Der Fall Sebastian Haffner: Ein etwas
anderer Hitler-Tagebuch-Skandal?

von Josef Schmitt

(Staats- und Wirtschaftspolitische Gesellschaft)

Vor einiger Zeit erschien ein Buch, das rasch die Spitzenplätze der deutschen Bestsellerlisten erstürmte und seither mit erstaunlicher Konstanz behauptet hat – die „Geschichte eines Deutschen. Erinnerungen 1914-1933“ des kürzlich verstorbenen Publizisten Sebastian Haffner. Angeblich aus seinem Nachlaß posthum hervorgezogen und zum Druck gebracht, bescheinigt es uns Deutschen wieder einmal in schöner Eindeutigkeit, wie blöd wir alle gewesen sind. Denn der geniale Visionär Haffner hatte die Hitler-Katastrophe in dem angeblich 1939 verfaßten und von seinem Sohn Oliver Pretzel kommentarlos herausgebrachten Text schon lange vorher mit erstaunlichem Weitblick vorausgeschaut.

Nun ist plötzlich ein Fälschungsverdacht aufgetaucht. Nicht plötzlich, nicht auf einmal, sondern zunächst ganz verschämt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 15. August. „Der Prophet in seiner eigenen Zeit,“ titelte das vornehme Blatt in fein verschlüsselter Form. Doch die Unterzeile ließ den Hammer heraus: „Ein Bestseller beim BKA: Die Diskussion um die Authentizität der Erinnerungen Sebastian Haffners.“ Damit tauchten wieder Erinnerungen an die unselige Hitler-Tagebuch-Affäre von vor zwanzig Jahren auf.

Damals hatte der Meister-Fälscher Konrad Kujau selbstfabrizierte Tagebücher an den stern verkauft. Ohne der Sache wirklich auf den Grund zu gehen und möglicherweise von den eigenen Leuten betrogen, triumphierte das Hamburger Nachrichten-Magazin, jetzt müsse die Geschichte der NS-Zeit neu geschrieben werden. Denn Kujau-Hitler hatte in den beiden ersten Folgen, die in dem Blatt erschienen, einiges anscheinend Neue zum Fall Heß aufgetaut. Doch stellte sich das Ganze schon sehr bald als gefälscht heraus. Was angeblich der Führer zeitgleich zu den Ereignissen in seinen Tagebüchern niedergelegt hatte, war in Wirklichkeit nachträglich niedergeschrieben worden von einem unverschämten Naseweiß.

Im Fall Haffner könnte sich jetzt – vielleicht mit Hilfe des Bundeskriminalamtes, das freilich schon im Fall der Hitler-Tagebücher versagt hat – am Ende herausstellen, daß vorher nachher war. Denn es sind Verdachtsmomente dafür aufgetaucht, daß entweder der Autor selbst oder seine Nachfahren nachträglich einige Schönheitskorrekturen an einem Manuskript vorgenommen haben, das, wie gesagt, angeblich schon aus dem Jahre 1939 stammt. Vor diesem Hintergrund ist zur Zeit nicht einmal ganz auszuschließen, daß das ganze Manuskript insofern eine Fälschung ist, als daß es nicht vor, sondern erst nach dem Krieg geschrieben wurde.

Aber das sagt – noch – hierzulande niemand laut. Selbst die ersten Zweifel wurden von den Feuilletons der deutschen Medien offenbar lange Zeit mit vereinten Kräften unter der Decke gehalten, weil Hitler-Biograph Haffner, der während des Krieges im Dienst der britischen Propaganda stand, in Deutschland als sakrosankte Galionsfigur der Vergangenheitsbewältigung gilt. Nachdem er zunächst in einem Hörfunk-Interview auf gewisse Ungereimtheiten hingewiesen hatte, wandte sich der emeritierte Universitätsprofessor Jürgen Paul, Kunsthistoriker in Dresden, im Februar dieses Jahres an die Deutsche Verlagsanstalt in Stuttgart, Haffners Verlag. Doch wurde sein Schreiben als „nicht ernst zu nehmen“ und „philologisch haltlos“ zu den Akten gelegt. Paul wurde telefonisch abgefertigt, damit es nur ja keinen schriftlichen Beleg für die Nachwelt gibt. Immerhin hat der Verlag das Manuskript dem BKA jetzt zur Prüfung vorgelegt.

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 16. August hat nun Professor Henning Köhler vom Friedrich-Meinicke-Institut der Freien Universität Berlin nachgelegt. Während Paul, soweit durch die FAZ vollständig bekannt, seine Zweifel an der Echtheit des Manuskriptes an bestimmten Worten und sprachlichen Wendungen wie „Endsieg“ und „business as usual“ festgemacht hatte, die, wie er nachweisen kann, 1939 im Deutschen noch nicht üblich waren, greift Historiker Köhler jetzt die inhaltliche Substanz des Buches an. Er weist Haffner nicht nur nach, daß er einige historische Abläufe grob verzeichnet hat, sondern auch Fakten und Zusammenhänge zu wissen vorgab, die er 1939 noch gar nicht wissen konnte. Ja, Köhler bezweifelt sogar, daß Haffner sein Buch - so wie es jetzt der deutschen Öffentlichkeit präsentiert wurde - ursprünglich überhaupt als autobiographischen Versuch angelegt hat.

So kann Köhler schreiben: „Angesichts dieser Widersprüche stellt sich die Frage: Mit was für einem Manuskript haben wir es eigentlich zu tun? Die editorische Notiz (des Haffner-Sohnes Pretzel) ist irreführend, wenn es heißt: ‚Die Niederschrift des Textes kann auf den Beginn des Jahres 1939 datiert werden.’ Denn Haffner hat den Text später offenkundig überarbeitet und Passagen eingefügt. Wahrscheinlich war es sein Wille, dass das Manuskript erst nach seinem Tod entdeckt und publiziert wurde. Dessen Auffinden, am besten in einem Geheimfach seines Schreibtisches, so womöglich sein Kalkül, könnte das Interesse daran und damit den Absatz nur fördern.“

Heute fragt es sich, ob die Familie Haffner, mag ihre Kasse auch in pekuniärer Hinsicht stimmen, sich nicht in moralischer Beziehung schwer verrechnet hat. Denn nachträglich fiel sogar plötzlich der FAZ auf, dass in dem Buch „eine ausführlicher editorische Notiz über die Entstehung und Überlieferung des Manuskriptes“ fehlt! Verrückt, wie sie nach Geschichten über die blöden Deutschen sind, die einem so offensichtlichen Idioten wie Hitler auf den Leim gingen, hatten die deutschen Medien und Leser dem allgewaltigen Publizisten und dessen Nachfahren, die an Haffners „Anmerkungen über Hitler“ bereits Millionen verdienten, blind vertraut. Sollte sich jetzt das von ihm geschilderte „Duell“ zwischen einem mit außerordentlicher Weitsicht gesegneten „Durchschnittsdeutschen“ und der allmächtigen Hitler-Diktatur auch nur teilweise als Fälschung erweisen, hätte die erfolgsverwöhnte Haffner-Familie sehr viel Vertrauen verspielt.

„Der ‚böse Deutsche’ hat ausgedient“

So überschrieb das Hamburger Abendblatt am 14. August eine Geschichte über den positiven Umschwung, den Daimler-Chrysler in den letzten Monaten offenbar bei seinem US-amerikanischen Partner herbeigeführt hat. Erinnern wir uns: Nach der spektakulären Groß-Fusion waren der frühere Daimler-Chef Jürgen Schrempp und das Untertürkheimer Unternehmen jenseits des Atlantiks unter massiven Beschuss von Arbeitnehmern, Gewerkschaften und Medien geraten. Der Aktienkurs des Unternehmens fiel von 108,62 auf 37,75 US-Dollar, Chrysler-Chef Robert Eaton musste gehen, und als Schrempp dann auch noch tönte, er habe von allem Anfang keine Partnerschaft unter Gleichen, sondern eine Übernahme geplant, forderte die US-Öffentlichkeit seinen Kopf.

Inzwischen hat der von Schrempp nach Detroit entsandte Manager Jürgen Zetsche offenbar ganze Arbeit geleistet, und nun wendete sich das Blatt. Plötzlich dämmerte auch der machtvollen New York Times, dass sich Chrysler „aufblähte und ineffizient“ geworden war, wie das Abendblatt berichtet. Obwohl Daimler-Chrysler in den USA 26.000 Mitarbeiter entlassen musste, hielten auch die Gewerkschaften still. Zwar gab es auf der Hauptversammlung von Daimler-Chrysler im letzten April von den deutschen Kleinaktionären noch mächtig Zoff. Doch haben die Amerikaner ihren Irrtum inzwischen eingesehen.

Selbst erstaunt über den plötzlichen Stimmungsumschwung, warf die New York Times den deutschen Managern vor, sie hätten es den Amerikaner zu leicht gemacht. Begründung: „Sie gehören zu der Generation von Deutschen, für die Nationalstolz eher Horror als Versuchung ist.“ Fazit: Hätten die Deutschen von Anfang an mehr Mannesmut vor US-amerikanischen Thronen gezeigt, hätten sie bei Verkündung ihrer Fusionspläne gleich die volle Wahrheit gesagt, und es wäre vielleicht gar nicht so viel Schlimmes an der Börse passiert.


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