Das letzte Bollwerk des Sozialismus

Chaos und Klassenkampf auf Kuba: Das Land leidet unter
einer Revolution, die sich als Rohrkrepierer erwiesen hat

von Stephan Hamacher (Betty Blue)

Die Bitterkeit steht dem Mann ins Gesicht geschrieben. "Ist das etwa gerecht, dass ich als Ingenieur Fahrradreifen flicken muss und weniger verdiene als ein Müllarbeiter?" Und dann zieht eine Frau über die Sozialisten vom Leder. Die hätten das Land in den Ruin getrieben, früher sei alles besser gewesen. Ein Mädchen, zu jung, um das beurteilen zu können, weist mit dem Daumen nach unten. Ein klare Geste: Mit diesem Land geht es permanent bergab.

Kuba ist das letzte Bollwerk des Sozialismus in der westlichen Hemisphäre. Mit seinem Präsidenten Fidel Castro hält der treueste und starrköpfigste Vasall der längst verblichenen UdSSR immer noch die rote Fahne hoch - Jahre nach den Schwanengesängen von Planwirtschaft, Warschauer Pakt und Kaltem Krieg.

Dass der Sozialismus auch in Kuba nicht funktioniert, ist eine herbe Enttäuschung für jene Generation von Beatniks und Hippies, die bis in die 1970er Jahre hinein unverdrossen an die Revolution von Castro und Che Guevara geglaubt hatten. Und dass der Sozialismus immer noch Kuba regiert, ist eine herbe Enttäuschung für diejenigen, die auf eine Invasion von aussen oder eine Gegenrevolution von innen gesetzt haben.

Von den knapp elf Millionen Bewohnern des Landes leben rund zwei Millionen im Exil. Keine 200 Kilometer von Havanna entfernt sammeln sich in Florida Castros ärgste Gegner. Sie haben allesamt verschiedene Ansichten, was die Zukunft ihrer alten Heimat angeht. Zwei Anliegen aber teilen sie ohne Wenn und Aber: Sie wollen Castro töten, am liebsten sofort, und sie wollen Jahre nach der Enteignung ihre alten Besitztümer zurück.

Zukunftsmusik. Denn Castro und seine Genossen haben nicht nur Gegner auf der Zuckerinsel. Viele von denen, die vor der Revolution 1959 von der Industrie versklavt wurden, stehen jetzt in Lohn und Brot. Zwar ist alles rationiert, was auf der devisenschwachen Karibikinsel Mangelware ist - Lebensmittel ebenso wie Kleidung und Benzin. Aber mit Nebenjobs und Schwarzmarktgeschäften halten sich die Kubaner über Wasser. Und was Meinungsfreiheit und Menschenrechte angeht, so bleibt Castros Regime das kleinere Übel im Vergleich mit der Schreckensherrschaft seines Vorgängers Fulgencio Batista y Zaldivar.

Was den Ungarn einst der Gulaschkommunismus war, ist den Bewohnern der größten Antilleninsel ihr Improvisations-Sozialismus. Die Wirtschaftsblockade der US-Amerikaner hat die Insel zum Armenhaus verkommen lassen. Dennoch finden die Kubaner ihre Schlupflöcher, um Geschäfte abzuschließen.

"Turismo o muerte" -Tourismus oder Tod" heißt die sarkastische Zauberformel. Mit Hilfe ausländischer Investoren (darunter auch aus Deutschland) werden vor allem europäische und kanadische Feriengäste ins Land geholt, um Devisen zu kassieren. Die reiselustigen Kapitalisten werden in modernen Hotelreservaten auf der Halbinsel Varadero geparkt, bis sie ihre Dollar abgeliefert haben und die Heimreise antreten.

Varadero erlebt einen Bauboom, von dem sich die Kubaner eine unversiegbare Geldquelle erhoffen. Ob die Rechnung angesichts der schwachen Infrastruktur andernorts aufgeht, bleibt fraglich. Noch steckt Kuba im Chaos, und der Anblick der dollarbestückten Fremden lässt Castros Kinder neidisch werden.

Kubaner selbst zahlen mit dem Peso, einer Währung, die Touristen nur durch Schwarzhandel in die Börse bekommen. Offiziell muss der Peso im Wert 1:1 gegen US-Dollar getauscht werden, tatsächlich ist die amerikanische Münze 20x mehr Wert. Luxusartikel gibt es dagegen nur gegen hartes Geld aus dem Ausland. In Kuba aber ist selbst Shampoo ein Luxusartikel. Neben Peso und Dollar existiert noch eine dritte Währung, der Peso convertible. Diese Scheine entsprechen dem Wert der US-Währung, gelten nur auf Kuba als Zahlungsmittel und decken notfalls das mangelnde Angebot von Dollarscheinen auf dem heimischen Markt. Wer als Ausländer mit Spott auf die sozialistische Tretmühle blickt, sollte nicht vergessen, dass die kubanische Misere zu einem großen Teil Fremden zu verdanken ist. Die Karibikinsel war immer schon Zankapfel ausländischer Mächte gewesen. Nachdem die Spanier Kuba ausgebeutet, die Indianer der Insel ausgerottet und an deren Stelle Sklaven eingeschleppt hatten, waren die Amerikaner am Zuge. Sie verwandelten Kuba nach dem Zweiten Weltkrieg in die größte Spielhölle der USA, aus Havanna wurde ein Treffpunkt für Bordellgänger, Mafiosi und Spekulanten.

Auch Deutschland hat seinen Beitrag geleistet, Kuba in den Zustand zu versetzen, in dem es sich jetzt befindet. Nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten hatte die Bundesrepublik als erstes die zwischen Kuba und der DDR geschlossenen Verträge gekündigt. Infolgedessen verrottete deutsches Milchpulver auf dem EU-Agrar-Müllberg. Kubanische Kinder, die die Milch dringend benötigt hätten, gingen leer aus. Was nach Castro kommt, vermag niemand zu sagen. Jedes Jahr hoffen Exilkubaner auf ein schnelles Ende. Aber der tropische Sozialismus hat fast 40 Jahre überlebt - trotz Mordanschlägen, lnvasionsversuchen, Energiekrisen und Wirtschaftsembargo. Der kubanische Sozialismus ist ein Paradoxon, das der Soziologe und Volkswirt Juan Blanco einmal auf die knappe Formel gebracht hat: "Dass die Aussichten gegen unsere Revolution sprechen, ist das. Typische daran. Wissenschaftlich gesehen hat sich unsere Revolution nach dem Prinzip des Zufalls entwickelt."

Als Castro und Che Guevara 1956 an Bord der Jacht "Granma" aus dem mexikanischen Exil nach Kuba kamen, um den Kampf gegen Batista aufzunehmen, hatten sie 19 Gewehre und eine seekranke Truppe im Rücken. Damals fragte sich jedermann, wie sich so überhaupt eine Revolution anzetteln lässt. Heute fragt sich die Welt, warum die gleichen Leute noch immer am Ruder sind.


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