Der Tod des Laokoon
Laokoon, der durch das Los zum Priester für Neptun bestimmt worden war, war gerade dabei auf den festlich geschmückten Altären einen gewaltigen Stier zu schlachten. Siehe aber, ein Schlangenpaar legt sich von Tenedus über die ruhige See (ich schaudere wenn ich davon berichte) in ungeheuren Windungen auf das Meer und strebt zugleich an die Küsten. Ihre Brust, die zwischen den Fluten aufgerichtet ist, und ihr blutroter Kamm ragt über die Wellen, der übrige Teil streift hinten über das Meer und windet den riesigen Rücken in einer ungeheuren Krümmung. Es entsteht ein Rauschen durch die schäumende Salzflut; und schon erreichten sie die Gestade und, die glühenden Augen von Blut und Feuer unterlaufen, lecken sie mit zuckenden Zungen ihr zischendes Maul. Wir fliehen bleich durch den Anblick auseinander. Jene griffen zielsicher Laokoon an; und zuerst umschlingen beide Schlangen die kleinen Körper der beiden Söhne und umwickeln sie und verzehren die armen Glieder mit ihren Bissen; dann ergreifen sie ihn selbst, der zur Hilfe kam und ein Wurfgeschoß brachte, und sie umschlingen ihn mit gewaltigen Windungen; und nachdem sie ihn schon zweimal in der Mitte umschlungen haben und zweimal ihre schuppigen Rücken um seinen Hals gelegt hatten, ragen sie mit dem Kopf und den hohen Nacken empor. Jener bemühte sich gleichzeitig mit den Händen die Knoten zu zerreißen, seine Priesterbinden überzogen sich mit Geifer und schwarzen Gift und gleichzeitig erhobt er ein schreckliches Geschrei zu den Sternen: gleich wie das Brüllen, wenn ein verwundeter Stier vom Altar flieht und das unsicher geführte Beil von/aus seinem Nacken abgeschüttelt hat. Aber die Zwillingsschlangen entflohen gleitend zu den höchsten gelegenen Tempeln, streben zur Burg der grimmigen Tritonis (= Athene) und verbergen sich unter den Füßen der Göttin und unter der Wölbung des Schildes. Da aber schlich sich allen eine neue Angst in die zitternden Herzen ein, und sie sagen, Laokoon habe zurecht für sein Verbrechen gebüßt hat, da er mit einer Schwertspitze den heiligen Holzbau verletzt hat und gegen den Rucken die verbrecherische Lanze geschleudert hat. Das Bildnis muß zu seinem Platz gebracht werden und die große Macht der Göttin soll angebetet werden, riefen sie alle zusammen. Wir reißen die Mauern ein und öffnen die Befestigungsanlagen der Stadt. Alle rüsten sich für das Werk und schieben unter die Füße gleitende Räder und legen Seile aus Hanf um den Hals: die verderbenbringende Maschine ersteigt voll mit Waffen die Mauern. Ringsum singen Knaben und jungfräuliche Mädchen heilige Lieder und freuen sich, das Seil mit der Hand zu berühren. Jenes Kriegsgerät rückt heran und gleitet drohend mitten in die Stadt hinein. O Heimat, o Ilium Heimat der Götter und durch den Krieg berühmten Mauern der Dardaniden! Viermal blieb es noch an der Schwelle des Tores stecken, und viermal gaben die Waffen im Bauch ein Klirren (von sich). Wir machten dennoch weiter, nicht achtend und blind vor Eifer (Raserei) und stellen das unheilbringende Ungeheuer auf der heiligen Burg auf. Dann öffnet auch Kassandra mit Prophezeiungen ihren Mund, der auf Geheiß des Gottes von den Teukrern niemals geglaubt wurde. Wir Elenden, für welche jener Tag ja der letzte war, schmücken die Tempel der Götter in der ganzen Stadt mir festlichem Laub. Es dreht sich zu inzwischen der Himmel, und vom Ozean kommt die Nacht herauf und umhüllt mit großem Schatten Erde und Himmel und die Listen der Myrmidonen; (zur Ruhe) gelagert verstummten die Teukrer in der ganzen Stadt; Schlaf umfängt die ermüdeten Glieder. Und schon fuhr die argivische Phalanx auf gerüsteten Schiffen von Tenedos her im freundlichen Schweigen des stillen Mondlichtes und steuerte nach bekannten Gestaden, da gab das Schiff des Königs schon Feuerzeichen, und geschützt vom ungerechten Schicksal der Götter, lockert darauf Sinon heimlich die fichtenen Riegel und befreit die in den Bauch eingeschlossenen Danaer. Geöffnet gibt das Pferd jene ans Licht zurück, und froh kommen aus dem hohlen Holzbau die Anführer Thessandrus und Sthenelus und der grimmige Odysseus, sie gleiten an einem heruntergeworfenen Seil (herab), Akamas, Thoas, der Pelides, Neoptolemos und der Anführer Machaon und Menelaus und er selbst, der Urheber der List, Epeos. Sie dringen in die von Schlaf und Wein begrabene Stadt ein; die Wachen werden niedergehauen, und (die Griechen) nehmen durch die offenstehenden Tore alle Gefährten auf und vereinigen die verbündeten Scharen. |
ductus
sorte: durch das Los
bestimmt macto1: I schlachten, opfern, heimsuchen, strafen zu Grunde richten; II verherrlichen, beehren, beschenken, ehren, versöhnen sollemnis/e: alljährlich, feierlich, üblich, gewöhnlich, incumbo3/cubui/cubitum: sich auf/an etwas legen, lehnen, stützen, sich stürzen, sich widmen tranquillus3: windstill, ruhig immensus3: unermeßlich, ungeheuer, unendlich, grenzenlos pariter: I gleich, in gleicher Weise; II zugleich, gleichzeitig iuba/ae: Kamm, Mähne, Nackenhaare sanguineus3: blutig, aus Blut, blutrot, blutrünstig, -dürstig salum/i: hohe See, offenes Meer lambo/ere: (be)lecken, umzüngeln, berühren sibilus3: zischend, pfeifend vibro1: schwingen, schwenken, werfen, zucken, zittern, blitzen diffugio3M/fugi/fugiturus: sich zerstreuen, auseinanderfliehen ex(s)anguis/e: blutleer, bleich agmine certo: zielsicher, amplector3/plexus sum: umschlingen, umarmen, umgeben implico1: I einwickeln, verwickeln; II umwickeln, umwinden depasco3/pavi/pastus: verzehren, abweiden lassen artus/us: Gelenke, Gerippe, Glieder corripio3M/ripui/reptus: zusammenraffen, packen, ergreifen spira/ae: Windung squameus3:schuppig collum/i: Hals, Stengel cervix/icix: Nacken, Hals divello3/velli/volsus: auseinander-, zerreißen, sich losreißen mugitus/us: Brüllen, Dröhnen saucius3: verwundet, verletzt excutio3M/cussi/cussus: herausschütteln, fallen lassen, vertreiben, abschießen, ausbreiten gemitus3: Zwillings, doppelt delubrum/i: Tempel, Heiligtum draco/onis: Schlange, Drache clipeus/i: Erzschild, Medaillon tremefacio3/feci/factum: zittern machen, zum Zittern bringen pavor/oris: Angst, Furcht accingunt operis: sich ans Werk machen stuppeus3: aus Hanf funis/is: Seil, Strick, Tau minans: drohend inclutus3: berühmt, bekannt sonitum dedere: = sonuerunt instamus: nicht ablassen immemor/oris: nicht gedenkend, vergeßlich, ohne Rücksicht auf aperit ora: die Stimme erheben velo1: ver-, einhüllen, bedecken, umgeben, schmücken, verbergen frons/ndis: Laub(werk), Laubkranz, -krone polus/i: Himmel, Himmelreich conticesco3/ticui: verstummen, sich legen, still werden sopor/oris: Schlaf, Schläfrigkeit complector3/plexus sum: ergreifen, umfassen, umgeben fessus3: matt, müde, erschöpft phalanx/angis: Schlachteihe, Schlachtordnung, Phalanx flammas extulerat: Feuerzeichen geben pineus3: fichten, aus Fichtenholz furtim: heimlich, unbemerkt patefacio3M/feci/factus: zugänglich, eröffnen, aufdecken vigil/vigilis: Wächter, Polizei agmen/inis: Zug, Schar, Schwarm |