LITERATUR IN NAZIDEUTSCHLAND

EIN BIOGRAFISCHES LEXIKON

Ein Geruch von Blut und Schande
- oder ein Duft von stiller Größe

eine Besprechung von Iring Fetscher

(mit einer Nachbemerkung von N. Dikigoros)

Verzweifelt und entrüstet hatte Thomas Mann 1945 erklärt: "In meinen Augen sind Bücher, die von 1933 bis 1945 in Deutschland überhaupt gedruckt werden konnten, weniger als wertlos und nicht in die Hand zu nehmen. Ein Geruch von Blut und Schande haftet ihnen an. Sie sollten eingestampft werden". In seiner Äußerung übersieht Mann, dass in diesen Jahren nicht nur Bücher von überzeugten Nazis und Mitläufern veröffentlicht wurden, sondern auch wertvolle ältere Texte der Klassik und Romantik sowie der bedeutenden Autoren der Weltliteratur in Übersetzung. Ich nehme an, dass der Hunger nach guter älterer und ausländischer Literatur damals größer war als zuvor. Nimmt man die Sachbücher hinzu, dann wurden in Deutschland sogar so offen kritische Werke wie Jan Huizingas "Im Schatten von Morgen" (Leipzig 1936) veröffentlicht, in denen er zwar namentlich nur Carl Schmitt und Oswald Spengler angreift, aber eindeutig neben dem Bolschewismus auch den deutschen Nationalsozialismus verurteilt.

Botschaft für die Tauben

Das außerordentlich informative, biografische Lexikon begnügt sich mit hundert schöngeistigen Autoren, die knapp, zuverlässig und differenziert in ihrer Eigenart porträtiert werden. Etwas vereinfachend könnte man sie in vier Kategorien einteilen: in die relativ wenigen engagierten Nazis, die zahlreichen angepassten Mitläufer, die konservativen, meist katholischen Distanzierten, die der "inneren Emigration" zugerechnet wurden und die ganz wenigen offenen Dissidenten. Die überzeugten Nazis wie Anacker, Hans Grimm und Kolbenheyer - um nur die bekanntesten zu nennen - sind relativ uninteressant. Sie blieben 1945 meist unbelehrbar und bedienten weiter einen engen Kreis von Gesinnungsfreunden. Nur dem Jungvolkdichter Hans Baumann gelang es, als Kinderbuchautor eine neue Karriere zu beginnen.

Um die Literatur während des Dritten Reiches zu verstehen, muss man die institutionellen Voraussetzungen kennen, unter denen geschrieben, publiziert und verkauft werden konnte. Alle Autoren, Verleger, Redakteure und Buchhändler gehörten der von Goebbels und seinem Ministerium kontrollierten Reichsschrifttumskammer an. Wer nicht Mitglied war, konnte nur mit "Sondergenehmigung" publizieren. Daneben gab es aber noch Alfred Rosenbergs "Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums" und das zuständige Ministerium von Bernhard Rust. Diese Vielfalt der Instanzen konnte gelegentlich Schriftstellern einen Zugewinn an Bewegungsfreiheit verschaffen, sie konnte aber auch dazu führen, dass von einer Instanz genehmigte Texte von einer anderen heftig kritisiert und schließlich aus dem Verkehr gezogen wurden.

Die problematischste und interessanteste Gruppe ist die der zur "inneren Emigration" gehörenden Autoren. 1945 löste Frank Thiess durch eine - auf Thomas Mann gemünzte - Polemik eine heftige Diskussion aus. Thiess behauptete nämlich, "ich glaube, es war schwieriger sich hier seine Persönlichkeit zu bewahren, als von drüben Botschaften an das deutsche Volk zu senden, welche die Tauben ohnedies nicht erreichten, während wir Wissenden uns ihnen stets einige Längen voraus fühlten". Auch wenn kaum alle, die sich als "innere Emigranten" empfanden, diese Sätze unterschrieben hätten, verdeutlichen sie doch den Stand der Diskussion in den ersten Nachkriegsjahren. Die Verfasser des Lexikons nehmen diese Autoren besonders kritisch unter die Lupe.

Zwei herausragende Schriftsteller, die mit einigem Recht diese Bezeichnung für sich in Anspruch nehmen konnten, waren Hans Carossa und Ernst Wiechert. Carossa, der christliche und humanistische Arzt brachte seine kritische Distanz 1938 in seinem Vortrag "Goethe und die Gegenwart" deutlich zum Ausdruck, scheute sich aber nicht, wenig später den Anschluss Österreichs und des Sudetenlandes begeistert zu begrüßen. Seines internationalen Ansehens wegen von den Nazis geschont und noch 1944 - ohne seine vorherige Zustimmung - zum Präsidenten einer von Goebbels inspirierten "Europäischen Schriftsteller-Vereinigung" gemacht, hätte sich Carossa sehr viel nachhaltigere öffentliche Kritik leisten können. 1951 hat er seine Zaghaftigkeit damit entschuldigt, dass der Nationalsozialismus eine Schicksalsmacht gewesen sei. Die "Dämonisierung" der Nazis und ihrer "Bewegung" gehörte in der Nachkriegszeit zu den verbreitetsten Topoi, mit denen die Willfährigkeit der meisten Helfer und Mitläufer entschuldigt werden sollte.

Gefühle eines Solitärs

Der Natur- und Heimatdichter und sensible Individualist Ernst Wiechert wagte im April 1935 in seiner Rede "Der Dichter und die Zeit", die er vor Münchner Studenten hielt, eine offene Kritik an "Entartungen" der Naziherrschaft. Was uns heute als relativ gemäßigt erscheint, wurde damals in ganz Deutschland von Nazigegnern freudig kommentiert und von der führenden NS-Zeitung heftig angegriffen. Als dann Wiechert 1938 gegen die Verschleppung Martin Niemöllers in einem Brief protestierte, wurde er ins Konzentrationslager Buchenwald eingewiesen, nach wenigen Wochen freilich wieder entlassen und von Goebbels persönlich vorgeladen und eingeschüchtert. Dennoch konnte er weiterhin publizieren und erreichte 1939 mit dem Roman "Das einsame Leben" ein großes Publikum.

Die Illusion des dritten Wegs

Horst Krüger hat von der "ebenso schönen wie großen Illusion" gesprochen, der sich Wiechert hingegeben habe. "Der Illusion, es gäbe jenseits von Mitläufertum und Widerstand noch einen dritten Weg, den ganz nach Innen. So dachten angesichts der Nazidiktatur viele der Besten im Großbürgertum, im Adel, in der Generalität. Es war die rettende Notlüge sehr deutscher Prägung, zugegeben in einer furchtbaren Zwangslage." Reinhold Schneider und Elisabeth Langgässer, zwei Autoren, die wiederholt sich kritisch von den Nazis distanziert hatten, übten nach 1945 Kritik an der Illusion der inneren Emigration in eine unverantwortliche Innerlichkeit. Die meisten suchten ihre Vergangenheit ins Erträgliche zu korrigieren.

Eine eigene Untersuchung verdienten einmal jene historischen Erzählungen und Romane, die - zu Recht oder Unrecht - von den zeitgenössischen Lesern als verschlüsselte Kritik am Naziregime verstanden wurden. Das gilt von Werner Bergengruens "Der Großtyrann und das Gericht" (1935) ebenso wie von Frank Thiess' "Das Reich der Dämonen" (1941), Ernst Jüngers "Auf den Marmorklippen", Reinhold Schneiders "Las Casas vor Karl V." (1938) und Hermann Kestens "Die Stadt hinterm Strom" - ein Buch, das zwar erst 1947 veröffentlicht, aber schon 1942 begonnen wurde. Fast von allen historisch verschlüsselten Darstellungen des verbrecherischen Naziregimes gilt freilich, wie die Verfasser anmerken, dass sie die Realität ins Mythische überhöhen und eher Trost spenden als den Willen zum Widerstand motivieren. Als "Zeitzeuge" würde ich diesem Urteil nur zögernd zustimmen.

Hans Sarkowicz, Alf Mentzer: Literatur in Nazi-Deutschland. Ein biografisches Lexikon. Europa Verlag, Hamburg 2000. 382 S., 38,50 DM.


Nachbemerkung: Da Fetscher wiederholt Frank Thiess erwähnt, über den Dikigoros sonst nirgends schreibt - außer daß er ihn in Eine Seefahrt die ist lustig... kurz erwähnt - will er das hier nachholen. "Das Reich der Dämonen" handelt vom langsamen Niedergang der antiken Welt der Griechen und Römer. Vorsichtshalber bezeichnete Thiess es - wie alle seine Geschichtsbücher - als "Roman" (um sich dann später zu beschweren, daß man es als Roman "mißverstanden" habe :-). Es half ihm nicht: Goebbels Ministerium setzte es auf den Index. (Sicher nicht auf persönliche Veranlassung des Ministers - dafür war der zu intelligent.) Grund dafür gab es kaum: Die paar Parallelen zwischen dem untergehenden "Imperium Romanum" und dem "Dritten Reich" hätten ebenso gut als zufällig durchgehen können. Egal, das Buch wurde verboten, und nur dieses Adelsprädikat "von den Nazis verboten" rettete sein Überleben nach 1945, als die Zensur der alliierten Besatzer und ihrer Epigonen in BRD und DDR weit schlimmer wütete als jemals eine Zensur in Deutschland zuvor (einschließlich der 12 NS-Jahre). Thiess war klug genug, die Parallelen nachträglich als gewollt hinzustellen - uns heutigen fallen sie kaum noch auf, weil sie von weit deutlicheren Parallelen zur Gegenwart verdeckt werden. Dikigoros stellt ja immer wieder fest, daß es ursprünglich ungewollte und/oder unauffällige Parallelen gibt, die im Nachhinein eine geradezu beängstigende Stringenz und Aktualität gewinnen. Schon in der 2. Nachkriegsauflage schrieb der Herausgeber süffisant auf den Buchumschlag: "Das Werk ist, wie 1940, als es verboten wurde, auch heute wieder von unheimlicher Aktualität." Inzwischen ist noch einmal soviel Zeit vergangen, ohne daß es zu einer 3. Neuauflage gekommen wäre - und daß liegt sicher nicht nur daran, daß Thiess inzwischen das Zeitliche gesegnet hat. Aber lest doch mal nach, was er an Gründen für den Untergang des Imperium Romanum so alles heraus stellt: Die Gesetzesflut, das "Rechtsgebirge", in dem sich selbst der bestausgebildete Anwalt nicht mehr zurecht findet, und die daraus resultierende Willkür und Rechtsunsicherheit, die verheerende Wechselwirkung von immer weiter wachsender Staatsverschuldung und immer fester angezogener Steuer- und Abgabenschraube, das Parteiengezänk und die "demokratische Diktatur", die ungezügelte Aufnahme von fremden Migranten, erst ins Land, dann sogar in den Staatsdienst, bis in die höchsten Ämter und und und... Das alles gab es im "Dritten Reich" doch allenfalls in Ansätzen - wenn überhaupt. Einer der wenigen Sätze, welche die Nazis - und nur die Nazis - auf sich hätten beziehen können, ist an sich zeitlos: "Niedergang wird meist früher gespürt als Aufstieg, nur pflegen die Mitlebenden beides oft zu verwechseln." Nein, kein "Mitlebender" wäre so dumm, den heutigen Niedergang Deutschlands mit Aufstieg zu verwechseln (auch wenn die Regierung der BRDDR nichts unversucht läßt, um ihre Untertanen dahingehend zu manipulieren :-) aber ansonsten müßte den Heutigen doch die Ohren klingen vor lauter Warnsignalen. Wenn Ihr das Buch noch irgendwo auftreiben könnt, liebe Leser, besorgt es Euch, egal in welcher Auflage, möglichst in beiden, denn auch die in der 2. Auflage weg gelassenen Teile sind interessant, und die neu eingefügten Fußnoten über die Zeit nach 1940 erst recht! N.D.

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