Des Kaisers neue Kleider:
Das Virus und die Zahlen

Deutschland sucht das Supervirus

von Kathrin Schmidt {Berliner Zeitung, 19.05.2020}

Kürzungen, Links und Bilder: Nikolas Dikigoros

Die Weichheit einer saftigen Birne, das knackig Feste eines säuerlichen Apfels... Ich vergleiche beide so gerne und bilde mir ein, dass das geht. To compare apples with oranges, will man es englisch. Ziemliche Mühe wandte ich auf, im letzten halben Jahr mein Englisch aufzufrischen. Im Juli sollte es für drei Monate nach Los Angeles gehen, in die Villa Aurora. Daraus wird nun nichts. Sars-CoV-2 sei's gedankt? Ich bin nicht sicher. Ich freue mich aber, dass der Villa Aurora e.V. meinen Aufenthalt in den USA um genau 12 Monate verschoben hat. Natürlich würde ich mich im kommenden Jahr impfen lassen, wenn es denn einen Impfstoff gibt. Sonst würde man mich womöglich gar nicht einreisen lassen.

Trotzdem finde ich es in der gegenwärtigen Situation geradezu albern, alle Hoffnungen auf einen Impfstoff zu fokussieren. Ein Virus verändert sich, ohne diese Fähigkeit hätte dieses, das uns nun in Schach hält, gar nicht entstehen können. Es wird beileibe nicht das letzte Virus sein, das uns zu schaffen macht. Und: Es ist kein Killervirus. Das sagte zum Beispiel der Hamburger Rechtsmediziner Klaus Püschel am 8. Mai auf einer Pressekonferenz des Universitätsklinikums Eppendorf in Hamburg.

Püschel konnte sich offenbar mit zwei Dingen nicht abfinden: Zum einen nicht mit der Tatsache, dass eine mit Corona infizierte gestorbene Person unabdingbar als Opfer der Krankheit angesehen wird, und zum zweiten nicht mit der absurden Empfehlung des Robert-Koch-Instituts, das Obduzieren dieser Leichen zu unterlassen. Die Ergebnisse seiner Obduktionen sprechen eine deutliche Sprache: Das Durchschnittsalter der untersuchten Toten liegt bei 80 Jahren, und etwa 80% von ihnen litt unter Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Ich möchte niemandem das Recht absprechen, auch im hohen Alter die bestmögliche medizinische Behandlung zu erhalten. Jedoch ist die - hoffentlich für alle begreifbare - Wahrscheinlichkeit, in einem Alter von etwa 80 Jahren zu sterben, für jeden, der es erreicht, ungleich höher als für einen, sagen wir, 40-Jährigen. Auch die Zahl der Vorerkrankungen nimmt mit steigendem Lebensalter naturgemäß zu, wir sind irgendwann altersschwache Lebewesen, um nicht zu sagen, Tiere. Wäre das nicht so, gäbe es keinen Tod, der uns alle irgendwann erreicht.

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Es stört mich, wenn mir vorgemacht wird, ich müsse Angst haben. Vor einem Virus. Die viel zu lange von den Grundlagen jeder ernst zu nehmenden Statistik abstrahierende Präsentation von Zahlen in den täglichen Nachrichtensendungen entbehrt der Verlässlichkeit, weil es einen Überblick über insgesamt Getestete, tatsächlich Infizierte wie an oder wegen Corona Verstorbene im Grunde nicht gibt. Setzt man die vorhandenen, ohnehin wenig validen Zahlen zur Gesamtbevölkerung ins Verhältnis - etwas anderes bleibt ja kaum übrig -, ergibt sich am 18. Mai folgendes Bild:

In den USA beträgt der Anteil der erfassten Infizierten an der Gesamtbevölkerung am heutigen Morgen 0,46%, der Anteil der vermeintlich daran Gestorbenen 0,027%. Für Großbritannien betragen diese Zahlen 0,37 bzw. 0,052%, für Schweden 0,29 bzw. 0,035%, für Spanien 0,49 bzw. 0,058%, für Italien 0,37 bzw. 0,053%, für die Bundesrepublik 0,21 bzw. 0,0097%. Einzurechnen in die Todesfallzahlen wäre natürlich nun noch die Altersverteilung. Aber auch ohne das, finde ich, sieht die Lage anders aus als die abstrakte, ansteigende Zahl der Infizierten verheißt. Sie kann ja auch nur zu-, nicht abnehmen.

Erst in den letzten Tagen ging man im öffentlich-rechtlichen Rundfunk dazu über, zunächst ein Diagramm einzublenden, das deren tägliche Abnahme präsentiert. Es ist davon auszugehen, dass in allen genannten Ländern der Anteil der tatsächlich mit Corona Infizierten weit höher liegt als der durch Tests bestätigte. Und man vergleicht Äpfel mit Birnen auf eine Weise, die eben nicht geht, wenn man die Zahl der Todesfälle nicht bei jeder Darstellung nach Alter und Vorerkrankungen aufschlüsselt, sondern per se als repräsentativ verkauft. Wenn das so schnell nicht zu berechnen ist, könnte es zumindest als Vorbehalt mitgeteilt werden. In der Bundesrepublik sterben täglich, ohne Corona, etwa 2.570 Menschen, mehr als 70% von ihnen sind älter als 75 Jahre.

Als ich im März vor zwei Jahren 60 wurde, veranstaltete ich eine für meine Verhältnisse ziemlich große Feier. Vielleicht war ich sogar froh, dass etwa 25% der Eingeladenen kurzfristig absagen mussten, denn der gemietete Raum war auch ohne sie sehr voll. Sie lagen flach. Es war das Jahr der letzten großen Grippewelle. Damals sollen nach Schätzungen des RKI trotz Impfstoffs in Deutschland 25.100 Menschen an den Folgen der Grippe-Erkrankung gestorben sein. (Da muss das jetzige Virus noch ganz schön rackern.) Soweit ich weiß, gab es 2018 nirgends einen geschlossenen Kindergarten. Nirgends einen Lockdown.


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