Die Welt: Hätten Sie sich je träumen
lassen, einen Film im KZ zu drehen?
Volker Schlöndorff: Niemals. Ich gehöre zu der
Generation, die noch ihren Adorno im Kopf hat, daß nach Auschwitz keine
Poesie, keine Kunst mehr möglich ist. Ich war 15, 16, als wir erstmals
diese Bilder aus dem Lager gesehen haben. Und es galt als Tabu, das
darzustellen. Entsprechend groß war der Aufschrei, als in den siebziger
Jahren die amerikanische "Holocaust"-Serie bei uns im Fernsehen lief. Man
muß aber anerkennen, daß die Dokumentarbilder inzwischen so inflationär,
so überstrapaziert sind, daß sie schon bei meiner zwölfjährigen Tochter
keine Schockwirkung mehr auslösen. Deshalb müssen wir neue Bilder
erfinden: damit sie wieder weh tun.
Die Welt: Gab es da Schamgrenzen zu
überwinden?
Schlöndorff: Es wäre unehrlich zu sagen, ich
hätte da mit mir gerungen. Ich habe es vorher ja nicht aus moralischen
Gründen abgelehnt, ich dachte einfach, es würde lächerlich wirken im
Verhältnis zu den Dokumentarbildern. Aber diese Angst vor der eigenen
Unfähigkeit habe ich überwunden. Ich hätte jetzt auch keine Furcht mehr,
einen ganzen Film über das Lager zu drehen. Aber um Gottes willen: Ich
habe da kein Projekt im Kopf.
Die Welt: "Der neunte Tag" basiert auf
dem Tagebuch eines Überlebenden und ist doch kaum zu glauben: Ein
Geistlicher wird aus dem KZ entlassen und dann von einem Nazi unter Druck
gesetzt: entweder Kollaboration oder zurück.
Schlöndorff: Diese Struktur fand ich sehr
spannend: daß man nur zehn Minuten Lager erlebt, die so unerträglich sind,
daß man das Kino verlassen möchte. Und genau in dem Moment kommt man
heraus. Bei der eigentlichen Handlung, der Verführung durch das Böse, war
ich anfangs skeptisch. Die ganze theologische Debatte hat mich nicht
wirklich interessiert; da kenne ich mich auch nicht so aus. Bis ich darauf
kam, daß das eigentlich immer nur neue Runden eines ewigen Kampfes sind.
Die Welt: Bei
all Ihrer Skepsis: Das Drehbuch ist doch wie für Sie geschaffen, es
enthält Ihre zentralen Themen: das Gute, das Böse, die Versuchung.
Schlöndorff: Ja, es ist wirklich so. Die
meisten Filme sucht man nicht, die finden einen. Und der gehört dazu. Da
sind wohl schon viele, auch namhafte Regisseure vorher dran gewesen, und
ich kann überhaupt nicht verstehen, warum die abgesprungen sind. Als ich
es gelesen habe, wollte ich sofort damit anfangen. Man muß ja einen
Respekt vor dem heiligen Funken der Begeisterung haben, selbst wenn man
nicht Widder ist wie ist. Ich habe jetzt schon so viel Hoffnung auf "Die
Päpstin" verbrannt. Wenn da die Finanzierung mal gesichert ist, weiß ich
vielleicht schon nicht mehr, warum ich das überhaupt machen wollte.
Die Welt: Wie bewerten Sie die
derzeitige Flut von Filmen über das "Dritte Reich"?
Schlöndorff: Fragen Sie mich nicht, woher das
kommt. Ich habe da keine Antwort. Die Häufung stört mich natürlich. Jeder
von uns befürchtet, daß das Publikum irgendwann übersättigt ist. Und das
wäre das Letzte, was wir mit unseren Filmen wollen, daß wir einen
Brechreiz auslösen. Ich sehe es allerdings als Handicap, daß mein Film
vielleicht der schwierigste ist, aber den letzten Starttermin in diesem
Jahr bekommen hat.
Die Welt: Haben Sie Angst, durch das
große Interesse am "Untergang" könnte Ihr Film untergehen?
Schlöndorff: Ich hatte Angst, daß man sich
fragen wird, was macht jetzt der Goebbels im KZ? Ich war aber auch sehr
gespannt auf den "Untergang". Wie kann man heute Hitler, wie Goebbels
darstellen? Das sind Fragen, die mich als Regisseur beschäftigen. Insofern
ist das für mich ein spannender Herbst, auch als Zuschauer.
Die Welt: Sie haben selbst ein
Hitler-Projekt verfolgt. Ist das mit dem "Untergang" passé?
Schlöndorff: Ich trauere dem schon nach. Ich
hatte den, nennen wir es mal, Countdown to War im Auge: die letzten
zehn Tage vor dem Krieg, in denen er noch hätte verhindert werden können.
Da gibt es sehr genaue Protokolle von Verhandlungen, die Hitler bis
zuletzt geführt hat, auch von Überlegungen im Generalstab, ob man ihm
folgt oder nicht. Aber als wir noch am Drehbuch arbeiteten, wurde dann
dieses andere Projekt verkündet: nicht von den ersten, sondern den letzten
zehn Tagen. Das wäre dann falsch gewesen. Ich hoffe aber, das noch eines
Tages machen zu können. Ich wäre allerdings nie auf Bruno Ganz gekommen.
Da muß ich sagen: Hut ab. Zumindest für den späten Hitler. Für den frühen
vielleicht nicht.
Die Welt: Hatten Sie denn schon jemanden
im Kopf?
Schlöndorff: Ja. Den Namen will ich aber nicht
nennen. Ich finde es vor allem wichtig, daß die Nazis endlich mal deutsch
sprechen und nicht englisch. Daß wir diese Bilder von den bösen Nazis,
aber auch den guten Deutschen nicht immer nur aus dem Ausland beziehen,
sondern auch mal selbst herstellen - und zwar so, daß sie auch das Ausland
uns wieder abnimmt.
Die Welt: Die Verführung durch den
Nationalsozialismus haben Sie schon einmal thematisiert: in "Der Unhold",
einem Ihrer größten Flops. Ist der "Neunte Tag" so etwas wie eine
Rehabilitierung?
Schlöndorff: Der "Unhold" war ein Mißerfolg. Da hat die Erzählperspektive einfach nicht gestimmt, unter anderem. Nein, diese Verführung fasziniert mich einfach von je her. Weil ich sie selbst noch erlebt habe. Ich war noch Kind, als der Krieg zu Ende war, aber wir waren doch damals alle überzeugt, daß unsere Eltern im Recht waren. Und haben noch Jahre lang Kriegsspiele geführt, selbst da hat die Faszination nachgewirkt.
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