Fünf Jahre "neues Südafrika"

von WALTER KREUL

Links: Nikolas Dikigoros

Unter Nelson Mandela, der jetzt nach fünf Jahren Präsidentschaft die Macht an Thabo Mbeki abgab, floß mehr Blut als in der Zeit der weißen Herrschaft: Zur Bilanz der ANC-Regierung zählen 125.000 Morde und mehr als eine Million Vergewaltigungen - Der umgedrehte Rassismus und Formen der Kriminalität, die sich gegen Weiße richten: Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht eine weiße Farmerfamilie ausgelöscht wird - Die »stille Revolution« hatte lange vor 1994 begonnen - Heute zehrt das Land von der wirtschaftlichen Substanz, die von den Weißen geschaffen wurde - Neue Apartheid und unchristliche Kirchen

Ein »afrikanisches Jahrhundert« prophezeite Südafrikas neuer Präsident Thabo Mbeki, als er im Juni 1999 das Amt von Nelson Mandela übernahm. Fünf Jahre nach der Machtübernahme durch den Afrikanischen Nationalkongreß (ANC) in Pretoria ist wohl endgültig jene Schonfrist abgelaufen, während der es verpönt war - unsere selbsternannten Zeitgeistkontrolleure lassen grüßen -, sich kritisch mit dessen Regierungsarbeit und den Folgen für das Land auseinanderzusetzen.

In Südafrika wurden in diesen fünf Jahren unter der ersten ANC-Regierung rund 125.000 Menschen ermordet. Die Behörden haben ausgerechnet, daß in Südafrika alle zwei Minuten eine Frau vergewaltigt wird es gibt über 250.000 bei der Polizei angezeigte Vergewaltigungen pro Jahr. Man muß sich dabei auch vor Augen halten, daß Südafrika mit vier Millionen HIV-infizierten Menschen führend in der Verbreitung von AIDS ist. Gewaltverbrechen sind so zur Norm geworden, daß nur noch über die sensationellsten Fälle berichtet wird. Vertrauen in die Polizei, die wegen ihrer schlechten Bezahlung von illegalen Nebeneinkünften abhängig ist, hat weder die schwarze noch die weiße Bevölkerung.

Dabei wurde kaum je eine Regierung mit soviel Sympathie aufgenommen, mit einem solchen Übermaß an Vorschußlorbeeren bedacht und von derart großem Wohlwollen getragen wie die des ANC seit dem politischen Umbruch vom April 1994 in Südafrika. Medien, Kirchenleute, Gewerkschafter sowie Politiker aller Couleur überschlugen sich regelrecht vor Begeisterung über das »neue Südafrika«, das im Entstehen begriffen war, über die »Regenbogennation«! ja gar über die »Zeitenwende« am Kap, die es zu feiern galt. Wer nicht der universellen Euphorie anheimfiel und sich einen halbwegs realistischen Blick für die Zukunft des Landes bewahren wollte, wurde schlichtweg als Ewiggestriger, als unverbesserlicher Kolonialist oder im günstigsten Falle als zu schwarzsehender Skeptiker abgetan. Denn hatte sich nicht nach den bösen Zeiten der Apartheid endlich das Gute seinen Weg gebahnt? Und natürlich wollte jeder (nachträglich) am erfolgreichen Kampf gegen dieses Böse beteiligt gewesen sein.

Daß dabei viel Selbstgerechtigkeit und moralische Schaumschlägerei und weniger das Verlangen nach echter Hilfe für das Land im Spiel waren, wurde an manchen der sogenannten Anti-Apartheid-Bewegungen offenkundig. Man bekam bei deren Auftritten häufig das Gefühl, daß es den Protagonisten weniger um Freiheit und Menschenrechte, sondern vielmehr um die Zurschaustellung der vermeintlichen eigenen sittlichen Überlegenheit ging. Ein paar publikumswirksame Aktionen und Solidaritätsbekundungen, abgestellt auf den jeweils gängigen Sündenbock des »Weltgewissens«, genügen aber bei weitem nicht, um wünschenswerte demokratische Verhältnisse zu erreichen.

Oft waren die moralisch verbrämten Forderungen nach Sanktionen gegen Südafrika von purem wirtschaftlichen Eigennutz getragen. So taten sich Neuseeland und Australien, die ihre Rassenprobleme vor langer Zeit dadurch »gelöst« hatten, daß Sie fast sämtliche Ureinwohner ihrer Länder umbrachten, als besonders eifrige Verfechter von Einfuhrboykotten gegen Obst und sonstige landwirtschaftliche Produkte aus der Kap-Republik hervor. Ließen sich doch dadurch die eigenen Orangen und Weintrauben leichter auf dem Weltmarkt verkaufen!

Wie heftig Südafrika von schwarzafrikanischen Regierungen auch immer angegriffen wurde, so hatte dies keineswegs zur Folge, daß deren Beziehungen zu diesem vorgeblich so verhaßten Staat eingeschränkt oder gar abgebrochen worden wären. Ihre Anti-Apartheid-Aktionen und Sanktionsforderungen bezweckten vielmehr in erster Linie, von der Mißwirtschaft und den Menschenrechtsverletzungen in den eigenen Ländern abzulenken. Nicht zuletzt pflegten schwarz-afrikanische Minister und sonstige Notabeln in Südafrika einzukaufen, mit ihren Familien Ferien zu machen und sich medizinisch behandeln zu lassen (1). Zudem strömten Abertausende von Menschen aus den umliegenden Regionen in das als rassistisch verdammte Südafrika, um dort Arbeit und Brot zu finden, die ihnen ihre Heimatländer nicht geben konnten.

Aus Zambia beispielsweise setzten sich reihenweise schwarze Ärzte in Richtung Kap-Republik ab, wo ihnen bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne als zu Hause geboten wurden. Eine der wenigen Ausnahmen vom generellen Heuchlertum stellte das kleine südost-afrikanische Malawi unter dem Präsidenten Hastings Banda dar, das offen zu seinen engen Kontakten mit Südafrika stand. Daß Banda und sein Land deswegen mit Schmähungen fast der gesamten Weltpresse überzogen wurden, ist Teil der Geschichte.

Mittlerweile beginnt es manchem allmählich zu dämmern, daß unter den früheren Regierungen vielleicht doch nicht durchweg alles schlecht war. Aber man ist immer noch meilenweit davon entfernt, die weißen Bewohner Südafrikas auch nur annähernd gerecht zu beurteilen: Während die Zustimmung für den ANC und dem, was er tut (einschließlich dessen, was er nicht tut), nach wie vor hoch ist, wird das, was von den südafrikanischen Weißen in vielen Generationen geleistet und aufgebaut wurde, als das schlimme, verachtenswerte Erbe der Apartheid generell verteufelt (mithin Schwarzweißmalerei in des Wortes doppelter Bedeutung betrieben).

Wenn es aber fünf Jahre nach dem Machtantritt des ANC um die Wirtschaft des Landes nicht allzu schlecht bestellt ist, dann muß das beinahe ausschließlich auf die positive Hinterlassenschaft der früheren weißen Regierungen sowie auf die fortdauernde Dominanz der Weißen in Industrie und Handel zurückgeführt werden. Letzterer Umstand wird zwar vom ANC - zumal von Nelson Mandela und Thabo Mbeki - wortreich beklagt, aber in Wirklichkeit profitiert man davon.

Der Wandel am Kap begann lange vor der Machtübernahme durch den ANC

Der Wandel in Südafrika kam nicht über Nacht und fing nicht erst mit Mandela und seinem ANC an. Die Abschaffung des Apartheid-Systems, das auf gesetzlicher Grundlage versucht hatte, Afrikaner, Asiaten, Farbige (Mischlinge) und Weiße räumlich, wirtschaftlich, sozial und politisch auf Dauer voneinander zu trennen, begann spätestens 1970. John Kane-Bermann (2) vom Südafrikanischen Institut für Rassenbeziehungen schreibt hierzu in seinem 1992 erschienen Buch Südafrikas verschwiegener Wandel unter anderem folgendes: » Konferenzen zum Thema Südafrika nach der Apartheid sind an der Tagesordnung. Dabei gibt es dafür kaum Bedarf. Die Zukunft läßt sich schon jetzt erkennen, wenn wir uns nur umsehen. Eine Gesellschaft bildet sich heraus. Südafrikas Post-Apartheid-Ära wird sich nicht erst durch irgendeine zukünftige Regierung und im Rahmen einer neuen Verfassung per Gesetz einführen lassen. Sie entsteht bereits - in Theatern, Hotels und Restaurants, in Eisenbahnzügen, an Stränden und auf Sportplätzen, in Universitäten und Privatschulen, in Geschäften und Büros, in Bergwerken und Fabriken. Bis jetzt sind es weder die Regierung noch deren militante politische Gegner, die die Zukunft gestalten, sondern in erster Linie einfache Südafrikaner, Männer wie Frauen«.

Es ist somit ein Mythos, daß der Wandel in Südafrika durch den mannigfaltigen Druck und die Sanktionen der Weltgemeinschaft zustande gekommen sei. An der »stillen Revolution« haben vor allem jene vielen Schwarzen mitgewirkt, die die Zusammenarbeit mit den Weißen suchten. Daß sie dies gegen den erklärten Willen des ANC und seiner militanten Anhängerschaft taten, die das Land bewußt in ein Chaos stürzen wollten, ist ein offenes Geheimnis.

Auch die meisten weißen Apartheid-Gegner waren und sind nicht in der Lage, die Leistungen dieser Menschen anzuerkennen. Dies paßt einfach nicht in ihr Bild vom Schwarzen, den sie sich nur als hilfloses Opfer der Unterdrückung und nicht als Partner der Weißen vorstellen können. Daß es sich bei dieser Einschätzung um eine besonders subtile Spielart von Rassismus handelt, wird übersehen. Oft genug mußten diese Schwarzen ihren guten Willen zur Kooperation mit den Weißen, etwa als Gemeinderäte, Polizisten oder Sportler damit bezahlen, daß sie als »Verräter«, »Kollaborateure« oder »Pseudoweiße« gebrandmarkt wurden, wenn ihnen nicht durch das Abbrennen ihrer Häuser, durch die Entführung von Familienangehörigen oder durch die von der berüchtigten Winnie Mandela propagierten Halskrausenmorde noch schlimmeres widerfuhr. Sie haben jedenfalls wesentlich zur Rassenversöhnung beigetragen und hätten es verdient, in einem höheren Maße am Aufbau des »neuen Südafrika« beteiligt zu sein, als jene damals bequem im Exil lebenden ANC-Kader, die, weltweit hofiert von willfährigen Politikern und Presseleuten, von einer Anti-Rassismus-Party und Anti-Apartheid-Kundgebung zur anderen jagten und jetzt den Kurs eines Landes mitbestimmen, von dessen vielschichtiger Entwicklung in den vergangenen Jahrzehnten sie im Grunde keine Ahnung haben.

Indem sie das zerstörerische Treiben von ANC-Anhängern förderten, haben die westlichen Gesellschaften - vertreten nicht zuletzt durch ihre christlichen Kirchen - Schuld auf sich geladen. Offensichtlich galt für weite Teile der Kirchen ironischerweise der höchst unchristliche ANC-Grundsatz, wonach politische Befreiung vor der Lösung sozialer Probleme zu stehen habe, und nur der ein echter Apartheid-Gegner sein könne, der weniger an Versöhnung als vielmehr an Gewaltausübung interessiert sei. An mindestens drei gewaltanregenden kirchlichen Manifesten wurde diese menschenverachtende Einstellung deutlich: Am »Kairos-Dokument«, das 1985 von etwa 150 Geistlichen und Theologen verschiedener christlicher Konfessionen unterzeichnet wurde; an einer 1987 in Lusaka (Zambia) im Rahmen des Anti-Rassismus-Programms des Weltkirchenrats verabschiedeten Initiative; und an dem Papier »Straße nach Damaskus, Kairos und Bekehrung« aus dem Jahre 1989, für das annähernd 540 Kirchenleute verantwortlich sind. Letztere verstiegen sich zu der Behauptung, daß nur diejenigen wahre Christen sein könnten, die die sogenannte Befreiungstheologie befürworteten.

Im »Kairos-Dokument« von 1985 wurden gemäßigte, mit Weißen zusammenarbeitende Schwarze - ganz im Einklang mit der ANC-Ideologie - als »Kollaborateure« abgestempelt; Steinewerfen, Abbrennen von Autos und Gebäuden, ja sogar das Töten dieser »Kollaborateure« wurde ausdrücklich nicht als Gewalt eingestuft. Im Gegenteil, unchristlich war es demnach, sich für Versöhnung und Frieden einzusetzen, bevor nicht die durch die weiße Regierung Südafrikas hervorgerufenen Ungerechtigkeiten aus dem Weg geräumt worden seien.

Alte Ungerechtigkeiten werden durch neue ersetzt

Nun ist seit Frühjahr 1994 die politische Gleichstellung der Menschen in Südafrika erreicht, die vollmundig angekündigten Versprechen der Weltgemeinschaft - insbesondere der Kirchen - nach Beendigung der Apartheid bei der Lösung der drängenden sozialen Probleme des Landes zu helfen, werden jedoch kaum eingelöst. Ein besonders beschämendes Beispiel ieferte hier die Projektgruppe Südafrika der Evangelischen Frauenarbeit in Deutschland. Diese vertrat zwar aggressiv den Boykott von südafrikanischem Obst, Gemüse und Wein - der nachgewiesenermaßen vor allem den armen Landarbeitern unter der farbigen Bevölkerung in der westlichen Kap-Provinz schadete -, wollte aber dann nichts mehr von Südafrika wissen; sie löste sich Ende 1992 einfach auf, als abzusehen war, daß sich die Weißen mit den Schwarzen auf einer Verhandlungsbasis einigen würden (3), obwohl doch die eigentliche Arbeit erst nach dieser Übereinkunft beginnen konnte.

Im Einvernehmen zwischen großen Teilen der Weltöffentlichkeit und dem ANC werden die Weißen, selbst jetzt noch - also nach fünf Jahren schwarzer Regierung - für so ziemlich alles verantwortlich gemacht, was den neuen Herrschenden mißlingt. Es wird nicht gebührend anerkannt, daß der ANC von den Weißen ein geordnetes Staatswesen übernehmen konnte, dem auf dem gesamten afrikanischen Kontinent bezüglich industrieller Entwicklung, Verkehrsinfrastruktur, Bildungseinrichtungen, Rechts- und Pressewesen, vorhandenen Geld- und Kapitalmitteln und medizinischer Versorgung nichts im entferntesten Vergleichbares gegenübersteht.

Kaum berücksichtigt werden darüber hinaus die verständlichen Ängste der Weißen. Viele von ihnen sehen ihre Lebensgrundlagen in Südafrika gefährdet. Was sie risikobereit mit großem Fleiß und Sachverstand in Jahrzehnten für sich und ihre Nachkommen geschaffen haben, schwindet dahin. Dazu kommen die Ausbrüche krimineller Gewalt, gegen die sich der Staat weitgehend als machtlos erwiesen hat. So vergeht kaum eine Woche, in der nicht eine weiße Farmerfamilie ausgelöscht wird. Die Regelmäßigkeit, mit der das geschieht, läßt fast System vermuten. Schwarze Polizisten zeigen wenig Interesse an der Ermittlung der Täter. Wen wundert es, daß angesichts solcher Verhältnisse die Besorgnisse der Weißen um die Zukunft ihrer Kinder und um den Erhalt ihres Besitzes zunehmen und viele von ihnen das Land verlassen. Gerade sie sind aber für dessen wirtschaftliche und soziale Weiterentwicklung besonders notwendig.

Wenn es zutrifft, daß Gerechtigkeit und Versöhnung Synonyme sind - so Charles Villa-Vicencio (4), Professor für Ethik in Kapstadt -, dann ist es für die Zukunft Südafrikas unerläßlich, daß man den Weißen Gerechtigkeit angedeihen läßt und sich ihrer Aufbauleistung für das Land und seine Bewohner stetig bewußt ist. Denn nur dann kann es zu einem einigermaßen vernünftigen Miteinander der Rassen kommen - und die Weißen könnten zum Bleiben bewogen werden.

Mit neuen Ungerechtigkeiten sind auch die drei Millionen Mischlinge sowie die rund eine Million Asiaten konfrontiert. Wie die Weißen werden sie durch eine nun die Schwarzen begünstigende neue Apartheid ins gesellschaftliche und ökonomische Abseits gedrängt, denn Arbeitsstellen in der öffentlichen Verwaltung oder staatliche Wohnungen stehen fast nur noch für Schwarze, und hier wiederum vorzugsweise für ANC-Mitglieder zur Verfügung. Waren die Mischlinge unter der früheren Regierung nicht weiß genug, so sind sie heutzutage zu wenig schwarz.

Der Unterschied zwischen Schwarzen und Farbigen (Mischlingen), so berichtet Denise Young (5) aus Kapstadt, »tritt spätestens dann zutage, wenn sich unsereins um einen Posten bewirbt. Wir können uns mit dunkelster Hautfarbe und Afrolook vorstellen, an irgendeiner Stelle des Bewerbungsvorganges muß man seinen Namen offenlegen. Wenn man - um eine rein zufällige Auswahl zutreffen - Shabangu, Mlambo, Mabuza oder Ngcuka heißt, wird man in die engere Wahl gezogen. Wenn man zudem noch den Mitgliedsausweis des ANC zücken kann, nun ja, dann steht dem beruflichen Fortkommen nichts mehr im Wege; die erste Stufe zu gravy train ist sozusagen erklommen. Aber heißen Sie mal Young, Fouldien oder Jeffries - alles typische Farbigennamen -, dann werden Sie bald eine distanzierte Kühle bemerken«.

Diese Art von »affirmative action« zugunsten der mit ANC-Mitgliedsausweisen ausgestatteten schwarzen Bevölkerung wird übrigens nicht nur von Staats wegen betrieben. In vorauseilendem Gehorsam gegenüber dem allmächtigen ANC huldigt selbst die Privatwirtschaft zunehmend diesem System.

Die Ungerechtigkeiten und ökonomischen Ungleichheiten wachsen allerdings auch innerhalb des schwarzen Bevölkerungsteils. Während sich für die Mehrheit von ihnen die materiellen Lebensumstände während der vergangenen fünf Jahre in keiner Weise verbessert haben, stieg eine zahlenmäßig kleine schwarze Schicht zu großem Reichtum auf. Nach einer neueren Untersuchung zählen heute sechs Prozent der schwarzen Südafrikaner zu den Reichen des Landes, das heißt sie gehören zu jenem Fünftel der Bevölkerung mit den höchsten Einkommen. 1990 waren es dagegen nur zwei Prozent (6). Solche Ergebnisse vor Augen, lassen bei der arm gebliebenen Masse der Schwarzen verständlicherweise Zweifel am Sinn des politischen Machtwechsels von 1994 aufkommen.

Verblassende »Lichtgestalt« Nelson Mandela

Gegen Nelson Mandela irgend etwas Kritisches vorzubringen, und sei es nur ansatzweise, galt bisher als Sakrileg. Die Medien sowie die internationale Politik waren voll von - an die christliche Liturgie erinnernden - Lobpreisungen über den klugen Einiger Südafrikas, den charismatischen Versöhner der Rassen, den uneigennützigen Retter der Schwarzen, den großmütig Verzeihenden. Gäbe es so etwas wie eine Heiligsprechung zu Lebzeiten durch die versammelte, sonst eher profan gestimmte Weltmeinung, Nelson Mandela hätte diesen Status längst erreicht. Denn in der Tat scheint er über allem und jeden zu schweben, irdischer Kritik schon seit Jahren entzogen. Immer dann freilich, wenn eine Person so penetrant verherrlicht wird, ist Vorsicht geboten. Ist das, was man von ihm kennt beziehungsweise zu kennen vorgibt, der ganze Mandela oder weist er nicht noch völlig andere Seiten auf, über die man nur allzu bereitwillig hinwegsieht?

Mandela erwies sich mit seiner knapp sechsstündigen Abschiedsrede als ANC-Vorsitzender nicht nur als kleinlicher Parteipolitiker, sondern er hat darüber hinaus brutal die »Rassenkarte« gezogen: Die weißen Oppositionsparteien und die weißen Medien des Landes verteufelte er als Feinde Südafrikas und der Demokratie schlechthin. Zu Recht stuft der profunde Südafrika-Kenner Gerd Behrens (7) die Äußerungen Mandelas als ein Manifest des Rassismus und der Intoleranz ein, mit der er den Weißen das Kainsmal auf die Stirn drückt und sie einer konterrevolutionären Verschwörung - von der freilich weit und breit nichts zu sehen ist - bezichtigt. Wenn diese deprimierende Haßtirade das Vermächtnis Mandelas an seinen ANC bedeutet, einer Partei, die Südafrika mit fast zwei Drittel der Wählerstimmen regiert, dann ist es um die Zukunft des Landes düster bestellt.

Der soeben abgetretene erste schwarze Präsident Südafrikas rückt damit in bedenkliche Nähe zu seinen Amtskollegen in Zimbabwe und Namibia, Robert Mugabe und Sam Nujoma, die - je nach Tageslaune und politischem Opportunismus - die weißen Mitbürger ihrer Länder als Leute diskriminieren, die es verdienen, daß man sie erschießt und ihre Kadaver den Hunden und Geiern vorwirft (8) oder sie als »rassistische Eindringlinge« und »weiße Killer-Mafia« (9) verflucht.

Es gab aber nicht nur den verbalen Amokläufer Mandela. Von der Weltöffentlichkeit heruntergespielt oder gar geflissentlich übersehen wurde seine Rolle beim »Shell-Rouse-Massaker« am 28. März 1994 in Johannesburg. 55 gegen den ANC demonstrierende schwarze Anhänger der Inkatha-Freiheitspartei (IFP) wurden dabei getötet - mindestens neun davon mit Schüssen, die aus dem im Shell-House befindlichen Hauptquartier des ANC abgefeuert wurden. Mandela gab dann Monate später vor dem südafrikanischen Parlament unverhohlen zu, hierfür seinen Sicherheitsleuten höchstpersönlich den Schießbefehl erteilt zu haben. Gleichzeitig wies er jegliche Kritik an seinem Handeln zurück.

Hätte der frühere weiße Staatspräsident Frederik Willem de Klerk in einer ähnlichen Situation vor dem Sitz seiner Partei, der Nationalen Partei (NP), ein vergleichbares Blutbad anrichten lassen, die Wogen der Entrüstung wären auf dem ganzen Globus hochgeschlagen. Wenn aber der schwarze Friedensnobelpreisträger Mandela zur angeblichen Verteidigung seiner Parteizentrale Menschen erschießen läßt, kräht kaum ein Hahn danach. Daß die »Maßnahme« zudem völlig überflüssig war, wurde von unabhängigen Beobachtern festgestellt: Zum einen glich das Shell House einer uneinnehmbaren Festung und zum anderen gab es ohnehin keinerlei Anzeichen für einen Angriff auf das Gebäude.

Hinter dem gleichgültigen Verhalten der Weltöffentlichkeit im Falle des »Shell-House-Massakers« steht nichts anderes als blanker Rassismus. Offenbar ist Mord nur dann Mord, wenn er von Weißen begangen wird, bekommen die betroffenen Schwarzen nur dann den Opferstatus zugebilligt, wenn sie von Weißen umgebracht werden. Erleiden sie das gleiche Schicksal durch die Hand ihrer eigenen Leute, so scheint das keine große Meldung wert zu sein, und das sonst hellwache Weltgewissen braucht sich deswegen nicht zu erheben. Eine Tatsache, die in anderen Teilen Afrikas und der Welt gleichfalls registriert werden muß.

Gegenüber dem verblassenden Glanz Mandelas sollte die Rolle seines vormaligen Gegenspielers Frederik Willem de Klerk - und zugleich die aller Weißen Südafrikas - stärker gewürdigt werden. De Klerk war klar, daß er mit der Freilassung Mandelas aus dem Gefängnis und der Forcierung des politischen Wandels am Kap den Boden für eine schwarze Mehrheit im Parlament bereitete und damit seiner eigenen Abwahl als Staatspräsident Vorschub leistete. Dies nahm er bewußt in Kauf und bewies damit, daß er wie kein anderer den Friedensnobelpreis (1993) verdient hat.

Anmerkungen:

1) vgl. Kromka, Franz, und Kreul, Walter, Unternehmen Entwicklungshilfe - Samariterdienst oder die Verwaltung des Elends?, 1993 (2. Auflage), S. 38
2) Kane-Bermann, John, Südafrikas verschwiegener Wandel, 1992, S. 14
3) vgl. Lucius, Robert von, Kann nicht leben und nicht sterben. Die Anti-Apartheid-Bewegung nach dem Ende der Apartheid, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 30.03.1994
4) vgl. Wüstenberg, Ralf K., und Villa-Vicencio, Charles, Wunden der Apartheid, Rheinischer Merkur vom 16.05.1997
5) Young, Denise, Schlecht, wenn einer kein Schwarzer ist, Rheinischer Merkur vom 29.08.1997
6) vgl. South Africa - The end of the miracle?, The Economist vom 13.121997
7) vgl. Behrens, Gerd, Der gute Mensch spielt die Rassenkarte, Süddeutsche Zeitung vom 18.12.1997
8) vgl. Behrens, Gerd, a.a.O.
9) vgl. Behrens Gerd, Ihr werdet in den großen Häusern auf der anderen Seite der Stadt wohnen, Süddeutsche Zeitung vom 1.3.1994.