ES GEHT UM RASSISMUS

Merkwürdig still feiert Amerika den
75. Geburtstag Martin Luther Kings

von Uwe Schmitt (DIE WELT, 16. Januar 2004)

In Amerika werden am 19. Januar, dem stets montags begangenen nationalen Feiertag, treue Seelen den 75. Geburtstag Martin Luther Kings feiern. Es wird Gottesdienste geben, Nachempfindungen der "I have a dream"-Rede, Kinderkreise. Es wird mehr Andrang geben im Civil Rights Institute in Birmingham (Alabama), wo ein vom Ku Klux Klan angezündeter Bus und ein Nachbau der Gefängniszelle besichtigt werden kann, in der King seinen "Letter from a Birmingham Jail" verfasste. Und mancher mag sich fragen, ob die Erinnerung an Martin Luther King Jr. wirklich stiller, nachlässiger, fremder geworden ist.

"Die meisten Amerikaner haben nie eine vollständige Predigt oder Rede Martin Luther Kings gehört", sagt der Historiker Clayborne Carson, Direktor des King-Nachlass-Projekts an der Stanford-Universität. "Es hat zum Teil mit Rasse zu tun: Die Mehrheit der Weißen sieht ihn als schwarzen Führer, und man begnügt sich mit einem Soundbite aus ,I have a dream"." Carson bestätigt, dass es auffällig wenig Nachfrage der US-Medien vor dem 75. Geburtstag gab.

Seit ihn Kings Witwe Coretta Scott King 1985 mit der Edition der "King Papers" betraute, sind vier Bände in chronologischer Ordnung erschienen, ein fünftes Buch ist abgeschlossen. Wer sich auf den neusten Stand der King-Rezeption bringen will, kommt an dem 59 Jahre alten Professor nicht vorbei. "Am spannendsten ist der Kampf um die King-Deutung: Wer besitzt, wer kontrolliert seine ,legacy', wer hat etwa Interesse daran, King heilig zu sprechen, ihn zum guten Polizisten und Malcolm X zum bösen Polizisten zu machen? Eine völlig irreführende Idee. Und warum wird King außerhalb der Vereinigten Staaten als Führer von weltgeschichtlicher Bedeutung wie Mahatma Ghandi* erkannt? Die Antwort: Rassismus."

Zum selben traurigen Schluss kam vor Tagen in Oakland der Sohn Martin Luther King III.: "Haben wir wirklich den Traum meines Vaters verwirklicht? Nein, noch nicht, wir sind noch weit davon entfernt. Auch wenn die ganze Welt verändert wurde durch Martin Luther King Junior und sein Team." Der Sohn dürfte morgen an der Seite seiner Mutter in Atlanta dem "Salute to Greatness"-Dinner vorsitzen. Ein Festakt, bei dem Bono, U2-Sänger und Schuldenerlassaktivist, mit einem King-Preis ausgezeichnet wird. Neben zwei Gedenkgottesdiensten und Buchsignierstunden von zwei Töchtern Kings dürfte die "Greatness"-Preisverleihung den Höhepunkt der Feiern des King Centers bilden. Und des Spendeneintreibens.

Dass am Geld alles hängt, auch die Deutungshoheit über Martin Luther King, kann wiederum niemand besser bezeugen als Clayborne Carson. Und ganz beiläufig ist von ihm zu erfahren, warum das 1998 vom Kongress genehmigte Martin Luther King Memorial am Tidal Basin der Washingtoner Wall nur auf dem Papier existiert. Im November 2003 sollte der erste Spatenstich getan sein. Bis zum Jahresende, so die gesetzliche Auflage, musste die eigens gegründete Memorial Project Foundation das aus privaten Mitteln das Geld nachweisen. Carson ist Mitglied der Roma Design Group in San Francisco, die den siegreichen Entwurf für das Denkmal lieferte. Bis Anfang 2003 war ein Viertel der geschätzten 100 Millionen Dollar für den Bau aufgebracht. Dunkel hieß es, es gäbe Streit zwischen Coretta Scott King und der Stiftung. "Ich habe seit einem Jahr nichts mehr von der Memorial Stiftung gehört", sagt Clayborne Carson, "das heißt wohl: ,Vielen Dank für Ihre Dienste, Sie werden nicht mehr benötigt". Und es legt den Schluss nahe, dass um die Kontrolle über das Projekt gekämpft wird, nicht für die Vollendung." Es gehe um Geld. Ohne Einverständnis der King-Dynastie geht fast nichts.

Unklar ist, ob der Heldengrund auf der Sichtachse zwischen Lincoln und Jefferson Memorial an den Staat zurückfällt, wenn mit dem Bau des King-Denkmals nicht bald begonnen wird. Unterdessen erwägt Miami, ob die Southwest Eighth Avenue den Namen Kings tragen soll. Die Reputation von King-Plätzen und Avenuen in den Schwarzenvierteln ist lausig. Wer eine vernachlässigte Straße endgültig ruinieren will, so geht der Spott, widmet sie Martin Luther King.


*Dikigoros hat sich erlaubt, den Text unverändert stehen zu lassen, und seien die Schreibfehler noch so peinlich. Wer nicht einmal weiß, wie sich Gāndhī richtig schreibt, stellt seine diesbezügliche Kompetenz schon damit hinreichend unter Beweis.


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