GEWINNER UND VERLIERER

Tief im Westen, wo Deutschland versinkt

von Lu Yen Roloff (Spiegel Online, 13.11.2008)

Die einen kommen, die anderen müssen gehen: Für ihre Doku "Losers and Winners [Gewinner und Verlierer]" filmten zwei Autoren die Demontage einer Dortmunder Kokerei durch chinesische Arbeiter - eine mikroskopisch genaue Studie über den Abbruch West im Zeitalter der Globalisierung.

Chinesische Schriftzeichen prangen auf den Stahlträgern und Türen eines gigantischen Industriekolosses in Dortmund: Kokerei Kaiserstuhl. Auf dem Gelände des stillgelegten Kohlebetriebs wird im Frühjahr 2003 das Containerdorf einer Demontage-Firma aus China aufgebaut. Sie hat das gesamte Gebäude gekauft, um es in China wieder aufzubauen - und nach den Bauplänen mehrfach zu kopieren.

"Die", sagt Rainer Kruska, ein altgedienter Mitarbeiter der Kokerei, sind "wie Ameisen" - "es werden immer mehr". Elektriker Kruska ist einer von 30 Kollegen, die von der ursprünglich 800 Mann starken Belegschaft übergeblieben ist.

Er hat kein anderes Wort für die 400 angereisten Chinesen als "die" oder "sie". Es ist die Sprachlosigkeit angesichts eines historischen Wandels, der für die Deutschen das Ende des Industriezeitalters bedeutet: Obwohl erst acht Jahre zuvor für 1,3 Milliarden Euro errichtet, wird die Kokerei Kaiserstuhl zum Symbol für den Abbruch West. Und für Kruska bleibt nach 38 Jahren Berufstätigkeit bei der Deutschen Ruhrkohle nur noch eine kurze Gnadenfrist als "Stillstandsverwalter".

Die Dokumentarfilmer Ulrike Franke und Michael Loeken haben die symbolische Demontage über einen Zeitraum von 1,5 Jahren begeitet, ihr mehrfach ausgezeichnetes Werk wird heute abend auf arte ausgestrahlt.

Eingefangen haben sie das Aufeinanderprallen von zwei Welten: Auf der einen Seite das eingefleischte Arbeitermilieu der Kokerei mit Namensschildern über den Garderobenhaken und jahrzehntelang gepflegten Pausenritualen.

Auf der anderen Seite die chinesischen Arbeiter, die mangels Geld für eineinhalb Jahre in ein Containerdorf samt Großküche und chinesischem Satellitenanschluss eingepfercht werden.

Trotz täglichen Kontakts bleiben sich diese Welten fremd: Trotzig klammert sich die deutsche Belegschaft an Schweißverordnungen und Sicherheitsbestimmungen, um ihren Überlegenheitsanspruch zu zementieren; schließlich machen "die" alles falsch, legen sich selbst Elektroleitungen durch den Raum, basteln Leitern mit Draht zusammen, schweißen ohne Schweißgenehmigung.

Massiver Zeit- und Leistungsdruck

Die Chinesen wiederum reagieren unwillig auf die Bevormundung durch die lao wei ("alten Ausländer"). Aus Stolz - vertreten sie doch ein Land, das gerade den ersten bemannten Weltraumflug hinter sich hat, in dem die Wolkenkratzer aus dem Boden schießen und der Staat seine Bürger mit Propagandaparolen auf Wachstum einschwört.

Sie alle tragen die Hoffnung in sich, dass durch die zweistelligen Wachstumsraten ihres Landes eine glorreiche Zukunft auf ihre Kinder wartet. Gleichzeitig stehen sie unter massivem Zeit- und Leistungsdruck: Mit ihrer 60-Stunden-Woche und einem Monatslohn von 400 Euro sind sie so unterprivilegiert wie viele migrantische Arbeiter, die auf deutschen Baustellen schuften. Und während die Deutschen schon um halb zehn zur Frühstückspause zusammenrücken, wird den Chinesen vom Parteisekretär für jede Viertelstunde Pause ein Achtel Monatslohn abgezogen.

Mit ruhigen Einstellungen verfolgt die Kamera von Loeken und Franke, wie die riesige Kokerei Stück für Stück zerlegt wird. Und so wie die Chinesen Wände und Stahlrohre zersägen, verlieren die Deutschen, je näher das Ende der Demontage rückt, an Selbstbewusstsein.

Währenddessen fährt Projektleiter Mo Lishi in den Arbeitspausen zur Mercedes-Filiale, um dort ehrfürchtig über den glänzenden Lack seines Traumautos zu streichen. In seinem Büro hat er ein Werbeplakat des Autoherstellers mit einem selbstgeschrieben Gedicht aufgehängt: Über die einen, die gehen müssen. Und die anderen, denen die Zukunft gehört.


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