Rede vor der geheimen Versammlung der Verschwörer

Sobald Catilina gesehen hatte, daß diese, welche ich kurz vorher erwähnt habe, versammelt waren, glaubte er, obgleich er schon mit einzelnen vieles oft besprochen hatte, dennoch, daß es zweckdienlich sei, alle gemeinsam anzusprechen und aufzumuntern; er zog sich (daher) in einen abgelegenen Teil des Hauses zurück, und nachdem er dort alle Augenzeugen weit entfernen hatte lassen, hielt dort eine Rede mit folgenden Inhalt:

"Wenn eure Tapferkeit und eure Treue für mich nicht sicher wären, hätte sich umsonst eine günstige Gelegenheit ergeben; die großen Hoffnungen, die mit Händen greifbare Herrschaft, wären vergebens gewesen, und ich würde nicht durch Feiglinge und Abenteurer nach Unsicherem statt Sicherem greifen. Aber weil ich euch in vielen und großen Schwierigkeiten als tapfer und mir treu ergeben erkannte, deshalb habe ich es gewagt, die größte und schönste Tat zu unternehmen, zugleich weil ich erkannt/begriffen habe, daß dasselbe für euch gut und schlecht ist, wie für mich; denn dasselbe zu wollen, und dasselbe nicht zu wollen, das erst ist eine starke/fest Freundschaft.

Aber was ich (nun) erwogen/geplant habe, das habt ihr alles schon vorher getrennt/jeder für sich gehört. Im übrigen wird mein Geist von Tag zu Tag immer mehr erregt, wenn ich überlege, welche Lebenslage (für uns) sein wird, wenn wir uns nicht für uns die Freiheit erkämpfen. Denn seitdem die Republik in das Recht und die völlige Abhängigkeit weniger Mächtiger geraten ist, waren jenen immer Könige und Fürsten steuerpflichtig, Völker und Nationen zahlten Abgaben; wir alle, die übrigen, tüchtige gute Leute, adelige und nicht adelige Menschen sind das gemeine Volk geworden, ohne Ansehen, ohne Einfluß, denen unterwürfig, denen, wenn die Republik stark wäre, wird Angst machen würden. Daher sind alle Ehren, Macht, Würde und Reichtümer bei jenen, wo jene (es) wollen; uns haben sie Gefahren, Zurückweisungen (bei Amtsbewerbungen), Urteile und Armut zurückgelassen.

Wie lange werdet ihr das noch zulassen, o ihr tapfersten Männer? Ist es nicht besser, (durch Tapferkeit =) heldenhaft zu sterben, als ein schlechtes und entehrtes Leben, indem man fremden Hochmut zum Spott dient, in Schande zu verlieren? Aber in der Tat, bei der Treue von Göttern und Menschen, ist der Sieg in unserer Hand, die Jugend steht in Blüten, der Geist ist stark; dagegen sind bei jenen alle Kräfte durch die Jahre und Reichtümer verkalkt. Lediglich ein Anfang ist notwendig, alles übrige wird sich von selbst erledigen. Denn wer von den Sterblichen, der einen männlichen Sinn hat, kann ertragen, daß für jene Reichtum im Überfluß vorhanden ist, den sie ins Meer hinausbauend und Berge einebnend verschwenden, während uns das Geld sogar für das Notwendige fehlt? Daß jene zwei oder noch größere Häuser aneinanderreihen, für uns aber nirgends irgendein zu Hause ist? Indem sie Gemälde, Standbilder, kunstvoll ziselierte Metallgefäße kaufen, neues zerstören/niederreißen, anderes erbauen, zuletzt/kurz Geld auf alle Arten verschleudern, mißbrauchen und können sie dennoch auch mit dem größten Luxusleben ihre Reichtümer nicht klein kriegen. Aber wir haben Armut zu Hause, draußen Schulden, eine schlechte Gegenwart/Lage, eine um viel härtere Zukunft: was bleibt uns schließlich über, außer einem elenden Leben?

Ja warum wacht ihr denn nicht auf? Seht jene Freiheit, jene die ihr oft gewünscht habt, ferner liegen euch Reichtümer, Ehre und Ruhm vor den Augen; das Schicksal hat all das den Siegern als Belohnung in Aussicht gestellt. Die Lage, der Zeitpunkt, die Gefahren, die Armut und die prächtige Kriegsbeute spornen euch mehr an als meine Rede auf. Entweder einen Feldherrn oder einen Soldaten habt in mir: (weder mein Geist noch mein Körper werden euch fern sein) mit Leib und Seele werde ich bei euch sein. Alles das werde ich, so hoffe ich, mit euch als Konsul zustande bringen, wenn ich mich nicht täusche und ihr eher bereit seid zu dienen als zu herrschen.

tametsi: obschon, obgleich, indessen, jedoch
ago3/egi/actus: hier: besprechen
in rem esse: zweckdienlich sein
abditus3: verborgen, abgelegen
secedo3/cessi: beiseite-, weggehen, sich zurückziehen
arbiter/tris: Augenzeuge, Mitwisser, (Schieds)Richter
opportuna res cadit: es ergibt sich eine günstige Gelegenheit
mente agitare: erwägen, planen
adcendo3/cendi/census: anzünden, erhellen, erregen, steigern
aliquem in libertatem vindicare: für jmd. die Freiheit erkämpfen
nosmet: verstärktes nos (wir)
conditio/onis: Übereinkunft, Vertrag, Bedingung, Lage, Los, Beschaffenheit, Verhältnis
in ius atque dicionem alicuius concedere: in völlige Abhängigkeit von jemanden geraten
tetrarcha/ae: (Vier)Fürst
vectigalis/e: steuerpflichtig
strenuus3: regsam, munter, wacker, tüchtig
volgus/i: rechtloses/gemeines Volk, Masse
fomido/inis: Schrecken, Furcht, Schauer, Grausen
repulsa/ae: Zurückweisung
egestas/atis: Elend, Armut, Dürftigkeit, Mangel
patior3M/passus sum: ertragen, erleiden, erdulden, zulassen
inhonesto/are: entehren, schänden
verum enim vero: aber in der Tat
vigeo2/ui: stark, lebhaft, frisch, dynamisch, in Blüte/Ansehen stehen, herrschen
consenesco3/nui: altern, erlahmen, hier: verkalken
tantummodo: eben nur, bloß, lediglich
cetera res expediet: alles übrige wird sich von selbst erledigen
profundo3: verschwenden
mari extruere: ins Meer hinausbauen
coaequo1: gleichmachen, ebnen
bini/ae/a: je zwei, ein Paar
continuo2: anschließen, verbinden, zusammenfügen, erweitern
nusquam: nirgends, nicht vorhanden, zu nichts
lar familiaris: hier: Herd
emo3/emi/emptus: kaufen
toteuma/atis: kunstvoll ziseliertes Metallgefäß
diruo3/rui/rutus: auseinander-, niederreißen, zerstören, bankrott
nequeo/ire/ivi/itum: nicht können, nicht vermögen
foris: draußen, außerhalb, auswärts, außer Haus
expergiscor3/perrectus sum: erwachen, aufwachen
en: wohl?, denn?, siehe (da), los!
decus/oris: Ehre, Schmuck, Schönheit
praemium/i: Beutestück, Belohnung
spolium/i: Kleidungsstück, Rüstung, abgezogene Haut, Beute

 

 

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