Das Attentat

Ihm gefiel der listige Einfall, auch weil er durch die Zeit gefördert wurde, da er die Festtage der Quinquatrus bei/in Baiae zu besuchen pflegte. Dorthin lockte er die Mutter, wobei er immer wieder sagte, dass man die Zornausbrüche seiner Eltern zu ertragen habe und man seinen eigenen Geist besänftigen müsse, um dadurch das Gerücht einer Versöhnung zu bewirken und damit dieses auch Agrippina höre, wegen der Leichtgläubigkeit der Frauen, bei erfreulichen Dingen. Dann empfing er die Ankommende, wobei er ihr am Strand entgegenkam (den sie kam von Antium her), mit einem Händedruck und einer Umarmung und führte sie nach Bauli. Das ist der Name des Landsitzes, der zwischen dem Vorgebirge Misenum und dem See von Baiae in einer Meeresbucht liegt. Neben anderen lag ein schöner ausgestattetes Schiff, gleichsam als ob es auch zur Ehre der Mutter dienen sollte: Freilich sie war es gewohnt auf einem Dreiruderer mit einer Rudermannschaft von Marinesoldaten zu fahren. Dann war sie zur Tafel geladen, damit die Nacht für die Verheimlichung der Untat verwendet würde. Es ist einigermaßen bekannt, dass es einen Verräter gab und dass Agrippina, nachdem sie von dem Hinterhalt gehört hatte, zweifelnd ob sie das glauben sollte, in einer Sänfte nach Baiae gekommen war. Dort verminderte die Schmeichelei ihre Angst: Sie wurde freundlich empfangen und bekam einen Ehrenplatz gleich neben ihm. Denn mit immer mehr Gesprächen, bald mit jugendlicher Vertrautheit und wieder ernsthaft, als ob er ihr ernste Angelegenheiten mit ihr besprechen wollte, zog er das Gastmahl in die Länge und gab ihr beim Weggehen das Geleit, wobei er sie lange in die Augen blickte und umarmte, sei es um seine Vorstellung auf die Spitze zu treiben oder weil der letzte Blick auf seine todgeweihte Mutter seinen sonst so unmenschlichen/wilden Sinn gefangen hielt.

Eine sternenklare Nacht, die bei ruhigem Meer friedlich war, gewährten die Götter gleichsam um das Verbrechen aufzudecken. Und das Schiff war noch nicht weit gefahren, wobei zwei aus der Zahl/dem Kreis der Vertrauten Agrippina begleiteten, von denen Creperius Gallus nicht fern des Ruders stand, Acerronia über die Füße der Ruhenden gebeugt berichtete voll Freude von der Reue des Sohnes und dem wiedererlangten guten Einvernehmen mit der Mutter, als auf ein gegebenes Zeichen das Kajütendach, das mit viel Blei beschwert war, einstürzte, und Creperius wurde erdrückt und gab sofort seinen Geist auf: Agrippina und Acerronia wurden durch die in die Höhe ragenden Seitenwände des Bettes die zufällig zu stark waren, als dass sie unter der Belastung nachgaben, geschützt. Auch das Auseinanderfallen des Schiffes folgte nicht, da alle verwirrt waren und weil die meisten, die nichts wussten, auch die Mitwisser behinderten. Darauf beschlossen die Ruderer ihr Gewicht auf eine Seite zu verlagern und so das Schiff zu versenken; aber sie selbst konnten sich nicht rasch für diesen Plan einigen und andererseits stemmten sich einige dagegen und ermöglichten ein langsameres Versinken im Meer. Aber Acceronia, während sie aus Dummheit schrie, sie sei Agrippina und man solle ihr als der Mutter des Princeps zu Hilfe kommen, wurde sie sowohl mit Stangen als auch mit Rudern und mit dem Schiffsgerät, welche der Zufall darbot, erschlagen. Agrippina war still und wurde deshalb weniger beachtet (sie erlitt dennoch eine Wunde an der Schulter) gelangte schwimmend, hierauf von den entgegen fahrenden Kähnen aufgenommen in den Lucriner See und begab sich in ihr Landhaus.

sollerita/ae: Kunstfertigkeit, Geschick, Gewandtheit; hier: listiger Anschlag, listiger Einfall
quinquatrus/uum: die Quinquatrus (zwei Minervafeste)
frenquento1: zusammenbringen, versammeln, besuchen, begehen
elicio3M/licui/licitus: heraus-, hervorlocken, ver., entlocken
iracundia/ae: Zorn, Jähzorn, Heftigkeit; pl. Zornausbrüche
complexus/us: Umfassung, Umschließung, Umarmung
promonturium/i: Vorgebirge, Bergvorsprung
adluo3/lui: an-, bespülen
epulae/arum: Speisen, Gerichte, Mahlzeit, Schmaus, Essen, Mahl
proditor/oris: Verräter
insidiae/arum: Hinterhalt, Verrat, Anschlag, Attentat
sublevo1: empor-, in die Höhe heben, geringer machen, vermindern, erleichtern, fördern
blandimentum/i: Liebkosung, Schmeichelei, Reiz(mittel), Annehmlichkeit, Verlockungen
concinco3/vici/victus: widerlegen, überführen, darlegen
gubernac(u)lum/i: Steuerruder, Ruder, Lenkung, Leitung
cubo1/bui/bitum: ruhen, liegen
reclino1: zurücklehnen, -legen, anlehnen, legen
paenitentia/ae: Reue, Bedauern, reumütige Unterwerfung, Buße
paries/etis: Wand
inclino1: neigen, beugen

 

 

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