Ein Künstler und seine Legende

Drei Filme über das Phänomen Vincent van Gogh

Von Sonnenblumen, Kornfeldern mit
Krähen und abgeschnittenen Ohren

von Andrea Grunert

Der Künstler als säkularer Heiliger: Vincent van Gogh steht paradigmatisch für das Verständnis vom Künstler und von der Kunst im 20. Jahrhundert. Mit ihm ist das ästhetische Feld sakralisiert worden, während seine Person und sein Leben mit den Merkmalen einer Heiligenlegende ausgestattet worden sind. Von der Bedeutung Van Goghs zeugen die große Verbreitung seiner Werke als Reproduktionen seit den zwanziger Jahren und die hohe Zahl von kunsthistorischen und literarischen Publikationen - Romanen, Erzählungen, Theaterstücken -, die sich mit seinem Leben und Werk befassen oder davon inspiriert sind. An die 90 Filme - zumeist dokumentarische Arbeiten und Videoproduktionen - lassen dieses Phänomen in aller Deutlichkeit hervortreten.

Spiegelbilder

Elemente aus drei Spielfilmen über Van Gogh - LUST FOR LIFE/VINCENT VAN GOGH - EIN LEBEN IN LEIDENSCHAFT (USA, 1956), VINCENT AND THEO/VINCENT UND THEO (Großbritannien/Niederlande/Frankreich, 1990) und VAN GOGH (Frankreich, 1991) sollen Gegenstand der folgenden Betrachtungen über die Künstlerlegende Van Goghs im Kino sein. Griselda Pollock hat Vincente Minnellis LUST FOR LIFE als den »mythischen Film« über den Maler bezeichnet. Dies nicht nur wegen seiner Bedeutung für die Van Gogh-Rezeption in den USA der fünfziger Jahre, sondern auch weil er auf besonders deutliche Weise die kulturelle Konstruktion »Van Gogh« mitgeformt hat. So beziehen sich Robert Altman in VINCENT AND THEO und Akira Kurosawa in einer Episode seines Films DREAMS/TRÄUME (Japan, 1990) auf formale Strategien Minnellis.

LUST FOR LIFE greift die Figur des verkannten Genies und die Idee des Leidens im Geniekult, die im 19. Jahrhundert an Bedeutung gewonnen hat, auf. Eine der wesentlichen Szenen in der Auseinandersetzung mit dem Thema der (geistigen) Krankheit bezieht sich auf die Verletzung des Ohrs, die sich Van Gogh in Arles beigebracht hat. Minnelli assoziiert diese Situation mit dem Motiv des Spiegels, in dem sich der von Kirk Douglas gespielte Maler mit seinem von Krämpfen verzerrten Gesicht, seinem der Hysterie (?) verfallenden Selbst konfrontiert sieht. Den Versuch der Selbstverstümmelung zeigt der amerikanische Regisseur nicht. Vielmehr verharrt die Kamera auf dem Spiegel, während sich der Protagonist außerhalb des Bildraums die Verletzung zufügt (auf der Tonebene durch einen Schmerzensschrei kommentiert), um dann noch einmal blutüberströmt im Bild aufzutauchen. Die Geste ist ein symbolischer Selbstmord, der die Selbsttötung am Ende des Films vorwegnimmt. Doch während der Maler sich für den Betrachter nicht sichtbar selbst verletzt, sieht man eines seiner Gemälde (»Das Nachtcafé«, 1888) im Spiegel. Werden vorher Detailaufnahmen dieses Bildes in Bezug zur gestörten Gemütsverfassung des Malers gesetzt, so erscheint es in dieser Einstellung wie ein Signal vom Weiterleben des Künstlers über den Tod hinaus in seinem Werk.

Auch bei Altman taucht der Spiegel in Zusammenhang mit der Selbstverstümmelung auf, deren Darstellung hier allerdings nicht ausgespart sondern in drastischer Weise im Bild präsent ist. Der Zuschauer sieht Tim Roth/Van Gogh, der sich die Verletzung mit einem Rasiermesser beibringt, dann versucht, sich in das andere Ohr und in die Zunge zu schneiden, um schließlich das blutverschmierte Werkzeug abzulecken. Unerträglich lange erscheint der Moment, in dem die Kamera auf dem blutüberströmten Mann verharrt, und in dem der Zuschauer direkt mit dem der Kamera zugewandten Protagonisten konfrontiert wird. Altman setzt auf realistisch erscheinende Gesten und Situationen und unterstreicht den seelischen Unruhezustand, die Verwirrung des Malers, den er vorher beim Zerschlagen eines Spiegels gezeigt hat. Sich im zerbrochenen Spiegel betrachtend, bringt sich Van Gogh die Verletzung bei. Die selbstzerstörerische Geste wird durch das Zerschlagen des Spiegels und die Konfrontation mit dem verzerrten Selbstbild im zersplitterten Spiegel verdoppelt und der Spiegel zum zentralen Element in der Auseinandersetzung mit der Thematik der Identität und der Identitätskrise.

Künstlerische Visionen

Das Bild von künstlerischen Visionen in Verbindung mit geistiger Zerrüttung wird am Ende von LUST FOR LIFE in der Selbstmordsequenz kondensiert. Minnelli stellt Douglas/Van Gogh in eine filmische Komposition, die ein Gemälde Van Goghs - nämlich »Kornfeld mit Krähen« - imitiert. Um dieses Bild filmisch umzusetzen, hat der Regisseur, so wird berichtet, ein Weizenfeld gelb einfärben lassen, und versucht mit entsprechender Optik das ungewöhnliche Format des Bildes (50,5x103cm) in Erinnerung zu rufen. Das Weizenfeld wird zum dramatischen Raum und zum Bedeutungsträger in Hinblick auf den seelischen Zustand des Helden. Aus dem Feld steigen plötzlich Krähen auf, die bedrohlich auf den Maler zufliegen, der sich bemüht, sie mit hektischen Pinselstrichen auf die Leinwand zu bannen. Die Vögel erscheinen als mit filmischen Mitteln materialisierte paranoide Visionen Van Goghs, der Augenblicke später eine Schusswaffe gegen sich selbst richten wird, nachdem er Abschiedsworte auf einen Zettel gekritzelt hat.

Minnelli folgt in dieser Darstellung der inzwischen widerlegten Annahme, dass es sich bei »Kornfeld mit Krähen« um das letzte Gemälde Van Goghs handelt. Altman schließt sich dieser Deutung nicht an, zeigt aber seinen Van Gogh bevor die fatalen Schüsse fallen ebenfalls in einem Kornfeld und in einer Bildkomposition, die an das Gemälde erinnert, zumal er das längliche Format des Bildes in der Totalen nachzuahmen versucht. Van Gogh sitzt nachdenklich und erschöpft vor seiner Staffelei und vor einer fast unberührten Leinwand, bevor er aufsteht und ins Feld hinausgeht. Von einem Schuss aufgeschreckt fliegen Krähen aus dem Feld auf. Auch hier gibt Altman der Situation eine realistisch erscheinende Erklärung. Die Sequenz erinnert sowohl an Van Goghs Gemälde als auch an Minnellis Film, dessen Interpretation Altman korrigiert, ohne sich der mit den Vögeln verbundenen Todessymbolik vollständig zu entledigen. Denn vor dieser Sequenz, auf die Van Goghs Sterbeszene folgt, hat der Regisseur den Maler beim Betrachten einer Vanitas, die einen Totenschädel mit Pfeife zeigt, dargestellt.

LUST FOR LIFE verbindet eine psychologische mit einer gesellschaftlichen Interpretationsebene, in der Van Gogh als Rebell gegen das Establishment gezeigt wird, der aber für die bürgerliche Moral noch zu retten ist (Theo, als Vertreter des Bürgertums, hört nicht auf, sich für den Bruder einzusetzen). Van Gogh wird zum individualistischen Helden für Amerika nach dem McCarthyismus. Seine Kunst ist visionär aber in der Natur verwurzelt, die er beobachtet, um sie in seinen Werken zu transzendieren. Das macht sie letztendlich für den durchschnittlichen amerikanischen Kinobesucher akzeptabel. Die letzte Sequenz des Films ist ein Flashback, das den Maler in Saint-Rémy mit einer jungen Nonne zeigt, der er seine Ideen nahebringt und die Lebensfreude (letztendlich doch »lust for life«), die ihren Platz in seiner Malerei hat: Seine Kunst, die seine Unsterblichkeit festlegt und seinen Namen posthum mit einer Erfolgsstory verbindet. Über die Legende Van Goghs, die der Film aufgreift und verstärkt, nähert sich LUST FOR LIFE auf vielschichtige Weise den Ängsten und Vorstellungen seiner Zeitgenossen und stellt indirekt Verbindungen zu anderen zeitgenössischen Künstlern als Helden wie Jackson Pollock und zur Rezeption ihrer Kunst her.

Sonnenblumen

Während das religiöse Motiv, das die Van Gogh-Legende bestimmt, von Minnelli aufgegriffen wird, tritt es bei Altman fast völlig in den Hintergrund. VINCENT AND THEO ist wie bereits im Titel angelegt ein Film der Doppelungen und der Doppelstrukturen, der unter der Signatur der Brüder Vincent und Theo van Gogh steht. Das künstlerische Werk des einen ist nur durch die finanzielle Unterstützung des anderen möglich geworden. So präsentiert sich der Film als Parallelmontage der Lebensläufe Vincents und Theos und stellt die Brüder in ein symbiotisches Verhältnis. Zwillingen ähnlich haben sie gleiche Vorlieben, fast gleichzeitig erleben sie ähnliche Enttäuschungen. Nachdem sie jeweils von den Prostituierten, mit denen sie zusammengelebt haben, verlassen worden sind, sieht man Vincent in Den Haag und Theo in Paris, jeder vor einem Spiegel sitzend, die gleiche neurotische Geste vollziehend. Der eine beschmiert sich das Gesicht mit Farbe, der andere mit Puder und Rouge. Das Doppelgängermotiv, das im Film auf der erzählerischen wie auf der visuellen und ästhetischen Ebene erscheint, funktioniert auf symbolhafte Weise auf der psychologischen Ebene und reduziert Theo zum Schatten am Totenbett seines Bruders und zu einer bloßen Silhouette, wenn er nackt neben dem vergitterten Zellenfenster in einer Irrenanstalt kauert und nach Vincent ruft. Die letzte Einstellung zeigt die beiden identischen Grabsteine der Brüder, die auf dem Friedhof in Auvers-sur-Oise nebeneinander stehen.

Die Doppelstruktur bezieht sich auch auf die Paarung Kunst und Geld und macht das Geld zum zentralen Thema von VINCENT AND THEO, um das Dialoge und Handlungsstränge kreisen. Der Film Altmans steht von Beginn an unter dem Zeichen des Geldes, denn die ersten Einstellungen zeigen die Versteigerung eines der Sonnenblumengemälde, das eine Rekordsumme bei Christies erreicht hat. Die ungeheuren Preise, die man seit einigen Jahren für Kunst und vor allem auch für die Gemälde Van Goghs bezahlt, verschieben die Perspektiven innerhalb der Legende und fügen ihr eine neue Dimension hinzu, der Altman in seinem Film besondere Bedeutung zubilligt.

Altman löst sich nicht völlig von den Elementen der Legende und vom Bild des den Wahnsinn verfallenden Genies, auch wenn er keine Kausalbeziehungen zwischen Krankheit und künstlerischem Schaffen herstellt. Ohne dass eine wirkliche Diagnose gestellt wird, bleibt die Idee vom geistigen Verfall unterschwellig präsent und wird direkt ins Bild gesetzt, wenn Van Gogh der Rotwein aus dem Mundwinkel rinnt, während er mit starrem Blick Gauguin beobachtet. Oder wenn er Terpentin trinkt und »Theo« schreit, während der Mistral die Fensterläden klappern lässt. Das wirkt realistisch und erinnert doch auch an die Mechanismen des Melodramas, in dem die Natur die inneren Zustände der Personen kommentiert.

Dennoch variiert Altman die Thematik der Visionen im künstlerischen Schaffensprozess immer wieder auf ironische Weise. In einer Schlüsselszene sieht man Van Gogh mit seiner Staffelei inmitten eines Feldes von Sonnenblumen, durch das der Mistral weht. Die Geräusche des Windes werden durch eine von Dissonanzen geprägte Musik erhöht, die die fiebrige Atmosphäre der Situation ebenso verstärkt wie die abrupten Bewegungen, mit der die Kamera über das Feld fährt. Die Blumen erscheinen wie eine feindliche Armee, die dem Maler widersteht. Der zerstört das begonnene Gemälde und stapft ins Feld, um einige Blumen auszurupfen. Wenig später sieht man das künstlerische Resultat und den Sieg des Malers über die Natur. Er hat die Sonnenblumen als Stilleben domestiziert. Der Kampf mit der Natur, von Van Gogh selbst in seinen Briefen beschrieben, erscheint hier dramatisch und filmisch umgesetzt und in der ironischen Brechung. Die paranoiden Visionen entstehen eher beim Zuschauer, als das sie sich auf die Wahrnehmung und die Kunst Van Goghs beziehen und finden eine überraschende Auflösung.

Sowohl Minnelli als auch Altman verfolgen Stationen im Leben des Malers in chronologischer Reihenfolge. In seinem Film VAN GOGH konzentriert sich Maurice Pialat auf die letzen Wochen im Leben des Künstlers in Auvers-sur-Oise. Ebensowenig wie Minnelli oder Altman liefert er Erklärungen. Doch da wo Altman auf das Wiedererkennen des Bekannten setzt, wird VAN GOGH bei Pialat zu einer Abfolge von Begebenheiten und Begegnungen, von Gesten und Attitüden, von Momenten, in denen ebensoviel enthüllt wird wie verborgen bleibt.

Gleich zu Beginn wird der Einsatz klar, der um das Bild, das »Image« Van Goghs kreist. Dr. Gachet kann keine gründliche Untersuchung durchführen, weil er in seinem Privathaus nicht über die nötigen Instrumente verfügt. Er horcht in Dutronc/Van Gogh hinein, der seinen nackten Oberkörper darbietet, stellt Diagnosen, die er später verwirft. Gachet eignet sich seinen neuen Patienten an, vom Standpunkt des unbeirrbaren Mediziners aus, dessen Meinung (auch über die Malerei) keinen Widerspruch duldet. Doch erweist er sich als Kunstkenner als Dilettant, so verstellen Vorurteile seinen Blick auf Van Gogh als Menschen. Van Gogh steht im Zentrum des Films als eine Figur, um die Wünsche, Träume und Lüste kreisen. Pialat verfolgt die Verläufe der Projektionen auf den Maler und der Aneignung des Menschen und seines Werkes bis hin zu den von Marguerite Gachet gesprochenen Schlussworten des Films, als sie Jahre später einem jungen Maler gegenüber erklärt: »Er war mein Freund.« Doch ebenso wie Gachets Urteil über den Patienten hypothetisch ist, so gibt sich Pialats Annäherung an Van Gogh als Spekulation zu erkennen.

Bilder von Körpern und Gegenständen prägen den Film, die sichtbaren Dinge, die sich dem Blick offenbaren. Der abgezehrt wirkende, skelettartige Körper, den der Schauspieler Jacques Dutronc zur Schau stellt, erscheint wie der visuelle Ausdruck aus dem Repertoire der Hagiographie, der ohne Resonanz bleibt, da Pialat ihn weder auf konventionelle Weise ausbeutet noch deutet.

Wie bei Minnelli oder Altman erscheint Van Gogh als unreife, bindungsunfähige und zerrissene Persönlichkeit. Doch während sich bei Minnelli und Altman der Charakter in Episoden, die sich als mehr oder weniger geschlossene dramatische Segmente aneinander reihen, entwickelt, verfolgt Pialat die Gemütszustände seines Protagonisten im Fluss der Alltäglichkeit und des Banalen. Abweisend, unverschämt, gelangweilt, sich in Selbstmitleid ergehend, manchmal spitzbübisch und spöttisch (das Wortspiel mit Cézanne/seize ânes), schwankt Van Gogh zwischen Lethargie und heiterer Versonnenheit, zwischen zärtlichen Gesten und Gewaltausbrüchen. Die Boshaftigkeit verdeckt die ständige Unzufriedenheit und den Schmerz nur ungenügend. Dser wiederum gerät nicht zur Entschuldigung für charakterliche Defizite.

Dutroncs Spiel lässt die Person Van Goghs in dem emotionalen Raum lebendig werden, der aus dem Gefühl der Distanz zwischen Lebensziel und Lebenswirklichkeit entsteht. Die Zerbrechlichkeit seines Körpers findet ihr gestisches und mimisches Äquivalent im Ausdruck der Leere und der Erschöpfung. Die Entscheidung, dem Sänger-Komponisten-Schauspieler Dutronc die Rolle Van Goghs anzuvertrauen, schafft eine zusätzliche Leerstelle, offen für die Interpretationen der Zuschauer im Spannungsfeld der Erwartungen. Dutronc gibt dem Film seinen Rhythmus und schafft doch gleichzeitig den Drahtseilakt zwischen den Elementen der Legende und seinem eigenen Image.

Das Gefühl, nur der Schatten eines Toten zu sein, sich um das wahre Leben betrogen zu fühlen, ist latent vorhanden. Die Trauer und der Zorn über fehlende Anerkennung durchzieht den Film, ebenso wie die Idee vom unverstandenen Genie allgegenwärtig ist und gleichzeitig hinterfragt wird. Inmitten ausgelassener Geselligkeit ist Van Gogh ein Außenseiter, der häufig gezeigt wird, wie er anderen den Rücken zukehrt. Der Akt des Malens erscheint nur am Rande, wird unterbrochen, findet gar nicht erst statt. Dafür sind es die Gesten des Alltags, die Pialat zelebriert. Sein Van Gogh isst (auch dabei will er in Ruhe gelassen werden), trinkt und hat ein Sexualleben, wenn es dabei auch oft bei Anspielungen auf die Sexualität bleibt. In VINCENT AND THEO werden der künstlerischen Schöpfung die das Leben schenkenden Frauen (Sien, Jo, Mauves Frau sind schwanger) gegenübergesetzt. Pialat suggeriert, dass die Frauen (Jo, Adeline, Cathy, Madame Chevalier und auch Marguerite Gachet) den Schlüssel zum Leben besitzen, was sie von Van Gogh und den anderen Männern des Films unterscheidet.

Der Fensterrahmen, der Marguerite und Van Gogh in einer Sequenz trennt, ist auch ein Element des Intertextes. Van Gogh, Degas, Renoir, Manet, Seurat, Toulouse-Lautrec gehören zu den Malern, die Pialat inspiriert haben, und deren Werke von der filmischen Umsetzung als tableau vivant bis zum Einfangen von Stimmungen und Tönungen in VAN GOGH präsent sind. Die Beziehungen zur Malerei sind vielschichtig, werden durch die präzisen Bildkompositionen der einzelnen Einstellungen, die sich scharf voneinander absetzen, unterstrichen.

Kontexte

Altman zeigt Van Gogh als rebellierenden Sohn gegen die Vaterfigur und als Rebell gegen die engstirnigen Vertreter des Akademismus. Pialats Kritik der bürgerlichen Moral durchzieht den gesamten Film, ist unterschwellig präsent und drückt sich in der Thematisierung der Kontextualität aus. Dialoge und Musik liefern die Indizien, wie in der Sequenz, in der ein Marsch getanzt wird. Der Marsch lässt die Individuen in der Gruppe verschmelzen. Anders als in der Tanzszene in John Fords FORT APACHE/BIS ZUM LETZTEN MANN (USA, 1948), auf die zahlreiche Details direkt verweisen, sind es bei Pialat vornehmlich gesellschaftliche Außenseiter, die sich zu der militärisch-strengen Tanzformation zusammenfinden. Die Tänzer blicken in die Kamera, der Tanz erscheint wie eine herausfordernde Geste, eine trotzige Manifestation gegen das Bürgertum. Doch bleiben die Tänzer unter sich, als ein sozialer Mikrokosmos, der um sich selbst kreist. Der Marsch ist eine auf das Filmmaterial gebannte Momentaufnahme, eine in sich geschlossene Bewegung, ein Augenblick in der verrinnenden Zeit, die den Ausführenden entgleitet. Bald darauf wird Van Gogh sterben, nachdem man ihn vor der Marschsequenz erschöpft beim Walzertanzen mit Marguerite gesehen hat.

Stellt Vincent and Theo von den ersten Bildern an, die den Maler zeigen, die Beziehung der Legende zum Tod heraus, so durchziehen Krankheit und Tod leitmotivisch Pialats Van Gogh, ohne dass die beiden Regisseure Leiden als Voraussetzung für künstlerisches Schaffen, wie es in der Legende angelegt ist, interpretieren. Krankheit wird nicht als adäquater und hinreichend respektvoller Begriff gedeutet, um sich dem Phänomen Van Gogh zu nähern. Dennoch verbinden die Themen des Leidens und des Unverständnisses der Zeitgenossen die Legende Van Goghs mit anderen Filmen Pialats. Sein Film entzieht sich schließlich dem Gefühl der Unvereinbarkeit von Kunst und Leben kaum. Er verweist vielmehr über die Aktualisierung der Legende darauf, wie deren Elemente und ihr Bedeutungsgehalt sich verschieben, und wie sie immer wieder Anlass zu neuen Betrachtungen geben kann.

 

LUST FOR LIFE/VINCENT VAN GOGH - EIN LEBEN IN LEIDENSCHAFT
USA, 1956, 122 min.
R Vincente Minnelli
B Norman Corwin (nach dem Roman von Irving Stone)
D Kirk Douglas, Anthony Quinn, James Donald, Pamela Brown, Everett Sloane u. a.
K F.A. Young, Russell Harlan
M Miklos Rosza
S Adrienne Fazan
Bauten: Cedric Gibbons (und Hans Peters, Preston Ames)
 

VINCENT AND THEO/VINCENT UND THEO
Großbritannien/Frankreich/Niederlande, 1989, 110 min.
R Robert Altman
B Julian Mitchell
D Tim Roth, Paul Rhys, Johanna Ter Steege, Wladimir Yordanoff, Peter Tuinman u.a.
K Jean Lépine
M Gabriel Yared
S Françoise Coispeau, Géraldine Peroni
Bauten: Stephen Altman

VAN GOGH
Frankreich, 1991, 158 min.
R + B Maurice Pialat
D Jacques Dutronc, Alexandra London, Gérard Séty, Bernard Le Coq, Corinne Bourdon u.a.
K Emmanuel Machuel, Gilles Henry
S Yann Dedet, Nathalie Hubert
Bauten: Philippe Pallut, Katia Vischkof