Seneca, epistulae morales 16;4-6
Es wird irgendwer sagen: "Was nützt mir die Philosophie, wenn es das Fatum gibt? Was nützt es/sie, wenn Gott der Lenker ist? Was nützt es/sie, wenn der Zufall befielt? Denn sowohl können sichere nicht verändert werden als auch nichts kann gegen unsicheres vorbereitet werden, sondern es kam entweder ein Gott meinem Plan zuvor und beschloß, was ich tun solle, oder das Schicksal gestattet meinem Plan nichts." Was immer es davon ist, Lucilius, oder wenn all das (der Fall) ist, muß man philosophieren; sei es, daß uns die Geschicke durch ihr unerbittliches Gesetz fesseln, sei es, daß ein Gott als Gebieter über das Universum alles einteilte, sei es, daß der Zufall die menschlichen Dinge ohne Ordnung antreibt und hin- und hertreibt, muß die Philosophie uns schützen. Diese wird aufmuntern, daß wir Gott gerne gehorchen, (daß wir) dem Schicksal trotzig (gehorchen); diese wird lehren, daß du Gott folgst, den Zufall erträgst. Aber man darf jetzt nicht zu dieser Diskussion übergehen, worauf wir ein Recht haben, wenn die Voraussicht an der Macht ist oder wenn die Kette des Schicksals uns Angebundene zieht oder wenn plötzliche und unerwartete Geschicke herrschen: nun kehre ich dorthin zurück, daß ich dich ermahne und aufmuntere, nicht zu erdulden, daß der Elan deiner Seele absinkt und ins Stocken zu gerät. |
rector/oris: Leiter, Lenker philosophor1: philosophieren constringo3/strinxi/strinctus: zusammenschnüren, fesseln, binden, festmachen, befestigen inexorabilis/e: unerbittlich, unversöhnlich, streng arbiter/tri: der Anwesende, Augenzeuge, Mitwisser, Lenker contumax/aciter: (Adv.) trotzig, störrisch, unbeugsam, starrköpfig providentia/ae: Voraussicht, Vorsorge, Vorsehung, Vorsicht series/acc em/abl e: Kette, Reihe, Folge, Ahnenreihe, Stamm illigo1: anbinden, anknüpfen, fesseln, ketten, verwickeln dominor1: Herr sein, gebieten, herrschen repentinus3: plötzlich, unvermutet, unerwartet subitus3: plötzlich, hastig, unerwartet refrigesco3/frixi: erkalten, kühl werden, ins Stocken geraten |