Die unüberschaubare Anzahl der politikwissenschaftlichen Literatur, die sich
auf Europa bezogen mit dem Phänomen "Neue Rechte" befaßt, macht deutlich, daß es
sowohl sehr unterschiedliche Definitionen als auch verschiedenartige
Vorgehensweisen gibt, um diesen Untersuchungsgegenstand zu bearbeiten. Für Japan
liegt im Gegensatz dazu nichts vergleichbares vor.
Für eine wissenschaftliche Untersuchung des Phänomens "Japans Neue Rechte", erscheint es
mir - in Ermangelung eines bereits entwickelten Forschungsansatzes - deshalb
zunächst sinnvoll, einen methodologischen Ansatz zu konzipieren, der es
ermöglicht, sich vor dem Hintergrund intersubjektiv nachprüfbarer Kriterien dem
Phänomen "Japans Neue Rechte" anzunähern.
Ziel der vorliegenden Arbeit ist
es, das Forschungsfeld "Japans Neue Rechte" mittels eines von Dudek und Jaschke
entlehnten Modellansatzes systematisch zu analysieren(1). Die verwendete
Methode beschränkt sich dabei allerdings auf eine eher historisch-deskriptive,
detaillierte Art der Darstellung, da weder auf empirische Vorarbeiten noch auf
verläßliche theoretisch-methodische Ansätze zurückgegriffen werden konnte. Durch
die Verwendung des Modells von Dudek und Jaschke wird dennoch versucht, das
Thema in Ansätzen analytisch zu behandeln.
Im dritten Kapitel erfolgt eine
Annäherung an das Phänomen Rechtsextremismus, indem den in der einschlägigen
deutschsprachigen Literatur angegebenen Hauptmerkmalen dieser Denkrichtung
Definitionen aus der japanischsprachigen Literatur gegenübergestellt werden, um
Unterschiede und Gemeinsamkeiten der extremen Rechten als Begriff für ein in
Deutschland und Japan gleichermaßen präsentes historisch-politisches Phänomen
herauszuarbeiten.
Im Anschluß daran wird im vierten Kapitel ein für diese
Studie zutreffender Arbeitsbegriff Rechtsextremismus entwickelt.
Zum Verständnis der ideologischen Strömungen, aber auch einiger
organisationsspezifischer Eigenheiten, die im rechtsextremistischen Lager
Japans vorzufinden sind, ist es nötig, sich zumindest in groben Zügen mit der
Entstehungsgeschichte der rechtsextremen Bewegung in Japan vertraut zu machen.
Dem wird im fünften Kapitel dieser Arbeit Rechnung getragen.
Ab dem sechsten Kapitel beginnt, abgeleitet aus der Kritik an den im dritten Kapitel
dargestellten Herangehensweisen und unter Berücksichtigung der bereits erwähnten
spezifischen Besonderheiten des japanischen rechtsextremen Lagers, die
Präzisierung des Forschungsfeldes "Neue Rechte" in Hinblick auf die
Notwendigkeit einer konkreten Standortbestimmung der "Neuen Rechten" in Japan.
Dies geschieht in Anlehnung an den von Dudek und Jaschke formulierten Ansatz,
der auch in der Studie von Mantino Verwendung findet, die bei der Konzeption
dieser Arbeit ebenfalls herangezogen wurde (2). Dadurch soll
eine Präzisierung des Rechtsextremismus in Japan ermöglicht werden, in deren
Kontext die "Neue Rechte" den Stellenwert einer "rechten Subkultur" erhält,
"deren Strukturen sich durch Untersuchung ihrer Organisation
(organisationssoziologische Dimension), ihrer Wertorientierung (ideologische
Dimension) sowie ihrer Wechselbeziehung zur Gesamtkultur
(interaktionstheoretische Dimension) aufschlüsseln lassen" (3).
Dabei liegt das
Schwergewicht auf der neurechten Gruppe Issuikai um Suzuki Kunio. Mit
dieser Arbeit soll den diffusen Untersuchungen zum Thema Rechtsextremismus in
Japan der Versuch einer systematischen Analyse entgegengestellt und außerdem ein
Beitrag zur sozialwissenschaftlichen Japanforschung geleistet werden.
"Öffentliche Deutungen rechtsextremer Ereignisse und Bewegungen sind schon häufig deshalb verzerrt, weil sie aus zweiter und dritter Hand gespeist sind. Dieses Empirie-Defizit gilt nicht nur für journalistisch orientierte und/oder im unmittelbar politischen Zusammenhang antifaschistischer Aufklärung entstandene Arbeiten, sondern auch für sozialwissenschaftliche Analysen. der weitaus größte Teil der Sekundärliteratur fußt auf persönlichkeitspsychologischen Spekulationen und potenziert kolportierten Fehlinformationen und -deutungen aus zweiter Hand" (15) .Schwerpunkt der Untersuchung war aufgrunddessen die Auswertung der Primärliteratur, in erster Linie der Aufsätze und Werke Suzuki Kunios (16), Nomura Shûsuke (17) und Yamadaira Shigekis (18), der Bekennerschreiben und Erklärungen zu terroristischen Aktionen der Neuen Rechten (19) sowie der durch das Internet zugänglichen Homepages von Organisationen der japanischen Neuen Rechten.
Zum anderen hat jede Definition von Rechtsextremismus einen
gesellschaftsrelativen Aspekt: Der Begriff Extremismus setzt die Definition
eines gesellschaftlichen Normenbereichs voraus, jenseits dessen die Normalität
endet und der Extremismus beginnt. Als Extremismus kann man Handlungen und/oder
Einstellungen definieren, die außerhalb gegebener Grenzen
(Normen/Gesetze/Verfassung) liegen, durch die der Konsenskern einer Gesellschaft
als markiert gilt (21).
In der
Bundesrepublik löste der Extremismusbegriff 1974 im offiziellen Sprachgebrauch
den Begriff des "politischen Radikalismus" ab. Im Verfassungsschutzbericht heißt
es hierzu:
"In früheren Verfassungsschutzberichten werden solche Bestrebungen (die sich gegen den Grundbestand der Verfassung richten, d.Verf.) als 'radikal' bezeichnet. Der Begriff 'extremistisch' trägt demgegenüber der Tatsache Rechnung, daß politische Aktivitäten oder Organisationen nicht schon deshalb verfassungsfeindlich sind, weil sie eine bestimmte, nach allgemeinem Sprachgebrauch 'radikale', das heißt bis an die Wurzel der Fragestellung gehende Zielsetzung haben. Sie sind 'extremistisch' und damit verfassungsfeindlich im Rechtssinne nur dann, wenn sie sich gegen den Grundbestand unserer freiheitlich rechtsstaatlichen Verfassung richten"Der Rechtsextremismusbegriff ist in der Bundesrepublik, was die juristische und strafrechtliche Seite betrifft, aber bereits seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts gegen die Sozialistische Reichspartei (SRP) festgelegt. Das Urteil legt fest, daß die Anerkennung der "freiheitlich demokratischen Grundordnung" als Minimalvoraussetzung die Bejahung bestimmter Prinzipien verlange, gegen die die SRP verstoßen habe (23).
"Als rechtsextrem kann man Personen, Organisationen, Gruppen bezeichnen, die autoritäres, antipluralistisches, antiparlamentarisches, zivilisationskritisches und nationalistisches (bes. fremdgruppenvorurteilsbehaftetes) Gedankengut vertreten und bei denen zu dieser 'politischen Philosophie' noch ein rigides, auf Entweder-Oder-Dichotomien fixiertes Gedankenschema hinzutritt" (25).Für Verwirrung sorgt in zahlreichen Veröffentlichungen die Verwendung des Faschismusbegriffs. Eine ausführliche Diskussion würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Die nachstehende Kritik Kershaws an der Verwendung des umstrittenen Begriffs, die eine gute Zusammenfassung der Problematik beinhaltet, soll an dieser Stelle genügen:
"Neither 'totalitarianism' nor 'fascism' is a 'clean' scholarly concept. Both terms have, from the beginning of their usage, served a double function: as an ideological instrument of negative political categorization, often serving in common parlance as little more than 'boo-words'; and as a heuristic scholarly device used in an attempt to order and classify political systems. It is as good as impossible to treat them as 'neutral' scholarly analytical tools, detached from political connotations. Scholarly debate about the use of the terms illustrates above all the closeness of the mesh of history, politics and language. This is reflected, too, in the lack of agreement about precise definitions as well as usages of the terms" (26).In Japan werden Rechtsextreme mit dem Begriff uyoku bezeichnet, der wörtlich übersetzt "rechter Flügel" bedeutet. Die für die Definition dieses Begriffs herangezogene japanischsprachige Literatur beginnt ausnahmslos mit der Herleitung des Begriffs von der Sitzordnung im französischen Parlament nach der Revolution von 1789 und stellt damit uyoku und sayoku - wörtlich: "linker Flügel"- einander gegenüber (27). Dabei wird die antikommunistische Ausrichtung als ein Hauptmerkmal der extremen Rechten hervorgehoben, die als Gegenbewegung zur kommunistischen Bewegung betrachtet wird. Das Gendai Seijigaku Shôjiten ("Kleines Wörterbuch der Politikwissenschaft der Gegenwart") liefert eine typische Definition:
"uyoku: engl. right wing. Allgemeine Bezeichnung für konservative oder reaktionäre politische Vereinigungen und Einzelpersonen, die ihren Ursprung darin hat, daß sich zur Zeit der französischen Revolution die Sitze der gemäßigten Gironde-Partei von der Mitte aus gesehen auf der rechten Seite befanden, die Sitze der radikalen Berg-Partei auf der linken Seite. Aber es gibt einen Unterschied zwischen Konservativen und Reaktionären. Heute wird der Begriff uyoku häufiger zur Bezeichnung von Reaktionären verwendet. Er schließt reaktionäre Gruppen und Einzelpersonen mit ein, die z.B. ultranationalistisches Gedankengut, Furcht vor einer gegenwärtigen Linksentwicklung, eine feindliche Haltung gegenüber der kommunistischen Bewegung und der Arbeiterbewegung pflegen bzw. die augenblickliche Situation revolutionieren wollen, indem sie das Rad der Geschichte zurückdrehen" (28) .Diese Deutung entspricht dem Selbstverständnis der extremen Rechten, die sich zwar auf eigene historische Vorbilder in der Tokugawa-Zeit bezieht - z.B. die rônin und sôshi, die sich den Modernisierern der Meiji-Zeit vom Standpunkt der "Bewegung für Volksrechte" (jiyûminkenron) entgegenstellten, sowie die sonnô jôi-Bewegung ("Ehrt den Kaiser, vertreibt die Barbaren!") - aber die ins Japanische übernommene Bezeichnung uyoku als gegeben hinnimmt (29). Im folgenden sollen Definitionen von Hori, Maruyama und Tendô vorgestellt werden.
"Treue zum Staat; Verehrung der Tradition und Kultur des eigenen Volkes; Wertschätzung der traditionellen Autoritäten; eine patriarchale Staatsvorstellung; Anti-Intellektualismus - hanchishikikaikyû; Ablehnung anderer Länder und Völker; Aktionismus; Glaube an das Recht des Stärkeren; Antiliberalismus; Antiindividualismus" (30).Im Anschluß daran nennt Tendô die Hauptströmungen des japanischen Rechtsextremismus, denen der Bezug zur Institution des Tennô gemein ist und die im fünften Kapitel dieser Arbeit vorgestellt werden.
"Im Falle Japans weist er demnach folgende Besonderheiten auf: (1) die absolute Treue gegenüber Tennô und Staat; (2) den Haß auf Kommunismus und Sozialismus; (3) einen totalitären, angeschotteten, traditionellen Charakter; (4) Priorität des Gefühls gegenüber der Theorie, gleichzeitig Betonung der Aktion; (5) Zersplitterung und Bildung von Elitetruppen - shôsûseieishugi"(31) .Dabei stellt Hori im folgenden die besondere Bedeutung des "Glaubens an den Tennô" - tennô he no shinkô - heraus (32) .
"Inter alia we can distinguish the following ideologies or tendencies: (1) precedence of loyalty to the nation over every other form of loyalty; (2) hostility towards any extention of democratic rights and towards international socialism; (3) support of militarism and opposition to pacifist movements; (4) glorification of a national 'mission'; (5) appeal to protect national traditions and culture from sinister outside influences; (6) emphasis on duties as opposed to rights, on order as opposed to freedom; (7) stress on the individual's family and birthplace as the fundamental bonds of social cohesion; (8) tendency towards the authoritarian regimentation of all human relationships; (9) integration of the national spirit in support of orthodox ideas; (10) tendency to be especially vigilant and suspicious in regard to intellectuals and members of the free professions, on the grounds that they are apt to become the disseminators of 'subversive thoughts'" (33) .Als japanspezifische Besonderheit stellt Maruyama heraus:
"The history of the Japanese right-wing movement consists of endless disputes and schisms. On the whole, these did not result from any fundamental doctrinal differences, but revolved about personal relationship of the boss-follower (oyabun-kobun) type" (34) .Dieser besonderen Bedeutung der persönlichen Beziehungen wird, um eine psychologisierende Darstellung zu vermeiden, in der vorliegenden Arbeit lediglich dadurch Rechnung getragen, daß der Autor versucht, die Beziehungen der Hauptakteure untereinander im Verlauf der Organisationsgeschichte in skizzenhafter Form darzustellen.
Folgende Gemeinsamkeiten lassen sich bei den Definitionen deutscher und
japanischer Autoren für Rechtsextremismus feststellen:
Er ist bestimmt
durch:
Er liefert die Grundlage für eine Standortbestimmung der japanischen Neuen
Rechten in der politischen Kultur des Landes (36) . Zwar
betrachtet Dudek die politische Erscheinungsform des rechten Lagers in der
politischen Kultur der Bundesrepublik, die Geschichte Japans als demokratischer
Rechtsstaat trägt aber einen ähnlichen Projektcharakter wie die der BRD:
Ökonomisch war sie durch die Westintegration und die Einbindung in den
kapitalistischen Weltmarkt gekennzeichnet. Politisch ist das Projekt
"Demokratisierung" nach wie vor Tagesaufgabe:
"Die schrittweise Anpassung an
anglo-amerikanische demokratietheoretische Konzepte unter den anfänglichen
Bedingungen alliierter Okkupation, Entnazifierungspraxis [in Japan ähnliche
Maßnahmen, z.B. die "Säuberungsdirektive" vom 4.Januar, 1946, Anm.d.Verf.] und
're-education'-Bemühungen schufen ein
rechtsstaatlich-parlamentarisches-demokratisches Institutionengefüge und einen
funktionsfähigen Modus der politischen Konfliktregelung ..." (37) , dem
allerdings ein wichtiger Faktor demokratischer Stabilität fehlt: "Tradition.
Während die westlichen Vorbilder über jahrhundertelange, in revolutionären
Prozessen durchgesetzte bürgerlich-demokratische Traditionen verfügen, fehlt
dieses Moment in der Bundesrepublik" (38) ebenso wie in
Japan. Daraus ergibt sich die "spezifische Krisenanfälligkeit des 'Projekts
Demokratie'" (39) , die in einer
"geringe Toleranzschwelle gegenüber politischen Bewegungen mit
antidemokratischen Tendenzen" (40) ihren Ausdruck
findet. Solchen politischen Erscheinungsformen wird dadurch, daß das politische
System, verantwortliche Politiker und Teile der Medien - neben dem Ausbau
politischer Kontrollapparate und der Verschärfung der entsprechenden Gesetze -
so auf sie reagieren, als ob sie die Demokratie machtpolitisch in Gefahr bringen
könnten, ein gesonderter Platz in der politischen Kultur zugewiesen.
Ein "Prozeß der Gettoisierung tritt als Abdichtung der rechtsextremen Bewegung zu einer selbstständigen Subkultur, eines politischen Lagers innerhalb der Gesamtgesellschaft in Erscheinung. Dies fördert Lagermentalität und Lagerdenken, d.h. Wahrnehmungsmuster, die aller Gruppierungen außerhalb des Lagers als Werkzeuge der Besatzungsmächte und deshalb national unzuverlässig interpretieren. Solche Dualisierung des Weltbildes dient der Suche nach politischer Identität, die trotz aller organisatorischer Zersplitterung in der gemeinsamen politischen Situation und der gemeinsamen politischen Stammkultur ihre Wurzeln hat" (41) .Eine Präzisierung des Rechtsextremismus-Begriffs erscheint vor diesem Hintergrund notwendig. Problematisch ist dabei zunächst die Ausgangslage, da "zum einen (...) der organisierte Rechtsextremismus nicht über eine einheitliche politische Programmatik [verfügt], zum anderen ist eine exakte Abgrenzung zu konservativen und neokonservativen Strömungen nicht möglich. Die ideologischen Übergänge zwischen beiden Bewegungen sind fließend und beide, die gemäßigte wie die radikale, tragen konservative und rechtsextreme Elemente - unabhängig parteipolitischer Differenzierung - in sich" (42) .
Der Begriff wird durch das Zusammenspiel dreier unterschiedlicher Untersuchungsrichtungen bestimmt: einer ideologiekritischen, einer organisationssoziologischen und einer interaktionstheoretischen. "Anhand dieser drei Wurzeln leistet der Arbeitsbegriff des Rechtsextremismus bzw. des 'rechten Lagers' sowohl die Unterscheidung zwischen 'rechtem Lager' und 'nichtrechtem Lager' als auch eine Binnendifferenzierung dieses 'rechten Lagers' in 'alte Rechte' und 'Neue Rechte'" (45) .Er läßt sich daher folgendermaßen konkretisieren: Er ist Bestandteil der politischen Kultur Japans in Form einer 'rechten Subkultur'. Durch die Analyse organisatorischer Strukturen ('organisationstheoretische Dimension'), die Festlegung der Ideologieelemente ('ideologische Dimension'), die dieser 'rechten Subkultur' ihre Eigenständigkeit verleihen, und die Untersuchung der Wechselwirkung von rechtsextremer Politik, den Reaktionen der Öffentlichkeit und des staatlichen Kontrollhandelns ('interaktionskritische Dimension') ist er genau bestimmbar. Nur das Zusammenspiel aller Dimensionen ermöglicht seine Erforschung.
Eine Eigentümlichkeit der Ideologie des japanischen Rechtsextremismus besteht
in der zentralen Bedeutung des kokutai, eines äußerst unscharfen
Begriffs, der im folgenden näher definiert werden soll, und der damit
verbundenen Institution des Tennô, die von allen japanischen Autoren, die für
diese Studie herangezogen wurden, hervorgehoben wird und sich in
Begrifflichkeiten wie tennôshugi bzw. tennôchûshinshugi oder
nôdôshugi ("Tennôismus"), tennô zettai ("Absolutheit des Tennô"),
tennô sonkei ("Verehrung des Tennô") niederschlägt (46) .
Erstmals
taucht das in neuerer Zeit kokutai zu lesende Zeichenpaar in einem Ritualgebet
(norito) des Engishiki, eines Zeremonialwerks aus dem frühen
10.Jahrhundert auf, in dem es von der Gottheit Ame-no-hohi-no-mikoto heißt, sie
habe auf einer Inspektionsreise den "Zustand des Landes" - damals wurde die
Zeichenkombination kunigata gelesen - überprüft (47) .
In die
staatstheoretische Diskussion wurde der Begriff erst durch den Mito-Gelehrten
Aizawa Seishisai (1782-1863) eingebracht, der in seiner programmatischen Schrift
shinron - "Neuer Diskurs" - 1825 bereits wesentliche Inhalte bestimmte.
"In diesem Kontext meint der Begriff nicht mehr ganz allgemein den 'Körper, das Wesen' oder den 'Zustand' eines beliebigen Landes, sondern dezidiert und ausschließlich das innere Wesen, die Essenz, die unverwechselbaren und vor allem unwandelbaren, ewigen Eigenheiten und Werte der japanischen Nation - all das, was Japan von anderen Ländern unterscheiden sollte und vor diesen auszeichnete" (48) .Die Mito-Schule, der Aizawa Seishisai angehörte, hatte sich zu dieser Zeit bereits von rein historischen Studien zur Geschichte der kaiserlichen Linie zu einem Zentrum des ideologischen Kampfs für die Wiedereinsetzung einer direkten kaiserlichen Regierung entwickelt. Mito war ein Lehensgebiet in der heutigen Präfektur Ibaraki. In der späten Edo-Zeit hatte sich Mito zu einem Zentrum der Opposition gegen das sogenannte Stellvertreter-Regime des bakufu in Edo entwickelt.
"Welten von Symbolen, Sprachzeichen und Begriffen ordnen sich um den heiligen Mittelpunkt, verfestigen sich zu Systemen, füllen sich mit dem Geist der religiösen Erregung und werden fanatisch als die 'richtige' Ordnung des Seins verteidigt" (53) .Maruyama spricht vom kokutai als "nichtreligiöser Religion" (54) . Auf die religiösen Hintergründe des japanischen Rechtsextremismus einzugehen würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, ihnen wird lediglich in einem Exkurs zur Neureligion "Haus des Lebenswachstums" - Seichô no Ie - Rechnung getragen.
5.2. 1881-1918 Ursprünge des "Asianismus"
1881 wurde die Genyôsha, die als Vorläuferorganisation fast aller
rechtsextremen Gruppen gilt, von Gegnern der Meiji-Regierung gegründet. Unter
diesen befanden sich zahlreiche Samurai, die 1877 an der niedergeschlagenen
Satsuma-Rebellion teilgenommen hatten. Ziele der Gesellschaft waren die
Verehrung des Kaiserhauses, die Hingabe an das Vaterland und der Schutz der
Volksrechte - minken. Mit der Konzentration auf die Propagierung einer
expansionistischen Außenpolitik ging dann allerdings die Befürwortung
staatlicher Autorität - kokken - einher, während der Schutz der
Volksrechte in den Hintergrund trat.
Zu den hauptsächlichen Aktivitäten der
Genyôsha zählte die Organisation wirtschaftlicher und militärischer
Spionage während des chinesisch-japanischen Krieges (1894-1895) durch Tôyama
Mitsuru (1855-1944) und Uchida Ryôhei (1874-1937).
Uchida Ryôhei gründete
1901 die Kokuryûkai, die vor und während des sich abzeichnenden
russisch-japanischen Krieges (1904-1905) ähnliche Spionageaufgaben in der
Mandschurei wahrnehmen sollte. Die Hauptforderungen aus dem Programm der
Kokuryûkai bestimmen auch heute noch die Programmatik zahlreicher
rechtsextremer Organisationen in Japan:
5.3. 1919-1931 Aufschwung der rechtsextremen Bewegung
Ab 1919 ist eine rasche Zunahme rechtsextremer Gruppen zu verzeichnen.
Allerdings lassen sich keine genauen Zahlen angeben, da sie zumeist infolge
interner Streitigkeiten oder Kapitalmangels ebenso schnell wieder aufgelöst
wurden bzw. in kleinere Gruppen zerfielen.
1936 konnte man 750 rechtsextreme
Gruppen verzeichnen. Darin sind Neugründungen und Abspaltungen nach dem
manshû jiken , dem "mandschurischen Zwischenfall" von 1931, bereits
enthalten. Allein zwischen 1927 und 1936 wurden 634 Gruppen gegründet (56) . Ab 1931
unternommene Einigungsbestrebungen, z.B. in Form des "Gesamtjapanischen
Patriotenverbands für den gemeinsamen Kampf" - Zen Nippon Aikokusha Kyôdô
Tôsô Kyôgikai - oder der "Großjapanischen Produktionspartei" - Dai Nippon
Seisantô - scheiterten angesichts der Tendenz zur Zersplitterung mangels
Führungspersönlichkeiten und Führungsprinzipien.
Anhand ihrer ideologischen
Orientierung lassen sich die rechtsextremen Gruppen dieser Zeit in drei
Kategorien einteilen:
5.3.1. Die rein nipponistische Rechte
In den Augen der auch als idealistische Rechte - kannen uyoku -
bezeichneten Anhänger des Nipponismus bedrohten in den 20er Jahren gefährliche
westliche Gedanken wie Demokratie, Individualismus, Liberalismus,
Parlamentarismus und Sozialismus Japans traditionelle geistige und sittliche
Werte. Das angestrebte Ideal der Harmonie zwischen Kaiser und Volk, zwischen
Herrscher und Beherrschten, wurde durch Streiks, aber auch allein schon durch
die Existenz konkurrierender Parteien zerstört. Die diplomatischen Rückschläge
für Japan beim Versuch eine Klausel über Rassengleichheit ins Statut des
Völkerbundes einzufügen (1919 in Versailles) sowie bei den Flottenkonferenzen
1921/22 in Washington und 1930 in London wurden als Folge der Verwestlichung
interpretiert, selbst das große Kantô-Erdbeben von 1923 galt ihnen als "Strafe
des Himmels" (57) .
Zu den
wichtigen rein nipponistisch orientierten Gruppen zählen die 1924 vom damaligen
Justizminister Hiranuma Kiichirô (1867-1952) gegründete "Gesellschaft der
Staatsgrundlagen" - Kokuhonsha, die "Patriotische Gesellschaft" -
Aikokusha - sowie die "Vereinigung zum Landesaufbau" - Kenkokukai
- unter Akao Bin (1899-1990). Allerdings wird die Kenkokukai aufgrund der
Tatsache, daß sie zumindest nominell auch antikapitalistische Parolen
verbreitete, als Mischform zwischen nipponistischen und staatssozialistischen
Organisationen eingeordnet.
5.3.2. Die staatssozialistische Rechte
In diesen Gruppen, die auch als reformistische Rechte - kakushi uyoku
- oder organisierte Rechte - soshiki uyoku - bezeichnet werden, fanden
sich zahlreiche ehemalige Sozialisten bzw. Marxisten wieder, darunter Takabatake
Motoyuki (1887-1928), einer der wichtigsten Ideologen des
kokkashakaishugi. Durch eine staatliche Kontrolle der Wirtschaft, die die
individuelle Freiheit im ökonomischen Bereich - bis hin zur Übertragung des eine
bestimmte Höhe überschreitenden Privateinkommens an den Staat - beschränkt,
sollten die Übel des Kapitalismus beseitigt werden. Während der Staat im
Marxismus als Instrument der herrschenden Klasse verstanden wird, betrachteten
ihn die Anhänger dieser Richtung der japanischen Rechten als moralisches
Kontrollsystem, das für die Durchsetzung sozialistischer Veränderungen
unabdingbar ist. Dabei brachen sie keineswegs mit dem traditionellen
kokutai-Denken, sondern forderten einen Sozialismus auf der Basis des
kokutai.
Einflußreichster Ideologe dieser Richtung war Kita Ikki
(1833-1937), dessen 1919 veröffentlichter, aber schnell verbotener "Umriß eines
Plans zur nationalen Neuorganisation Japans" - nihon kaizô hôan taikô -
in den 20er und 30er Jahren auf die jüngeren Offiziere der japanischen Armee und
Marine großen Einfluß ausübte (58) . Er sah eine
Revolution in Form eines militärischen Staatsstreichs vor, in dessen Verlauf der
Tennô die Verfassung suspendieren, das Parlament auflösen und das Kriegsrecht
verhängen sollte. Somit hätte der Plan den Weg zum Einsatz der Armee als
Instrument der instrumentalisierten Gewalt freigemacht. Der Plan enthielt
Bestimmungen zur Begrenzung von Privateigentum und Grundbesitz sowie zur
Verstaatlichung von Schlüsselindustrien. Er sah die Abschaffung des Adels ebenso
vor wie die Übertragung des gesamten Besitzes des Kaiserhauses durch den Tennô
an den Staat.
Dabei brach Ikki mit der kokutai-Ideologie, indem er
den Tennô im Widerspruch zur offiziellen Staatsdoktrin vom "Volk des Tennô" -
tennô no kokumin - zum "Tennô des Volkes" - kokumin no tennô -
umwidmete und ihn als ein mit besonderen Rechten ausgestattetes Organ des
Staates, als "Gesamtrepräsentanten des Volkes" - kokumin no sôdaihyô -
definierte (59)
. Diese zuerst von Minobe Tatsukichi entwickelte Sichtweise des Tennô als
Staatsorgan - tennô kikan setsu - konnte sich allerdings weder unter den
Offizieren, noch unter den extremen Rechten durchsetzen, die gleichermaßen am
kokutai festhielten (60) . Bereits in
seinem 1906 erschienen Buch "Die Lehre vom Wesen der Nation und der wahre
Sozialismus" - kokutairon oyobi junsei shakaishugi - hatte Kita die
Vorstellung von der ewigen Herrschaft der japanischen Kaiserdynastie und die
Idee der Einheit von Kaiser und Volk als unwissenschaftlich und
geschichtsverfälschend bezeichnet.
Zur Verbreitung des Reorganisationsplans
gründete Ikki 1932 mit Ôkawa Shumei (1886-1957) die Yûzonsha, aus der
eine ganze Reihe weiterer Organisationen hervorging, darunter die von Ôkawa
gegründete "Gesellschaft zur Gefolgschaft des Bodens" - Kôchisha, die als
erste rechtsextreme Organisation Kontakte zum Militär knüpfte und den Begriff
ishin - "Restauration" - in ihr Programm aufnahm, der schließlich als
shôwa ishin - Shôwa Restauration - zum Motto der coup d'état - Versuche
der 30er Jahre wurde.
5.3.3. Die agrarianistische Rechte
Als Reaktion auf die zu Lasten der Landwirtschaft betriebene
Industrialisierung , die zunehmende Verstädterung und den bürokratischen
Zentralismus traten auch agrarianistische Gruppen auf, die das kapitalistische
System insgesamt ablehnten. Sie propagierten stattdessen gesellschaftliche
Solidarität und Harmonie, Loyalität zum Kaiser und die Rückkehr zum Nipponismus,
um auf diesem Wege den japanischen Geist vor der Überfremdung durch
ausländisches Gedankengut zu reinigen.
Die Wiederherstellung der
Dorfgemeinschaften, Dorfstrukturen und der dörflichen Selbstverwaltung sollte
der Landwirtschaft ihre dominante Position zurückgeben. Die agrarianistische
Rechte betrachtete die Landwirtschaft als die natürlichste und ganzheitlichste
aller Erwerbstätigkeiten, als nationale Schlüsselindustrie, während sie
Industrialisierung und Verstädterung als Ursache moralischen Verfalls
brandmarkten.
An einer derartigen Stärkung der bäuerlichen Moral waren nicht
nur die größeren Grundbesitzer interessiert, die das Aufkommen einer
sozialistischen Bauernbewegung fürchteten, sondern zunächst auch die
Industriellen, die Bauernfamilien als Quelle billiger Arbeitskraft betrachteten,
die Militärs, die einen Großteil ihrer Rekruten vom Land bezogen, und die
Bürokratie, die in den Thesen der agrarianistischen Rechten zunächst ein Mittel
zur Linderung der ländlichen Armut sahen, dann ein Vehikel zur Mobilisierung für
ihre aggressive Expansionspolitik.
Hauptvertreter der agrarianistischen
Richtung waren Gondô Seikyô (1868-1937) (61) und Tachibana
Kôzaburô (1893-1974). In Gondôs 1936 veröffentlichtem Grundsatzartikel
"Prinzipien der Selbstverwaltung durch das Volk" - jichi minseiri -
findet sich eine mystische Sicht der kaiserlichen Herrschaft, die Gondô nicht
als verfassungsmäßige Autorität begreift, sondern als heiliges Symbol einer von
den Göttern geschaffenen, der menschlichen Natur gemäßen Gemeinschaft (62) . In dieser
mystischen Sicht des kokutai, wie sie auch von Katô Kanji (1884-1965)
vertreten wurde, sieht Hane Mikiso den Anknüpfungspunkt zwischen den Bauern und
den Ideologen des nôhonshugi: Daß der Kaiser den Bauern als lebende
Gottheit - ikigami - präsentiert wurde, machte ihn auch in den Augen der
älteren Generation, die zu einer Zeit aufgewachsen war, als der shôgun
und die daimyô die zu respektierenden Autoritäten darstellten, zum Objekt
der Verehrung - ein Grund für das Aufleben traditioneller Werte wie Gehorsam,
Unterwürfigkeit, Selbstverleugnung und Bescheidenheit (63) .
Tachibana Kôzaburô, dessen Hauptziel es war, das Volk von einer in seinen
Augen falschen und willkürlichen Herrschaft zu befreien, spricht sich in seiner
1932 erschienenen Schrift "Die Grundprinzpien einer patriotischen Reform Japans"
- nihon aikoku kakushin hongi - für die Abschaffung von Institutionen wie
politischen Parteien, Interessensgruppen und großen Industriekombinaten wie den
zaibatsu aus, die die kapitalistischen und materialistischen Werte der
westlichen Zivilisation in Japan verkörperten (64) . Wie die
US-amerikanische Anthropologin Ruth Benedict in ihrem 1946 erschienenen Werk
"The Chrysanthemum and the Sword" feststellte, gab es für die
antikapitalistische Ausrichtung der agrarianistischen Rechten eine breite Basis:
"It was inevitable, granted old Japanese attitudes toward profit and money, that a financial aristocracy should fall under attack from the people, but the government did what it could to build it up according to accepted ideas of hierarchy. It did not entirely succeed, for the Zaibatsu has been under attack from the so-called Young Officers' group of the Army and from rural areas. But it still remains true that the greatest bitterness of the Japanese public opinion is turned not against the Zaibatsu but against the narikin. Narikin is often translated 'nouveau riche' but does not do justice to the Japanese feeling. In the United States nouveaux riches are strictly 'newcomers'; they are laughable because they are gauche and have not had a time to acquire their proper polish. This liability, however, is balanced by the heartwarming asset that they have risen from driving a mule to controlling oil millions. But in Japan a narikin is a term taken from Japanese chess and means a pawn promoted to queen. It is a pawn rampaging about the board as a 'big shot.' It has no hierarchal right to do any such a thing. The narikin is believed to have obtained his wealth by defrauding or exploiting others and the bitterness directed toward him is as far as possible from the attitude in the United States toward the 'home boy who makes good.' Japan provided a place in her hierarchy for great wealth and kept an alliance with it; when wealth is achieved in the field outside, Japanese public opinion is bitter against it" (65) .Die geistigen Führer der agrarianistischen Bewegung waren Individualisten. Jeder unterhielt seine eigene "Schule", bestehend aus ihm treu ergebenen Bewunderern. Eine Massenbewegung konnte auf diese Weise nicht entstehen, aber die engagierten Aktivisten des nôhonshugi waren treue Gläubige, die zur direkten Aktion bis hin zur Ermordung politischer und wirtschaftlicher Führer bereit waren.
Nach den Reisunruhen von 1919 kam es zur Gründung rechtsextremer krimineller Organisationen, yakuza-Rechte genannt, die von Unternehmern, Großgrundbesitzern, Militärs und Parteiangehörigen für Terroraktionen gegen Streiks oder Gewerkschafts- und Bauernorganisationen rekrutiert wurden. 1919 gründete der damalige Innenminister Tokonami Takejirô die größte dieser Gruppierungen, die Dai Nippon Kokusuikai, die u.a. von Tôyma Mitsuru unterstützt wurde. Bis 1925 entstanden etwa 100 solcher Gruppen mit Zweigstellen in jeder Präfektur. Im Zentrum der Programme dieser Gruppen standen der Schutz des kokutai, sekka bôshi, die "Verhinderung der Bolschewisierung", sowie die "Aufrechterhaltung der sozialen Sicherheit durch die Zusammenarbeit von Kapital und Arbeit", womit ihre Rolle im Kampf gegen die Gewerkschaften und Bauernorganisationen gerechtfertigt wurde (67) . Ab Mitte der 20er Jahre rechnet Tendô die "Yakuza-Rechte" zum Lager der nipponistischen Gruppen, da die Zahl der gewalttätigen Aktionen deutlich zurückgegangen war (68) .
5.4. 1931-1945 Bündnis mit dem Militär
Für den März 1931 plante die 1930 gegründete "Kirschengesellschaft" -
Sakurakai, der auch Ôkawa Shumei angehörte, einen Militärputsch. Bereits
1930 hatte die Sakurakai ein Attentat auf den damaligen Premierminister
Hamaguchi Osachi verübt. Der Plan für den Putsch wurde allerdings nicht
ausgeführt.
Der Sakurakai gehörten bereits junge Offiziere an. Mehr
und mehr schlossen sich die verstreuten rechtsextremen Gruppen mit einem Teil
des Militärs zusammen: den radikalen jungen Offizieren. Bereits während der 20er
Jahre hatte das Militär den Parteienregierungen gegenüber eine kritische Haltung
eingenommen. Vor allem die jungen Offiziere, die zumeist dem ländlichen
Mittelstand entstammten, waren von der Idee einer "Shôwa Restauration" und vom
Reorganisationsplan Kita Ikkis begeistert (69) .
"The Army functioned in many ways as a democratic leveler and it was in many way a true people's army. Whereas the Army in most other nations is depended upon as the strong arm to defend the status quo, in Japan the Army's sympathy with the small peasant has lined it up in repeated protests against the great financiers and industrialists"(70) .Der Einfall in die Manschurei im September 1931 trug zu einer Steigerung des Nationalgefühls und des Patriotismus in der Bevölkerung bei. Putschpläne junger Offiziere in Zusammenarbeit mit Kita Ikki, Ôkawa Shumei und Nishida Mitsugu für den Oktober 1931 wurden vor ihrer Verwirklichung aufgedeckt.
"Wir erlauben uns zu sagen, daß die Göttlichkeit unseres Vaterlandes in unserem kokutai liegt, das eine einheitliche Nation unter der großen Herrschaft seiner Kaiserlichen Majestät, die göttlich ist für alle Zeiten, zum lebendigen Wachstum bringt" (72) .Einen neuen Premierminister im Voraus zu bestimmen hätten die Putschisten als privaten Vorgriff gegenüber der Souveränität des Tennô, d.h. als Vergehen wider dem kokutai abgelehnt. Ihr uneingeschränkter Respekt vor dem institutionellen Aspekt des kokutai brachte die extreme Rechte in das Dilemma, den Herrschaftsapparat nicht direkt angreifen zu können, sondern sich mit der Ermordung derer, die in ihren Augen die Zerstörung des kokutai betrieben, begnügen zu müssen.
In der vom Allierten Oberkommando (SCAP) erlassenen "Säuberungsdirektive" SCAPIN 550 vom 4.Januar 1946 heißt es:
"Aimed at freeing all political parties from the influence of reactionary elements and at releasing government officials from fear of attack by secret, terroristic societies, the first directive orders the Japanese Government to abolish all ultra-nationalistic, terroristic and militaristic groups and so to control all other political associations and organizations that never again they will be able to impose their will on the Japanese people" (74) .Weitere Säuberungen der Besatzungsbehörden sorgten für die Entfernung von annähernd 50.000 Personen aus dem öffentlichen Dienst.
"The Basic Initial Post-Surrender Directive to the Supreme Commander (3 Nov.1945) directed him to arrest and hold as suspected war criminals the following inter alia:'(2) All commissioned officers of the Gendarmerie (Kempei), and all officers of the Army and Navy who have been important exponents of militant nationalism and aggression.(3) All key members of ultra-nationalistic, terroristic and secret patriotic societies...' " (75) .Zahlreiche Gruppen versuchten, dem Verbot durch Namensänderung zu entgehen oder vertraten plötzlich demokratische Forderungen. Die 1931 von Sasakawa Ryôichi gegründete "Nationalistische Massenpartei" - Kokusui Taishûtô - z.B. nannte sich ab 1945 "Nationale Arbeiterunion" - Zenkoku Kinrôsha Dômei.
5.5.2. Neuformierung als antikommunistische Hilfstruppe der LDP
Zu Beginn des Kalten Krieges setzte 1947 mit dem Verbot eines geplanten
Generalstreiks durch General MacArthur die Repression gegen die
Gewerkschaftsbewegung und die erstarkende Linke ein. Die amerikanische
Besatzungspolitik vollzog einen Kurswandel von einer reformerischen hin zu einer
stabilisierenden Linie. Zwar bedeutete dies zunächst kein Ende der
"Säuberungen", aber dadurch wurden die Voraussetzungen für die Reorganisation
der alten Organisationen bzw. für die Entstehung neuer Gruppen geschaffen (76) . Als
Kriegsverbrecher verurteilte rechtsextreme Führer wie Kodama Yoshio (1911-1984),
der der Kenkokukai angehört und in den 30er Jahren eine
Geheimorganisation in China aufgebaut hatte, und Sasakawa Ryôichi wurden
freigelassen.
Bereits ab 1949 begann die Organisierung von
Yakuza-Gruppen durch rechtsextreme Organisationen, die für ihre Aktionen
keine anderen relevanten sozialen Gruppen gewinnen konnten (77) . Eine
besondere Rolle kam dabei Kodama Yoshio zu, der bereits seines Aufenthalts im
alliierten Militärgefängnis freundschaftliche Kontakte zum späteren
Premierminister Kishi Nobusuke und zum Gottvater der japanischen
Motorbootwettrennen Sasakawa Ryôichi aufnahm, und bis zu seiner Verhaftung im
Rahmen des Lockheed-Skandals von 1976 als kuromaku (wörtlich übersetzt:
"schwarzer Vorhang") fungierte, d.h. als einflußreiche Persönlichkeit, die,
gestützt auf ihrer finanziellen Möglichkeiten und persönliche Beziehungen,
versucht die Politik zu lenken. Kodama stellte gleich nach Kriegsende die
finanziellen Reichtümer, die er sich während des Krieges gesichert hatte, den
konservativen Politikern Hatoyama Ichirô und Kono Ichirô aus der 1955 mit den
Demokraten zur Liberaldemokratischen Partei verschmolzenen Liberalen Partei -
Jiyûtô -zur Verfügung (78) .
Ideologisch kann sich bereits ab 1948 eine pro-amerikanische,
anti-sowjetische Strömung - shinbei hanso - als Hauptrichtung
durchsetzen. Antikommunistische - hankyô - Aktionen boten der extremen
Rechten, die zu dieser Zeit einen höchst unselbstständigen Charakter besaß und
angesichts der Abschaffung des Tennôsystems, der Demokratisierung und des damit
einhergehenden Wertewandels ihre Existenz in Frage gestellt sah, ihr
Hauptbetätigungsfeld. Antikapitalistische Forderungen, die in der Vorkriegszeit
eine wesentliche Rolle gespielt hatten, traten in den Hintergrund. Die Ideologie
der extremen Rechten reduzierte sich bis 1970 auf Forderungen nach der
Wiederherstellung der alten gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse und
einen aggressiven Antikommunismus. Aufgrund ihrer Abhängigkeit von der
finanziellen Unterstützung konservativer Politiker und Industrieller erfolgte
eine verstärkte Anlehnung der extremen Rechten an die Liberaldemokratische
Partei - Jimintô(79) , "so daß die
extreme Rechte fast ausschließlich zum außerparlamentarischen Anhängsel der
Regierungspartei wurde und - mit Ausnahme weniger Gruppen - ihre systemkritische
Haltung gänzlich verlor" (80) . Zu diesen
Ausnahmen zählen die 1954 wieder gegründete Dai Nippon Seisantô und
Daitô Juku.
Um 1960 entstanden unter dem Eindruck der starken linken
Gegenbewegung zum japanisch-amerikanischen Sicherheitsvertrag - shin nichibei
anzen hoshô jôyaku (81) -
Dachverbände, die die ca. 400 Gruppen und Organisationen, die zu dieser Zeit
existierten, unter einem Minimalprogramm zusammenschließen sollten (82) . Der wichtigste
Dachverband, die "Alljapanische Konferenz Patriotischer Verbände" - Zennihon
Aikokushadantai Kaigi bzw. Zen'ai Kaigi, ging aufgrund der massiven
Präsenz von Yakuza-affiliierten Gruppen auch als yakuza kaigi in
die Geschichte ein (83) . Kodama
Yoshio fungierte als Berater des Zen'ai Kaigi und wurde, nachdem bereits
1959 eine Demonstration mit rd. 5000 Teilnehmern für den Sicherheitsvertrag
organisiert worden war, an der in der Mehrzahl Yakuza-Angehörige
teilnehmen, im Sommer 1960 von führenden liberaldemokratischen Politikern
gebeten, Yakuza und Rechtsextreme zum geplanten Empfang des
US-Präsidenten Eisenhower zu mobilisieren, um den reibungslosen Ablauf des
Staatsbesuchs zu gewährleisten (84) .
Japans
extreme Rechte war auch außenpolitisch aktiv, wenn es um den antikommunistischen
Kampf in Ostasien ging: Dem Gründer der "Japanischen Jugendgesellschaft"-
Nihon Seinensha - Etô Toyohisa zufolge, unterstützte seine Organisation
bis zur Normalisierung der thailändisch-chinesischen Beziehungen die
antikommunistischen Kachinden-Rebellen im Norden Thailands (85) . Auch zum
afgahnischen Widerstand gegen die sowjetische Intervention unterhielt die
Nihon Seinensha gute Beziehungen. Am 7.Februar 1985 besuchte eine
Delegation aus Anlaß des alljährlich abgehaltenen "antisowjetischen Tages" -
hanso dê - Afgahnistan (86) .
Zahlreiche Kritiker unterstellen den Liberaldemokraten, die extreme Rechte
zu ihrem eigenen Vorteil auszunutzen, sie deshalb fest in das politische System
Japans integriert und die Umwandlung von Yakuza-Gruppen in politische
Organisationen vorangetrieben zu haben (87) .
5.6. Exkurs: Das "Haus des Lebenswachstums"
Neben der bereits dargestellten quasireligiösen Unterfütterung des
Tennô-Systems spielten rechtsgerichtete Religionsgemeinschaften in der
Geschichte des japanischen Rechtsextremismus eine nicht unwesentliche Rolle. Ein
Beispiel ist die Sekte "Haus des Lebenswachstums" - Seichô no Ie, die
wesentlichen Einfluß auf die Geschichte der japanischen Neuen Rechten hatte (88) .
Die
rechtsextreme Ausrichtung der Gruppe ist religionswissenschaftlichen
Veröffentlichungen zumeist ebensowenig zu entnehmen wie ihre Rolle als
wesentliche Stütze des Tennôsystems während des Zweiten Weltkrieges (89) . Nobutaka
zufolge ist Seichô no Ie gar "eine der einflußreichsten japanischen
Neureligionen, sowohl auf dem Gebiet der sozialen und der politischen Mitarbeit
in der japanischen Gesellschaft wie auch in der Teilnahme an den Bewegungen für
den Weltfrieden" (90) .
Gründer
der Sekte war Taniguchi Masaharu, zunächst ein Anhänger der ebenfalls
rechtsgerichteten Shintô-Sekte Ômotokyô. 1930 gründete er Seichô no
Ie in Kôbe, 1934 ging Taniguchi nach Tôkyô, wo die Sekte die Form einer
Stiftung annahm, und gründete die Aktiengesellschaft "Gesellschaft für die
Verbreitung klaren Denkens" - Kômyô Shisô Fukyûkai, die von Gläubigen
finanziert wurde (91) . Seine
Aufsätze wurden von der Aktiengesellschaft als Buch unter dem Titel
"Lebenswahrheit" - seimei no jissô - herausgegeben (92) .
Das
Leben in der von Taniguchi verkündeten "wahren" Welt sollte Krankeiten, darunter
auch Krebs, zum Verschwinden bringen und versprach Zugang zu ewigem Leben. Dabei
verwendete er Versatzstücke aus verschiedenen Religionen und Philosophien, u.a.
des Shintô, des Buddhismus und des Christentum. Als Ritus betonte er die
Wichtigkeit der shinsôkan-Meditation, einer modernen Version der
Reinigungsriten der Ômotokyô (chinkon kishin). Zur Erklärung spiritueller
Phänomene griff Taniguchi auch auf die Psychoanalyse zurück (93) . Nachdem er
1935 mehrere großformatige Anzeigen in Tageszeitungen geschaltet hatte, wurde
sein Buch seimei no jissô - mittlerweile beim Esotera-Verlag auch auf
Deutsch erhältlich - zum Bestseller. Die Zahl der Gläubigen erhöhte sich auf
30.000 und die Auflage der Sektenzeitschrift Seichô no Ie steigerte sich
auf 800.000 pro Ausgabe (94) .
"Während sich die Stärke von Seichô no Ie als Institution vergrößerte, unterstützte Seichô no Ie offen die Kolonialisierungspolitik der Regierung und pries den Faschismus. Sie verkündete, Japans nationale Politik (kokutai) sei in Wahrheit ein Ausdruck der 'wahren Welt'" (95) .Nach Kriegsende setzte die Sekte ihre politische Tätigkeit ohne jegliche Einschränkung fort: Ein von konservativen Parlamentariern der LDP 1969 vorgelegter Gesetzentwurf, der dem Yasukuni Schrein staatliche Unterstützungsleistungen zusicherte - yasukuni hôan, wurde nicht nur von zahlreichen offen rechtsextremen Gruppierungen unterstützt, sondern auch von Seichô no Ie und anderen Organisationen der religiösen Rechten (96) . Einer von Hori zitierten Untersuchung des Ministeriums für Kunst und Kultur - shûkyônenkan (Religionsjahrbuch) von 1988 - zufolge, beläuft sich die Zahl der Gläubigen von Seichô no Ie auf 3 Millionen (97) . Der von Seichô no Ie 1980 zu den Oberhauswahlen aufgestellte Kandidat Murakami Masakuni erhielt landesweit allerdings lediglich 1 037 410 Stimmen (98) .
"In diesem Wohnheim waren ungefähr 40 Söhne dieser Region versammelt und führten dort ein gemeinsames Leben, aber es war nicht einfach nur ein Studentenwohnheim. Eine der Vorbedingungen für den Einzug war es, sich während man studierte bis zum Äußersten der Studentenbewegung von Seichô no Ie zu widmen. Dort wurde Suzuki entscheidend geprägt" (100) .In seiner autobiographisch geprägten Geschichtsschreibung der Neuen Rechten nennt Suzuki drei prägende Elemente für seinen politischen Werdegang: Den Tod Mishima Yukios, den Studentenstreik an der Waseda-Universität und Seichô no Ie (101) .
6.1. Arbeitsdefinition Neue Rechte
Eine "Neue Rechte" ist für Japan nur schwer zu umreißen. Der Zugang zum Untersuchungsgegenstand "Neue Rechte Japans" wird erschwert durch die Unübersichtlichkeit der zahlreichen Kleingruppen und Zirkel und die hermetische Struktur des rechten Lagers. Hinzu kommt die weiter unten dargestellte Begriffsverwirrung nach der Prägung des Begriffs "Neue Rechte" - shin uyoku - durch Ino, der shin uyoku definiert als:
"Rechtsextreme Gruppen, die sich in ihrer Ideologie von der Nachkriegsrechten unterscheiden. Diese wurden aus der Mitte der rechtsextremen Studentenbewegung - minzokuha gakusei undô - als Organisationen geboren, indem sie nach den Auseinandersetzungen um den amerikanisch-japanischen Sicherheitsvertrag 1960 der aufsteigenden Linken entgegentraten. Neben dem Tennôismus und dem Antikommunismus ist die Zerschlagung des Jalta-Potsdam-Systems charakteristisch für die ihr zugrundeliegende Logik" (102).Als repräsentativ für die Neue Rechte nennt Ino die von Suzuki Kunio geführte Issuikai sowie das "Freiwilligenkorps der Vereinigten Front" - Tôitsu Sensen Giyugun (103) .
"Systemgegnerische Rechte - hantaisei uyoku, die in der zweiten Hälfte der 60er Jahre mit der grundlegenden Forderung der Zerschlagung des Jalta-Potsdam-Systems aus der Auseinandersetzung mit der linken Studentenbewegung heraus entstand" (104) .Um die Bedeutungsvielfalt einzuschränken, wird als Arbeitsdefinition vorläufig der für die BRD entwickelte, aber durchaus auf die japanische Situation übertragbare Begriff der Neuen Rechten nach Schönekäs zugrunde gelegt:
"Neue Rechte bedeutet im vorliegenden Kontext die Entstehung jugendlich-intellektueller Gruppen, Zirkel und Zeitschriftenprojekte entlang einer gemeinsamen Frontstellung gegen die Alte Rechte. Dies schlägt sich in eigenständigen politischen Aktivitäten nieder und wird von einem, durch einen Generationskonflikt begründeten, eigenen subkulturellen 'Stil' getragen. Dabei finden sich ideologisch sowohl Abweichungen als auch Übereinstimmungen mit der Alten Rechten. Der Konflikt findet fast vollständig innerhalb des rechten Lagerzusammenhangs statt, für das die Neue Rechte die Funktion einer politischen Avantgarde gewinnt. Die Aktivisten der Neuen Rechten waren mit ihren neuen nationalistischen Konzepten maßgeblich an der tiefgreifenden Umstrukturierung des Rechten Lagers beteiligt ('Generationswechsel'). Ihre Reformierungs-Versuche innerhalb des Lagers und das ständige Bemühen, die Grenzen des Lagers durchlässiger zu gestalten und den Ideentransfer zu befördern, waren eine Voraussetzung für den zunehmenden Einfluß nationalistischer Positionen in den politischen Diskursen der späten 80er Jahre innerhalb und außerhalb des Rechten Lagers ('Neuer Nationalismus')" (105) .Die allgemeine Umbruchssituation in Japan am Ende der 60er Jahre trug wesentlich zur Entstehung der Neuen Rechten bei. Das Konjunkturmodell der Hochwachstumsphase mußte aufgegeben werden, an den Universitäten formierte sich eine starke linke Studentenbewegung. Die Neue Rechte entsteht als deren Gegenbewegung, für die angesichts des Todes Mishima Yukios (s.u.) vor allem die Forderung nach der Umwandlung der "Selbstverteidigungsstreitkräfte" - jieitai - in reguläre Streitkräfte und die Zerschlagung der Nachkriegsordnung im Vordergrund stehen. Sie macht in ihrer systemgegenerischen Haltung auch vor der Kritik der etablierten rechtsextremen Bewegung - kisei uyoku - nicht halt. Sie habe sich ausschließlich auf ihre antikommunistische Ausrichtung beschränkt, dabei keine eigenständige theoretische Basis entwickelt und sich als systembefürwortend, als "Wächter" des Establishments erwiesen (106) .
6.2. Die rechtsextreme Studentenbewegung
"The right-wing student movement, as indeed right-wing nationalism in general, can be profitably examined only by reference to political movements of the extreme left. For right-wing sentiment among students has, as we shall see, developed to a large extent as a direct reaction to the overwhelming influence of the left. This form of reaction occured also in the pre-war period (...)" (109) .In diesem Sinne soll zunächst die Geschichte der linken Studentenbewegung der frühen Nachkriegszeit kurz skizziert werden: In den ersten Jahren lag der Schwerpunkt der zahlreichen unabhängigen Gruppen, in denen sich die japanischen Studenten zusammengeschlossen hatten auf der Linderung materieller Nöte, unter denen die Studenten wie alle anderen Teile der japanischen Gesellschaft gleichermaßen zu leiden hatten. Ab 1947 war eine deutliche Politisierung und Radikalisierung nach links zu verzeichnen, die nach einer Periode regional begrenzter Aktivitäten im September 1948 in die Gründung des "Alljapanischen Allgemeinen Verbands der studentischen Selbstverwaltungen" - Zen Nihon Gakusei Jichikai Sôrengô - mündete. Mehr und mehr studentische Selbstverwaltungen - Jichikai - traten dem Verband bei. Von Anfang an spiegelte sich in der Politik des Zengakuren der starke Einfluß der Kommunistischen Partei Japans (KPJ) - Kyôsantô - wieder, die in der Studentenorganisation einen Teil ihrer Einheitfront linker Massenorganisationen sah. Im Oktober 1949 gehörten dem Zengakuren nach eigenen Angaben 394 studentische Selbstverwaltungen an, was einer Gesamtmitgliederzahl von 350.000 Studenten entsprach (110) . Nachdem die japanische Regierung dem Zengakuren im selben Jahr die Anerkennung als politische Körperschaft verweigert hatte und der Organisation gegenüber im Zuge der antikommunistischen Hysterie im Gefolge des Koreakriegs eine zunehmend feindliche Haltung an den Tag legte, kam es - mit Unterstützung der Besatzungsbehörden - zur Konfrontation - tairitsu - zwischen den linken Studenten und der konservativen Regierung. Insbesondere die von Dr.Walter Eells, einem Berater der Erzeihungsabteilung des Alliierten Oberkommandos SCAP, angeregten "Säuberungen" an den Universitäten, sorgten für Empörung (111) .
"By this time, however, the main student movement, which in earlier days had regarded the Occupation as an 'army of emancipation', was in open opposition, and since then Zengakuren's statements and activities have been marked by a vocally anti-American brand of nationalism"(112) .Aufgrund der zunehmenden Repression, dem Tod eines Studenten bei anti-amerikanischen Ausschreitungen im Verlauf der 1.Mai-Demonstration von 1952 und der Entscheidung des Unternehmerverbandes Nikkeiren, keine Angehörigen linker Studentenorganisationen mehr einzustellen verlor der Zengakuren deutlich an Popularität unter den Studenten. Im selben Jahr wurde eine Reihe rechtsextremer Organisationen an den japanischen Universitäten gegründet, die in erster Linie antikommunistisch orientiert waren.
"It must be emphazised that the rightist student groups arose primarily as a reaction to Zengakuren and that they can only be understood against the background of overwhelming leftist sentiment among politically-minded students.Kitaoka Juitsu, Professor an der Kokugakuin-Universität, schrieb 1953 mit "Die Studenten von den Roten zurückgewinnen!" - gakusei wo aka kara 'torimodose' - ein Manifest für die im Entstehen begriffene rechte Studentenbewegung. In ihm fordert er das Verbot der KPJ als kriminelle Vereinigung, dann die Entfernung ihrer Symphatisanten aus den Universitäten gefolgt vom Aufbau einer patriotischen antikommunistischen Studentenbewegung (114) .
In addition, these new groups shared the main sentiments of the general right-wing organizations on such issues as rearmament and constitutional revision. A further motive that appears to have inspired many students to join them was precisely that which had in 1952 made others shy away from Zengakuren, namely the new employment policies governing university graduates. In some cases the anti-Communist groups were openly supported by employers as a counterbalance to the radical student movement (...)" (113) .
6.2.1. Die Waseda Daigaku Gakusei Renmei
"Die neurechten Studentenorganisationen gingen aus den zahlreichen Auseinandersetzungen an den Hochschulen in der zweiten Hälfte der 60er Jahre hervor. Sie waren die Antithese zu den linken Studenten und dementsprechend war der Zengakuren das Ziel ihrer Angriffe" (124) .1965 begann an der Waseda-Universität ein Streik gegen eine Erhöhung der Studiengebühren, der sich schnell zur landesweiten Protestbewegung ausweitete. Suzuki Kunio, der zu dieser Zeit der Kômei Shisôkai angehörte, erinnert sich wie folgt:
"Als Privatperson war ich auch gegen die Erhöhung der Studiengebühren. Aber von Seiten der älteren Semester von Seichô no Ie hieß es: `Die Protestbewegung wird von Kommunisten gemacht. Sie wollen sie nur für eine kommunistische Revolution benutzen.´ So war ich zwar gegen die Gebührenerhöhung, wollte mich aber auch nicht von linksgerichteten Studenten, die Japan verkauft hatten, herumkommandieren lassen. Im dritten Jahr meines Lebens im dôjô von Seichô no Ie war ich wohl auch zu einem ziemlich hartgesottenen antikommunistischen Studenten geworden. An der Waseda Universität gab es nicht mehr als zehn Studenten von Seichô no Ie. Aber mit Unterstützung von Studenten anderer Universitäten begannen wir eine Anti-Streik-Bewegung han sutoraiki undô (besser gesagt eine Bewegung gegen links han sayoku)" (125).Am 22. Februar 1966 wurde die "Freiwilligenvereinigung der Studenten der Waseda-Universität" - Waseda Daigaku Gakusei Yûshikaigi, kurz Yûshikai genannt - gegründet. An ihr waren neben der Kômei Shisô Kenkyûkai Mitglieder kleinerer Zirkel wie der "Samstagsclub" - Doyôkai, Jiyûshugi Kenkyûkai, "Vereinigung für japanische Kulturstudien" - Nihon Bunka Kenkyûkai, Yajinkai, Yûbenkai, u.a. beteiligt (126).
"An der Waseda gab es neben Seichô no Ie nur wenige rechtsgerichtete Zirkel. Wir versuchten, diese Zirkel und Einzelpersonen in einer Organisation zusammen zu bringen, um Opposition gegen den Zenkyôtô zu leisten und die Universität zu verteidigen. Dazu paßte der unauffällige, neutrale Name 'Studentenunion der Waseda-Universität' - Waseda Daigaku Gakusei Renmei"(127) .Suzuki Kunio wurde der erste Vorsitzende der am 6. März 1966 - dem letzten Tag der Eingangsprüfungen an der Waseda-Universität - neugeschaffenen Organisation, die ein nahegelegenes Café zu ihrem Anlaufpunkt - renraku dôjô - machte. Neben Transparenten, Flugblättern und Plakaten nutzten die Mitglieder der Gruppe auch ihr Rederecht auf studentischen Vollversammlungen, um den Streik zu kritisieren. Dabei kam ihnen zugute, daß sich zahlreiche Studenten angesichts der Dauer des Streiks Sorgen um ihre Zukunftsaussichten machten. Mehrere Fachbereiche sprachen sich dafür aus, den Streik zu beenden. Hauptziel ihrer Agitation war der "einfache Student" - ippan gakusei (128). Inhaltlich ging es nicht mehr nur um die "Normalisierung der Lage an den Universitäten", sondern zu den Slogans zählten auch die folgenden:
"Während dieser Zeit waren unsere Gruppen, die dem Zenkyôtô entgegenstanden, immer in der Minderheit. Die ihnen angehörenden Studenten wurden als antikommunistische Gewalttäter - hankyôbôryoku gakusei - denunziert und verloren stets bei Auseinandersetzungen und Schlägereien - gebaruto. Aber in Wahrheit wurden in dieser Zeit unsere Charaktere gestählt. So entstand die völkische Studentenbewegung. Ohne den Zenkyôtô hätten wir uns als einfach nur antikommunistische, sportlich orientierte, spontane Bewegung wohl zerstreut. Wie auch Mishima Yukio und Morita Masakatsu sagten, war mit dem Zenkyôtô ein guter erster Gegner geboren" (132).
6.2.2. Gründung der Nichigakudô
Für Hori beginnt mit der Gründung der "Japanischen Studentenunion" -
Nichigakudô bzw. Nippon Gakusei Dômei - eines landesweiten
Verbandes rechtsextremer Studenten, der sich einen "neuen völkischen
Nationalismus" - shin minzoku shugi - zum Ziel gesetzt hatte, am 14.
November 1966 an der Waseda-Universität die Geschichte der "Neuen Rechten"
(133) . An der
Gründungsveranstaltung in der Ozaki-Gedächtnishalle im Tokyoter Stadtteil
Nagata-chô nahmen Yamadaira zufolge 250 Studenten aus 23 Hochschulen teil
(134) .
Der
Nichigakudô setzte sich aus Mitgliedern der Nihon Bunka
Kenkyûkai, der "Vereinigung für Verfassungsstudien" -Kenpô Kenkyûkai
und anderen rechten Zirkeln unter Federführung der im vorangegangenen Abschnitt
bereits vorgestellten Waseda Daigaku Gakusei Renmei zusammen (135). Deren Führer
Suzuki übernahm - seinen eigenen Angaben zufolge - im neuen landesweiten
Dachverband nur deshalb keine höhere Funktion, weil er im Mai 1966 zum
Generalsekretär von Seigakuren, der Studentenvereinigung der
rechtsextremen Religionsgemeinschaft Seichô no Ie, gewählt worden
war (136). Zum
Vorsitzenden wurde Maruyama Hideyuki von der Kokuchikan-Universität gewählt.
Alle wichtigen Posten im Rahmen der neuen Organisation gingen an Vertreter der
Kokuchikan- und der Waseda-Universität. Dabei kam es Yamadaira zufolge von
Anfang an zur Herausbildung einer von zwei Hauptströmungen und einer dualen
Machtstruktur:
Während Studenten der Kokuchikan-Universität den Vorsitzenden
und den stellvertretenden Vorsitzenden des Nichigakudô stellten, wurden
Tsukimura Toshio und Saitô Hideyoshi, Studenten der Waseda-Universität, zum
Vorsitzenden und zum stellvertretenden Vorsitzenden des Zentralen
Exekutivausschusses gewählt (137) . Nakaya Toshirô
wurde zum Generalsekretär ernannt. Bis auf Saitô gehörten alle Waseda-Studenten
einer Faktion der Studentenverbandes der Liberaldemokratischen Partei um den
späteren Unterhausabgeordneten Tamazawa Tokuichirô an (138) .
Der
Nichigakudô bezog ein Büro im Waseda-chô, dem Universitätsviertel im
Tokyoter Stadtteil Shinjuku. Am 7. Februar 1967 erschien die erste Ausgabe des
Organs der Nichigakudô, der "Japanischen Studentenzeitung" - Nihon
Gakusei Shinbun (139) .
Hori nennt
folgende vier Prinzipien des Nichigakudô:
6.2.3. Nichigakudô und Zenkokugakkyô
Mit dem Wahlsieg von Seichô no Ie bei den Wahlen zur studentischen Selbstverwaltung an der Nagasaki Universität hatte die extreme Rechte erstmals ein Organ der studentischen Selbstverwaltung in ihrer Hand. Danach begann Seigakuren, die Studentenorganisation von Seichô no Ie, sich landesweit auf die Wahlen zu konzentrieren. Auf den Erfolg des Nagasaki Daigakusei Kyôgikai (Nagadai Gakkyô) folgte 1968 der Zusammenschluß mehrer Universitäten zum Kyûshû Gakkyô. Der Organisierungsprozeß setzte sich in Form des Kansai Gakkyô, Chûgoku Gakkyô, Shikoku Gakkyô, usw. fort, bis am 12. Mai 1969 der Zenkoku Gakusei Jijitai Renraku Kyôgikai (Zenkoku Gakkyô) als zweite landesweiter Dachverband der extremen Rechten an den Universitäten ins Leben gerufen wurde, an dem sich auch die Studentenorganisation der "Vereinigungskirche" Genriken beteiligte (149). 5.000 Studierende nahmen Suzuki zufolge an der Gründungsveranstaltung teil (150), Hori geht von 2.000 Teilnehmern aus (151). Suzuki Kunio hielt die Grundsatzrede. Sieben grundsätzliche Forderungen wurden aufgestellt:
"(1) Zerschlagung von Minsei und Zenkyôtô; (2) Zerschlagung der Nikkyôsô; (3) Zerschlagung der Besatzerverfassung; (4) Auflösung des japanisch-amerikanischen Sicherheitsvertrags - Für eine selbstbestimmte Verteidigungspolitik; (5) Zerschlagung des Atomwaffensperrvertrags - Für wahre Unabhängigkeit; (6) Rückeroberung der Nördlichen Territorien; (7) Für eine Ultramodernisierung und die Verteidigung der japanischen Kultur" (152).War das gegenseitige Verhältnis zunächst ein freundschaftliches, sah man sich bei der landesweiten Organisierung der Hochschulrechten bald als Rivalen."Im Oktober 1968 gab es - einem Artikel der Nihon Keizai Shinbun vom 7.Oktober 1968 zufolge - 27 Organisationen der rechtsextremen Studentenbewegung mit 7.200 Mitgliedern. Das sind im Durchschnitt 260 Mitglieder pro Organisation. Die rechte Studentenbewegung wurde von folgenden Strömungen dominiert: der Nichigakudô und dem zu Seichô no Ie gehörenden Zenkoku Gakusei Jijitai Renkaku Kyôgikai (Zenkoku Gakkyô)"(153).
"Mit der Mobilisierungskraft von Seichô no Ie im Rücken befand sich der Zenkoku Gakkyô in einer Position überwältigender Dominanz. Darüberhinaus kontrollierte der Zenkoku Gakkyô zum Zeitpunkt seiner Gründung die studentischen Selbstverwaltungen von 28 Universitäten und nahm die Wahlen zu den studentischen Selbstverwaltungen an 14 weiteren Universitäten in Angriff. Nach der Gründung des Zenkoku Gakkyô erhob der Slogan `Einen nationalen rechtsextremen Studentenverband (minzokuha zengakuren) aufbauen!´ die Geister. Aber dieser `nationale rechtsextreme Studentenverband´ wurde durch die Störungen der Nichigakudô zerschlagen" (154).Suzuki datiert den Beginn der Auseinandersetzungen auf die Gründungsversammlung des Tôkyô-to Gakkyô 1968, die nach dem Eindringen von Mitgliedern der Nichigakudô in handgreiflichen Auseinandersetzungen endete (155). Bemerkenswert ist dabei, daß Suzuki zur Beschreibung der Auseinandersetzungen den Begriff der uchi-geba verwendet - entstanden aus der Kombination des chinesischen Schriftzeichens uchi (hier: "intern") und dem verkürzten Lehnwort geba ("Gewalt") - der ansonsten im Zusammenhang mit der Neuen Linken gebräuchlich ist (156).
"Nach und nach organisierte die Nichigakudô die Studentenausschüsse für die nationale Verteidigung - kokubôbu - der Universitäten und ähnliche Zirkel zum Gesamtjapanischer Studentenausschuß für die nationale Verteidigung - Zen Nihon Gakusei Kokubô Kaigi - (gegründet am 15.Juni 1968), zum Gesamtjapanischen Studentenausschuß für die Verfassung(srevision) - Zen Nihon Gakusei Kenpô Kaigi (gegründet am 3.Mai 1969), zur gesamtjapanischen Oberschülerkonferenz - Zen Nihon Kôkôsei Kyôgikai, etc" (158).Zu den Auseinandersetzungen zwischen Zenkoku Gakkyô und Nichigakudô kamen interne Auseinandersetzungen zwischen Hitleristen - hitorâhugisha - und Anhängern einer staatssozialistischen Orientierung - kokka shakai shugisha - innerhalb des Nichigakudô, die an Auseinandersetzungen innerhalb der Neuen Linken Japans erinnern. Im Rahmen von Säuberungen wurden Kritiker und Unzufriedene aus der Organisation ausgeschlossen, darunter auch zahlreiche Gründungsmitglieder (159). "Er hat seine Seele den Kommunisten verkauft!" war zum Ausschlußverfahren von Morita Masakatsu, der zur Tatenokai übergetreten war, in großen Lettern in der Nihon Gakusei Shinbun zu lesen (160).
6.3. Die kleinste Armee der Welt
"Morita und Mishima fanden in erster Linie wegen ihrer ähnlich gelagerten politischen Ansichten zusammen. Beide gehörten zur Minorität der Japaner, die der Ansicht waren, daß gegen die Zengakuren mit Gewalt vorgegangen werden müsse. Beide wollten Kampfgruppen gegen die linken Studenten anführen, beide waren flammende Kaisertreue und schrieben - unabhängig voneinander - Manifeste, in denen sie dazu aufriefen, daß Japan die Wasserstoffbombe brauche" (162).Suzuki unterstellt, daß es auch an der ständigen gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den rechten Studentenverbänden - uchi-geba - gelegen haben könnte, daß Morita den Nichigakudô verließ, um sich Mishima anzuschließen (163).
"(I) Kommunismus ist mit japanischer Tradition, Kultur und Geschichte unvereinbar und steht im Widerspruch zum Kaiser-System.Die Gesamtmitgliederzahl belief sich auf etwa 80, zumeist Studenten verschiedener Tokyoter Universitäten. Mishima teilte die Tatenokai in acht voneinander unabhängige Untergruppen zu je zehn Mitgliedern, deren Anführer nur ihm persönlich verantwortlich waren. Gerne hätte er auch Arbeiter angeworben, mußte sich jedoch, aufgrund der zeitlichen Anforderungen, die an die Mitglieder seiner Privatarmee stellte, auf Studenten beschränken (167).
(II) Der Kaiser ist das einzige Symbol unserer historischen und kulturellen Gesellschaft und rassischen Identität.
(III) Die Anwendung von Gewaltmitteln ist gerechtfertigt im Hinblick auf die Bedrohung durch den Kommunismus" (166).
"Meine Schildgesellschaft SS (Mishima scheute sich nicht, die Abkürzung der englischen Übersetzung von Tatenokai 'Shield Society', SS, zu benutzen [Anm. von H.S.Stokes, d.Verf.]) umfaßt nur hundert Mitglieder. Sie ist die kleinste Armee der Welt, und ich habe nicht die Absicht, sie zu vergrößern. Meine Männer erhalten keinen Sold, doch zweimal im Jahr werden sie mit neuen Uniformen, Mützen und Stiefeln ausgerüstet. Die speziell für die SS entworfene Uniform sticht so ins Auge, daß Passanten auf der Straße erstaunt stehen bleiben. Ich habe auch eine Flagge entworfen, auf der zwei rote, mittelalterliche, japanische Helme auf weißem Seidenhintergrund zu sehen sind. Das schlichte Emblem wiederholt sich auf Mützen und Knöpfen unserer Uniformen.Am 25. November 1970 drangen Mishima, Morita und drei weitere Mitglieder der Tatenokai, von denen zwei Seichô no Ie angehörten, in die Ichigaya-Kaserne der Selbstverteidigungsstreitkräfte in Tokyo ein und nahmen den kommandierenden Offizier, General Mashita Kanetoshi, als Geisel (169). Die Geiselnehmer, die, außer ihren Phantasieuniformen, mit roten Kreisen bemalte Stirnbänder - hachimaki - mit der Aufschrift "Diene der Nation sieben Leben lang!" - shichishô hokoku - trugen, ließen die Mannschaften auf dem Appellhof antreten (170). Mishima rief die Soldaten vom Balkon des Verwaltungsgebäudes in einer ca. achtminütigen Ansprache zum gemeinsamen Staatsstreich auf. Ziel sollte die Revision der japanischen Nachkriegsverfassung, der Aufbau eigener Streitkräfte und die Wiederbelebung des Tennôsystems sein (171). Von den ca. 1000 Soldaten ausgebuht und verspottet begingen Mishima und Morita rituellen Selbstmord durch das Schwert, die restlichen Geiselnehmer ergaben sich.
Die Mitglieder der SS rekrutieren sich vorwiegend aus der Studentenschaft.
Die SS ist eine Armee im Wartestand. Unmöglich zu wissen, wann unser Tag kommt. Vielleicht nie, vielleicht aber auch schon morgen. Bis dahin bleiben wir in Habachtstellung. Keine Straßendemonstrationen, keine Plakataktionen, keine Auseinandersetzungen mit Molotow-Cocktails oder Steinwürfen. Bis zum letzten, schlimmsten Augenblick weigern wir uns, uns durch Handlungen bloßzustellen. Denn wir sind die kleinste Armee der Welt und die größte an Geist" (168).
"Meine Selbsttötung durch das Schwert ist, der Verantwortung eines Kommandanten entsprechend, eine Selbstverständlichkeit, aber die Selbstötung Morita Masakatsus weist diesen als selbstbestimmt voranschreitenden Vertreter aller Mitglieder der Tatenokai und einer Jugend, die patriotische Ziele besitzt, aus. Nehmt ihn Euch zum Vorbild, wenn es darum geht, den Kampfesgeist der Jugend zu beweisen. Die Ernsthaftigkeit seiner Tat ist in der Lage, die Seelen der Verstorbenen zu wecken. Ich will, daß der Weg Moritas - Morita no Seishin -der Nachwelt um jeden Preis verkündet wird" (172)..Für Suzuki entstand die "Neue Rechte" erst durch den Tod Moritas:
"Für all diejenigen, die sich bereits aus der rechten Studentenbewegung verabschiedet hatten, war dieser Zwischenfall (besser gesagt: die Selbsttötung Moritas durch das Schwert) ein "fumie", das ihnen brutal vorgehalten wurde. Weil es einen von uns gab, der bis zu diesem Zeitpunkt ständig weiter aktiv war und schließlich sein Leben gegeben hatte, fragten wir uns, ob wir einfach so weiterleben konnten, wie wir es uns vorgestellt hatten. Deses "fumie" und das "Schuldgefühl" - ushirometasa - brachten die "Neue Rechte" hervor" (173).Bei einem Fumie handelt es sich um ein "Tretbild (ein Christus- oder Marienbild, welches zum Zeichen der Abkehr vom Christentum mit Füßen getreten werden mußte, 1628-1857)" (174). Wie die wahren Christen nicht auf das Fumie traten, konnten - diesem Vergleich Suzukis zufolge - die wahren Rechtsextremen den Tod Moritas nicht ignorieren
Zum Zeitpunkt des Todes Mishimas und Moritas arbeitete Suzuki in der
Rechnungsabteilung des Verkaufsbereichs der konservativen Tageszeitung Sankei
Shinbun (179) .
Ohne es vorher geplant zu haben, trafen zahlreiche Teilnehmer der rechtsextremen
Studentenbewegung, die wie Suzuki die Universität mittlerweile abgeschlossen
hatten, im Haus von Etô Toyohisa - dem Gründer der "Japanischen
Jugendgesellschaft" - Nihon Seinensha (180) - wieder
zusammen, um den Mishima jiken zu diskutieren, der zum "Sprungbrett" für
die Gründung der Issuikai wurde (181).
Die
Versammelten kamen überein, sich einmal monatlich zum Informationsaustausch zu
treffen, zunächst unter dem Namen "Forschungsgesellschaft Massenkommunikation" -
Masukomi Kenkyûkai - , da sich unter ihnen zahlreiche Medienvertreter und
freie Journalisten befanden. Das erste Treffen dieser Art fand am 27. März 1972
statt (182).
Nach
zwei Monaten ging aus diesen Treffen die Issuikai hervor, die stärker
bewegungsorientiert arbeiten wollte und im Mai 1972 erstmals zusammenkam. Der
Name beruht auf der Vereinbarung, sich jeweils am ersten Mittwoch des Monats zu
Diskussionen und gemeinsamer Weiterbildung zu treffen. Er beinhaltet die
chinesischen Schriftzeichen für "eins" - itsu - , "Mittwoch" -
sui(yôbi) - und "Treffen" - kai (183).
Rund 40 bis
50 Mitglieder gehörten der Gruppe an, Führungsrollen kamen Suzuki Kunio, Inuzuka
Hirohide, Tawara Yasushikuni, Itô Kunisuke und Abe Tsutomu zu (184). Suzuki, Inuzuka
und Tawara gehören der Sekte Seichô no Ie an und waren zuvor im von ihr
bestimmten Zenkoku Gakkyô aktiv, Itô und Abe waren Mitglieder der
Tatenokai (185). So verbanden sich
die von Seichô no Ie vorgebrachten Forderungen nach der Wiedereinsetzung
der Meiji-Verfassung mit den Vorstellungen Mishimas vom Kaiser als das
japanische Volk einigendem Symbol (186).
Am 24.
November 1972 führte die Issuikai erstmals ein "Heldengedenken" für
Mishima und Morita durch, an dem auch Einzelpersonen und Vertreter anderer
rechtsextremer Organisationen teilnahmen (187). Diese
Veranstaltung wurde fortan jährlich unter dem Namen Nowaki Matsuri -
"Herbststurm-Fest" - abgehalten, der sich aus einer Zeile im
Abschieds-Tanka-Gedicht Morita Masakatsus erklärt, und bot unterschiedlichen
rechtsextremen Strömungen die Möglichkeit zum Informations- und
Meinungsaustausch (188).
Durch den
Beitritt von jugendlichen Aktivisten der auf der Grundlage des
Nichiren-Buddhismus arbeitenden "Volksbewegung für die Wiederbelebung der
Vernunft" - Ryôshikifukkatsu Kokumin Undô - entwickelt sich die
Issuikai Suzuki zufolge in eine aktionistische Richtung, startete im März
und April 1973 Aktionen gegen den Eisenbahnerstreik und führte im Oktober 1973
unter dem Titel "Nachdenken über Erziehung" - kyôiku wo kangaeru shûkai -
eine Gegenveranstaltung zur Jahresvollversammlung der Lehrergewerkschaft
Nikkyôsô durch (189).
Am 25. März
1974 wurde Suzuki, nachdem er bei einer Propagandaaktion vor dem
Verteidigungsamt erstmals verhaftet und drei Tage von der Polizei festgehalten
worden war, von der Sankei Shinbun entlassen (190). Er sieht darin
rückblickend den Wendepunkt für die weitere Entwicklung der Issuikai vom
"Teetrinkerzirkel" zur rechtsextremen Organisation - minzokuha
dantai (191).
6.5. Niedergang der rechtsextremen Studentenbewegung und neurechter Terrorismus
Nach der Gründung der "Landesweiten Union der verfassungsfeindlichen
Studentenausschüsse" - Hankenpô Gakuseiiinkai Zenkoku Rengô - im März
1974 spaltet sich der Zenkoku Gakkyô: Während die Studenten des Seichô
no Ie-Flügels der Hanken Gakuren beitreten und sich die Absolventen
dieser Richtung der Seinen Kyôgikai anschließen, nimmt die Hauptströmung
des Zenkoku Gakkyô um die Zeitschrift Gekisen eine
radikalere Linie an (192). Im Oktober
desselben Jahres organisiert die Issuikai Aktionen gegen den Staatsbesuch
des US-Präsidenten Gerald Ford in Japan und gegen die Unterzeichnung des
Atomwaffensperrvertrags (193).
1975 gründen
der Rechtsterrorist Nomura Shûsuke, Torinoumi Shigeta, ein Stadtverordneter aus
Yonezawa in der Präfektur Yamagata, und Suzuki Kunio die "Jugendkonferenz für
den Aufbau eines Neuen Japans" - Atarashii Nihon wo Hajimeru
Seinenshûkai (194). Nomura hatte
gerade 12 Jahre im Präfekturgefängnis von Chiba verbüßt, nachdem er den
damaligen Landwirtschaftsminister Kôno Ichirô wegen dessen Beteiligung an den
japanisch-russischen Fischereiverhandlungen angegriffen und sein Haus
niedergebrannt hatte (195). Das erste Treffen
der neuen Organisation fand am 23. Juni 1976 in Yonezawa statt, im Anschluß
wurden ähnliche Zusammenkünfte in ganz Japan, u.a. in Sendai, Tokushima, Aizu
Wakamatsu und Ômiya abgehalten (196). Mit dem Namen
wollten die Organisationsgründer zum Ausdruck bringen, daß eine Restauration der
Vorkriegsordnung nicht zu ihren Zielen gehört (197).
In Artikeln
für die rechtsextremenen Publikationen Yamato Shinbun, Seinen
Gunzô ("Jugendgruppe") sowie in seinem im Oktober 1975 erschienenen Buch
"Der 'Wolf' und die voller Erregung tickende Uhr" - harahara tokei to
'ôkami' - drückte Suzuki Kunio den Angehörigen der "Ostasiatischen
Antijapanischen Bewaffneten Kampffront" - Higashi Ajia Han-Nichi Busô
Sensen, einer Organisation der Neuen Linken seine Symphathie aus, weil ihn
die unbeugsame und "heroische" Haltung der festgenommenen Mitglieder der
Kampffront - einer tötete sich mit einer Zyankalikapsel - beeindruckte (198). Unterstützt wurde
er dabei auch von einer Gruppe namens "Jugendvereinigung für Politikforschung
Yokohama" - Yokohama Seinen Seijikenkyûkai , der auch der spätere
Rechtsterrorist Ninagawa Masahiro (s.o.) angehörte (199).
"Das Spektrum der Angriffsziele [der "Ostasiatischen Anti-Japanischen Bewaffneten Kampffront", Anm. d. Verf.] war breit gefächert: Industrieunternehmen (Begründung: Neokolonialismus via Wirtschaftsexpansion), Tennô-System (Begründung: Bestrebungen zur Wiederherstellung der Vorkriegsideologie), staatliche Einrichtungen auf Hokkaidô (Begründung: Diskriminierung der Ainu-Minderheit) und andere mehr. Alle Begründungen weisen auf eine zutiefst antijapanische Haltung der Akteure hin"(200) , die kaum inhaltliche Ansatzpunkte für ein Bündnis mit der Neuen Rechten lieferte.Suzukis Sympathieerklärung sorgte nicht nur innerhalb des rechten Lagers für heillose Verwirrung, Suzuki, die Issuikai sowie die seine Artikel druckenden Publikationen wurden fortan von der traditionellen Rechten als "prokommunistisch" bzw "kommunistische Rechte" - kyôsankei uyoku - kritisiert (201), sondern auch innerhalb der Politikwissenschaft:
"Die 'systemfreundlichen' Rechten, die den weitaus größten Teil darstellen, knüpfen zwar ideologisch an die Tradition der Vorkriegszeit an, erweisen sich aber im wesentlichen nur in antikommunistischer bzw. 'anti-linker' Richtung aktiv. In diese Kategorie fallen auch die meisten der 'yakuza-Rechten.' Zu den systemgegnerischen Rechten zählt neben den 'Neuen Rechten' ein kleiner Teil der rechtsextremen Gruppen, die direkt aus der Genealogie der Vorkriegszeit stammen (junsei uyoku; 'reine' rechtsextreme Gruppen bzw. dentô uyoku; 'traditionelle Rechte') und entweder den Sicherheitsvertrag oder aber das gegenwärtige Gesellschafts- und Wirtschaftssystem insgesamt ablehnen" (211).Im September 1977 wurde der "Jugendausschuß zur Rückeroberung der Nördlichen Territorien" - Hoppô Ryôdo Seinen Dakkan Iinkai - gegründet (212). Zuvor, am 27. Juli 1977, wurde der Jugendliche Watanabe Naotake beim Versuch, zur Insel Kaigara, die zur Habomai-Inselgruppe zählt, zu schwimmen, von einem sowjetischen Schiff aufgesammelt und festgenommen (213).
6.5.1. Das "Freiwilligenkorps der Vereinigten Front"- Tôitsu Sensen Giyugun
Das "Freiwilligenkorps der Vereinigten Front"- Tôitsu Sensen Giyugun -
wurde am 23. September 1981 von Angehörigen des "Jugendausschusses zur
Rückeroberung der Nördlichen Territorien" - Hoppô Ryôdo Seinen Dakkan
Iinkai, der Issuikai und anderer Gruppen der systemgegnerischen
Rechten als Kampforganisation gegründet (215). Vorsitzender
wurde Kimura Mitsuhiro (216). Die Gruppe
bezeichnete sich selbst als "antisowjetische, antiamerikanische, sich gegen die
Herrschenden - hankenryoku - richtende, kämpferisch-radikale Kraft, die
nicht-öffentliche und illegale Aktionen bejaht" und zählt die "Zerschlagung der
Nachkriegsordnung" zu ihren Forderungen (217). Bereits am
folgenden Tag kam es während einer Demonstration der Gruppe zu gewalttätigen
Auseinandersetzungen mit der Polizei. Die sich zu Unrecht von der Polizei
angegriffene Gruppe demonstrierte im Anschluß daran vor der Polizeiwache im
Tokyoter Stadtteil Shibuya (218). Die
Mitgliederzahl wurde auf landesweit ca. 100 beziffert (219). Von Mai bis
September gibt die Gruppe die Zeitschrift "Informationen des Freiwilligenkorps"
- Giyugunhô - heraus (220).
Im Verlauf
eines "Verhörs" - supai samon - kam es im September 1982 zu einem
Fememord an einem als Spitzel verdächtigten Gruppenmitglied (221). Die drei
Verdächtigen wurden zu 12, 10 bzw. 6 Jahren Gefängnis verurteilt (222). Nach der
Verhaftung ihrer Führungsmitglieder in diesem Zusammenhang - darunter auch
Kimura, der aber nicht verurteilt wurde - schien die Gruppe im Zustand der
Auflösung begriffen, wurde aber nach der Freilassung von Nomura Shûsuke aus dem
Fuchû-Gefängnis von diesem 1983 wiederbelebt (223).
Am 13. Januar
1987 griffen Ninagawa Masahiro und zwei weitere Rechtsterroristen, darunter ein
Mitglied des "Freiwilligenkorps der Vereinigten Front"- Tôitsu Sensen
Giyugun - unter dem Kriegsnamen YP-Taisei Datô Seinen Dômei den
Präsidenten des Immobilienunternehmens Sumitomo Fudôsan, Andô Tarô, in
seinem Haus an (224).
Der Name
YP-Taisei Datô Seinen Dômei kam am 5.März 1989 noch ein weiteres Mal zum
Einsatz, als Mitglieder verschiedener neurechter Organisationen bei einem
weiteren Anschlag einen Benzintanklastwagen nur wenige Meter vor dem Amtssitz
des damaligen Premierministers Takeshita zum Stehen bringen (225). Suzuki betont,
daß die unter diesem Namen ausgeführten Anschläge in keiner Beziehung zueinander
standen (226).
Wie aus dem bereits gesagten hervorgeht, handelte es sich bei der YP-Taisei
Datô Seinen Dômei nicht um eine eigenständige Organisation, sondern um einen
"Kampfnamen" rechtsextremer Aktivisten für bestimmte Aktionen.
Auch bei der
"Antikommunistischen Vergeltungseinheit" - Sekihôtai - ist nicht
auszuschließen, daß es sich hierbei um ein Phantom, d.h. lediglich um einen nom
de guerre rechter Aktivisten aus verschiedenen Organisationen handelt. Die
Ermittlungen der Polizei gegen Mitglieder der Tôitsu Sensen Giyugun
weisen in diese Richtung. Am 9.August 1988 wurden bei der alljährlichen
Demonstration zum "antikommunistischen Tag" - hanso dê - im Tokyoter
Stadtteil Roppongi 11 Mitglieder der Gruppe im Zusammenhang mit den Ermittlungen
der Polizei gegen die "Antikommunistische Vergeltungseinheit" - Sekihôtai
- festgenommen (227). Aus dem selben
Anlaß, formal gerechtfertigt mit dem Vorwurf, Arbeitsschutzrichtlinien verletzt
zu haben - wurden am 28. Juni 1989 drei Führungsmitglieder der Gruppe
festgenommen (228).
Suzuki
zufolge handelt es sich bei der Sehihôtai, die wegen ihrer
Anschlagskampagne gegen die Tageszeitung Asahi Shinbun zu den bekannteren
rechten Terrororganisationen zählte, um eine Abspaltung des
"Freiwilligenkorps für die Unabhängigkeit des Japanischen Volkes" - Nihon
Minzoku Dokuritsu Giyugun, das am 13. August 1983 einen Brandanschlag auf
das Büro der Asahi Shinbun in Nagoya unternommen hatte (229). Die
Bekennerschreiben wurden in der Zeitschrift Rekonkisuta
veröffentlicht (230).
Nachdem sich abzeichnete, daß die Mehrzahl der Aktivisten der Neuen Rechten dem Studentenalter entwachsen war, wurde am 15.März 1989 der "Konferenzzusammenschluß nationalistischer Studenten Japans" - Nihon Minzokushugi Gakusei Hyôgikai - als neue Studentenorganisation gegründet (231). Der neuen Organisation gehörten die studentischen Mitglieder der Issuikai und der Tôitsu Sensen Giyugun an (232). Durch eine ganze Reihe von Kampagnen versuchte die Neue Rechte, neue Bündnispartner bzw. Anknüpfungspunkte an andere gesellschaftliche Bewegungen zu finden.
6.6.1. Unterstützung der chinesischen Demokratiebewegung
Das Jahr 1990 wurde von einer Kampagne zur Unterstützung der chinesischen Demokratiebewegung geprägt, wobei sich Issuikai und Tôitsu Sensen Giyugun besonders für Zhang Zhen Hai einsetzten, der im Dezember 1989 durch eine Flugzeugentführung politisches Asyl in Japan erpressen wollte (233). Eine Veranstaltung der Issuikai mit Vertretern der "Chinesischen Demokratischen Union" - Minshu Chûgoku Rengô - fand ein weites Presseecho, u.a. im Asahi Jânaru vom 13. April 1990 (234). Am Jahrestag des Tienanmen-Massakers führte die Neue Rechte Aktionen und Veranstaltungen mit anderen Gruppen durch, die sich für die Demokratisierung Chinas einsetzen (235).
6.6.2. Unterstützung der irakischen Seite im Golfkrieg
Als zweiter Arbeitsschwerpunkt zeichnete sich nach dem irakischen Einmarsch
ins benachbarte Kuwait am 2.August 1990 die Unterstützung der irakischen Seite
im Golfkrieg ab. Im September besuchten jugendliche Mitglieder der
Issuikai die irakische Botschaft, um sich als Freiwillige zu melden (236). Nach den ersten
alliierten Luftangriffen auf den Irak organisierte die Issuikai am
17.Januar 1991 Proteste vor der amerikanischen Botschaft (237). Nach dem Ende der
kriegerischen Auseinandersetzungen machte sich Kimura Mitsuhiro mit fünf anderen
Mitgliedern des eilends von der Issuikai ins Leben gerufenen "Hilfsfonds für das
irakische Volk" - Iraku Minkan Kyûen Kikin - am 4.April 1991 mit
Hilfsgütern auf den Weg nach Bagdad (238). Eine weitere
Delegation der Issuikai besuchte am 24.März 1992 den Irak und wurde von
der Baath-Partei mit allen protokollarischen Würden empfangen (239).
Die
Unterstützung des Irak blieb auch in den folgenden Jahren ein wesentliches Thema
für die Organisation: Nach den erneuten alliierten Luftangriffen auf den Süden
des Iraks am 13. Januar 1993 organisiert die Issuikai zum 2. Jahrestag
der ersten Luftangriffe am 17. Januar Proteste vor der amerikanischen Botschaft
(240). Am 20. Februar
1993 entsandte die Issuikai eine neunköpfiges "Freiwilligenkorps" in den
Irak, das von der irakischen Jugendliga protokollgemäß empfangen wurde (241).
Im Mai 1996
nahm Kimura Mitsuhiro als Vertreter der Issuikai am "Internationalen Symposium
über Wirtschaftssanktionen und Volksrechte" in Bagdad teil, das von der
Generalkonferenz der nicht-paktgebundenen Studenten- und Jugendorganisationen
NASYO organisiert wurde (242). Offenbar sind die
Beziehungen zur Baath-Partei so gut, daß Kimura die Gelegenheit erhielt, ein
90minütiges Interview mit Udai Hussein, dem ältesten Sohn des irakischen
Staatschefs Saddam Hussein zu führen, das vom japanischen Monatsmagazin
Analysis veröffentlicht wurde (243).
6.6.3. Bündnis mit der Neuen Linken und der yakuza
Neben den Aktivitäten zur Unterstützung der chinesischen Demokratiebewegung
und der irakischen Seite im Golfkrieg, die der Issuikai neue
Bündnismöglichkeiten erschlossen, sorgte im Jahre 1992 ein weiteres
Bündnisprojekt der Neuen Rechten für Aufsehen:
Am 19. Januar führten
neurechten Organisationen, darunter auch die Issuikai, mit der neulinken
"Kommunistischen Partei - Aktionistische Faktion" - Kyôsantô-Kôdôha - und
mehreren yakuza-Gruppen, die für diese Aktion unter dem Namen
"Bürgerunion für Ritterlichkeit" - Ninkyô Shimin Rengô - auftraten, eine
gemeinsame Veranstaltung gegen das neue "Gesetz gegen das organisierte
Verbrechen" - bôryokudan shinhô - mit einer anschließenden Demonstration
durch das Tokyoter Stadtzentrum durch (244). Dem folgten am
1.März, dem Tag der Inkraftsetzung des neuen Gesetzes, weitere "gemeinsame
Aktionen" (245),
nachdem die Polizei in Ôsaka mehr als 100 Büros einer der größten
yakuza-Gruppen, der Yamaguchi-gumi, durchsucht und 65 ihrer
Mitglieder festgenommen hatte (246). Aufgerufen hatten
zu den Aktionen Nomura Shûsuke und der Anwalt Endô Mamoru, die damit
argumentierten, daß grundlegende Bürgerrechte wie die Vereinsfreiheit und das
Vermögensrecht auch für Angehörige der yakuza gelten (247). An ersten
Vorgesprächen hatten auch Vertreter der yakuza-Gruppe
Yamaguchi-gumi und der Chûkakuha teilgenommen (248). Einigendes Moment
war die Forderung nach Garantie der Vereinsfreiheit auch für systemgegnerische
Organisationen - hantaisei no kessha (249).
6.6.4. Die "Gesellschaft des Windes" - Kaze no Kai
Nachdem Suzuki Kunio 1989 erstmals an der Hauptversammlung des bereits
erwähnten Dachverbands Zen'ai Kaigi teilnahm, zeichnet sich eine gewisse
Kooperations- und Diskussionsbereitschaft zwischen der traditionellen und der
Neuen Rechten ab (250).
Ausdruck
dieser Zusammenarbeit war die Teilnahme an den Unterhauswahlen 1993, von der
sich Japans rechtsextreme Bewegung einen wesentlichen propagandistischen Erfolg
erhoffte. Auf einer landesweiten, strömungsübergreifenden Zusammenkunft, an der
auch die Issuikai teilnahm, wurde am 9.Juni im Tokyoter
Zennikkyû-Hotel eine gemeinsame Wahlliste mit Namen "Gesellschaft des
Windes" - Kaze no Kai - beschlossen (251). Suzuki
befürwortete die Teilnahme an den Wahlen mit dem Argument, die Neue Rechte müsse
ihre Bürgerrechte wahrnehmen, um in diesem Rahmen zu zeigen, daß sie zu
verantwortlichem Handeln in der Lage sei. Er versprach sich davon eine
veränderte Wahrnehmung der Neuen Rechten im öffentlichen Bewußtsein, das die
Neue Rechte stets mit organisiertem Verbrechen und Terrorismus in Zusammenhang
bringe (252).
Nomura Shûsuke wird zum Vorsitzenden der gemeinsamen Liste gewählt und auf
Platz 1 gesetzt. Zehn Tage später stellte die Kaze no Kai ihre
Kandidatenliste auf einer Pressekonferenz, an der rund 100 Journalisten
teilnahmen, im selben Hotel der Öffentlichkeit vor (253).
"I want to
rid Japan of the postwar myths which have bound the Japanese people and left us
trussed up like broiler chickens", wird Nomura vom Far Eastern Economic Review
zitiert, das die neue Rechtspartei gemeinsam mit der New Motor Party des All
Japan Drivers' Club und der UFO Party zu den Kuriositäten des Wahlkampfs
zählte (254).
Vom 8. bis zum 26.Juli 1992 unterstützt die Issuikai wie landesweit
viele andere Gruppierungen der extremen Rechten auch, den Wahlkampf der Kaze
no Kai, die schließlich landesweit lediglich 220.000 Stimmen erreichen
konnte (255). Nomura
war sehr optimistisch, was die Aussichten seiner Gruppe betraf: Insgesamt hatte
die Gruppe 10 Kandidaten aufgestellt und Nomura begann bereits vor der Wahl
damit, Freunden Stellen als Privatsekretär anzudienen (256). Entsprechend groß
war die Enttäuschung nach der Wahlniederlage, die Suzuki auf mangelnde
Vorbereitung des Wahlkampfs zurückführt (257). Nomura plädierte
schließlich gegen eine Beteiligung an weiteren Wahlen und für die Auflösung des
Zusammenschlusses (258).
In der
Wochenzeitschrift Gekkan Asahi vom 24. Juli 1992 wurde die Kaze no
Kai in einer Karrikatur durch Weglassen eines Striches beim Schreiben des
Schriftzeichens "kaze" zur "Läusegesellschaft" - shirami no kai -
degradiert (259). Nach einer langen
Auseinandersetzung um diese Darstellung, in deren Verlauf sich der
verantwortliche Karrikaturist formell entschuldigte, die Kaze no Kai aber
eine öffentliche Selbstkritik des Verlags forderte, beging Nomura Shûsuke am
20.Oktober, 1993 im Empfangszimmer des Firmenpräsidenten der Asahi
Shinbun-sha vor dessen Augen Selbstmord (260). "Jesus Christ
would not have needed to die if he had been a politician", hatte er zwei Tage
zuvor in einem Interview dem Far Eastern Economic Review erklärt (261). Die Nachricht von
seinem Tod stürzt die Teilnehmer eines am selben Tage stattfindenden Symposiums
zur Zukunft der Neuen Rechten im Zennikkyû-Hotel in tiefe Verwirrung (262).
In einem
Interview mit der Japan Times beziffert Kimura Mitsuhiro 1996 die Mitgliederzahl
der Issuikai auf rund 200.
"Aufgrund öffentlicher, graduell abgestufter Stigmatisierung vollziehen sich die Prozesse der Bindung von Organisation/Mitgliedern in der Regel nicht-öffentlich, nämlich in der geschützten Atmosphäre organisationsinterner Öffentlichkeit. Das führt zu einer kommunikativen Doppelstruktur politischer Kleingruppen: Der interne Code umfaßt die Strategien organisationsinterner Willensbildung, Formen der Stabilisierung und Rekrutierung von Mitgliedern, die Interaktionsregeln, normativ-alltägliche Verhaltensgebote und die Festlegung der externen Codes. ...Der externe Code umfaßt alle Formen öffentlicher Selbstdarstellung (z.B. Parteitage, Programmschriften, symbolische Aktionen, subkultureller Stil). (...) Forschungspragmatisch erscheint die Doppelstruktur als 'hemmende' Hermeneutik, da bei den gängigen Verfahren sozialwissenschaftlich-historischer Recherche schnell grenzen sichtbar werden: Quellenmaterial, wichtige sozialstatistische Daten sind nur schwer zugänglich oder nicht vorhanden" (282).Die Gewinnung und Analyse interner Daten sowie eine entsprechende Intensivbefragung von Aktivisten, die von Dudek und Jaschke als "herausragende Methode zur Aufdeckung interner Codes" (283) genannt werden, konnten im Rahmen dieser Studie nicht geleistet werden. Entsprechend rudimentär bleiben die Aussagen, die in diesem Abschnitt gemacht werden können. Sie beziehen sich im wesentlichen auf Äußerungen der neurechten Theoretiker zur eigenen Biographie.
"Wenn ich versuche mich an meine früheren Kommilitonen aus der Studentenbewegung zu erinnern, fallen mir nur Leute ein, die ihr Studium abgebrochen haben", so Suzuki, der immer wieder von seinen Mitkämpfern zu hören bekam: "Daß nur Du einen Abschluß gemacht hast, ist unfair" (286).Für die Studienabbrecher aus der Neuen Rechten mußte die Idee, als "Elite" die Verantwortung für die Zukunft ihres Vaterlandes zu tragen, attraktiv erscheinen. Tatsächlich stellt die extreme Rechte in Japan ein Auffangbecken für soziale Randgruppen aller Art dar. Nomura Shûsuke erklärt seine ursprüngliche Faszination in Bezug auf die extreme Rechte mit der Idee der "Ritterlichkeit" - ninkyô - wie sie in romantisierenden Darstellungen der yakuza vorkommt (287). Sie besteht im wesentlichen darin, den Schwachen zu helfen und die Starken zu schröpfen, eine Idee, die jugendlichen Schulabbrechern, Arbeitslosen und Gelegenheitsarbeitern mit Sicherheit entgegenkommt.
"Neben Organisationen, die 2.000, 3.000 Mitglieder zählen, gibt es auch Gruppen, die aus nur einer Person bestehen - hitori ittô. Ich habe solche Rechtsextremisten aus zahllosen verschiedenen Parteien auf Versammlungen getroffen. Auf der Visitenkarte steht Präsident der 'Großjapanischen Irgendwas-Union' und als Sitz der Parteizentrale ist die Privatadresse angegeben. Man denkt, das ist der Chef von hunderten, ja tausenden von Leuten, aber in Wirklichkeit ist er allein in seinem viereinhalb Tatami-Zimmer. Dort ist die Parteizentrale. Das Mitglied ist der Präsident. Das gibt es ziemlich oft. Im Zimmer hängt die Hinomaru und die Flagge der Kriegsmarine. An der Wand stehen Slogans wie 'Töte die Verräter'. Das ist ganz wie eine Fangemeinde. Solche Leute gibt es, aber das sind nicht alle, man kann nicht sagen, daß es die Mehrheit ist" (288).Tatsächlich macht man es sich zu einfach, wenn man die Neue Rechte, wie auch schon die traditionellen Rechtsextremisten, unter "lunatic fringe" ablegt. Zwar sind, bis auf Suzuki und Nomura bislang keine weiteren großen Theoretiker der Neuen Rechten hervorgetreten, aber von der neurechten Partei "Neuer Wind" - Shinpû - werden z.B. 31 Hochschullehrer namentlich auf ihrer Homepage aufgelistet, die ihre Forderungen unterstützen (289). Insbesondere die andauernde Auseinandersetzung um die Inhalte des Geschichtsunterrichts an Japans Schulen zeigt, daß auch Intellektuelle rechtsextreme Positionen vertreten.
Bisher konnte die Neue Rechte mittels des Begriffs des 'rechten Lagers' bzw.
der 'rechten Subkultur' im Rahmen der von Dudek und Jaschke entwickelten
Rechtsextremismusbegriffs definiert werden. Dabei wurde der
Rechtsextremismusbegriff als Zusammenspiel dreier Komponenten präzisiert: einer
organisationssoziologischen, einer ideologiekritischen und einer
interaktionskritischen Dimension.
Die organisationssoziologische Dimension,
in deren Zentrum die Darstellung der chronologischen Entwicklung der japanischen
Neuen Rechten stand, gewährte Einblick in das komplexe Phänomen Neue Rechte und
legitimierte im Kontext der Definition der 'kommunikativen Netzwerke' als
zentralem Aspekt zur Bestimmung des Rechtsextremismus die Einordnung der
Neuen Rechten analog zum von Dudek/Jaschke definierten Rechtsextremismusbegriff.
Die ideologiekritische Dimension ist eine weitere Komponente, die die Neue
Rechte ins rechtsextremistische Lager verweist, wobei sich die ideologischen
Gehalte der japanischen Neuen Rechten als ebenso komplex wie ihre
Vernetzungsstrukturen erweisen.
Dudek und Jaschke bestimmen die
ideologiekritische Dimension des rechten Lagers durch ein dem Rechtsextremismus
wesentliches immanentes Merkmal. In einer Stammkultur, die den diesen
Rechtsextremismus identifizierenden Bezugsrahmen bildet, konstituiert sich
dieses Merkmal. Diese Stammkultur steht zum herrschenden Wertesystem der
Gesamtgesellschaft in Beziehung
"als oppositionelle Minderheitskultur, deren Entstehungsquellen zwar objektive Probleme und Koflikte des politischen und gesellschaftlichen Systems sind, die aber über die Normalisierungsleistung von Traditionsbildung vom rechten Lager selbst ontologisiert werden" (290).Der Begriff der Stammkultur wird von Dudek und Jaschke mit Ideologieelementen aus der Analyse des heroisch-völkischen Realismus durch Marcuse bestimmt (291). Er konstituiert sich aus
"einem heroisches Menschenbild, das im Leitbild des selbstlos für sein Volk kämpfenden heldischen Menschen und seines Antipoden, des politischen und militärischen Führers Gestalt annimmt. Diesem Menschenbild entspricht eine anti-materialistische und anti-rationalistische Geschichtsauffassung, die Geschichte als Geschichte der Schicksalskämpfe von Völkern schreibt. Die Interpretation von historisch-gesellschaftlichen Ereignissen wird vor der Annahme eines naturhaft-organischen, jeder geschichtlichen Veränderung entzogenen Wert- und Normengefüges organisiert.Historisch lassen sich ähnliche Elemente in Japan bereits in der Meiji-Zeit (1868-1912) verorten. Organismus, Ganzheit, Wesen, Intuition waren Leitbegriffe sowohl der nationalistischen Kokugaku-Ideologen als auch der japanischen rechtsextremen Bewegung zu Anfang des 20.Jahrhunderts, deren Ordnungsideologie das kokutai bildet.
Danach lautet die konstitutive Gleichung des irrationalistischen Naturalismus: 'Die Natur ist als das Ursprüngliche zugleich das Natürliche, Echte, Gesunde, Wertvolle, Heilige. Das Diesseits der Vernunft erhöht sich, kraft seiner Funktion "jenseits von Gut und Böse", zum Jenseits der Vernunft.'(Marcuse, 1965, S.19) Dem Naturalismus entspricht auf dem Gebiet der Gesellschaftstheorie ein Universalismus, der den Primat von Ganzheitsbegriffen behauptet. So wird Volk gegen Individuum, Wille gegen Interesse, Gemeinwohl gegen Partikularinteressen, Gemeinschaft gegen Gesellschaft, Natur gegen Kultur ausspielt. Naturalismus und Universalismus bilden in der rechtsextremen Stammkultur den Humusboden ihrer Ordnungsideologie "(292) .
"Bei den oben genannten Topoi handelt es sich um globale Deutungsmuster von der Art von Weltbildern, die den Rechtsextremisten Gesellschaft und Geschichte auslegen und ihnen selbst einen globalen, situationsübergreifenden Sinn vermitteln. Unter funktionalen Gesichtspunkten gesehen harmonisieren die Deutungsmuster die objektiven gesellschaftlichen Widersprüche und konstituieren einen Rechtfertigungsrahmen, der es erlaubt, gesellschaftliche Ereignisse in das eigene Werte- und Normensystem zu integrieren. Sie sind als sinnstiftende Muster der rechtsextremen Aktivisten der formale Kernbestand ihrer Stammkultur, die abgesperrt bleibt gegenüber gesellschaftlicher Realität. Politisch-programmatische Erneuerungen und Themenverschiebungen vollziehen sich innerhalb der stabilen globalen Deutungsmuster" (293).Der 'Neue Nationalismus' - shinminzoku shugi - kann als wesentliches Element dieser Stammkultur gewertet werden, deren Spannbreite von den verschiedenen Gruppen unterschiedlich genutzt wird. Die japanische Neue Rechte wiederum kann als agierende "oppositionelle Minderheitskultur" (294) begriffen werden, die sich unter der Stammkultur 'Neuer Nationalismus' subsumieren läßt.
"Im antidemokratischen Denken verbinden sich in der Regel übersteigerter Nationalismus mit imperialistischem Großmachtstreben oder zumindest mit einer feindseligen Haltung gegenüber anderen Staaten und Völkern (...) Antidemokratisches Denken negiert die universellen Freiheits- und Gleichheitsrechte des Menschen (...) Antidemokratische Konzepte richten sich gegen parlamentarisch-pluralistische Regierungssysteme, die auf der Volkssouveränität und dem Mehrheitsprinzip beruhen (...) Gesellschaftliches Leitbild antidemokratischer Konzepte ist die angeblich der natürlichen Ordnung entsprechende Volksgemeinschaft (...) Dieses Leitbild gilt als Verwirklichung 'wahrer' Volksgemeinschaft im Gegensatz zu dem verhaßten, die Nation vermeintlich zerreißenden und schwächenden Liberalismus" (295).Der 'neue Nationalismus' der Neuen Rechten wird also durch Begründungsmuster legitimiert, die auf die Beseitigung oder die nachhaltige Beeinträchtigung demokratischer Strukturen und Prozesse zielen, was auch im von Ino geprägten Begriff "systemgegnerische Rechte"- hantaisei uyoku - zum Ausdruck kommt (296).
"der Inhalt der 'Sache' und der des 'Zeichens' nicht deutlich scheidet, sondern daß beides in bloßer Indifferenz ineinander überzugehen pflegt. Der Name einer Sache und diese selbst sind untrennbar miteinander verschmolzen; - das bloße Wort oder Bild birgt in sich eine magische Kraft, durch die sich uns das Wesen des Dinges zu eigen gibt" (298).Die japanische Rechte versteht Symbole seit jeher als nicht-rational. Sie sind nicht Zeichen, die auf etwas verweisen, sondern Beseeltes, Wesenhaftes, "magische Zeichen", Teil eines Ganzen, als Moment von Ganzheitlichkeit. Dieses Ganze verleiht dem Symbol eine eigenständige Kraft. Es stiftet die Einheit des Volkes, die das Wort nicht zustandebringt.
"ein scharfes Bewußtsein davon, welch magische Macht diese mit dem Wort kokutai bezeichnete nichtreligiöse Religion besaß,..., während es der älteren Generation, welche dieser 'Magie' völlig verfallen war und welche innerhalb dieses magischen Rahmens die 'Freiheit des Denkens' genoß, von Angeginn abging" (299).Allerdings hat die Entmythologisierung der hergebrachten Symbolwelten die Symbole nicht überflüssig gemacht. Zwar sind die Symbole nicht mehr aus sich selbst heraus verständlich, aber das Bedürfnis, sich von Symbolen anspornen oder trösten zu lassen, wurzelt tief genug, um der aufgeklärten Reflexion zu widerstehen. Leistet das Symbol nicht mehr die ihm von der extremen Rechten zugedachte Aufgabe der Einigung des Volkes, wo Worte es spalten, kann es immer noch dazu dienen, die internen Widersprüche derer zu verdecken, die sich unter dem Emblem vereinigen.
9.1. Zerschlagung des Jalta-Potsdam-Systems - YP taisei datô
Das Jalta-System - yaruta taisei, benannt nach dem von Stalin,
Roosevelt und Churchill im Februar 1945 unterzeichneten Abkommen, steht in der
Propaganda der Neuen Rechten für die Aufteilung der Welt zwischen den
Siegermächten des Zweiten Weltkrieges, die durch die Existenz der Vereinten
Nationen als bloßem Instrument der Siegermächte festgeschrieben wird. Seit Ende
des Kalten Krieges betrachtet die Neue Rechte die Vereinten Nationen zunehmend
als Instrument der USA. Sie fordert eine der wirtschaftlichen Bedeutung Japans
angemessene Rolle des Landes im internationalen System (300). Dazu gehört für
die Neue Rechte eine eigenständige Verteidigungspolitik - jishubôei - und
ein souveräner, unabhängiger Staat - kokka no jishudokuritsu (301).
Die
Issuikai formuliert ihre Vorstellungen von der "Zerschlagung des
Jalta-Potsdam-Systems" vergleichsweise gemäßigt: Kam es während des Kalten
Krieges aufgrund der Pattsituation zwischen den beiden Großmächten nicht zu
militärischen Auseinandersetzungen, so habe sich am Golfkrieg gezeigt, daß Krieg
wieder zum Mittel der Politik geworden sei, so Suzuki Kunio, der in einem in der
Maiausgabe 1991 der Zeitschrift Komikku Bukkusu erschienen Artikel unter
dem Titel "Gut, daß wir die Selbstverteidigungsstreitkräfte nicht geschickt
haben"- jieitai ha dasanaide yokatta - seine Vorstellungen einer Reform
des Jalta-Systems folgendermaßen skizzierte:
"Wenn die 159 Länder der Welt in Frieden leben wollen, müssen die heute von den 5 Großmächten beherrschten Vereinten Nationen reformiert werden. Japan oder Deutschland - wenigstens eines der beiden Länder - muß einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen erhalten. Wenn Japan einen Sitz erhält, legt es gegen jegliche Militäreinsätze sein Veto ein. Dadurch, daß über die Zustimmung der 5 Großmächte (bzw. Japan eingeschlossen 6 Großmächte) hinaus die Zustimmung der Vollversammlung der Vereinten Nationen erforderlich wäre, würde der Einsatz militärischer Mittel stark erschwert" (302).Suzuki will die japanischen Selbstverteidigungsstreitkräfte in von ihm vorgeschlagenen regulären UN-Streitkräften aufgehen lassen und verlangt darüberhinaus, daß diese UN-Streitkräfte - "eine Weltpolizei im wahrsten Sinne des Wortes" (303) - nicht mit Atomwaffen ausgerüstet werden dürfen. Zu seinen weiteren Forderungen zählen die Abschaffung der "Feindstaatenklausel" - Artikel 53 und Artikel 107 der UN-Charta - und die Einrichtung von UN-Institutionen auch auf den pazifischen Inseln (304).
"propagiert die Zerstörung der Vereinten Nationen von innen heraus, nämlich mittels des permanenten Sitzes Japans im Sicherheitsrat, und nach deren Untergang die Schaffung eines neuen internationalen Organs mit Japan an der Spitze. Mit Hilfe dieses Organs soll eine auf der Führung Japans basierende neue Weltordnung aufgebaut werden" (306).Sie geht so weit, diese
"die UNO beherrschenden ehemaligen Siegermächte als 'weiße Imperialmacht' (hakujin teikoku shugi-sha) zu bezeichnen, die die Länder der 'farbigen Rasse' (yûshoku jinshu) - Asien, Afrika, Arabien, Lateinamerika - zu Boden zu zwingen und zu kolonialisieren trachte und dafür von den Verliererstaaten des Zweiten Weltkriegs - Japan, Deutschland, Italien - finanzielle und andersartige Unterstützung in Form eines 'internationalen Beitrags' (kokusai kôken), ein seit den 1980er Jahren von japanischen Politikern und den Medien häufig verwendetes Schlagwort, fordere" (307).9.1.1.1. Zurückgewinnung verlorener Gebiete - shitchi kaifuku
In einem Geheimprotokoll hatte sich die UdSSR im Zuge des Jalta-Abkommens zum
Kriegseintritt gegen Japan verpflichtet und im Gegenzug 1945 die Kurilen und
Südsachalin besetzt und später annektiert (308). Von der
Zerschlagung des Jalta-Potsdam-Systems verspricht sich die Neue Rechte auch die
Zurückgewinnung der verlorenen Gebiete - shitchi kaifuku. In Form der
Forderung nach Rückgabe der sogenannten Nördlichen Territorien - hoppô ryôdo
henkan - war diese Thematik stets fester Bestandteil der Programmatik nahezu
aller rechtsextremer Organisationen.
Die Rückgabe der Nördlichen Territorien
wurde von Japan während des Kalten Krieges mit zunehmender Schärfe zur
Vorbedingung für normale bilaterale Beziehungen mit der UdSSR gemacht.
Demzufolge konnte bis heute kein förmlicher Friedensvertrag geschlossen werden,
die bilaterale Wirtschaftskooperation blieb auch nach dem Ende des Kalten
Krieges minimal. Selbst die Kommunistische Partei Japans (KPJ) fordert die
Rückgabe der Nördlichen Territorien.
Im Gegensatz zur japanischen Regierung
versteht die extreme Rechte unter der Bezeichnung Nördliche Territorien
allerdings nicht nur die zwei südlichen Kurileninseln (Kunashiri und Etorofu)
und eine Inselgruppe nördlich von Hokkaidô (Shikotan und Habomai), sondern die
gesamte Inselkette - chishima rettô - und Südsachalin - minami
karafuto. Darüber hinaus erhebt die extreme Rechte Ansprüche auf die
Takeshima-Inseln (koreanisch Tokto) und die Senkaku-Inseln (chinesisch
Diaoyutai).
Das Potsdam-System - potsudamu taisei - steht in der Ideologie der
Neuen Rechten für den "antitennôistischen, volksfeindlichen, staatsfeindlichen
Nachkriegszustand" (309), d.h. für die im
Einklang mit der Potsdamer Erklärung über Japan verhängten Maßnahmen der
amerikanischen Besatzungsmacht, insbesondere die Zerschlagung des Tennôsystems,
die MacArthur-Reformen und die Nachkriegsverfassung.
Nicht nur die
Verfassung und der Sicherheitsvertrag mit den USA, auch die Finanz- und
Wirtschaftswelt, die Bürokratie, die bestehenden "korrupten" Parteien, die Neue
Linke, die etablierte Rechte, die "verwestlichte" Kultur und die dekadenten
Sitten - all dies sind für die Neue Rechte Elemente des Potsdam-Systems, die es
noch vor dem Jalta-System zu vernichten gelte (310).
Insbesondere
in diesem Bereich weist die Neue Rechte Ähnlichkeiten mit den von Voegelin
beschriebenen Sektenbewegungen auf:
"Sofern die Sektenbewegungen politisch werden, werden sie von der Idee der zwei Welten - der Welt des Lichtes und der Welt der Finsternis, den Welten Gottes und Satans, den Welten des Geistes und der Materie - beherrscht. Um die Implikationen der Dichotomie zu verstehen, muß zwischen der mystischen Bedeutung von Geist und Materie und modernen Theorien über Materie und psychologische Prozesse unterschieden werden. Geist und Materie - oder Licht und Finsternis - sind kosmische Kräfte. Die manichäische Konzeption der Katharer als auch die Spekulation Eriugènas und der Sekten des 13.Jahrhunderts fassen die Welt als eine wechselseitige Durchdringung der Kräfte des Lichtes und der Finsternis oder des Geistes und der Materie auf. Die 'Welten' der politischen Spekulation werden als aufeinanderfolgende Perioden der Vorherrschaft der einen oder der anderen der beiden Kräfte unterschieden. In der gröberen, populären Konzeption, die für uns relevant ist, bedeutet dies, daß die zwei Welten in ihrer Struktur identisch sind und sich nur durch die in ihnen wirkenden Kräfte unterscheiden. Die Errichtung der Welt des Lichts beseitigt nicht die Struktur der Welt, wie wir sie kennen; wir lassen diese Welt nicht hinter uns und betreten ein jenseits; die Welt bleibt vielmehr erhalten, doch das Böse hat sie verlassen. Die Erlösung von dem Bösen bedeutet nicht den Tod, sondern im Gegenteil das Leben in einer herrlicheren Welt, die von den Kräften der Finsternis befreit wurde" (311).Zwar hat der von Voegelin aufgeführte Gegensatz zwischen Gott und Satan in Japan keine vergleichbare Bedeutung, es sei allerdings auf Maruyama verwiesen, der feststellt, daß dem kokutai, zu dessen Schutz die Neue Rechte angetreten ist, seitens der Meiji-Reformer "die ungeheure Aufgabe übertragen [wurde], in Japan als geistiger Ersatz für das Christentum, das tausend Jahre lang die 'Achse' der europäischen Kultur gebildet hat, zu dienen" (312). Der Kampf der Welt des Geistes gegen die der Materie bildete bereits ein zentrales Thema der japanischen Propaganda im Zweiten Weltkrieg (313).
9.1.2.1. Anti-Amerikanismus - hanbei
Auch der Antiamerikanismus der Neuen Rechten läßt sich unter der Forderung nach der "Zerschlagung des Jalta-Potsdam-Systems" subsumieren. Während die systemimmanente extreme Rechte für den Abbau der wirtschaftlichen Spannungen und eine Verständigung mit den USA plädiert, werden US-amerikanische Forderungen nach Marktöffnung, freiem Handel und transparenter Marktgestaltung von der Neuen Rechten zurückgewiesen.
"Für die Jûensha ist der von den USA propagierte Slogan 'freier Handel' gleichbedeutend mit dem Streben der USA nach weltweiter wirtschaftlicher Kontrolle. Auch in diesem zusammenhang greift die Jûensha ihr stereotypes Feindbild der 'imperialistischen weißen Rasse mit den USA an der Spitze' auf, die mit der Propagierung des Freihandels nach Kolonialisierung der Länder der 'farbigen Rasse' trachte. Auf die unfairen Forderungen der USA müsse Japan neben der Verwirklichung politischer und sicherheitspolitischer Unabhängigkeit mit rigorosem wirtschaftlichen Autarkiestreben und einer Abschottung des japanischen Marktes reagieren" (314).Am Antiamerikanismus entzündeten sich auch immer wieder Auseinandersetzungen zwischen Vertretern der traditionellen Rechten und der Neuen Rechten:
"Es ist weit bekannt, daß Herr Akao Bin von der Aikokutô die Hinomaru und das Sternenbanner zusammen hißte, wenn er auf der Straße Reden hielt. 'Wie wenig wir Amerika auch schätzen: Wenn wir uns heute Amerika widersetzen, wird Japan an die Sowjetunion fallen. Deshalb müssen wir Amerika benutzen', sagte er dabei oft. 'Parolen der Neuen Rechten wie nichibei anpo hantai ("Nieder mit dem japanisch-amerikanischen Sicherheitsvertrag!") und hanbei ("Nieder mit Amerika!") sind unreifes Studentengeschwätz. Mit der Realität dieser Welt hat das nichts zu tun', wurden wir oft gescholten" (315).Der Antiamerikanismus der Neuen Rechten hat darüber hinaus eine kulturkämpferische Dimension: Suzuki kritisiert z.B. in einem seiner Aufsätze die Teilnehmer einer antiamerikanischen Protestkundgebung, die Jeans trugen und Hamburger aßen, während sie gegen die USA demonstrierten und fordert sie auf, das von ihnen bereits "verinnerlichte Amerika"(316) zu bekämpfen:
"Während des Krieges wurde gesagt, Japan sei das Land des Geistes und der Kultur, die USA das Land des Materialismus und es gebe keinen Grund dafür, daß der Geist der Materie unterliegen könnte. Aber heute ist es Japan, das Geld und materielle Güter über alle Maßen wertschätzt. Es ist zu dem verkommen, was es früher als 'das verfressene Amerika' anzugreifen versuchte"(317).9.2. Restauration: shôwa ishin bzw. heisei ishin
Mit der Forderung nach der Wiedereinsetzung des Tennô in eine seiner früheren
Funktion vergleichbare Position sind die im Abschnitt über die nipponistische
Vorkriegsrechte angedeuteten antiindividualistischen, antiparlamentarischen,
antikommunistischen und nationalistischen Positionen eng verbunden.
Die Neue
Rechte leugnet die japanische Kriegsschuld ebenso wie die japanischen
Kriegsverbrechen. Sie fordert die Tilgung der entsprechenden Passagen aus den
japanischen Schulbüchern, was sie in Konflikt zur Lehrergewerkschaft
Nikkyôso setzt. "Laßt nicht zu, daß die roten Lehrer die Kinder für die
politische Auseinandersetzung mißbrauchen!", lautet einer der Kernsätze Suzukis,
der sich als Vorkämpfer einer politisch "neutralen" Schulausbildung sieht (318).
Die Neue
Rechte beklagt den moralischen Verfall, die geistige Desolation und die
politische, wirtschaftliche wie kulturelle Dekadenz, die das Japan der
Nachkriegszeit für sie bedeuten. Die von ihr so wahrgenommene Leugnung
traditioneller Werte, die politische Korruption und die Uneinheitlichkeit
der öffentlichen Meinung haben ihrer Meinung nach ihren Ursprung in der nach der
Niederlage Japans durch die Besatzungsmacht USA erzwungenen Übernahme westlicher
Ideen wie Demokratie, Individualismus und Materialismus.
Um dem
entgegenzuwirken fordert die Juensha die rigorose Zerschlagung der
Parteipolitik, die nach dem Prinzip der 'Macht des Geldes' - kinken - und
der Korruption arbeite. Die wahren Gründe für die Korruptheit in der Politik
seien der Glaube, daß durch die Einführung westlicher Systeme und Ideologien wie
der parlamentarischen Demokratie die politischen Leistungen angehoben würden,
und das unsinnige Festhalten am parlamentarischen System (319).
Suzuki Kunio
und Nomura Shûsuke, die führenden Theoretiker der Neuen Rechten, propagieren die
symbolische Rolle des Tennô, dessen Rolle als Garant für die Stabilität und
Einheit der Nation von ihnen betont wird. Mit der Gründung der "Jugendkonferenz
für den Aufbau eines Neuen Japans" - Atarashii Nihon wo Hajimeru Seinenshûkai
- 1975 wollten sie bereits im Organisationsnamen zum Ausdruck bringen, daß
die Rückkehr zu den Verhältnissen der Vorkriegszeit nicht zu ihren Anliegen
zählt (320).
Sie
halten die geistige Autorität des Tennô für entscheidend. Suzuki gesteht zu, daß
in der japanischen Geschichte die Phasen überwiegen, in denen der Tennô nur als
Staatssymbol - shôchôteki hataraki - fungierte, ohne die Regierungsgewalt
faktisch in seinen Händen zu halten (321). Wichtig sei der
"Geist des Tennô", die Idee. Deshalb ist es Suzuki zufolge sogar besser, wenn
der Tennô sich mit voller Kraft seinen kulturellen Aufgaben widmet, ohne mit
tagespolitischen Fragen in Berühung zu kommen, d.h. "eine die Politik
transzendierende symbolhafte Existenz" annimmt (322). Dabei wirken
Suzuki zufolge die Lautsprecherwagen der Rechtsextremen mit ihrem "Tennô,
Tennô-Geschrei" oft abschreckend auf die Bevölkerung (323).
Das
entspricht der Sichtweise des Historikers Ashizu Uzuhiko (1909-1992), einem
Experten für die Geschichte der nationalistischen Bewegung Japans und der
Tennô-Institution, der als Kolumnist der "Shintô-Schrein Nachrichten" - jinja
shinpô - einen Namen gemacht hat. jinja shinpô ist das offizielle
Organ des Hauptamts für Angelegenheiten der Shintô-Schreine - jinja
honchô. Ashizu hebt vor allem die Rolle des Tennô als über den politischen
Parteien stehender Repräsentant der Einheit des japanischen Volkes hervor (324).
Nach dem Tod
des Shôwa-Tennô gibt Nomura Shûsuke allerdings bei einer von der Issuikai
veranstalteten Vortragsveranstaltung am 27.Januar 1989 folgende Losung aus:
"Wir können nicht bis in alle Ewigkeit trauern. Für die
Heisei-Restauration!" (325). Damit greift
Nomura die bereits in der Vorkriegszeit formulierte Forderung nach einer
Shôwa-Restauration - shôwa ishin - auf, die bis 1989 in der Programmatik
sowohl zahlreicher Gruppen der Neuen Rechten als auch der traditionellen Rechten
zu finden war und eher für eine Rückbesinnung auf die Vergangenheit als für
einen Neubeginn spricht.
Wichtigstes tagespolitisches Thema war für die
extreme Rechte nach dem Tod des Shôwa-Tennô der Ablauf der Feierlichkeiten zur
Inthronisierung des neuen Tennô. Bei der Thronbesteigung Akihitos im November
1990 handelte es sich um den ersten Thronwechsel seit der Trennung von Religion
und Staat. Neben Protestaktionen gegen die Veranlagung des Kaiserhauses zur
Erbschaftssteuer forderte die Neue Rechte vor allem, daß sowohl das Daijôsai
als auch das Sokui no Rei in der Form eines Staatsakts - kokuji
kôi - stattfinden sollten (326).
Beim
Daijôsai handelt es sich um die dritte und abschließende Zeremonie bei
der Inthronisierung eines neuen Kaisers, einen Erntedankritus, das "Große
Opferfest des neu geernteten Reises" (327). Die Zeremonie
trägt stark religiösen Charakter, da der neue Kaiser in ihrem Verlauf Reis und
andere Opfergaben der Sonnengöttin Amaterasu Ômikami offeriert, diese
vorkostet und so ein symbolisches Mahl mit den Gottheiten einnimmt. So wird die
Rechtmäßigkeit der Thronfolge bestätigt und der Thronfolger zur Gottheit
erhoben. Genaue Anweisungen für die Ausführung der Zeremonie enthält das bereits
unter 5.1. erwähnte Engishiki von 927. Vom späten 15. bis zum späten 17.
Jahrhundert wurde die Zeremonie nicht durchgeführt. Erst nach der
Meiji-Restauration wurde das Ritual in veränderter Form wieder eingeführt. Im
Gesetz über die Inthronisationsfeierlichkeiten - Tôkyokurei - von 1909
wurden die Prozeduren genau festgeschrieben und für die Taishô- und Shôwa-Kaiser
entsprechend durchgeführt (328). Im Imperial
Household Law von 1947 ist das Daijôsai nicht erwähnt. Das Tôkyokurei
wird aber für nichtig erklärt (329).
Für die Neue
Rechte sind die Riten des Daijôsai eng verknüpft mit der Idee der
ungebrochenen Kaiserdynastie - bansei ikkei - und der Abstammung des
Kaisers von der Sonnengöttin Amaterasu. Das Daijôsai wurde
schließlich als Staatsakt abgehalten und zu wesentlichen Teilen mit öffentlichen
Geldern finanziert. Die Thronbesteigung - Sokui no Rei - fand dagegen
lediglich als Festakt der kaiserlichen Familie - kôshitsu no kôtekikôi -
statt (330).
Der neue Tennô bietet Suzuki zufolge eine Chance für einen unbelasteten
Neuanfang des Tennôsystems (331).
Zur
Verwirklichung des Ziels der Restauration wird zuerst die Forderung nach
Revision der Verfassung - kenpô kaisei - erhoben, die sich von der von
Gruppen der traditionellen Gruppen erhobenen Forderung nach Wiedereinsetzung der
Meiji-Verfassung - meiji kenpô fukugen - deutlich unterscheidet. In
diesem Zusammenhang erläutert Nomura Shûsuke:
"Ich denke, daß sich die Wertvorstellungen einer Gesellschaft dem Zeitalter entsprechend verändern müssen. Deshalb mußte es zur Herausbildung einer neurechten Theorie kommen, die im wirklichen Sinne völkisch gesonnene rechte Jugendliche anzieht. Daran glaube ich, seitdem ich 1960 wegen dem Anschlag auf Kôno Ichirô - Kôno Ichirô yakiuchi jiken - ins Gefängnis kam (...) Ich bin Tennôist, ich liebe Japan, ich liebe meine Freunde. Daran hat sich nichts geändert. Was sich geändert hat, ist die Ausdrucksform. Wir werden nicht auf einmal das Großjapanische Reich ein zweites Mal errichten. Das ist am 15.August 1945 untergegangen"(332).Geht es um die anzustrebende Richtung der künftigen Entwicklung, sind in der programmatischen Literatur der Neuen Rechten nur ausweichende Statements zu finden. Einen alternativen Verfassungsentwurf sucht man in der für diese Studie verwendeten programmatischen Literatur der Neuen Rechten vergebens. Während einer Veranstaltung konkret auf diese Frage angesprochen, verwies Suzuki - der Mitschrift der Diskussion zufolge - auf die vielen unterschiedlichen Richtungen und Organisationen der extremen Rechten, die noch zu keiner Einigung gekommen seien und auf vier Ausgaben der Rekonkisuta in denen verschiedene Standpunkte zur Verfassungsproblematik dargestellt werden (333). Zumindest solle es in der Verfassungsfrage eine Volksabstimmung geben. Deren Ergebnis werde von einem Großteil der Rechtsextremen akzeptiert, selbst wenn sich eine Mehrheit für die derzeitige Verfassung aussprechen würde, so Suzuki weiter (334).
Der Antikommunismus der Neuen Rechten ist in erster Linie reaktiv. Die Neue
Rechte entstand als Antithese zur linken Studentenbewegung. Ihr Hauptanliegen
ist der Schutz des kokutai vor den linken Gegnern des Tennôsystems.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sieht Suzuki in antikommunistischen
Aktionen keine Perspektive für die Neue Rechte mehr:
"Wenn man heute auf die Straße geht, fahren zwar die Wagen der uyoku an einem vorbei, aber meistens sind darauf Parolen wie 'Rückeroberung der Nördlichen Territorien' oder 'Zerschlagt die Lehrergewerkschaft' zu lesen. Aber der Kommunismus ist tot. Wenn sich die Lehrergewerkschaft von innen heraus spaltet (336) , ist das dasselbe wie ihre Zerschlagung. Auch die Nördlichen Territorien werden wir zurückbekommen, es ist nur die Frage, wieviele Jahre es noch dauern wird. Es gibt also kein Angriffsziel mehr. Deshalb wird eine solche uyoku aussterben. Die als Antithese entstandene, antikommunistische extreme Rechte wird aussterben" (337).9.4. Antikapitalistische Rethorik
Im Unterschied zur traditionellen Rechten, für die angesichts ihrer primär
antikommunistischen Haltung Kritik am Kapitalismus in der Zeit nach dem Zweiten
Weltkrieg kein Thema war, bezieht die Neue Rechte gegen das kapitalistische
Wirtschaftssystem Stellung.
Interessant ist in diesem Zusammenhang das
Bekennerschreiben der "Jugendliga zur Zerschlagung des Jalta-Potsdam-Systems"
zur Geiselnahme des Firmenpräsidenten von Sumitomo Fudô:
"Die Verschwörung der Liberaldemokraten mit der Finanzwelt und den Großkonzernen hat mit ihrem Streben nach materiellen Gütern - butsushitsu bannô shugi - und Profitmaximierung - eiri shijô shugi - die Berge und die Flüsse ruiniert, die Meere aufgeschüttet. Im Zuge dieser unheilvollen Entwicklung konnten sich korrupte Immobilienhändler wie Sumitomo Fudô auf Kosten von Staat und Bevölkerung die Taschen füllen, indem sie alle Grundstücke aufkauften und durch Scheinfirmen die Grundstückspreise gewaltig in die Höhe trieben.Koppel liefert folgende Beschreibung des von der Jûensha angestrebten Wirtschaftssystems:
Tatsächlich haben die großen Immobilienkonzerne seit den Plänen zum Umbau des japanischen Archipels - rettô kaizôron - ihren Vorteil daraus. Gemeinsam mit den ihnen verbundenen Politikern haben sie ihre Kapitalkraft dazu genutzt, durch Grundstücksspekulation - tochikorogashi - die Preise in die Höhe zu treiben und dabei eine Situation geschaffen, in der sich ein Büroangestellter sein ganzes Leben lang keinen einzigen Tsubo (jap. Flächenmaß: 3,3m², Anm.d.Verf.) in der Stadtmitte in seine Hände bekommen kann"(338).
"Das auf den privaten Gewinn ausgerichtete 'amerikanisierte' Wirtschaftssystem müsse einem den individuellen Gewinn zugunsten des Staates und der Nation regulierenden Wirtschaftssystem (chôsei keizai) weichen. Das Finanzkapital sowie der 'Wuchergewinn' der Großunternehmen müsse vom Staat konfisziert, Schlüsselindustrien sowie Klein- und Mittelbetriebe 'geschützt' und 'gepflegt' werden" (339).
Rechtsextremer
Terrorismus
Terror zum Schutz des
kokutai
Angriffe auf linke
Organisationen
Angriffe auf die
Lehrergewerkschaft Nikkyôso
Angriffe auf die
Massenmedien
Terror gegen
"Großkapitalisten"
Terroraktionen gegen die
Siegerstaaten des Jalta-Potsdam-System
Rassistischer Terror
Die folgende Darstellung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Zunächst
soll ein kurzer statistischer Teil einen groben Überblick über das Ausmaß der
Aktivitäten der extremen Rechten geben:
Beunruhigt äußert sich die Nationale
Polizeibehörde Japans - keisatsuchô - in ihren jährlich
erscheinenden Weißbüchern - keisatsu hakusho - über die in den
vergangenen Jahren konstant hohe Zahl der bei Rechtsextremisten beschlagnahmten
Schußwaffen, die sie für 1996 mit 104, für 1995 mit 100, für 1994 mit 102
angibt, während sie 1993 noch bei 24 und 1992 bei 61 lag (340).
Die Zahl der
von Rechtsextremisten verübten, aufgeklärten terroristischen Anschläge wird im
Weißbuch von 1998 wie folgt angegeben: 1996: 8 Anschläge (8 Festnahmen), 1995: 6
Anschläge (8 Festnahmen), 1994: 10 Anschläge (14 Festnahmen); 1993: 10 Anschläge
(13 Festnahmen); 1992: 15 Anschläge (18 Festnahmen) (341). Dubios erscheint,
daß dagegen in der englischen Version des Weißbuchs von 1995 die Zahl der
Anschläge für 1994 mit 13, für 1993 dagegen mit 7 angegeben wird (342).
Insgesamt
wurden 1996 bei 208 "Zwischenfällen" - uyoku jiken - 324 Personen
festgenommen (343).
Die Vorjahreszahlen werden hier nicht angegeben, deshalb hier einige
Vergleichswerte: 1995 waren es, der Nationalen Polizeibehörde zufolge, 282
"Zwischenfälle" und 440 Festnahmen (344). Für 1991 wurden
lediglich 127 "Zwischenfälle" mit 186 Festnahmen aufgeführt (345). 1985 wurden 330
"Zwischenfälle" und 440 Festnahmen verzeichnet (346).
Die von den
Polizeibehörden erstellten Statistiken nehmen keine Trennung zwischen Aktionen
der Neuen Rechten und anderer rechter Gruppierungen vor. Von den erwähnten
Inkonsistenzen einmal abgesehen geben sie lediglich einen groben Überblick und
werden daher in diesem Zusammenhang nicht weiter berücksichtigt.
10.1. Publikationen und Pressearbeit
Die Herausgabe einer eigenen Publikation - kikanshi - zählt zu den
typischen Aktivitäten sowohl der traditionellen wie auch der Neuen Rechten.
Hinzu kommen einmal jährlich erscheinende Veröffentlichungen und in
unregelmäßigen Abständen erscheinende Broschüren. Über die Hälfte der
unterschiedlichen Dachverbände der extremen Rechten geben ebenfalls
Monatszeitschriften heraus.
Während die Zeitschriften der Neuen Rechten
zahlreiche Veranstaltungshinweise enthalten zeigt das Fehlen solcher Hinweise in
zahlreichen Veröffentlichungen der traditionellen Rechten, daß sich diese
Gruppen primär auf schriftliche Propagandatätigkeit beschränken. Die
Zeitschriften der wichtigsten Gruppen der Neuen Rechten sind derzeit:
"Zeitschriften, die Werbeanzeigen, etwa für Unternehmen enthalten, sind fast ausnahmslos 'yakuza-Rechten' zuzuordnen, während sich Zeitschriften ohne Werbeanzeigen entweder als Organe systemgegenerischer, traditioneller rechter Gruppen wie der Dai Nippon Seisantô oder aber der 'Neuen Rechten' entpuppen" (350).Geht es der "yakuza-Rechten" in erster Linie um finanzielle Interessen, betonen Gruppen der Neuen Rechten wie Suzuki Kunios Issuikai ihre Unabhängigkeit. Dabei spielt die Frage der Glaubwürdigkeit eine nicht zu unterschätzende Rolle, propagiert die Neue Rechte doch die entschiedene Ablehnung der bestehenden politischen und wirtschaftlichen Ordnung, was sich durch Anzeigen führender Wirtschaftsunternehmen nur schwerlich untermauern ließe.
Regelmäßige monatliche Veranstaltungen in Form von Studienveranstaltungen -
benkyôkai - gehören zur gängigen Praxis der "Neuen Rechten." Neben der
Fortführung der Tradition der "Nationalen Schule" - kokugaku - dienen die
Veranstaltungen dem Studium der Geschichte der rechtsextremen Bewegung in Japan,
der Planung und Mobilisierung zu eigenen Aktivitäten sowie der Diskussion
aktueller Ereignisse. Oft dienen die Veranstaltungen auch dem Austausch mit
anderen Gruppen des rechten Lagers. Dann werden Gastredner aus anderen
Organisationen bei der Gestaltung herangezogen.
Hinzu kommen Veranstaltungen
wie der gemeinsame Besuch des Ise-Schreins, der der Sonnengöttin
Amaterasu gewidmet ist, oder das jährliche Nowaki Matsuri mit
anschließendem Besuch des Grabes von Mishima Yukio zu dessen Todestag. Daran
nehmen Vertreter aller rechtsextremen Strömungen teil, was einen Austausch
zwischen den ansonsten eher getrennt operierenden Lagern der "traditionellen"
und der "Neuen Rechten" zumindest ermöglicht.
Darüberhinaus nutzt vor allem
Suzuki Kunio jede sich bietende Gelegenheit zur Teilnahme an öffentlichen
Diskussionsveranstaltungen, z.B. sprachen Suzuki und Kimura Mitsuhiro am 23.
November 1989 auf dem Universitätsfest - Shiroyama Matsuri - der
Tôyô-Universität, während Angehörige der linksgerichteten "Vierten
Internationale" - Dai-Yon-Intâ - vergeblich versuchten, die Veranstaltung
zu stören (358).
10.3. Paramilitärische Übungen
Militärischer Drill nimmt innerhalb der Aktivitäten der extremen Rechten eine
bedeutende Stellung ein. Seit Mitte der 60er Jahre werden regelmäßig
paramilitärische Übungen - butô kunren - abgehalten. Im Herbst 1966
richtete Mishima Yukio ein Gesuch an die jieitai, in ihren Kasernen
trainieren zu dürfen (359). Informationen zu
Umfang und Inhalt der Ausbildung sind nicht öffentlich zugänglich.
Vom 1.
bis zum 3.August 1988 führte z.B. die Tôitsu Sensen Giyugun ein
Trainingscamp in der Präfektur Ibaraki durch (360).
10.4. Straßenpropaganda - Gaisenkatsudô - und Demonstrationen
Die gaitô sendensha oder kurz gaisensha genannten
"Straßenpropagandawagen" der extremen Rechten sind ein aus dem Straßenbild
japanischer Großstädte nicht wegzudenkendes Phänomen geworden. Es handelt sich
hierbei zumeist um schwarze, mit dem Sonnenbanner und zahlreichen Slogans
bemalte Lastwagen mit aufmontierter Lautsprecheranlage, die die Umgebung mit
Parolen und japanischer Militärmusik sowie der Kaiserhymne kimigayo in
ohrenbetäubender Lautstärke beschallen. Die Erfindung dieser Aktionsform wird
Akao Bin, in der Vorkriegszeit Führer der Kenkokukai, bis 1990 Präsident
der "Großjapanischen Patriotischen Partei" - Dai Nippon Aikokutô -
zugeschrieben (361).
Diese Form der Propaganda der Straße stellt u.a. ein bevorzugtes Mittel zur
Einschüchterung und Erpressung von Einzelpersonen dar.
Um das aus solchen
Aktivitäten resultierende schlechte Image der Rechtsextremen abzuschütteln,
setzt die "Neue Rechte" auf einen gemäßigten Propagandastil. Auf militärische
Uniformen soll verzichtet werden, die schwarzen Lastwagen gegen weiße
ausgetauscht und eine gemäßigte Lautstärke eingehalten werden.
Der Übergang
von der Propagandaaktion zu Handgreiflichkeiten ist dabei fließend. Am 9.April
1977 wird Suzuki Kunio bei einer solchen Propagandaaktion gegen das Gebäude der
japanisch-sowjetischen Freundschaftsgesellschaft - nichiso yûkô kaikan -
festgenommen (362).
Die Gewaltbereitschaft der Rechtsextremen beschreibt die folgende Darstellung
Suzukis:
"Einmal ist folgendes passiert. Einer der Jugendlichen der Issuikai hielt gerade eine Ansprache vom Dach eines Lautsprecherwagens in Harajuku. Er wurde von den Zuhörern ausgebuht. Das kommt immer wieder vor. Wenn man es ignoriert, ist es nicht so schlimm. "Idiot! Es wäre besser, wenn das Volk aussterben würde", "Hör auf!" wurde mit lauter Stimme geschrieen. Langsam ging ihm das auf die Nerven, er beugte sich unerwartet nach unten und packte den Jungen am Kragen. Das war für den Schreihals, den er am Kragen hatte, recht überraschend"(363).Dabei stellt die Übergabe des Mikrofons an jüngere Mitglieder offenbar eine Art Initiationsritus der Rechtsextremen dar. Noch heute erinnert sich Etô Toyohisa von der Nihon Seinensha daran, wie er vor mehr als 20 Jahren das Mikrofon von Akao Bin überreicht bekam:
Mit der Gründung der Tôitsu Sensen Giyugun als "schlagende Bewegung" orientierte sich die Neue Rechte an der Kampfpraxis des Zengakuren, der den Zick-Zack-Marsch - jiggu-jaggu-demo - berühmt machte:
"Dieser Demonstrationsstil, bei dem sich die Demonstranten in dicht aneinandergepreßten Vierer- bis Zehnerreihen schlangenförmig vorwärtsbewegen, wird bis heute praktiziert. Eingeübt wird diese Gangart schon im Vorfeld der Kundgebung oder Demonstration, wenn einzelne kleine Gruppen am Versammlungsort in Blöcken aus solchen Reihen über den Platz ziehen, wobei sie eine gegen sie gerichtete Reihe, die einen Balken trägt, nach hinten drücken" (365)Suzuki benutzt lediglich einen anderen Begriff - jigu-zagu-demo - um zu beschreiben, wie sich die behelmten Mitglieder der Giyugun durch die Straßen bewegten (366).
10.4.1. Der "Tag der Nordgebiete"
Zu mehreren festen Terminen finden Massenaufmärsche der rechtsextremen Bewegung statt, an denen sämtliche Strömungen teilnehmen. Besonders hervorzuheben ist darunter der "Tag der Nordgebiete", der von der Regierung Suzuki (LDP) eingeführt und am 7. Februar 1981 erstmals begangen wurde. Im am selben Tag im Jahre 1855 abgeschlossenen Vertrag von Shimoda legten Japan und Rußland erstmals ihre gemeinsame Grenze fest. Sie verlief zwischen den Inseln Etorofu und Uppuru (russisch: Urup).
"Bei Veranstaltungen am 'Tag der Nordgebiete' sind stets der Premierminister und Mitglieder seines Kabinetts sowie Vertreter der Oppositionsparteien anwesend. die Einführung des Gedenktages bot Premierminister Suzuki 1981 eine Gelegenheit, als erster Regierungschef im Amt eine Inspektion der Nordgebiete von der Nordküste Hokkaidos aus vorzunehmen. Auch die Präfekturen des Landes halten inzwischen Veranstaltungen aus Anlaß des 'Tages der Nordgebiete' ab.10.4.2. Der "Antisowjetische Tag" - hanso dê
Innerhalb von sechs Jahren breitete sich auf diese Weise die organisierte Bewegung zur Unterstützung der Forderung nach Rückgabe der Inseln von zunächst 13 auf alle 47 Präfekturen des Landes aus" (367).
Einen weiteren landesweiten Aktionstag stellt der "antisowjetische Tag" -
hanso dê - am 9.August jeden Jahres dar. Am selben Tag im Jahre
1945 erklärte die Sowjetunion auf Drängen der westlichen Alliierten Japan
entgegen dem bilateralen Neutralitätsvertrag den Krieg und marschierte in die
Mandschurei ein.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion im August 1991 fand,
Suzuki zufolge, am 22. April 1992 im Tokyoter Teikoku-Hotel ein Gespräch
zwischen rund 50 Vertretern der japanischen extremen Rechten und russischen
Botschaftsangehörigen über die Zukunft der japanisch-russischen Beziehungen
statt (368).
10.4.3. Die Jahreshauptversammlung der Lehrergewerkschaft Nikkyôso
Einen weiteren strömungsübergreifenden Aktionstag stellen Großveranstaltungen und die Jahreshauptversammlung der Lehrergewerkschaft Nikkyôso dar, die von den Rechtsextremen für die "Zerstörung des traditionellen japanischen Wertesystems" verantwortlich gemacht wird:
"In January 1979, some 900 people representing 114 different right-wing bodies held protest demonstrations at a Nikkyôso education research seminar in Mito City. Again in July of that year, 1100 people from 130 different groups flocked to Fukuoka City to stage protests at the union's annual convention. The persistence of the right wing in barging on Nikkyôso gatherings and creating disturbances is such that town fathers are increasingly reluctant to lend out their facilities, fearing trouble" (369).An den Aktionen gegen die Jahreshauptversammlung von Nikkyôso im Jahre 1987 in Ôsaka nahmen 4290 Mitglieder aus 518 Organisationen teil (370).
10.5. Rechtsextremer Terrorismus
Der Terrorismus der Neuen Rechten läßt sich mit dem von Voegelin entwickelten Begriff der "eschatologischen Gewalt" faßbar machen:
Schriftliche Bekennerschreiben sollen die Öffentlichkeit nach den Anschlägen von der Richtigkeit einer Aktion überzeugen und das Opfer, dem solchermaßen ein "Verweis" - kyûdan - erteilt wurde, zur Reflexion seiner angeblichen Verfehlungen und unmoralischen Handlungen, die den Bestand des kokutai in Frage stellten, bewegen (374)."Unter eschatologischer Gewalt verstehen wir ein Reich der Aktion, das - im Verständnis der aktivistischen Gläubigen - jenseits von Gut und Böse liegt, weil es den Übergang von der Welt des Unrechts in eine Welt des Lichts sicherstellt (...) Die Kräfte der welt-immanenten menschlichen Geschöpfe mischen sich auf unsagbare Weise mit den transzendentalen Kräften des Göttlichen, so daß die Tat des menschen nicht länger eine menschliche ist, sondern die Wirksamkeit göttlicher Energie durch die menschliche Form. Was in Wirklichkeit durch politische Aktion und Gewalt geschieht, wird als eine Operation des transzendentalen Geistes verstanden. Moralisches Urteilen, das in der gewöhnlichen menschlichen Existenz gültig ist, ist augenscheinlich nicht auf die spirituelle Aktion anwendbar. Diese 'letzte Gewalt', im aktivistisch-mythischen Sinne, liegt jenseits einer Existenzordnung, in der der Mensch in seiner kreatürlichen Endlichkeit verstanden wird"(371).Das Verständnis der eigenen Aktion als "Strafe des Himmels" - tenchû - erklärt die Brutalität rechtsextremer Terroristen (372):
"Da die eschatologische Gewalt jenseits von Gut und Böse liegt, und da der Krieg für die Welt des Lichtes eine transzendentale geistige Operation ist, in der die Mächte der Finsternis aus dem Kosmos entfernt werden, werden sich die Gläubigen zwangsläufig in einer Gründlichkeit der Vernichtung ergehen, die von der Warte der Realität aus als Bestialität und Grausamkeit erscheint" (373) .
"Da die Veränderung der menschlichen Natur und die Transfiguration der Geschichte nicht in den Bereich des menschlichen Handelns fallen, kann menschliches Handeln, das auf dieses Ziel hingerichtet ist, nicht im Rahmen einer rationalen Zweck-Mittel Relation operieren. Die politische Praxis einer aktivistischen Bewegung kennzeichnet deshalb entweder die vorher diskutierte Planlosigkeit oder das Fehlschlagen eines Plans - oder eine Mischung aus beidem" (375).Nichts könnte die politische Praxis der rechtsextremen Terrorgruppen besser charakterisieren, bei der die Angemessenheit derVorgehensweise in Anbetracht von Zeit, Ort und Anlaß der Aktion - interessanterweise mit der englischsprachigen Abkürzung TPO, "appropriate to the time, place and occasion", bezeichnet - eine große Rolle spielt (376). Etô Toyohisa berichtet z.B. von einer geplanten Aktion gegen den Vorsitzenden der japanischen Ärztekammer, Takemi Tarô, die an der nicht erwarteten Anwesenheit einer weiblichen Patientin scheiterte (377).
10.5.1. Terror zum Schutz des kokutai
10.5.1.1. Angriffe auf linke Organisationen
Häufigste Opfer der Terroraktionen der Neuen wie der traditionellen Rechten waren Vertreter linker Parteien und Organisationen, die für eine Abschaffung des Tennôsystems eintreten. Einige der spektakulärsten Anschläge seien im folgenden genannt:
10.5.1.2. Angriffe auf die Lehrergewerkschaft Nikkyôso
Ein weiteres Ziel der rechten Terroristen bildet die Lehrergewerkschaft Nikkyôso:
10.5.1.3. Angriffe auf die Massenmedien
Neben der Linken, die das Tennôsystem abschaffen will, und der
Lehrergewerkschaft Nikkyôso, die für den Verfall der Werte verantwortlich
gemacht wird, sind die Massenmedien ins Fadenkreuz der rechten Terroristen
gerückt.
Mitglieder der Tôitsu Seinen Giyugun stürmten im Juli 1984
das Büro der Zeitschrift Shinzasshi X, nachdem diese eine Karrikatur des
Tennô abgedruckt hatte, sowie die Privatwohnung des Zeichners (385).
Am 24. Januar
1987 überfielen Sekihôtai-Mitglieder die Zentrale der Asahi
Shinbun in Tokyo, die nach Meinung der Rechtsextremisten dem Kaiser nicht
den gebührenden Respekt zollte und die japanische Geschichte verzerrt darstelle
(386). Am 3.Mai 1987
wurde der Journalist Kojiri Tomohiro im Hanshin-Büro der Asahi Shinbun in
Nishinomiya von einem Rechtsextremisten der Sekihôtai erschossen, ein
weiterer Journalist wurde verletzt (387). Der Täter wurde
nie gefaßt. Am 24. September 1987 verübte die Sekihôtai einen Anschlag
auf das Beschäftigtenwohnheim der Asahi Shinbun in Nagoya (388). Am 11. März 1988
schlug ein Bombenanschlag auf das Büro der Zeitung in Shizuoka fehl, weil die
Paketbombe rechtzeitig entdeckt worden war (389).
Kurz nach dem
Bombenanschlag soll der damalige japanische Premierminister Takeshita einen
maschinengeschriebenen Drohbrief der Gruppe an seine Privatadresse in der
Präfektur Shimane erhalten haben. Darin wurde er aufgefordert, den
Yasukuni-Schrein zu besuchen und Einfluß auf die Darstellung der japanischen
Kriegsverbrechen in Schulbüchern zu nehmen (390).
Im
Yasukuni-Schrein werden die Seelen der Kriegstoten, unter ihnen auch zahlreiche
Kriegsverbrecher wie der japanische Regierungschef im Zweiten Weltkrieg Tojo
Hideki, als Gottheiten verehrt. Takeshita besuchte den Schrein 1988 nicht, weil
er kurz vor einem Staatsbesuch in China dadurch nicht die Gesprächsathmosphäre
verderben wollte (391).
Auch sein
Vorgänger Nakasone Yasuhiro, der es sich zum 40.Jahrestag des Kriegsendes 1985
nicht hatte nehmen lassen, den Schrein in offizieller Funktion als
Ministerpräsident zu besuchen, erhielt Drohungen. Nach heftigen Reaktionen
Chinas und Koreas hatte er im folgenden Jahr auf den Besuch des Schreins
verzichtet, was ihm den Vorwurf der Sekihotai einbrachte, das japanische
Volk betrogen zu haben. Auch Nakasone erhielt das Drohschreiben an seine
Privatadresse in der Präfektur Gunma. Er solle Einfluß auf Takeshita ausüben,
wenn er von der Exekutionsliste gestrichen werden wolle, hieß es in dem
Schreiben, das am selben Tag in Shizuoka aufgegeben wurde wie ein
Bekennerschreiben der Gruppe zum Bombenanschlag auf das Shizuoka-Büro der
Asahi Shinbun (392).
10.5.2. Terror gegen "Großkapitalisten"
Am 3.März 1977 besetzte Nomura Shûsuke mit drei weiteren Anhängern unter dem
Namen "Jugendliga zum Umsturz des Jalta-Potsdam-Systems" - YP-Taiseidatô
Seinen Dômei - die Zentrale des japanischen Föderation der
Wirtschaftsorganisationen Keidanren (Keizai Dantai Rengôkai). Es war die
erste militärische Aktion der Neuen Rechten seit dem Tode Mishimas und Moritas
(393).
Zehn Jahre
später, am 13. Januar 1987 griffen Ninagawa Masahiro und zwei weitere
Rechtsterroristen unter demselben Namen - YP-taiseidatô seinen dômei -
den Präsidenten des Immobilienunternehmens Sumitomo Fudôsan, Andô Tarô,
in seinem Haus an. Mit einem Schwert bewaffnet nahmen sie Andôs Ehefrau als
Geisel, bis sie von der Polizei festgenommen werden konnten. Den Hintergrund
dieses Anschlags bildeten der sprunghafte Anstieg des Yen gegenüber dem
US-Dollar - endaka - und die daraus resultierende Wirtschaftskrise sowie
das Bekanntwerden der betrügerischen Methoden, mit denen Sumitomo Fudôsan
nach dem forcierten Kauf von Baugrundstücken in Tôkyô durch den
Zwischenhandel mit affiliierten Unternehmen die Grundstückspreise in die Höhe
trieb, um sich finanziell zu bereichern (394). Am 16.Juni wird
Andô von der Tôkyô Shinbun mit dem Worten zitiert, "Geld" sei das Ziel
der Terroristen gewesen, wofür er sich nach heftiger Kritik seitens der
Tôitsu Sensen Giyugun am 24. September 1987, entschuldigt (395).
Am 10. August
1988 setzte ein Mitglied der Sekihôtai das Wohnhaus des
Recruit-Firmenpräsidenten Ezoe Hiromasa in Brand (396).
Auch die
aktuelle Wirtschaftskrise hat die Neue Rechte zu Aktionen bewegt: Am 13.Januar
1998 drang Itagaki Tetsuo, ein ehemaliges Mitglied der Tôitsu Seinen Giyugun
mit einer Pistole bewaffnet in die Tokyoter Börse ein und nahm Abe Masahiro,
den stellvertretenden Revisor, als Geisel. Itagaki forderte die Aussetzung des
nachmittäglichen Handels, den Verzicht auf die angekündigten
Deregulierungsmaßnahmen im Finanzsektor und ein Treffen mit dem Finanzminister
(397).
10.5.3. Terroraktionen gegen die Siegerstaaten des Jalta-Potsdam-System
Am 19. Juli 1984 wurde Ikawa Takeshi von der Tôitsu Sensen Giyugun,
bei einem Angriff gegen die US-Botschaft unter der Parole "Nieder mit Amerika,
hoch das Vaterland! Zerschlagt das Jalta-Potsdam-System!" - hanbei aikoku
YP-taisei datô - festgenommen (398).
Im Mai 1985
beteiligte sich die Organisation an einer Demonstration der Widerstandsbewegung
gegen den Bau eines Wohngebiets für US-Militärangehörige in Ikego, nahe der
Stadt Zushi in der Präfektur Kanagawa. Am 27. Mai 1985 wurden Itagaki Tetsuo und
Ikawa Takeshi nach einem Brandanschlag auf eine Militäreinrichtung in diesem
Zusammenhang festgenommen (399).
Dabei richten
sich die Aktionen der Neuen Rechten nicht nur gegen die beiden Großmächte: Im
Juni 1982 verübte Kimura Mitsuhiro, damals noch Mitglied der Tôitsu Sensen
Giyugun, die im Falkland-Krieg die argentinische Seite unterstützte, mit
einem Molotow-Cocktail einen Brandanschlag auf die Kulturabteilung der
britischen Botschaft (400). Kimura wird
verhaftet und zu acht Monaten Gefängnis verurteilt (401).
Am 17.Mai 1990 wurde in Nagoya eine Veranstaltungshalle der koreanischen Minderheit vor einem Staatsbesuch des südkoreanischen Präsidenten Roh Tae Woo in Japan von der Sekihôtai in Brand gesetzt, nachdem Roh den Tennô aufgefordert hatte, sich für die japanischen Kriegsverbrechen zu entschuldigen (402). Im Bekennerschreiben werden die zugrundeliegenden Ressentiments gegenüber der koreanischen Bevölkerungsgruppe deutlich:
"Die Koreaner haben als Handlanger der Mongolen unsere Vorfahren hingemordet. Die Japaner werden diese Wunde nicht vergessen. Roh Tae Woo soll nicht kommen! Wenn er kommt, garantieren wir nicht für seine Sicherheit. Wenn er kommt, werden wir die antijapanisch eingestellten, in Japan lebenden Koreaner bis zum letzten Mann hinrichten. Auch die Japaner, die sich zu Handlangern der antijapanischen Massenmedien machen, werden wir hinrichten. Wir werden nicht zulassen, daß der Stolz der Japaner beschmutzt wird".Bereits Wochen vor dem geplanten Besuch wurde zwischen der japanischen und der koreanischen über die Form der Entschuldigung für die japanischen Kriegsverbrechen verhandelt, während rechtsextreme Gruppen vehement gegen jede Form des Bedauerns protestierten und erklärten, der Kaiser mit seiner symbolischen Rolle dürfe nicht für politische Zwecke mißbraucht werden.
zurück zu Mishima Yukio
heim zu Reisen durch die Vergangenheit