Der Tod in Polen
Die volksdeutsche Passion.

Kapitel 10:
Der Verschlepptenzug
aus dem Thorner Gebiet (Teil 1)


Neben diesem großen Zuge waren zahllose kleinere unterwegs, auf fast allen Straßen zogen sie jetzt durchs polnische Land. Wer kann jeden aufzählen, wer ihren Gräbern nachspüren, wer von ihnen berichten? Einer von ihnen war der aus dem Schrodauer Bezirk, von ihm allein fand man in Turek hundertneun Ermordete, ein anderer der vom Gefängnis in Siedlce nach der Zitadelle in Brest, von ihm blieben fünfundzwanzig in den Gräben liegen, ein dritter der ins Konzentrationslager Bereza-Kartuska, er war für alle ein Gang geraden Wegs in die Hölle. Aus diesen zahllosen Zügen hebt sich neben dem Dr. Kohnerts noch einer hervor, weil er von allen die längste Straße zurücklegte, das ist der aus dem Thorner Gebiet kommende, mit dem der bedeutende volksdeutsche Führer Lengner, an seiner Seite der nicht minder große Kittler, schließlich auch der bekannte Gursker Pfarrer Dietrich zogen.

Dieser Zug wurde im Thorner Polizeigefängnis zusammengestellt, seine Mitglieder saßen vorher zwei Tage in den Zellen. Einer der ersten, den man einbrachte, war Dr. Konrad Raapke, Fabrikbesitzer in Thorn. Er hat einen Tag lang die Zelle allein, die übrigens auch nur für einen berechnet ist, am zweiten September aber bringt man noch sieben Mann, zu seiner Freude zum größten Teil lauter gute Bekannte. Unter ihnen befindet sich auch Lengner, der Führer der Thorner Deutschen Vereinigung, ein nicht sehr großer, aber durchtrainierter Fünfziger mit ungewöhnlich lebendigen Augen, über ihnen eine auffallend geprägte Stirn. Später kommt auch Kittler hinzu, der Führer der Thorner Jungdeutschen Partei. Durch einen Kalfaktor gelingt es ihnen, kurz vorm Abmarsch noch Verbindung mit den Angehörigen zu bekommen, so daß man ihnen das Notwendigste für die Fahrt zubringen kann, vor allem einen bereits reisefertig gepackten Rucksack.

Am berüchtigten Sonntag, der an sich schon ein heißer Sonnentag ist, wird es gegen Nachmittag unerträglich heiß in den Zellen, sie haben anscheinend die Zentralheizung auf vollste Kraft gebracht. Da sich die acht in diesem für einen bestimmten Raum schon sowieso nicht rühren können, wird die Hitze für sie zu einer dreifachen Qual, bald läuft ihnen der Schweiß in Strömen herunter, kleben ihnen die Kleider wie nasse Lappen an den Gliedern. "Das ist echt polnisch", sagt Dr. Raapke resigniert. "Aber diesmal kann es niemand als 'Affekthandlung eines leidenschaftlichen Volkes' entschuldigen, dieses Mal ist es eine aus kaltem Bewußtsein ausgeklügelte Gemeinheit!"

Durch die Hitze wird die ohnedies verbrauchte Luft so unerträglich, daß einzelne vor Sauerstoffmangel Erstickungsanfälle bekommen, alle aber müssen bei jedem Atemzug mühsam nach Luft ringen. Zudem ist die ganze Zelle von wochenaltem Schmutz bedeckt, zudem kriecht an den Wänden das Ungeziefer in ganzen Scharen umher, zudem dringen aus den anderen Zellen immer wieder gellende Schmerzensschreie durch. Bei jedem Neueintreffen von Verhafteten steigt das Geschrei der Mißhandelten zu einem schauerlichen Chor an, sie erkennen daraus deutlich, daß die große Hetzjagd von Stunde zu Stunde entsetzlichere Formen annimmt.

"Was uns erwartet, wenn wir 'rauskommen..." flüstert einer von ihnen, schüttelt hilflos den Kopf.

"Es ist seltsam", sagt Raapke wieder, "ich bin noch ganz anständig behandelt worden, als man mich vorgestern hierherbrachte. Aber inzwischen hat die Haßpsychose sich zu Formen gesteigert, die man wirklich nur noch als pathologisch bezeichnen kann."

Gegen zehn Uhr nachts, als ihre Erschöpfung bereits tödlich wird, jagt man plötzlich alles in wilder Jagd hinaus. Mit vom Schweiße durchnäßten Kleidern stehen sie in der kalten Herbstnacht, bis alle hündisch frieren, die Kälte ihre geschwächten Körper wie dünnes Pappellaub erzittern läßt. Dann nimmt man ihnen erst einmal alle metallischen Gegenstände ab, Taschenmesser, Aluminiumseifenkapseln, Feuerzeuge, nicht einmal die Schlüsselbunde läßt man in den Taschen. Allmählich sammelt sich auch die Bedeckungsmannschaft, es sind zwei Kompanien Junaki, Jugendliche aus vormilitärischen Organisationen, einer ähnlichen Formation wie die Strelzi, diese zweihundert führt ein Kapitän der Armee, dem aber noch mehrere Unteroffiziere beigegeben sind. Kurz vor dem Abmarsch kommen noch einige Polizisten dazu, so daß die Eskorte schließlich zweihundertfünfzig Mann beträgt, das ist beinahe halb soviel wie der Zug selbst, der insgesamt etwa sechshundert Mann zählt. Unter ihnen befinden sich zahlreiche Achtzigjährige, außerdem an sechzig Frauen, eine muß ihr Kind mitnehmen, das kleine Mädchen zählt eben erst vier Jahre.

Fünfzig Mann bilden die Vorhut, dann kommt der Zug selbst. An dessen Seiten gehen zwei Reihen Junaki, alle mit französischen Gewehren ausgerüstet, die scharfen dreikantigen Bajonette aufgepflanzt. Schließlich kommt die Nachhut, dieses Mal fünfzig Mann Soldaten. Die meisten Gefangenen können den Augenblick kaum erwarten, in dem es endlich vorwärts geht, hoffen auf eine kleine Erwärmung ihrer schlotternden Leiber. Ein paar Naive rechnen schon mit einer Einwaggonierung, als die Spitze die Richtung zum Hauptbahnhof nimmt, aber es geht an ihm vorbei in Richtung Alexandrowo. Auch dieser Zug muß durch ein Spalier von gehässigem Pöbel, solange er die Straßen der Stadt durchzieht, einige der durch die Hitze Geschwächten fallen ihm schon hier zum Opfer. Im übrigen ist das Sprechen strengstens untersagt, ebenso auch jedes Umsehen, beides wird sofort mit Kolbenschlägen geahndet. Wer vor Erschöpfung niederfällt, dem kann niemand helfen, denn auch jedes Helfen ist streng verboten.

Außerhalb der Stadt wird es für den Zug wesentlich besser, aber dafür setzen die Quälereien der Junaki erst richtig ein. Besonders die Alten werden immer wieder vorwärts gestoßen, aber auch den Kranken geht es so, in diesen jungen Menschen scheint wirklich kein Herz zu schlagen. Und sehen nicht gerade diese Armen mit ihren zerschlagenen Gesichtern so aus, daß man meinen könnte, jeder schon erhobene Arm müßte bei ihrem Anblick kraftlos niedersinken? Ein siebzehnjähriger Junak, im blauen Overall des Monteurlehrlings, hat sich eine halb ohnmächtige Frau vorgenommen, er geht während der letzten zehn Kilometer nicht von ihrer Seite, treibt das vor Erschöpfung fast zusammenbrechende Mütterchen die ganze Strecke vor sich her, gibt ihr immer aufs neue ungezählte kleine Bajonettstiche. Und die deutschen Männer müssen das sehen, müssen es auf dem ganzen Wege sehen - können aber nicht einmal eine Hand erheben, weil jede Bewegung einem Selbstmord gleichbedeutend wäre. Oh, warum öffnet sich in solchen Augenblicken, in denen der Mensch nichts mehr zu tun vermag, mit einem ungeheuren Schlage nicht der Himmel, solch einen Schänder der Natur mit seinem Blitze in den Sand zu strecken? Denn dieses hier ging wider die Natur, so sollte sie auch selbst dagegen aufstehen...

AlexandrowoAuch sie marschieren die ganze Nacht hindurch, treffen erst gegen Morgen in Alexandrowo ein. In der Stadt erwartet sie bereits in schwarzen Massen der Pöbel, schlägt wiederum mit allen erdenklichen Gegenständen auf sie ein. In der Nähe des Bahnhofs, ziemlich weit von der Stadt, steht ein riesiger Zollschuppen, einst als Tabakslagerhalle benutzt, in diesen jagt man sie hinein. Die große hölzerne Halle ist ohne jedes Stroh, so wirft sich alles auf den nackten Boden, bis zum Abend können sie sich hier ausruhen. Ein paarmal finden Fliegerangriffe auf den nahen Bahnhof statt, der Druck der berstenden Bomben ist bis in die Halle fühlbar, das Schmettern der Explosionen dröhnt allen noch lange in den Ohren. Die den einzelnen noch verbliebenen Eßvorräte werden musterhaft verteilt, noch einmal zeigen die volksdeutschen Führer hier ihre vorbildlichen Charaktere. Es gelingt ihnen im Laufe des Tages sogar, vom Kapitän zu erreichen, daß für die Kranken Wagen beschafft werden.

In der Dämmerung kommt der Befehl zum Antreten, sie stellen sich im Viererreihen im Schuppen selber auf. Während sie noch auf den Abmarsch warten, stöhnt plötzlich ein alter Mann, daß er auch nicht mehr gehen könne. Dies wird dem weiter vorne stehenden Lengner sofort durchgegeben, dieser flüstert über Kittler dem Arzt Dr. Bräunert zurück, daß er sich auch zu dem Wagen mit den Kranken begeben könne. In diesem Augenblick springt in der Nähe ein Mann aus dem Zuge, verlangt sofort den polnischen Kapitän zu sprechen, da er soeben eine gefährliche Verschwörung mit angehört habe. Es ist anscheinend einer von jenen Polen, die man als Spitzel unter jeden Zug gemischt. Der Kapitän erscheint, hört sich das finster an. "Wer hat geflüstert?" fragt er dann.

Der Spitzel drückt sich durch die Reihen, weist zuerst auf Lengner, dann auf Kittler, dann auf Bräunert, zuletzt auf einen vierten namens Oliva.

"Ihr habt wohl einen Fluchtplan gemacht, wolltet wohl alle miteinander ausreißen!" sagt der Kapitän zynisch.

Lengner erklärt ihm der Wahrheit gemäß, was sie miteinander gesprochen haben, geflüstert hätten sie nur deswegen, weil das Sprechen ja an sich verboten sei.

"Wenn es verboten ist, warum tut ihr's dann?" ruft der Kommandant.

"Es handelte sich um einen Sterbenskranken, Herr Kapitän!" sagt Kittler mit ruhiger Stimme. Er ist erst vierunddreißig Jahre alt, seine Gestalt ist auffallend schlank gewachsen, sein Gesicht hat starke Backenknochen, dabei einen Ausdruck hoher Intelligenz.

"Kümmert euch nur um euch selbst, werdet auch bald sterbenskrank sein!" knurrt der Kommandant höhnisch. Dann wendet er sich um, schreit, sich fast überschlagend: "Hinaus mit diesen vier hundsblütigen Hitlerowkis!"

Ein Dutzend Junaki umringt sie, treibt sie mit Schlägen hinaus. Im Gehen grüßt Lengner noch einmal seine Getreuen, blickt Kittler den Seinen noch einmal in die Augen - zur Strafe dafür fallen sie sofort über ihn her, schlagen sie mit den Brownings ins Gesicht. Als letzten Anblick sieht der Zug von seinen Führern nur Gesichter, die sich stoßweise mit Blut bedecken, aber ihre Köpfe bleiben stolz zurückgeworfen, ihre Nacken beugen sich auch unter diesen Schlägen nicht...

Gleich nach der Abführung dieser vier wird auch der Zug in Marsch gesetzt, jagt man ihn im Laufschritt eine Anhöhe hinauf, auf dieser Höhe wird er zu allem noch von berittener Polizei in Empfang genommen. Einigen aber gelingt während dieses Laufes doch ein rasches Zurückblicken, sie sehen die vier gerade noch mit erhobenen Händen außen an der Schuppenmauer stehen, ein paar aber hören zudem, wie ein Polizist gerade schäumend auf einen einschreit, daß er gefälligst auch die Hände hochnehmen solle. Auch die Antwort hört er noch, diese erschütternde Antwort: "Wie soll ich die Hände hochnehmen, nachdem ihr mir die Gelenke zerbrochen..."

Das ist das letzte, was man von den volksdeutschen Führern weiß. Nachdem keinerlei Schüsse fielen, muß man sie mit Bajonetten umgebracht haben. So zieht der Leidenszug in tiefem Schweigen weiter, aller seiner ermutigenden Führer beraubt. An ihre Stelle tritt jetzt der bekannte Pfarrer Dietrich, setzt sich gleich ihnen mit einer Selbstverleugnung ein, die ihm bald die Bewunderung aller Leidensgenossen einbringt. Der Zug ist jetzt fast völlig gemischt, nach ein paar Gliedern Männer kommen wieder Frauen, das aber bringt für diese nur den Nachteil, daß man sie ebenso gemein wie die Männer behandelt, was bei geschlossenen Frauentrupps nicht der Fall war.

Nach einer Stunde Marsch fallen bei der Vorhut plötzlich Schüsse - ist sie wider alles Erwarten doch auf deutsche Truppen gestoßen? Die ganze Eskorte scheint das im ersten Augenblick zu meinen, wie eine Art Wahnsinn bricht bei allen eine panische Raserei aus. "Hände hoch, ihr Schweine!" brüllen sie. "Niederwerfen, ihr Hurensöhne!" brüllen andere. "Wir werden euch schon Befreiung geben - erschossen werdet ihr jetzt alle!" brüllen die übrigen.

Der ganze Zug wirft sich sofort in den Staub, aber auch das vermag die Wachen nicht zu beruhigen. Sie halten ihre Gewehre wohlgezielt in die dunkle Masse auf dem Boden, schießen einige Minuten lang mit wildem Schnellfeuer in sie hinein. Ein fürchterliches Schreien erhebt sich aus den Liegenden, viele sind tödlich getroffen, andere schlagen mit schrecklichen Verwundungen um sich. "Wer den Kopf noch heben kann, soll ihn sofort heben!" schreit eine schrille Stimme, wiederholt den Ruf ein dutzendmal. Ein paar Frauen befolgen ihn willenlos, wieder fällt eine Reihe Schüsse, reißt sie erneut in den Staub hinab...

Endlich legt sich das Schießen, wird es auch bei der Vorhut wieder still. Es waren keine Deutschen, es war nur eine Angstpanik. "Auf!" heißt es wieder. "Die Reihen schließen!" Was sich noch erheben kann, rafft sich aus dem Staub empor, einige stehen in den Blutlachen Erschossener, andere kommen nur bis auf die Knie. Eine junge Frau steht ebenfalls auf, knickt aber gleich wieder zusammen, ein Schuß hat ihr den Knöchel zerschmettert. "Ach, schießt mich doch tot..." schreit sie schließlich auf.

"Halt das Maul, Hure!" brüllt ein Junak.

"Schießt mich doch tot, bitte, bitte, bitte, schießt mich doch tot!" fleht sie von neuem.

"Gib ihr doch eins, wenn sie schon will!" schreit ein anderer Junak.

"Ich schieße nicht auf Frauen!" sagt der erste mit stolzer Gebärde. Oh, er ist doch ein Pole, zu den Frauen stets ritterlich...

"Wenn du noch so dumm bist", sagt der andere kalt, "sind sie nicht auch Hitlerowkis?" Und tritt eilfertig auf sie zu, drückt ihr das Gewehr auf die rechte Brust, zieht mit einer höhnischen Lache ab...

Allmählich formieren sich die Glieder wieder, man tritt über die Toten hinweg, geht um die Sterbenden herum, in jedem Glied fehlt fast ein Kamerad, wieder finden sich ganz neue in den Reihen zusammen, in manchen Männerreihen gehen jetzt schon einzelne Frauen. Trotz dieser fürchterlichen Marschpause halten sie sich nicht schlechter, nur einzelne hört man zuweilen leise vor sich hin schluchzen...

Kaum hat der Schluß des Zuges die letzten Gefallenen hinter sich gelassen, als über ihnen ein fürchterliches Morden anhebt - jeder einzelne der Liegenden wird sorglich abgehorcht, im Falle irgendwelcher Atemgeräusche mit Dutzenden von Bajonettstichen umgebracht. Lange hören die Letzten des Zuges noch Todesschreie hinter sich, erst ganz allmählich legt sich die Stille der erbarmenden Nacht auch über jene schauerliche Stätte...

Der Marsch an sich wird jedoch immer härter. Hat die Junaki der Blutgeruch so aufgepeitscht, daß sie nach immer neuen Martern sinnen? Nach kurzer Zeit kommt der Befehl, daß alles Gepäck wegzuwerfen, einfach in die Gräben zu werfen ist, wohlgemerkt ohne den kleinsten Aufenthalt. Da man niemandem Zeit läßt, auch nur das Geringste vorher herauszunehmen, gehen damit auch die letzten Schätze verloren, die letzten kleinen Reste steinharten Brotes, die letzten sorglich aufbewahrten Zigaretten.

"Auch die Handtaschen weg, ihr verfluchten Huren!" schreien die Junaki den Frauen zu. Da wendet Pfarrer Dietrich sich an den Kommandanten, macht ihn auf das Sinnlose dieser Forderung aufmerksam, erreicht auch tatsächlich die Zurücknahme dieses Befehls. Kaum hat ein junges Mädchen das vernommen, das ein Junak gerade durch einen leichten Bajonettstich zwang, auch ihr kleines Handtäschchen fortzuwerfen, als es mit damenhaft gehobenem Kopf zu ihm zurückgeht. "Heb mir die Handtasche auf!" sagt sie kalt.

"Bist du verrückt?" Der Junak ist starr.

"Du sollst mir die Handtasche wieder aufheben, hast du nicht verstanden, weißt wohl nicht, was sich einer Dame gegenüber geziemt?" wiederholt sie unnahbar.

Eine Weile sieht ihr der Junge noch fassungslos in die Augen, dann beugt er sich dem hellen Mädchenblick, bückt sich willenlos zur Tasche hinab.

"Das ist Polen!" denkt Dr. Raapke, der daneben steht. "Welch ein Land - was für Menschen..."

Nach einer Weile ruhigen Marschierens kommt ein neuer Befehl: Alles hat ganz dicht aufzuschließen! Gleichzeitig treibt man den Zug von hinten so stark an, daß jeder dem Vorhergehenden unablässig auf die Hacken treten muß. Viele tragen während dieser Zeit tiefe Wunden an den Fersen davon, vielen werden nach kurzem beide Schuhe heruntergetreten. "Vielleicht haben sie sich das nur ausgedacht, um beim Schlußtrupp alle Schuhe einsammeln zu können, genau wie beim Fortwerfen des ganzen Gepäcks. Ist diesen Lümmeln nicht alles zuzutrauen, selbst das für normale Menschen Absurdeste?" denkt Dr. Raapke.

Er geht in einer Reihe mit vier breiten Männern, vor ihm jedoch gehen vier junge Mädchen, die sich zudem noch alle eingehakt haben, um sich gegenseitig besser stützen zu können. Da diese Männerreihe nun viel breiter ist als jene, erregt das der Seitenwachen dauernde Verärgerung. "Auf Vordermann ausrichten!" schreien die einen unablässig, stoßen sie von rechts mit Kolben. "Genau hintereinander gehen!" schreien die anderen unablässig, stoßen sie in gleicher Weise von links. Endlich erkennen die jungen Mädchen, daß sie die Männer hinter sich nur von den dauernden Schlägen bewahren können, indem sie ihre eingehaltenen Arme wieder voneinander lösen, mit gleichem Abstand in gleicher Breite vor ihnen her marschieren. Unter diesen Mädchen geht ein Fräulein Buller, eine Sekretärin vom deutschen Konsulat, ein Mädchen von auffälliger Zartheit, das sich aber gerade vorbildlich hält.

Kaum haben die Gefangenen sich auf diese Schikane eingestellt, kommt schon wieder etwas, schreien die Junaki plötzlich wie auf Kommando: "Das Auf-den-Boden-Niederwerfen klappt noch nicht, sollen uns um euretwillen vielleicht ein paar Bomben erschlagen? Also jetzt mal niederwerfen, auf das Kommando wie ein Mann..." Und jeder dieser Jungen schreit, wann es ihm gerade einfällt: "Nieder..." So sind denn immer ein paar Reihen auf der Erde, machen sie die Manöver nicht rasch genug, müssen sie's ein dutzendmal nacheinander machen, führen sie es aber mit exakter Plötzlichkeit zur Befriedigung der Wächter aus, fällt die folgende Reihe durch den unerwarteten Halt meist völlig über sie.

"Hahahaha!" lachen die Junaki dann, schlagen sich auf die Schenkel, brüllen aus vollem Halse: "Seht ihr sie purzeln, diese feinen Hitlerowkis, wie die Kaninchen fallen sie übereinander..."

Als letzte Quälerei dieser Etappe kommt der Befehl, alle Hände auf den Rücken zu nehmen. So marschieren sie die letzten Kilometer mit scharf durchgedrückten Rücken, was schon nach kurzer Zeit so schmerzvoll wird, daß nicht nur die Frauen bei jedem Schritt unterdrückt vor sich hinstöhnen. Ein alter Mann verliert durch diese Art des Gehenmüssens die letzte Kraft, taumelt in einem Schwächeanfall vor einen entgegenkommenden Lastwagen, so daß dieser knirschend über seinen ganzen Leib hinweggeht...

Im Morgengrauen erblicken sie endlich einen großen Gutshof, der zwar voller Soldaten steckt, aber neben den Ställen auch eine ganze Anzahl Scheunen hat. Das war der Gutshof Jarantonice, des zweiten Tages ersehntes Ziel - als Pfarrer Dietrich sie aber zählen läßt, waren es fünfzig weniger als am Abend.

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