Das Versöhnungsgespräch zwischen Juppiter und Juno

Inzwischen spricht der König des allmächtigen Olymps Juno an, die von einer rotgelben Wolke herab auf die Kämpfe sah: "Welches Ende wird es nun geben, Gemahlin? Was bleibt schließlich übrig? Du selbst weißt und du gestehst zu wissen, daß der altrömische Aeneas für den Himmel bestimmt ist und durch das Schicksal zu den Sternen emporgehoben wird. Was errichtest/ersinnst du oder in welcher Hoffnung verharrst du in den kalten Wolken? Ziemte es sich, daß ein Gott mit einer Wunde von einem Sterblichen verletzt wird? Oder daß das entrissene Schwert (denn was hätte Iuturna ohne dich vermocht?) dem Turnus zurückgegeben werde und die Kraft den Besiegten wachse? Hör’ schon endlich auf und laß’ dich durch unsere Bitten umstimmen, damit dich Schweigende kein so großer Schmerz verzehre und mir die traurigen Sorgen oft von deinem süßlichen Mund zurückkehren. Es ist bis zum Äußersten gekommen. Durch Länder oder Wellen konntest du die Trojaner treiben, einen schrecklichen Krieg entzünden, ein Haus zerstören und die Hochzeiten mit Trauer vermengen: ich verbiete dir mehr zu versuchen." So begann Juppiter; so sprach die Göttin Saturnia mit gesenkten Blick dagegen: "Weil mir zwar dieser dein Wille, großer Juppiter, bekannt ist, habe ich Turnus und die Länder gegen meinen Willen verlassen; auch würdest du mich nicht jetzt alleine auf luftigem Sitz Verdienstes und Unverdientes dulden sehen, sondern ich würde, von Flammen umgürtet, selbst unten in der Schlachtreihe stehen und die Teukrer zu feindlichen Kämpfen reizen. Ich habe Iuturna (ich gestehe) überredet, dem armen Bruder zu Hilfe zu eilen, und habe gebilligt, daß sie das Leben (des Bruders) Größeres wage, doch nicht, daß sie Wurfgeschosse werfe und den Bogen spanne; ich schwöre dazu noch bei nicht verzeihenden Quelle der Styx, welcher Schwur allein den Göttern des Himmels gegeben ist. Und nun weiche ich allerdings und verlasse voll Haß die Kämpfe. Darum flehe ich dich an, für Latium, für die Würde der Deinen, weil das durch kein Gesetz des Fatums zurückgehalten/verboten wird: Wenn sie schon durch glückliche Ehe (meinetwegen) Frieden stiften, wenn sie schon Gesetze und Verträge miteinander schließen, befiel nicht, daß die eingeborenen Latiner ihren alten Namen ändern und Troer werden oder man sie Teukrer nennt oder die Männer ihre Sprache ändern oder ihre Kleidung wechseln. Es bleibe Latium, es bleiben durch die Jahrhunderte die Könige von die Alba (Longa), es bleibe der römische Sproß mächtig durch italische Mannhaftigkeit: Troja ist untergegangen – laß es zu – es soll zusammen mit seinem Namen untergegangen sein." Jener lächelte der Urheber der Menschen und der Dinge zu (und sagte): "Du bist die Schwester Juppiters und das zweite Kind Saturns, und trotzdem wälzt du so große Wogen des Zorns in deiner Brust. Aber wohlan laß sinken dein vergeblich begonnenes Rasen: Ich gewähre (dir), was du willst, und ziehe mich geschlagen gerne/freiwillig zurück. Die Ausonier werden ihre Muttersprache und ihre Sitten behalten, und der Name wird bleiben, wie er nun ist; nur mit dem Körper vermischt werden sich die Teukrer ansiedeln. Sitten und religiöse Bräuche werde ich ihnen geben und alle zu Latinern mit einer einzigen Sprache machen. Dann wirst du sehen, daß von hier sich ein Volk, gemischt mit italischem Blut, erheben wird, die Menschen, die Götter an Frömmigkeit übertreffen, und kein anderes Volk wird in gleicher Weise deine Opferfeste feiern." Dem nickte/stimmte Iuno zu und änderte erfreut ihre Meinung; inzwischen verläßt er den Himmel und läßt die Wolke zurück.

fulvus3: erzfarben, brandrot, rotgelb, bräunlich
indiges/etis: einheimisch, altrömisch
fateor2/fassus sum: bekennen, gestehen, verraten, zeigen
struo3/struxi/structus: aufschichten, bauen, errichten, (an)stiften
haereo2/haesi/haesurus: hängen(bleiben), haften, verharren, stocken
gelidus3: kalt, eisig, kühl, frisch
mortalin: von einem Sterblichen zugefügt
deceo2: schmücken, zieren, kleiden, sich schicken, ziemen
violo1: Gewalt antun, mißhandeln, verletzen, entweihen
ensis/is: Schwert
inflecto3/flexi/flexus: krümmen, verbiegen, verändern, beugen
edo3/edi/esus: essen, fressen
infandus3: unsagbar, unsäglich, schrecklich, abscheulich
accendo3/cendi/census: anzünden, entzünden, entflammen
deformo1: bilden, entstellen, verunstalten, entwürdigen, stören
hymenaeus/i: Hochzeit(slied)
cingo3/cinxi/cinctus: umgürten, umwinden, einschließen, umringen, umzingeln
trahere: hier: reizen, verleiten
succurro3/curri: unterlaufen, auf sich nehmen, einfallen, zu Hilfe eilen, beistehen
probo1: I untersuchen, prüfen, anerkennen; billigen, gutheißen
contendo3/tendi/tentus: zusammenstellen, kämpfen, anspannen, zielen, sich bemühen, streben
implacabilis/e: unversöhnlich
superstitio/onis: I Schwur, Beschwörung; II Wahn, Aberglaube
equidem: allerdings, für wahr
exosus3: verhaßt, verabscheuend
conubium/i: Ehebund, Eheverbindung, Eherecht
foedus/eris: Vertrag, Bündnis
repertor/oris: Erfinder, Urheber
germanus3: leiblich, echt, wahr, wirklich, Bruder, Schwester
proles/is: Kind, Sprößling, Nachkomme
subsido3/sedi: sich niedersetzen, niederlassen, senken, sich legen, sich ansiedeln
commisceo2/miscui/mixtus: zusammenmischen, vermischen, vermengen
ritus/us: Zeremonie, Ritus, Brauch, Sitte, Gewohnheit
retorqueo2/torsi/torsus: zurückdrehen, -wenden, ändern
excedo3/cessi/cessus: herausgehen, sich entfernen, hinausgehen

 

 

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