Platz 68: Friedrich von Schiller. So lautete das
Ergebnis einer Umfrage des ZDF im November 2003, in der Deutschland aufgerufen
war, "unsere Besten" zu benennen.
"Denn er war unser" hatte Goethe
(Platz 7) bereits 1805 der Nation zu treuer Beherzigung ins Stammbuch
geschrieben. Mit dem Tod der letzten Zeitgenossen um die Mitte des 19.
Jahrhunderts endete dieses natürliche Verhältnis. Seither sind wir
aufgefordert, unser Verhältnis zu Schiller stets neu zu bedenken.
Vor 200 Jahren, am 9. Mai 1805, starb Friedrich Schiller in Weimar. 46 Jahre
zuvor, am 10. November 1759, war er in der kleinen württembergischen Amtsstadt
Marbach am Neckar zur Welt gekommen. So bescheiden die Herkunft - seine Mutter
war die Tochter eines Bäckers und sein Vater ein gelernter Wundarzt -, so hoch
führte den Sohn seine Karriere als Dramatiker, Lyriker und Epiker, als
Mediziner, Historiker und Philosoph. Für sein Verdienst um die deutsche
Sprache wurde er vom Kaiser in den Adelsstand erhoben. Den Lorbeer des
Dichterfürsten hat er sich selbst aufgesetzt und vom Publikum aufsetzen
lassen. Und als Klassiker fand er Aufnahme im Olymp.
Wie kaum einen
anderen deutschen Dichter verstellen langlebige Vorstellungen und Vorurteile
den freien Blick auf Schiller: der arme, ewig leidende, über allem schwebende,
mit geflügelten Worten hantierende, lebensabgewandte, stets mit sich und der
Sprache ringende idealische Freiheitsdichter, der Dichter der "Räuber", des
heroischen Volksstücks "Wilhelm Tell" oder der zum Leittext deutschen
Biedersinns erkorenen "Glocke". Nicht zu vergessen Schiller als den
Goethefreund! Man verzichtet gern auf eine eingehendere Beschäftigung mit der
"Sensation in Marmor", mit dem Klassiker Schiller: ehren ja, lesen nein.
1859, 1905, 1955, 1959 - allesamt Schillerjahre, die mit großem Aufwand gefeiert wurden.
[Auffällig, daß M.S. hier das Jahr 1934 "schlabbert", auf das fast alle
anderen Autoren derart fixiert sind; er bildet damit eine einzigartige Ausnahme, Anm.
Dikigoros.] Urbild dieser Gedenkjahre ist das Schiller-Jubiläum
1859, der national und international mit 'zigtausenden Veranstaltungen
gefeierte 100. Geburtstag. Man schuf sich einen Schiller, der als
Volksschiller, Nationaldichter und geistiger Führer zu einem
Kristallisationspunkt von Vorstellungen und Bedürfnissen der eigenen Zeit
wurde. Keine Epoche der deutschen Geschichte nach 1805 kam ohne 'ihren'
Schiller aus.
Heute ist der Schillerkult unserer Voreltern und Eltern
Vergangenheit. Das erzene Kolossalbild stürzte in den Kämpfen des 20.
Jahrhunderts, indem es zur Munition gegen alle erdenklichen Feinde
umgeschmolzen wurde. Das Postulat der geistigen Führerschaft Schillers wurde
abgestoßen, die anbetende Menge wandte sich an-deren Göttern zu. [Na klar:
Michael Jackson, Albern Einstein, Britney Spears und Daniel Kübeldreck -
die sind ja auch viel besser, Anm. Dikigoros.] Und der
einstmals schmückende Titel 'Nationaldichter' erweist sich bis heute für den
Träger als Kainsmal. Geblieben sind kleine, handliche Klischees und eine weit
verbreitete, oft abfällig vorgetragene Geringschätzung seiner Dichtung. Wer
weiß, ob Schiller nicht ganz vergessen wäre, hätten nicht Schulen und Theater
für seine fortdauernde Präsenz gesorgt.
Unter diesen Vorzeichen steht
das Schillerjahr 2005. Kaum wird es den gestürzten Dichterfürsten wieder an
alter Stelle inthronisieren können oder wollen. Stattdessen will es mit den
Erfahrungen und der heutigen Distanz ein neues, gerechteres und
unaufgeregteres Verhältnis zu Schiller suchen und begründen. Es geht darum,
das Werk in seiner Vielfalt wieder bewusst zu machen: Allein seine Sprache
lohnt der Wiederentdeckung! Es geht um eine Erneuerung der Auseinandersetzung
mit dem Dichter, um seine heutige Rolle und Bedeutung für
Schriftsteller.
Es geht aber auch um ganz einfache Fragen, die im
Schillerjahr wieder einmal gestellt werden sollen: Wer war Friedrich Schiller?
Was kann man eigentlich über sein Leben sagen? Das ehemals nur angestaunte
Monument wird sich als Mensch Friedrich Schiller entpuppen, dessen Denken und
Handeln zu faszinieren und zum Nachdenken anzuregen vermag. Die Frage nach der
Person Friedrich Schiller, nach seinem Werk und unserem Verhältnis zu beidem
prägt das Gedenken im Schillerjahr 2005 in vielfältiger Form. Ausstellungen,
Lesungen, Vorträge, Theateraufführungen, künstlerische Beiträge und viele
weitere Veranstaltungen öffnen den Kreis der Fragenden für
jedermann.
Schiller wusste, dass "die Mode und das Glück" noch 100-200
Jahren später stets neu über die Lektüre seiner Werke entscheiden würden.
Gedenkjahre sind Mode, gepaart mit diesem Glück. Denn über den Wert für den
Lesenden hatte Schiller 1795 keinen Zweifel: Werke, "in denen sich ein
Individuum lebend abdrückt", könnten, so schrieb er, "nie entbehrlich werden".
Behält er recht, werden wir auch in Zukunft Friedrich Schiller zu "unseren
Besten" zählen, und vielleicht nicht nur auf Platz 68.
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