DIE SÜNDEN DER ANDEREN

Jenny Gröllmanns Stasi-Akte

von Daniel Korthenschulte

(Frankfurter Rundschau, 19.04.2006)

Es ist eine sonderbare Geschichte. Der Stasioffizier ist einer der besten. Seinen Auftrag hat er vom Minister. Einen Theatermann gilt es zu beschatten, der Minister hat etwas mit der Ehefrau. Doch auch der Beobachter verliebt sich in den zerbrechlichen Bühnenstar namens Christa-Maria Sieland. Platonisch wie sie sein muss, die Liebe der Voyeure. Er hilft der Frau so gut er kann. Zu retten aber ist sie nicht. Das Leben der anderen heißt der Film, der davon erzählt und alle Chancen hat, am 12. Mai einige Lolas bei der Berliner Filmpreis-Gala zu gewinnen.

Es ist eine sonderbare Geschichte. Der Darsteller des Stasimanns ist einer der besten. In der DDR arbeitete er mit Heiner Müller, die Hauptrolle in Bernhard Wickis Spinnennetz machte ihn im Mai 1989 berühmt. Anstatt aber über die rote Cannes-Treppe in den Westen zu flüchten, beteiligte er sich an der Demokratiebewegung. In einem Filmbuch, das jetzt nicht mehr verbreitet werden darf, bezichtigt er seine frühere Ehefrau, den einstigen DDR-Filmstar Jenny Gröllmann, eine Stasi-IM gewesen zu sein. "Ich habe die Dokumente der Birthler-Behörde gesehen, die Jenny Gröllmann belasten. Ich weiß nicht, wie man so etwas bestreiten kann, vor allem, wenn die Akte 250 Seiten lang ist", sagte der Autor und Regisseur des Films, Florian Henckel von Donnersmarck in der 3-Sat-Sendung Kulturzeit und fügte hinzu: "Die Vergangenheit darf nicht geleugnet werden, wie es in diesem Fall geschieht."

Bereits Anfang April hatte Gröllmanns Anwalt mehrere Gegendarstellungen in Tageszeitungen erwirkt. In Interviewfragen an Mühe und Donnersmarck waren die Vorwürfe formuliert gewesen. Es ist eine Sache, das Leugnen zu verurteilen oder gar von Zensur zu sprechen, wie der Filmregisseur die Einstweilige Verfügung gegen das Filmbuch versteht. Eine andere Frage ist die, ob die Vorwürfe, selbst wenn sie sich als wahr erweisen sollten, in jedem Fall an die Öffentlichkeit gehören. Donnersmarcks Film erzählt am Beispiel des von Martina Gedeck gespielten fiktiven Theaterstars eindringlich, welche Gründe es geben kann, zum Spitzel zu werden. Wenn man seinem gut gemachten Krimi einen Vorwurf machen kann, dann den, dass er ein Quäntchen zuviel Verständnis für die Offiziere und Mitarbeiter des Staatsterrrors aufbringt. Und damit einem letzten bisschen schlechtem Kollektiv-Gewissen, falls es denn überhaupt existieren sollte, mit dem Persilschein winkt.

Wann ist es angebracht, die ehemaligen Informanten zu outen? Immerhin ist das, was sie taten, in den meisten Fällen nicht strafbar. Streng geregelt hat die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatsicherheitsdienstes daher die Zugriffsrechte. Wenn Florian Henckel von Donnersmarck die Gröllmann-Akte eingesehen hat, so muss er entweder ein Forschungsprojekt vorgegeben haben oder das Vorhaben eines Medienberichtes. Spielfilme über fiktive Personen gehören nicht dazu. Wenn schon im Fall Helmut Kohl lange darüber gestritten wurde, ob die Öffentlichkeit dessen Stasi-Akte kennen dürfe, kann man sich fragen, ob die Verfehlungen von Schauspielern ohne wenn und aber an den medialen Pranger gehören. Wie man sich überhaupt fragen muss, ob Unmoral, wenn sie nicht justiziabel ist, diese Behandlung rechtfertigt. Selbst wenn Mühe die Geschichte seiner Ex-Frau als Beleg für die Glaubwürdigkeit der Fiktion anführte, hat seine Aussage weitreichende Konsequenzen. Der Vorwurf legt sich wie ein Schatten auf eine große Karriere. Als Gröllmann 1967 eine Nebenrolle in Konrad Wolffs Film Ich war neunzehn spielte, war sie Ensemblemitglied am Berliner Gorki-Theater. An der Seite Mühes spielte sie Hölderlins Geliebte in Herrmann Zschoches Dichterporträt Hälfte des Lebens (1985). Nimmt man die Unterstellung für gegeben, ähnelt ihre Biographie nun fatal Donnersmarcks Film, dem sie eine besondere Authentizität zu verleihen scheint. Dass der sein Buch bereits geschrieben hatte, als er von Mühe davon erfuhr, tut nichts zur Sache: Das fiktive Leben der Christa-Maria Sieland wird sich in der Wahrnehmung des Films mit dem wahren der Jenny Gröllmann verbinden. Wie er sich auf die Rolle vorbereitet habe, wird Mühe im Presseheft des Films gefragt. "Ich habe", lautet seine Antwort, "mich erinnert".

Gröllmann dagegen beteuert: " Ich habe zu keinem Zeitpunkt für den Staatssicherheitsdienst der ehemaligen DDR gearbeitet". Das Gegenteil muss man ihr erst beweisen - was der von der Einstweiligen Verfügung geschädigte Suhrkamp-Verlag auch ankündigt. Bis dahin gilt auch bei Delikten, die nicht strafbar sind, die Unschuldsvermutung. Es sei denn, man wollte sich selber unter die Denunzianten reihen.


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