"Damals war es so, dass ein junges Mädchen oder eine Frau nicht einmal die Straße überqueren sollte ohne Anstandsdame." Die Ethnologin Gabriele Habinger beschäftigt sich mit historischen Reisen, besonders von Frauen, welche im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts trotz allem männlichen Widerstand große Reisen unternahmen und ihre Berichte veröffentlichten.
Als erste Frau reiste Ida Pfeiffer im 19. Jahrhundert zweimal rund um die Welt. Mit viel Selbstbewusstsein und wenig Geld brach
Alma Karlin,
auch Österreicherin, 1919 zu ihrer Weltreise auf, welche über acht Jahre dauern sollte.
Progress: Glauben sie, dass die Bedeutung des Reisens jetzt eine völlig andere ist?
Habinger: Das Reisen gestaltet sich natürlich heute völlig anders. Heute gibt's halt die Möglichkeit, kurzzeitig relativ lange Strecken hinter sich zu bringen. Früher hat das Reisen viel mehr Zeit in Anspruch
genommen. Es gab einerseits diese ganzen Adeligen-Reisen, die
Kavalierstouren, beziehungsweise dann die Bildungsreisen der
Bürger, wo man in die Zentren der Gelehrsamkeit gefahren ist
und dort längere Zeit verbracht hat. Das Bürgertum hat auch
Reisen unternommen, um sich fit zu machen für die Karriere und
um Kontakte zu knüpfen. Das waren aber auch Vergnügungsreisen,
wie wir sie heute kennen; vielleicht anders organisiert, aber
ich denk mir, der Vergnügungsaspekt oder der Aspekt, Neues
kennen zu lernen, hat sich prinzipiell nicht
geändert.
Progress: Wie verliefen Reisen in dieser
Zeit, dauerten sie immer mehrere Monate?
Habinger: Je
weiter das Ziel entfernt war, umso länger dauerten sie
natürlich. Zum Beispiel Ida Pfeiffer hat zweimal die Welt
umrundet, also zwei Weltreisen gemacht und die eine dauerte
zwei und die andere vier Jahre. Das ist natürlich extrem lang,
aber auch eine Reise in den Nahen Osten, also ins heilige Land
– viele sind da in den Orient gefahren, zuerst nach
Konstantinopel und dann nach Jerusalem und zum Teil auch noch
nach Ägypten – hat etwa ein halbes Jahr bis ein Jahr gedauert
aufgrund der Transportmöglichkeiten. Im 19. Jahrhundert ist
erst in der zweiten Hälfte dann die Dampfkraft vermehrt
eingesetzt worden, also es gab viele Segelschiffe, Flugzeuge
natürlich überhaupt nicht und man musste die Strecken eben auf
dem Landweg oder per Schiff zurücklegen. Das dauerte seine
Zeit. Und es gab in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
keine Reisebüros, die sind dann erst in der zweiten Hälfte
aufgekommen. Thomas Cook war der erste, der Reisen in das
Heilige Land organisiert hat, und das war dann leichter, aber
vorher musste man alles selber organisieren. Man musste vieles
einfach auch vor Ort erst herausfinden beziehungsweise durch
Erfragen, durch Mundpropaganda, weil man sonst einfach keine
Informationen bekommen hat.
Progress: Und was ist der
Unterschied zwischen diesen Reisen und den Reisen der Frauen?
Habinger: Also so klassische Bildungsreisen haben
Frauen eher selten unternommen, eher Forschungsreisen. Johanna
Schopenhauer hat gemeinsam mit ihrer Familie eine klassische
Bildungsreise gemacht, die mehrere Monate dauerte und darüber
berichtet. Aber diese klassischen Kavalierstouren, das ist
schon eine Form des männlichen Reisens.
Progress: Waren
die Frauen, die früher gereist sind, eher angesehen oder
verpönt?
Habinger: Es ist sehr zwiespältig. Also
eigentlich, wenn man diese bürgerliche Geschlechterideologie
des 19. Jahrhunderts betrachtet, versuchte man schon, die
Frauen in diesem häuslichen Bereich festzumachen und sie dort
zu behalten und daraus ergibt sich auch, dass diese Frauen
eher verpönt waren. Man stellte sich die Frage, „Sind das
überhaupt noch richtige Frauen?“. Da gibt’s zahlreiche
Aussagen in Zeitungsartikeln über Ida Pfeiffer, wo spekuliert
wird, ist das noch eine richtige Frau, die da in
Männerstiefelchen daherkommt. Sie musste ja Eigenschaften an
den Tag legen, die in dieser Geschlechterideologie den Männern
zugeschrieben wurden, wie Hartnäckigkeit,
Durchsetzungsvermögen, Stärke. Das sah man bei Frauen eben
nicht so gern und so hat man diese Frauen schon eher als
Kuriosum betrachtet und zum Teil natürlich auch schlecht
gemacht und abgewertet und eben auch ihre Weiblichkeit in
Frage gestellt. Bei der Ida Pfeiffer war es dann so, dass sie
– sie hatte 16 Jahre ihres Lebens vor allem mit Reisen
zugebracht – eben auch sehr gewichtige Fürsprecher in hohen
gesellschaftlichen Kreisen hatte und auch in der Wissenschaft
wurde sie bis zu einem gewissen Grad anerkannt. Also es wurde
ihre außergewöhnliche Leistung für eine Frau hervorgehoben.
Progress: War es eigentlich für ganz einfache Leute,
Arbeiterinnen und Arbeiter, auch möglich, zu
reisen?
Habinger: Je einfacher die Verhältnisse waren,
umso schwieriger war es, weite Reisen zu machen, außer
berufsbedingte Reisen auf irgendwelchen Eroberungsschiffen. So
haben die Leute für das Vergnügen Pilgerfahrten unternommen,
also das war schon möglich. Pilgerfahrten haben sehr viele
Leute unternommen.
Progress: Das war aber religiös
motiviert?
Habinger: Ja, aber das waren auch die
Vergnügungsreisen der Vergangenheit. Diese ganzen Bedürfnisse,
die man heute befriedigt, eben das Fremde kennen lernen,
Abenteuer usw. wurden durch die Pilgerreisen erfüllt, weil
sonst konnten die Leute nicht wegfahren. Da gibt’s einen alten
Reisebericht von einer Britin aus relativ einfachen
Verhältnissen und die beschreibt in ihrer Lebensgeschichte
auch ihre lange Pilgerreise nach Jerusalem und Rom, das war im
16. Jh. Sie war eine sehr fromme Pilgerin, beschreibt aber,
wie liederlich diese ganzen Reisen abgelaufen sind und daran
kann man wiederum erkennen, dass das durchaus auch zum
Vergnügen stattgefunden hat. Also da wurde getrunken und die
Leute haben sich unterhalten, das waren nicht nur rein
religiöse Zwecke, die da verfolgt wurden.
Progress:
Stellten die Männer der reisenden Frauen keine Behinderung
dar?
Habinger: Zum Teil. Diese Frauen im 19.
Jahrhundert sind sehr oft erst im fortgeschrittenen Alter,
also so ab 40, zu ihren Reisen aufgebrochen, wo sie mehr oder
weniger ihre weiblichen Pflichten als erfüllt betrachtet
haben. Zum Teil waren die Kinder groß, zum Teil waren sie
geschieden oder zumindest getrennt von ihren Männern. Sie
waren nicht mehr ganz junge Frauen, das heißt, sie wussten
wahrscheinlich schon, was sie wollten und haben sich auch
getraut, das durchzusetzen. Es war ja nicht angemessen, wenn
eine Frau alleine unterwegs war. Damals war es ja so, dass ein
junges Mädchen oder eine Frau nicht einmal die Straße
überqueren sollte ohne Anstandsdame, da kann man sich
vorstellen, was es bedeutet hat, eine Weltreise zu
unternehmen, und zwar alleine. Da musste man schon gehörigen
Mut und Selbstbewusstsein an den Tag legen.
Das Interview führte Nina Brlica.
Gabriele Habinger ist Kulturwissenschaftlerin, Autorin und Herausgeberin der „Edition Frauenfahrten“ des Wiener Promedia Verlags.
Literatur:
Frances Trollope: Ein Winter in der Kaiserstadt, Wien im Jahre 1836. Wien, 2003.
Gabriele Habinger: Eine Wiener Biedermeierdame erobert die Welt. Die Lebensgeschichte der Ida Pfeiffer
(1797-1858). 3. Aufl., Wien 2002.