in dieser Nacht am Horizont auf beiden Seiten Mündungsfeuer. Wieder marschieren sie in scharfen Winkeln, einmal nach rechts, einmal nach links, wieder weicht der Kommandant geschickt aus. Das Maschinengewehrfeuer verstummt allmählich, das Donnern der Geschütze wird mit jedem Kilometer schwächer, nun kann es Warschau nicht mehr weit bis Warschau sein. "Hat er uns anscheinend doch durchgebracht!" sagt der alte Rausch resigniert. "Hätte seine Künste besser an der Front gezeigt, als hier bei uns armen Hunden..."

Im Städtchen Blonie verbringen sie den letzten Tag, von dort soll es in einem Marsch nach Warschau gehen - sieht man nicht im Sonnendunst ganz in der Ferne schon seine Türme?

weiter

zurück