Zweifellos ist der abschätzige Begriff "Hunne" auch in anderen Ländern benutzt worden; neben Frankreich auch in den Vereinigten Staaten - gegen die Deutschen - und in Deutschland selbst. Die Verwendung des Begriffs "Hunne" in allen diesen Fällen war jedoch eher ein singuläres und peripheres Phänomen, keineswegs durchgängig und schon gar nicht eine langfristig angelegte, zielbewußte Feindpropaganda. Eine solche entwickelte sich erst, als die "Times" am 29. August 1914 in Zusammenhang mit den Vorfällen in Löwen [britische Artillerie hatte die berühmte Bibliothek von Löwen zerstört, schob diese Zerstörung jedoch den Deutschen in die Schuhe, denen sie überdies Vorsatz unterstellte, Anm. Dikigoros] nicht die deutschen Truppen, ihre Generäle oder militärische Führung, auch nicht den Kaiser, sondern die Deutschen per se als Hunnen titulierte. Dabei verwies man ausdrücklich auf Wilhelms II. Hunnenrede. Zwar folgten die Franzosen dem englischen Beispiel umgehend - immerhin handelte es sich bei der "Times" nicht um ein Sensations- oder Massenblatt, sondern um eine Zeitung, die der britischen Regierung am nächsten stand -, aber auch danach blieb der Deutsche in Frankreich "le boche". Das Bild des verschlagenen und diabolischen, primitiven und zugleich abscheulichen Hunnen-Deutschen zieht dagegen durch die ganze angelsächsische Propaganda während des gesamten Krieges, ja darüber hinaus. Mit dem Slogan "Once a German - always a German!" und dem Porträt eines angeblich stereotypen Deutschen mit asiatischen Gesichtszügen versuchte man noch nach Kriegsende, eine Identität zwischen dem brutalen deutschen Hunnen-Soldaten des Krieges und dem deutschen Zivilisten der Nachkriegszeit herzustellen. [Diesem Zweck diente auch die - bereits vor dem Krieg von jüdischen Kaufleuten gegründete - "Anti German Union", Anm. Dikigoros]
Der so karikierte Deutsche, mit allen überhaupt vorstellbaren bösen Eigenschaften versehen - "Baby-killer", auch Antisemitismus ist nachweisbar - besaß entweder asiatische Züge und/oder eine fast tierisch zu nennende Physiognomie, die den inhumanen, verderblichen - und verschlagenen -, aber auch gefährlichen Charakter besonders unterstreichen sollte.
Teilweise tritt der Deutsche direkt als Tier auf. Bevorzugt wird die Darstellung als Affe oder als affenähnliches Monster, als King Kong. [So auch wieder im Zweiten Weltkrieg, Anm. Dikigoros]
Es steht außer Frage, daß solche und ähnliche Versuche, die Deutschen herabzusetzen und zu verunglimpfen, wirksam waren. Vor allem aber hinterließen und produzierten die in angelsächsischen Ländern massenhaft vertriebenen Bilder vom und über den Deutschen als Hunnen eines: Angst. Die Botschaft der Bilder wurde verstärkt durch Nachrichten von den Greueltaten der Deutschen, wie sie in allen britischen Zeitungen und Zeitschriften tagtäglich zu lesen waren. Gerade jener Teil der Presse, der am ehesten von den Arbeitern gelesen wurde, die Sensationsblätter mit dem niedrigsten Preis und den größten Auflagen in Europa, wie etwa die "Daily Mail", gab den Horrorgeschichten über die Deutschen freien Lauf. Die Furcht unter der Bevölkerung wurde so groß, daß die offizielle Kriegszensur, das "Press Bureau", an die Zeitungen appellierte, to "refrain from publishing further articles which may add to the feeling of apprehension ... already prevalent specially among the poorest and most ignorant classes". Die Mahnung der Zensur blieb aber erfolglos, da ihr die Autorität fehlte, solche und ähnliche Artikel zu unterbinden. Das Angstszenario wurde aber nicht nur von der Presse geschürt. Die Geistlichen der anglikanischen Kirche verbreiteten in ihren Predigten durchaus ebenbürtige Schreckgespenster. Der Prediger P.M. Yearsley aus Wimbledon etwa warnte vor einer erfolgreichen deutschen Invasion Englands. Die Deutschen hätten dann vor, "to destroy every male child".
Die hinter der Verbreitung des Phänomens "Angst" unter der britischen Bevölkerung stehende Logik ist unübersehbar. Über die Assoziation mit der Primäremotion Angst sollte Wut, über Wut Haß hervorgerufen werden. Die vorgebliche Hilflosigkeit des Opfers und die Angst vor dem grausamen, anscheinend übermächtigen Gegner konnte über Haß in Widerstand, ja Rache transformiert werden. Dies wird in der bildhaften Propaganda noch deutlicher als in der literarischen.
Die Erfolge dieser Art von Propaganda, durch die Stimulation von Angst über Haß und damit zur Gegenwehr zu gelangen, sind offenkundig. Ausbrüche des Mobs gegen die in England lebenden Deutschen fielen regelmäßig zusammen mit Berichten über deutsche Greueltaten. "No immigrant community in twentieth century Britain has endured violence on such a scale." Immerhin lassen sich in anderen am Krieg beteiligten Ländern ähnliche Ausschreitungen feststellen, und nicht zuletzt hat es auch in Deutschland Reaktionen der Bevölkerung gegen angebliche ausländische Spione und Agenten gegeben, die nur durch Hysterie erklärbar sind.
Ein anderer Punkt scheint mir bedeutsamer. Trotz einer - bis zum 26. Januar 1916 - nur aus Freiwilligen bestehenden britischen Streitmacht konnten zwischen August 1914 und Dezember 1915 insgesamt 2.466.719 Männer in den Kriegsdienst überführt werden. Es war dies die größte Freiwilligenarmee der Geschichte. [Anm.: Die so genannten "Kitchener-Soldaten", benannt nach dem amtierenden Kriegsminister. Sie wurden ohne richtige Ausbildung an die Front geschickt und dort gnadenlos verheizt. Trauriger Höhepunkt war die Somme-Schlacht, bei der allein am ersten Kampftag - nach Tage langer, aber mangelhafter Artillerie-Vorbereitung - 50.000 Briten fielen. Dikigoros schreibt bewußt nicht "Engländer", denn die Mehrheit waren Schotten und Iren. Nicht viel besser erging es den australischen und neuseeländischen Freiwilligen, die in fast ebenso großer Anzahl an den Dardanellen verheizt wurden, und den Indern. Ihnen allen wurden im Gegenzug für ihre Meldung zum Kriegsdienst falsche Versprechungen in Sachen Unabhängigkeit gemacht - auch eine Art von besonders perfider Propaganda.] Es wäre übertrieben behaupten zu wollen, daß dieser enorme Rekrutierungserfolg allein auf die weite Verbreitung der Angst- und Greuel-Propaganda zurück zu führen gewesen sei. Ein Zusammenhang zwischen den beiden Momenten scheint mir gleichwohl gegeben.
Daß die in der Heimat geschaffenen Feindbilder bei den Frontsoldaten auf wenig Gegenliebe stießen, gilt als gesichert. Für Deutschland kann für viele Ernst Toller exemplarisch genannt werden. Ähnliches ist für England konstatiert worden. Da eine ganze Kultur vom Bild des Gegners als "Hunnen" geprägt worden war, scheint es aber nahezu ausgeschlossen, daß sich größere Gruppen dieser Propaganda hätten entziehen können. Die für ihre Greuelberichte besonders berüchtigte "Daily Mail" wurde auch an der Front verkauft. Belege dafür, daß das Schimpfwort "Hun" - eine nur annähernd vergleichbare, negativ konnotierte Bezeichnung für die Briten gab es unter den Deutschen nicht - auch und gerade unter den Soldaten Großbritanniens und seines Empire weit verbreitet, ja selbstverständlich geworden war, gibt es zuhauf. Schon in den Ausbildungslagern benutzte man Strohpuppen mit Kaiser-Wilhelm-Schnurrbärten zum Bajonettieren. Verschiedene Anzeichen deuten jedenfalls darauf hin, daß die Angst-, Haß- und Greuelpropaganda auch in der militärischen Konfrontation ihre Effektivität durchaus unter Beweis gestellt hat. Noch unter größtem emotionalen Stress und einem überwältigendem Verlangen nach Bedauern und Mitleid traten die bekannten Bilder des "hateful, bullying, swaggering Prussian" in Erscheinung und wurden nicht wirklich hinterfragt. In einer ganzen Reihe von Fällen liegt ein direkter Zusammenhang zwischen Propaganda und dem Ausleben von Rachegefühlen auf der Hand. Wie durchschlagend die Angstpropaganda vor den "Hunnen" gewesen sein muß, läßt sich vielleicht daran ermessen, daß noch in den Alpträumen der Kriegsneurotiker der unheimliche Chinese auftritt.
Großbritannien war das einzige Land, dessen Kriegseintritt 1914 wirklich umstritten war. Die Geschichte der beiden Weltkriege verzerrt, daß die Deutschen in der britischen Bevölkerung vor 1914 größere Sympathien besaßen als die Franzosen, erst recht als Italiener oder Russen. Auch die Staatsformen der beiden Länder waren sich ähnlicher als es die post hoc-Perspektive zuläßt. Sowohl Großbritannien wie das Deutsche Reich waren konstitutionelle Monarchien. Wer "parlamentarischer", wer "liberaler" geprägt war, erschien damals sekundär gegenüber den gänzlich anderen: der französischen Republik und der russischen Autokratie. Großbritannien war nicht föderalistisch strukturiert, aber es hatte doch Regionen, die autonome Rechte und Privilegien konserviert hatten. Schließlich war sowohl in Großbritannien wie in Deutschland der Protestantismus die bestimmende Konfession gegenüber dem katholischen Frankreich und dem orthodoxen Rußland. Der Austausch der Eliten beider Länder mag im letzten Jahrzehnt vor 1914 nachgelassen haben - eine vergleichbare Kooperation zwischen englischen und französischen Intellektuellen hat es auch nach dem Abschluß des militärischen Bündnisses jedenfalls nicht gegeben. Nicht zuletzt waren die beiden Herrscherfamilien, darüber hinaus aber auch zahlreiche weitere Adelige sowie eine auffallende Zahl von Diplomaten und Politikern auf beiden Seiten familiär an das jeweils andere Land gebunden.
Zwar gab es die bekannte Flottenrivalität, aber ein eigentliches Feindbild bestand unter breiten Schichten der Bevölkerung - noch - nicht. Für die "balance of power" in Europa, auch für das Schicksal Belgiens gegen Deutschland in den Krieg zu ziehen, war eine Sache, dies der großen Masse der Unter- und Mittelschichten beizubringen, eine andere. Die britische Angst- und Greuelpropaganda sollte zunächst die eigene Bevölkerung davon überzeugen, daß dieser Krieg wirklich geführt werden mußte, daß es ein gerechter Krieg war und daß das Land des Feindes keineswegs ein Land war, dessen Menschen und Politik man achten und schätzen konnte. Unterschwellig schwingt bei dieser Propaganda eine gewisse Ratlosigkeit mit, vielleicht auch ein schlechtes Gewissen, wie man diesen keineswegs selbstverständlichen Eintritt in den Krieg der eigenen Bevölkerung denn vermitteln könnte.
Haß gegenüber den Deutschen war zunächst schwierig zu vermitteln, Angst dagegen schon. Angst vor dem supermodern erscheinenden, gefeierten und sich selbst feiernden Deutschland, dem so viel zu gelingen schien. Modris Eksteins hat diesen ersten Krieg zwischen Deutschland und Großbritannien als Auseinandersetzung zwischen dem modernen Deutschland und dem traditionellen England charakterisiert. Wenn diese Interpretation zutrifft, dann entwickelte sich ein erstaunliches Paradoxon: Das konservative England war in der Anwendung moderner Instrumentarien (Propaganda, Tanks) entschlossener und erfolgreicher als Deutschland und konnte so mit Hilfe der Moderne den gefährdeten, eigenen Konservativismus stabilisieren.
Nach Ausbruch des Krieges hatte man allerdings weniger Angst vor Deutschland als Angst vor der eigenen Bevölkerung. Großbritannien besaß kein stehendes Heer, erst recht keine allgemeine Wehrpflicht. Die Arbeiterschaft war dem Militärdienst bislang nicht nur ferngeblieben, sondern von ihm regelrecht ausgeschlossen gewesen. Ihre Loyalität, zumal in einem militärischen Konflikt, war eine unbekannte Größe und wurde von maßgeblichen Militärs und Politikern bezweifelt. Mit keinem der europäischen Länder, die sich im Krieg befanden, hatte Großbritannien gemeinsame Grenzen. Eine Invasion schien, objektiv betrachtet, völlig ausgeschlossen. Von der Insel aus gesehen, mußte dieser Krieg irreal erscheinen. Und wie zuverlässig war die eigene Bevölkerung in einem solchen Krieg, in dem es wenig zu gewinnen, aber viel zu verlieren gab?
Die deutsche Oktoberrevolution im Anschluß an die militärische Niederlage des Reiches verdeckt, daß die soziale Ordnung des Deutschen Reiches von außen als relativ stabil angesehen werden konnte. Das deutsche Sozialversicherungssystem wurde sowohl in Großbritannien wie in Frankreich bewundert und zur Nachahmung empfohlen. Großbritannien aber besaß nach Rußland das rigideste Klassensystem Europas. Die extremen Klassenunterschiede wurden hier kultiviert wie nirgendwo sonst. Es bedürfte einer ausführlicheren und eigenständigeren Untersuchung, doch die Anzeichen scheinen eindeutig: Die politische Führung Großbritanniens mißtraute dem eigenen Volk, und dieses Mißtrauen ist bis zum Ende des Krieges nie ganz geschwunden. Das erklärt die überaus harten Maßnahmen gegenüber Deserteuren ebenso wie das eilfertige, fast überstürzte Nachgeben der Regierung bei Streiks. Es erklärt auch, warum die britische Regierung die deutschen Friedensinitiativen so hartnäckig ablehnte. Alles andere als ein vollständiger Sieg Großbritanniens wäre für die politische Klasse des Landes eine Katastrophe gewesen, ein doomsday-Szenario, das bis zum Ende des Kriegs immer wieder in der Luft lag. Ein auch nur teilweises Nachgeben gegenüber Deutschland dagegen hätte die soziale Ordnung dort keineswegs gefährdet; nur die vollständige militärische Niederlage hat dazu führen können. Eine solche Interpretation macht die sonst unerklärliche Inaktivität, das ohnmächtig-hilflose Erstaunen des deutschen Adels angesichts seines politischen Untergangs im Spätherbst 1918 verständlicher: Der deutsche Adel war auf seinen Abschied nicht vorbereitet, weil eine solche Entwicklung 1914 und auch nicht zu einem späteren Zeitpunkt vor Oktober, vielleicht September 1918, vorauszusehen war.
Vor allem aber kann diese Sichtweise die englische Angstpropaganda besser erklären. Nur die Angst vor dem äußeren Feind konnte die erheblichen Risse in der eigenen Gesellschaft zudecken:
The cult of hatred and xenophobia is the cheapest and surest method of obtaining from the masses the ignorant and savage patriotism which puts the blame for every political folly or social misfortune upon the foreigner.
Keine Frage, über die britische Angstpropaganda konnten viele angesprochen werden: Alle sozialen Klassen und Schichten des eigenen Landes ebenso, wie möglichst viele der verbündeten Staaten bzw. Völker einschließlich jener, die dem Krieg noch fern standen und die man hoffte, mit einbeziehen zu können. Die Verwendung des terminus "Hunne" sollte sich gerade außerhalb Europas als propagandistischer Volltreffer erweisen. In Europa lagen historische Assoziationen mit Hunnen und einer östlichen Bedrohung des christlichen, zivilisierten Abendlandes lange zurück. Die "Yellow Peril" aber erschien in den Dominions und auch in den Vereinigten Staaten seit dem ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert nicht als waghalsige Vorstellung von Exzentrikern, sondern als eine reale, zumindest glaubwürdige Beschreibung einer unmittelbar bevorstehenden Zukunft. Als Folge des Goldrausches war es in Australien, Neuseeland und Kalifornien zu einer gewissen chinesischen Einwanderung gekommen, die rassistisch-hysterische Reaktionen hervorrief, die bis zu pogromartigen Unruhen reichten. Phobien, von Asiaten "überschwemmt" zu werden, waren ebenso ubiquitär wie das Schreckgespenst einer asiatischen militärischen Invasion. In allen genannten Fällen gab es eine auf rassi[sti]schen Prinzipien aufgebaute Einwanderer-Gesetzgebung.
Die Angstpropaganda vor den Hunnen konnte auf kein besseres geistiges Schlachtfeld treffen als ausgerechnet hier. Dabei spielte es keine Rolle, daß der Hunne eigentlich ein Deutscher war. Er konnte ja die Chinesen für seine Schandtaten rekrutieren (Abb. 38). In den Dominions war der Nachhall der Hunnen-Erfahrung deshalb auch besonders intensiv. Premierminsier Massey von Neuseeland drängte bei den Friedensverhandlungen in Paris besonders hartnäckig auf die Bestrafung der Verantwortlichen für die deutschen Greueltaten. Er hatte das Hunnenbild so sehr verinnerlicht, daß er selbst bei der Vorbereitung des Friedens Propaganda und Wahrheit nicht mehr voneinander unterschieden konnte. Anläßlich der Pariser Friedensberatungen erreichte die anti-deutsche Greuelpropaganda einen neuen Höhepunkt, und die Öffentlichkeit wurde aufs neue mit Schauergeschichten deutscher Untaten überhäuft. Ist es da Zufall, daß Australier und Kanadier ihre ausgesprochen feindselige Haltung auch als Besatzungstruppen im Rheinland nicht abgelegt haben? Außerdem fällt auf, daß Australier immer und immer wieder als Hauptverantwortliche für - moderat ausgedrückt - Übergriffe gegen verletzte und kampfunwillige deutsche Soldaten sowie Kriegsgefangene genannt werden.
Die groteskesten und skurrilsten Formen der Angst- und Greuelpropaganda wurden in den Vereinigten Staaten erreicht. Strothmanns "Beat Back the Hun!" aus dem Jahre 1918 ist die perfekte Darstellung eines Alptraums. Ein zum Angriff bereiter deutscher Soldat starrt mit unheimlichen Augen auf sein anonymes Opfer. Sein Bajonett und seine Hände sind rot von Blut. Der gelbe Hintergrund, der an die Giftgasgefahr erinnern mag, verstärkt noch den düsteren Eindruck. Der deutsche Hunne in "Hun or Home" wirkt dagegen durch seine bewußt schemenhaft gehaltene Riesengestalt so besonders gefährlich.
[Anm. Dikigoros: H. J. Hiery kapriziert sich hier in Sachen "Gas" auf die doch eher imaginäre Anspielung durch den "gelben" (?) Hintergrund des linken Bildes. (Dikigoros findet das rechte Bild, das er selber hinzugefügt hat, nicht nur in dieser Hinsicht viel eindringlicher.) Dabei übersieht er die ganz konkrete Behauptung, die Deutschen würden Giftgas gegen die Zivilbevölkerung einsetzen (was in Wahrheit nur die Briten taten, die mit ihren Granaten ganze Städte "vergasten", während die Deutschen Gas ausschließlich direkt an der Front abbliesen) auf der berühmt-berüchtigten Zeichnung des "Australian Bulletin" vom 1. Juli 1915 - oben Abb. 27 -, von der meist nur ein Ausschnitt gezeigt wird, genauer gesagt die oberen zwei Drittel, mit dem Zeppelin, dem gekreuzigten Christus, dem Baby am Spieß und Kaiser Wilhelm hoch zu Roß. Aber Dikigoros (der das sonst ebenso handhabt) will an dieser Stelle auch einmal den unteren Teil vollständig abbilden, mit dem "Hunnen"-Stiefel, der auf den nackten Rücken der vergasten Frau tritt:
Nach dem Krieg erfuhren die Zeitungsleser, daß man sie belogen hatte - und sie wußten auch, daß diese üble anti-deutsche Haß- und Hetzpropaganda durchweg von Juden gemacht worden war. Daß man denen erstmal nichts mehr glaubte, darf nicht verwundern. Nach dem Zweiten Weltkrieg war man klüger: Da wurde das bloße Infragestellen ("Leugnen") der neuerlichen Propagandalügen zur Straftat gemacht - und ist es in Mitteleuropa bis heute geblieben.]
Es mag ja sein, daß die Kriegsentscheidung der Vereinigten Staaten nicht von der britischen Propaganda beeinflußt worden ist. Die Wirkung dieser Propaganda sollte man aber keineswegs zu niedrig ansetzen. Es steht fest, daß sich durch die Angst- und Greuelpropaganda innerhalb weniger Jahre das Deutschlandbild der Amerikaner radikal gewandelt hat. Am Ende des Krieges "it was popularly believed that ... every German was instinctively and unalterably a babykiller." Das Ausmaß der antideutschen Hetze in Amerika übertraf jene in Europa bei weitem, was in der lange schwankenden Haltung der Bevölkerung und der späten und zögerlichen Mobilisierung der amerikanischen Truppen eine Erklärung finden mag. Die amerikanische Filmindustrie hatte an der sich heraus bildenden, heftigen anti-deutschen Stimmung erheblichen Anteil. Schon die Filmtitel stehen für sich: "Claws of the Hun", "The Hun within", "To Hell with the Kaiser", "The Kaiser, the Beast of Berlin". Sexuelle Konnotationen, in denen Sadismus eine große Rolle spielte, gehörten zum Standard-Repertoire der für Amerika typischen Propaganda.
In den klassischen Propaganda-Filmen Hollywoods landeten sadistische deutsche Soldaten irgendwo an der ungeschützten amerikanischen Küste, überfielen junge hübsche Amerikanerinnen, bis diese schließlich durch den tapferen amerikanischen Helden gerettet werden konnten. Die amerikanische Praxis, in Kinos zu klatschen, zu johlen, zu pfeifen und zu buhen, geht wahrscheinlich auf diese Kriegszeit zurück. In The Little American (1917) erkennt man die Versenkung der Lusitania, die deutsche Invasion Amerikas und deutsche "Hunnen", die sich an amerikanischen Rot-Kreuz-Krankenschwestern vergreifen. In For Liberty ermordet ein deutscher Offizier einen amerikanischen Jungen. Till I come back to You zeigte belgische Kinder, die über den Rhein getrieben wurden, um in deutschen Munitionsfabriken als Sklavenarbeiter ihr Leben zu fristen. The Spirit of '76, der einzige Film, der den Spieß umdrehte und britische Soldaten vorführte, die Frauen und Kinder bajonettierten und junge Mädchen wegzerrten, wurde indiziert, der Produzent, Robert Goldstein, wegen Aufstachelung zum Haß zu zehn Jahren Haft verurteilt, wovon er drei Jahre absitzen mußte. In America Must Conquer schließlich wurde die besiegte deutsche Führung vor die Wahl gestellt, sich entweder erschießen oder sterilisieren zu lassen.
Als radikalste, aber offenbar einfachste Lösung des "Hunnenproblems" wurde auch literarisch ernsthaft die Sterilisation der Deutschen vorgeschlagen:
Statesmen, generals, diplomats, editors are now talking about the duty of simply exterminating the German people. There will shortly be held a meeting of surgeons in this country. ... These surgeons are preparing to advocate the calling of a world conference to consider the sterilization of the ten million German soldiers and the segregation of the women, that when this generation of German goes, civilized cities, states and races may be rid of this awful cancer that must be cut clean out of the body of society.
Modern wars, which involve every stratum of society and not merely a limited number of professional soldiers, cannot be fought unless the peoples drawn into the war feel that they are fighting for a righteous cause, and they will not continue fighting unless their enemy is presented to them as the incarnation of evil itself.
Erst der Ausbau der Propaganda, der den Feindbegriff unterschiedslos, und zwar in der extremsten Form, auch auf die Nichtkombattanten des Gegners ausdehnte, nicht die militärische Kriegführung an sich, hat den totalen Krieg begründet. Wenn der Erste Weltkrieg also tatsächlich der erste totale Krieg war, dann bedeutete die Niederlage Deutschlands in diesem Krieg mehr als nur eine weitere Niederlage im unübersehbaren historischen Drama von Siegen und Niederlagen. Ein Präzendenzfall wurde geschaffen, der Nachwirkungen hatte, die bis in unsere Zeit hineinreichen. Die unmittelbaren Erfolge der alliierten Angst- und Greuelpropaganda, etwa der tiefe, vor allem moralische Fall des letzten deutschen Kaisers, der vom modernsten und populärsten europäischen Herrscher vor 1914, durch diese Propaganda zum allgemeinen Sündenbock, zuerst bei den Alliierten, zuletzt auch unter dem eigenen Volk wurde, treten demgegenüber weit zurück. Nicht nur wurden die Beziehungen der Völker, zusätzlich zu den enormen Leiden, die der physische Krieg ohnehin mit sich gebracht hatte, auf Jahrzehnte vergiftet, sondern es wurde ein Teufelskreis in die Welt gesetzt, dem sich kaum einer entziehen konnte. Schon während des Kriegs wurden durch die Angst- und Greuelpropaganda wirkliche oder weitergehende Ausschreitungen erst hervorgerufen:
The Allies, say, would invent an atrocity story about the Germans, which might incite the Allied troops to genuine acts of reprisals, which in turn would lead the Germans, now feeling themselves to be the aggrieved party, to take drastic revenge. Then revealed, these retaliation atrocities would be used as evidence to prove the truth and justice of the original, invented story.
Der typischste Fall eines solchen Teufelskreises von Angst, Haß und Gewalt war Belgien. Daß Angst- und Greuel-Propaganda auch zurück schlagen kann, belegt das King-Kong-Plakat, das 1916 [also schon vor offiziellem Kriegseintritt, Anm. Dikigoros] die Amerikaner zum Krieg gegen Deutschland aufstacheln sollte. Beim Ausbruch des Zweiten Weltkrieges ließ Propaganda-Minister Goebbels das Plakat nachdrucken, um die deutsche Bevölkerung zu dem Glauben zu instigieren, der Krieg werde nicht gegen Nazi-Deutschland geführt, sondern er sei das Ergebnis eines ausgeprägten Deutschenhasses. [So war es ja auch, Anm. Dikigoros]
Eine der schlimmsten Folgen der Angst- und Greuelpropaganda war ihr Eindruck auf den jungen Adolf Hitler und die Schlußfolgerungen, die dieser daraus zog.
"An dieser feindlichen Kriegspropaganda habe auch ich unendlich gelernt. ... Wenn ... Völker um ihre Existenz auf diesem Planeten kämpfen ... fallen alle Erwägungen von Humanität oder Ästhetik in ein Nichts zusammen."
Zu den fatalen Resultaten der englischen Propaganda gehört auch die Geschichte von der Leichenverwertungsfabrik, die die Deutschen betrieben haben sollen und in denen angeblich menschliche Leichen zu Seife eingekocht wurden. Sie wurde weltweit verbreitet und auf Verlangen der britischen Regierung auch ins Spanische, Portugiesische, Schwedische und Holländische übersetzt. Im Oktober 1925 schließlich bekannte Brigadegeneral John Charteris bei einer Rede in New York, daß man, um die Geschichte glaubwürdiger zu machen, auch das Tagebuch eines deutschen Soldaten gefälscht hatte. Eine amerikanische Provinz-Zeitung kommentierte:
"These frank admissions of wholesale lying on part of trusted Governments in the last war will not soon be forgotten." [Wohlgemerkt: Die Zeitung kritisierte nicht etwa die Greuelpropaganda, sondern vielmehr das Eingeständnis, daß sie auf Lügen beruhte, Anm. Dikigoros]
Weit über die amerikanische Provinz hinaus scheint diese Geschichte im Bewußtsein und der Erinnerung der Menschen verankert gewesen zu sein. Die Folge davon war, daß in Deutschland, aber auch darüber hinaus, den Nachrichten von den Greueln an den Juden in den Konzentrationslagern lange Zeit kein Glauben geschenkt wurde. "Die Entstellung der Tatsachen im Ersten Weltkrieg war mit daran schuld, daß der Blick auf die Wirklichkeit des Zweiten Weltkriegs verschleiert wurde."
zurück zu John J. Pershing
zurück zu Die [un]schöne Welt der Illusionen
heim zu Reisen durch die Vergangenheit