"Wir müssen Bilder erfinden, die weh tun"

Der Regisseur Volker Schlöndorff über seinen Film "Der neunte Tag",
das Konzentrationslager, die Päpstin und Bruno Ganz

Interview mit Peter Zander (DIE WELT, 8. November 2004)

Die Welt: Hätten Sie sich je träumen lassen, einen Film im KZ zu drehen?

Volker Schlöndorff: Niemals. Ich gehöre zu der Generation, die noch ihren Adorno im Kopf hat, daß nach Auschwitz keine Poesie, keine Kunst mehr möglich ist. Ich war 15, 16, als wir erstmals diese Bilder aus dem Lager gesehen haben. Und es galt als Tabu, das darzustellen. Entsprechend groß war der Aufschrei, als in den siebziger Jahren die amerikanische "Holocaust"-Serie bei uns im Fernsehen lief. Man muß aber anerkennen, daß die Dokumentarbilder inzwischen so inflationär, so überstrapaziert sind, daß sie schon bei meiner zwölfjährigen Tochter keine Schockwirkung mehr auslösen. Deshalb müssen wir neue Bilder erfinden: damit sie wieder weh tun.

Die Welt: Gab es da Schamgrenzen zu überwinden?

Schlöndorff: Es wäre unehrlich zu sagen, ich hätte da mit mir gerungen. Ich habe es vorher ja nicht aus moralischen Gründen abgelehnt, ich dachte einfach, es würde lächerlich wirken im Verhältnis zu den Dokumentarbildern. Aber diese Angst vor der eigenen Unfähigkeit habe ich überwunden. Ich hätte jetzt auch keine Furcht mehr, einen ganzen Film über das Lager zu drehen. Aber um Gottes willen: Ich habe da kein Projekt im Kopf.

Die Welt: "Der neunte Tag" basiert auf dem Tagebuch eines Überlebenden und ist doch kaum zu glauben: Ein Geistlicher wird aus dem KZ entlassen und dann von einem Nazi unter Druck gesetzt: entweder Kollaboration oder zurück.

Schlöndorff: Diese Struktur fand ich sehr spannend: daß man nur zehn Minuten Lager erlebt, die so unerträglich sind, daß man das Kino verlassen möchte. Und genau in dem Moment kommt man heraus. Bei der eigentlichen Handlung, der Verführung durch das Böse, war ich anfangs skeptisch. Die ganze theologische Debatte hat mich nicht wirklich interessiert; da kenne ich mich auch nicht so aus. Bis ich darauf kam, daß das eigentlich immer nur neue Runden eines ewigen Kampfes sind.

Die Welt: Bei all Ihrer Skepsis: Das Drehbuch ist doch wie für Sie geschaffen, es enthält Ihre zentralen Themen: das Gute, das Böse, die Versuchung.

Schlöndorff: Ja, es ist wirklich so. Die meisten Filme sucht man nicht, die finden einen. Und der gehört dazu. Da sind wohl schon viele, auch namhafte Regisseure vorher dran gewesen, und ich kann überhaupt nicht verstehen, warum die abgesprungen sind. Als ich es gelesen habe, wollte ich sofort damit anfangen. Man muß ja einen Respekt vor dem heiligen Funken der Begeisterung haben, selbst wenn man nicht Widder ist wie ist. Ich habe jetzt schon so viel Hoffnung auf "Die Päpstin" verbrannt. Wenn da die Finanzierung mal gesichert ist, weiß ich vielleicht schon nicht mehr, warum ich das überhaupt machen wollte.

Die Welt: Wie bewerten Sie die derzeitige Flut von Filmen über das "Dritte Reich"?

Schlöndorff: Fragen Sie mich nicht, woher das kommt. Ich habe da keine Antwort. Die Häufung stört mich natürlich. Jeder von uns befürchtet, daß das Publikum irgendwann übersättigt ist. Und das wäre das Letzte, was wir mit unseren Filmen wollen, daß wir einen Brechreiz auslösen. Ich sehe es allerdings als Handicap, daß mein Film vielleicht der schwierigste ist, aber den letzten Starttermin in diesem Jahr bekommen hat.

Die Welt: Haben Sie Angst, durch das große Interesse am "Untergang" könnte Ihr Film untergehen?

Schlöndorff: Ich hatte Angst, daß man sich fragen wird, was macht jetzt der Goebbels im KZ? Ich war aber auch sehr gespannt auf den "Untergang". Wie kann man heute Hitler, wie Goebbels darstellen? Das sind Fragen, die mich als Regisseur beschäftigen. Insofern ist das für mich ein spannender Herbst, auch als Zuschauer.

Die Welt: Sie haben selbst ein Hitler-Projekt verfolgt. Ist das mit dem "Untergang" passé?

Schlöndorff: Ich trauere dem schon nach. Ich hatte den, nennen wir es mal, Countdown to War im Auge: die letzten zehn Tage vor dem Krieg, in denen er noch hätte verhindert werden können. Da gibt es sehr genaue Protokolle von Verhandlungen, die Hitler bis zuletzt geführt hat, auch von Überlegungen im Generalstab, ob man ihm folgt oder nicht. Aber als wir noch am Drehbuch arbeiteten, wurde dann dieses andere Projekt verkündet: nicht von den ersten, sondern den letzten zehn Tagen. Das wäre dann falsch gewesen. Ich hoffe aber, das noch eines Tages machen zu können. Ich wäre allerdings nie auf Bruno Ganz gekommen. Da muß ich sagen: Hut ab. Zumindest für den späten Hitler. Für den frühen vielleicht nicht.

Die Welt: Hatten Sie denn schon jemanden im Kopf?

Schlöndorff: Ja. Den Namen will ich aber nicht nennen. Ich finde es vor allem wichtig, daß die Nazis endlich mal deutsch sprechen und nicht englisch. Daß wir diese Bilder von den bösen Nazis, aber auch den guten Deutschen nicht immer nur aus dem Ausland beziehen, sondern auch mal selbst herstellen - und zwar so, daß sie auch das Ausland uns wieder abnimmt.

Die Welt: Die Verführung durch den Nationalsozialismus haben Sie schon einmal thematisiert: in "Der Unhold", einem Ihrer größten Flops. Ist der "Neunte Tag" so etwas wie eine Rehabilitierung?

Schlöndorff: Der "Unhold" war ein Mißerfolg. Da hat die Erzählperspektive einfach nicht gestimmt, unter anderem. Nein, diese Verführung fasziniert mich einfach von je her. Weil ich sie selbst noch erlebt habe. Ich war noch Kind, als der Krieg zu Ende war, aber wir waren doch damals alle überzeugt, daß unsere Eltern im Recht waren. Und haben noch Jahre lang Kriegsspiele geführt, selbst da hat die Faszination nachgewirkt.


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