Die Auseinandersetzung zwischen Dido und Aeneas

(296) Doch die Königin ahnte die Listen (wer könnte eine Liebende täuschen?) und erriet als erste die künftigen Veränderungen, sie war vor allem, selbst dem Sicheren, in Angst [wörtl. alles, selbst das Sichere fürchtend]. Eben jene ruchlose Fama hinterbrachte der Rasenden, dass die Flotte ausgerüstet und die Abfahrt vorbereitet werde. Besinnungslos tobt sie, und leidenschaftlich entbrannt durchstreift sie die ganze Stadt wie eine Bacchantin, die von den hervorgeholten Kultgegenständen in Leidenschaft versetzt worden ist, sobald mit dem Bacchusruf die (nächtlichen) orgiastischen Feiern, die jedes dritte Jahr wiederkehren, (sie) antreiben und der Kithairon (sie) in der Nacht mit Geschrei ruft. Schließlich spricht sie von selbst Aeneas mit folgenden Worten an: "Hast du auch noch gehofft, du Treuloser, ein so großes Verbrechen verheimlichen zu können und in aller Stille [auch: heimlich] aus meinem Land fortzugehen? Hält dich weder unsere Liebe noch die einst versprochene Treue [wörtl. gegebene rechte Hand] noch der Gedanke, dass Dido eines grausamen Todes sterben wird [wörtl. Dido, die im Begriff ist/die Absicht hat …zu sterben], zurück? Ja, sogar zur Winterzeit rüstest du die Flotte und beeilst doch, mitten in den Nordstürmen über die hohe See zu fahren, du Grausamer? Was (würdest du tun), wenn du nicht fremde Gegenden und unbekannte Häuser aufsuchtest und wenn das alte Troja (noch) stünde? Würde Troja über das wogenreiche Meer mit Flotten aufgesucht werden [besser: aktiv: würdest du … aufsuchen]? Vor mir also fliehst du? Bei diesen (meinen) Tränen und deiner (mir gegebener) Rechten bitte ich dich, (weil ich mir Armen selbst nicht anderes mehr übriggelassen habe), bei unserem Ehebund, bei der begonnenen Hochzeit, wenn ich mich in irgendeiner Weise um dich verdient gemacht habe oder wenn dir von mir etwas Liebes widerfahren ist, erbarme dich des sinkenden Königshauses und gib, wenn (es) noch irgendeine Gelegenheit für Bitten (gibt), diese (deine) Absicht auf. Deinetwegen hassen (mich) die Stämme Libyens und die Herrscher der Nomaden, (sind mir) die Tyrer feindlich gesinnt; auch nur deinetwegen (ist) das Schamgefühl ausgelöscht und der frühere gute Ruf, mit dem allein ich mich den Sternen näherte. Wem (zur Beute) läßt du mich Sterbende im Stich, Gastfreund (da nur diese Bezeichnung vom Gatten übrigbleibt)?. Wozu zögere ich? Etwa bis der Bruder Pygmalion meine Mauern zerstöre oder der Gätuler larbas (mich) als Gefangene wegführe. Wenn ich wenigstens ein Kind von dir vor deiner Flucht bekommen hätte [wörtl. wenn wenigstens ein Nachkomme mir von dir … aufgehoben worden wäre], wenn mir (nur) ein kleiner Aeneas im Hof spielte, der doch dein Ebenbild wäre [wörtl. der dich dennoch mit Antlitz wiederbrächte], (dann) fürwahr würde ich mich nicht als gänzlich betrogen und verlassen betrachten."

Dies hatte sie gesprochen. Jener hielt infolge der Ermahnungen Juppiters die Augen unbewegt und unterdrückte standhaft sein Liebesleid tief im Herzen. Endlich erwidert er weniges: "Ich werde niemals leugnen, dass du, Königin, dich um sehr viele Wohltaten (mir gegenüber), die du mit Worten [wörtl. durch Sprechen] aufzuzählen vermagst, verdient gemacht hast, noch wird es mir leid tun, an Elisa zu denken, solange ich denken kann, solange ein Atem diese (meine) Glieder bewegt. Zur Sache möchte ich weniges sagen. Weder habe ich gehofft, diese (meine) Flucht heimlich zu verbergen (nimm das nicht an), noch habe ich jemals Anspruch auf eine Ehe [wörtl. die Hochzeitsfackeln eines Gemahls vor mir hergetragen] erhoben oder bin zu einem derartigen Bund gekommen. Wenn das Schicksal mich nach meinen Wünschen das Leben führen und allein die Sorgen beruhigen ließe, würde ich zuerst für die Stadt Troja und die lieben Gräber [wörtl. Überreste] der Meinen sorgen, die hohen Häuser des Priamos würden weiterbestehen, und mit eigener Hand hätte ich Pergama (als) neu erstehende (Burg) den Besiegten aufgerichtet. So aber hat mir Apollo von Gryneion, haben mir die lykischen Orakelsprüche befohlen, in das große Italien, nach Italien zu eilen; dort ist die Liebe, dort die Heimat. Wenn dich als Phönikerin die Burgen Karthagos und der Anblick der libyschen Stadt festhält, warum mißgönnst [wörtl. welchen Neid hast du] du dann den Teukrern, sich im ausonischen Land niederzulassen? Auch wird haben ein Anrecht (darauf), ein Reich in der Ferne zu suchen. Sooft die Nacht mit feuchten Schatten die Länder bedeckt, sooft sich die glühenden Sterne erheben, ermahnt und erschreckt mich im Schlaf das erregte Traumbild des Vaters Anchises. Mich (bewegt) der Knabe Ascanius und das an seinem teuren Haupt (begangene) Unrecht, den ich um die Herrschaft über Hesperien und die vom Schicksal bestimmten Gefilde bringe. Nun hat mir auch der Götterbote, der von Juppiter selbst gesandt wurde, – ich schwöre es bei (unseren) beiden Häuptern – Befehle durch die schnell dahintragenden Lüfte überbracht: ich selbst habe den Gott in hellem Licht durch die Mauern treten gesehen und seine Stimme mit meinen Ohren vernommen [wörtl. eingesaugt/getrunken] Hör’ auf, mich und dich mit deinen Klagen zu quälen. Ich suche Italien nicht freiwillig auf." Während er solches sprach, blickt sie ihn schon lange von der Seite [wörtl. als Abgewandte] an, rollt ihre Augen hierhin und dorthin und mustert ihn zur Gänze mit schweigenden Augen und spricht erregt folgendes: "Nicht hast du eine Göttin zur Mutter, und nicht ist Dardanus der Ahnherr deines Geschlechts, du Treuloser, sondern dich zeugte der von harten Felsen starrende Kaukasus, und hyrkanische Tiger haben (dir) die Zitzen gereicht [dich gesäugt]. Denn wozu verhehle ich (die Wahrheit) oder welch größerem (Unrecht) spare ich mich auf? Hat er etwa über meine Tränen geseufzt? Hat er etwa seine Augen (auf mich) hergewandt? Hat er etwa gerührt Tränen vergossen oder die Liebende bedauert? Was soll ich wem vorziehen? Nein; weder die größte Iuno noch der saturnische Vater schaut diesen Dingen mehr mit wohlwollenden Augen zu. Nirgends ist sichere Treue. Einen an die Küste Geworfenen, einen Bedürftigen habe ich aufgenommen und (ihm) töricht Anteil am Reich gegeben. Die verlorene Flotte habe ich geborgen, seine Gefährten vor dem Tod gerettet (ach, vom Wahnsinn entflammt werde ich fortgerissen!): Jetzt auf einmal (ist) es der Seher Apoll, jetzt auf einmal (sind es) die lykischen Orakelsprüche, jetzt auf einmal bringt sogar der Götterbote, der von Juppiter selbst gesandt wurde, die schrecklichen Befehle durch die Lüfte. Freilich, das ist die Aufgabe der Götter, diese Sorge stört ihre Ruhe [wörtl. die ruhigen Götter]. Weder halte ich dich, noch widerlege ich deine Worte: Geh’, fahre nach Italien mit (günstigen) Winden, suche ein Reich über den Meereswellen. Ich hoffe allerdings, wenn die gerechten Götter etwas vermögen, dass (du) mitten auf den Klippen Qualen voll auskosten und Dido reuevoll beim Namen rufen wirst. Ich werde mir mit unheilvollen Flammen folgen, auch wenn ich fern bin, und wenn (einmal) der kalte Tod die Glieder von der Seele getrennt hat, werde ich an allen Orten als Schatten anwesend sein. Du wirst, Ruchloser, Strafe büßen. Ich werde (davon) hören, und die Kunde davon wird zu mir in die tiefste Unterwelt gelangen." Mit diesen Worten bricht sei inmitten ihrer Rede ab, eilt schöpft ins Haus [wörtl. flieht die Lüfte], entzieht sich seinen Blicken und eilt davon; sie läßt ihn allein, der aus Angst zögert und sich anschickt, vieles zu sagen. Es fangen (sie) an die Dienerinnen auf und bringen die zusammengesunkenen Glieder ins Mamorgemach und legen sie auf ihr Lager. Obwohl der pflichtgetreue Aeneas die Leidende mit Trost zu beschwichtigen und mit Wirten ihre Sorgen abzuwenden wünscht, seufzt er tief [wörtl. viel] und führt dennoch, im Herzen erschüttert von großer Liebe, die Befehle der Götter aus und sieht nach der Flott.

(437) Mit solchen Worten bat (sie), und solche Tränen bringt die ärmste Schwester hin und zurück. Erläßt sich aber von keiner Träne rühren oder ist auch nicht in milder Gesinnung empfänglich für irgendwelche Worte; die Schicksalssprüche stehen entgegen, und ein Gott verschließt die sanften Ohren des Mannes. Und wie wenn die Nordstürme der Alpen untereinander streiten, durch ihr Blasen eine starke Eiche mit bejahrtem Stamm bald von hier, bald von dort auszureißen; ein Krachen geht (durch die Eiche), und hohes Laub bedeckt den Boden, nachdem der Stamm erschüttert worden ist; sie selbst haftet noch an den Felsen, und genau so weit wie sie mit dem Wipfel nach den Lüften des Äthers strebt, so weit strebt sie mit der Wurzel in den Tartarus. Nicht anders wird der Held durch andauernde Worte von allen Seiten bestürmt, und er fühlt in seinem großen Herzen deutlich den Liebeskummer, sein Geist (aber) bleibt standhaft/unbewegt, vergebliche Tränen fließen.

keine Angaben

 

 

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