Die Rede Catos

DIE TÖDLICHE GEFAHR ERFORDERT ENTSCHLOSSENES HANDELN (52,1-52,6)

Als Caesar seiner Rede ein Ende gemacht hat, stimmten die übrigen mit einem kurzen Wort der eine diesem, der andere jenem abwechselnd zu. M. Porcius Cato aber, nach seiner Meinung gefragt, hielt seine Rede auf ungefähr folgende Weise: "Meine Meinung ist (weitaus) ganz anders, versammelte Senatoren, wenn ich diese Sache und unsere Gefahr bedenke, wenn ich die Anträge einiger selbst bei mir erwäge. Jene scheinen mir nur theoretische Erörterungen über deren Strafe gemacht zu haben, die zu einem Krieg gegen ihr Vaterland, die ihre Eltern, gegen Altäre und Herde gerüstet haben: Aber die Sache ermahnt sich vor jenen mehr zu hüten als zu beraten, was wir gegen jene unternehmen. Denn die übrigen Verbrechen mag man dann verfolgen, sobald sie verübt wurden; wenn man keine Vorsoge trifft, damit es nicht geschieht, sobald es eintritt, wird man vergeblich die Gerichte anrufen: ist die Stadt einmal eingenommen, bleibt den Besiegten nichts zurück. Aber, bei den unsterblichen Göttern, euch rufe ich auf, die ihr immer eure Häuser, Landhäuser, Standbilder, Bilder höher eingeschätzt habt als den Staat: wenn ihr diese Zeug, von welcher Art es auch immer ist, an das ihr euch klammert, behaltet, wenn ihr euch für eure Vergnügungen Ruhe schaffen wollt, dann erwacht endlich einmal und nehmt das Staatswesen in die Hand! Es handelt sich nicht um Steuern und nicht um die Ungerechtigkeiten an den Bundesgenossen: die Freiheit und unser Leben stehen in Zweifel.

 

KEIN FALSCHES GEREDE VON MILDE UND MITLEID (52,7-52,12)

Oft, versammelte Senatoren, habe ich viele Worte in diesem Stand gemacht, oft habe ich über die Verschwendungssucht und die Habgier unserer Mitbürger geklagt, und deshalb habe ich viele Menschen als Feinde. Da ich mir gegenüber, wenn ich überlege, bei keinem Verbrechen jemals Nachsicht übte, wollte ich auch nicht leicht fremder Leidenschaft Schandtaten nachsehen. Obwohl ihr meine Worte für gering achtet, was der Staat dennoch stark gewesen, und ertrug in seiner Macht eure Vernachlässigung. Jetzt handelt es sich aber nicht darum, ob wir mit guten oder schlechten Sitten leben, und nicht wie groß oder wie prächtig die Herrschaft des römischen Volkes ist, sondern darum, wie es euch immer erscheint, ob unser Besitz uns gehören, oder mit uns dem Feind gehören wird. Da redet mir jemand von Milde und Mitleid. Schon längst haben wir doch die rechten Bezeichnungen für die Dinge verloren: Weil fremdes Gut verschenken Freigebigkeit, Verwegenheit bei schlechten Dingen Tapferkeit genannt wird, deshalb liegt der Staat in äußerster Gefahr. Mögen sie immerhin, da die Sitten nun so sind, freigiebig sein mit dem Besitz der Bundesgenossen, mögen sie Mitleid haben mit den Dieben der Staatskasse: wenn sie nur nicht unser Blut verschenken und, während sie einige Verbrecher schonen, darauf ausgehen, alle Anständigen zugrunde zu richten.

 

SCHONUNG WÜRDE DIE VERSCHWÖRER NUR ERMUTIGEN (52,13-52,18)

Schön und wohlgeordnet hat eben hier im Senat C. Caesar über Leben und Tot erörtert. Er hält, glaube ich, das, was von der Unterwelt erzählt wird, für falsch: daß die Bösen getrennt von den Guten ekelhafte, schmutzige, abscheuliche und grauenhafte Gegenden bewohnen. Daher besteht sein Antrag darin, man solle ihre Gelder beschlagnahmen, sie selbst, über die Landesstädte verteilt, in Haft halten, freilich aus Furcht, sie könnten, wenn sie aus Rom wären, entweder von den Genossen der Verschwörung oder von einer gedungenen Bande gewaltsam befreit werden, gleichsam als ob es böse und verbrecherische Menschen nur in der Hauptstadt und nicht in ganz Italien gäbe oder die Verwegenheit dort nicht mehr vermöge, wo die Mittel zu Abwehr geringer sind. Daher ist ganz gewiß dieser Vorschlag sinnlos, wenn er Gefahr bei jenen fürchtet; wenn er aber bei solchen Befürchtungen aller als einziger keine Angst hat, kommt es umso mehr darauf an, daß ich für mich und euch Angst habe. Wenn ihr daher über P. Lentulus und die übrigen eine Entscheidung trefft, so haltet es für gewiß, daß ihr gleichzeitig über das Heer Catilinas und alle Verschwörer Beschlüsse faßt. Je aufmerksamer ihr dabei handelt, umso geringer wird der Mut bei jenen sein. Wenn sie sehen, daß ihr nur ganz wenig lässig seid, werden gleich alle in ihrem Ungestüm zur Stelle sein.

 

DIE POLITIK MUSS SICH WIEDER NACH MORALISCHEN WERTEN RICHTEN (51,19-52,13)

Glaubt nicht, daß unsere Vorfahren (nur) mit Waffengewalt unseren Staat aus einem kleinen zu einem großen gemacht haben. Wenn das so wäre, hätten wir in ihm den weitaus schönsten: denn wir haben ja eine größere Menge an Bundesgenossen und Bürgern, außerdem an Waffen und Pferden als je. Doch es waren andere, die jene groß gemacht haben, die wir gar nicht haben: zu Haue Fleiß, draußen eine gerechte Herrschaft, eine bei Beratungen freie Gesinnung, weder einem Vergehen noch einer Leidenschaft verfallen. Dafür haben wir Verschwendung und Habgier, im öffentlichen Bereich Armut, im privaten Überfluß; wir preisen den Reichtum, und folgen der Armut; zwischen Guten und Schlechten gibt es keinen Unterschied, alle Belohnungen für Tüchtigkeit beansprucht der falsche Ehrgeiz. Kein Wunder: Da ihr, ein jeder getrennt, für sich einen Entschluß faßt, da ihr daheim Sklaven eurer Vergnügungen, hier eures Geldes oder Einflusses seid, deshalb kommt es, daß ein Angriff auf den herrenlosen Staat erfolgen kann.

 

DIE GEFÄHRLICHE LAGE LÄSST SICH NUR DURCH TATKRAFT MEISTERN (52,24-52,29)

Aber ich übergehen diese Dinge. Es haben sich hochadelige Bürger verschworen, das Vaterland in Brand zu stecken, sie rufen das Volk der Gallier, den Todfeind der Römer, zum Krieg herbei, der Anführer der Feinde sitzt uns mit seinem Herr im Nacken; ihr zögert auch jetzt noch und seid nicht im klaren, was ihr mit Staatsfeinden machten sollt, die ihr innerhalb der Stadtmauern ergriffen habt? Habt doch Mitleid, meine ich – vergangen haben sich ja nur (junge) unreife Menschen aus Ehrgeiz – und laßt sie auch bewaffnet laufen: daß sich nicht eure Milde und euer Mitleid, wenn jene die Waffen ergriffen haben, in Leid wandelt. Die Lage ist ernst, aber ihr fürchtet sie nicht. Aber doch sehr sogar. Aber aus Trägheit und Sanftmut wartet ihr einer auf den anderen und zögert, freilich im Vertrauen auf die unsterblichen Götter, die diesen Staat schon oft aus den größten Gefahren gerettet haben. Nicht durch Gebete und nicht durch weibisches Flehen wird die Hilfe der Götter gewonnen; sondern durch Wachsamkeit, Handeln und gute Beratung geht alles günstig aus. Sobald man sich der Sorglosigkeit und Faulheit hingibt, wird man wohl die Götter umsonst anflehen: sie sind erzürnst und abweisend.

 

GERADE DER ‚MOS MAIORUM‘ VERLANGT DAS TODESURTEIL FÜR HOCHVERRÄTER (52,30-53,1)

Zur Zeit unserer Vorfahren ließ A. Manlius Torquatus im Gallischen Krieg seinen eigenen Sohn töten, weil er gegen en Befehl mit dem Feind gekämpft hatte, und jener hervorragender junge Mann büßte für seine ungezügelte Tapferkeit mit dem Tod; ihr aber seid unentschlossen, was ihr gegen grausamste Hochverräter beschließen sollt? Freilich steht ihr übriges Leben im Widerspruch mit diesem Verbrechen. Nehmt aber Rücksicht auf die Würde des Lentulus, wenn er selbst jemals auf seine Sittsamkeit und seinen guten Ruf, auf Götter oder Menschen Rücksicht genommen hat. Verzeiht der Jugendlichkeit des Cethegus, wenn er nicht zum zweitenmal einen Krieg gegen das Vaterland geführt hat. Was soll ich denn über Gabinius, Statilius oder Caeparius sagen? Wenn sie jemals auf etwas Gewicht gelegt hätten, dann hätten sie nicht solche Pläne hinsichtlich den Staat geführt. Zum Schluß, versammelte Senatoren, wenn es noch eine Gelegenheit für einen politischen Fehler gäbe, würde ich es leicht zulassen, daß ihr durch die Tatsache selbst eines Besseren belehrt würdet, da ihr ja Worte gering achtet. Wir sind aber von allen Seiten umringt. Catilina sitzt mit seinem Heer uns an der Kehle; andere Staatsfeinde sind innerhalb der Stadtmauern und im Herzen der Stadt; nichts kann im geheimen beraten und vorbereitet werden: umso mehr tut Eile not.

Deshalb meine ich so, da durch den ruchlosen Plan verbrecherischer Bürger der Staat in größte Gefahren gekommen ist, da diese durch die Aussage des T. Volturcius und der Gesandten der Allobroger (der Schuld) überführt worden sind und gestanden haben, Mord, Brände, und andere scheußliche und grausame Taten gegenüber Mitbürgern und das Vaterland vorbereitet zu haben, soll an den Geständigen sowie an denen, die bei Kapitalverbrechen ertappt wurden, nach der Sitte der Vorfahren die Todesstrafe vollzogen werden."

Als sich Cato gesetz hat, loben alle ehemaligen Konsuln und ebenso ein Großteil des Senats seinen Antrag und heben seine entschlossene Haltung in den Himmel, doch einer beschimpft den anderen und nennt ihn ängstlich. Cato gilt als berühmt und groß; es wird ein Senatsbeschluß erstellt, wie jener beantragt hatte.

assentior4 sensus sum: zustimmen, beistimmen, beipflichten
considero1: betrachten, überlegen, bedenken, besichtigen
reputo1: berechnen, überlegen, bedenken, erwägen
evenio4/veni/ventus: heraus- hervorkommen, sich ereignen
plus facere: für wichtiger einschätzen
amplexor1: umarmen, festhalten
voluptas/atis: Vergnügen, Lust, Sinnengenuß
expergiscor3/perrectus sum: erwachen, aufwachen
capesso3: hier: in die Hand nehmen
vectigal/alis: Wegegeld, Steuer; Abgabe















saepenumero: oftmals, gar häufig
condono1: verschenken, schenken, hinzugeben, verzeihen
tametsi: obschon, obgleich, indessen, jedoch
pendeo2/pependi: hängen, schweben, schwanken
opulentia/ae: Macht, Reichtum
neglegentia/ae: Nachlässigkeit, Vernachlässigung
mansuetudo/inis: Zahmehit, Milde, Sanftmut
misericordia/ae: Mitleid, Anteilnahme
pridem: (schon) längst, vor langer Zeit
vocabulum/i: Benennung, Bezeichnung, Wort
liberalitas/atis: edle Gesinnung, Güte, Freigebigkeit, Geschenk
aerarium/i: Staatskasse, Schatzkammer







foedus3: häßlich, abstoßend, grausig, scheußlich, abscheulich
incultus3: schmucklos, ungepflegt, verwildert, ungeachtet
taeter/tra/trum: häßlich, garstig, ekelhaft
formidulosus3 = formidolosus3: furchterregend, schrecklich
vide-licet: offenbar, sicherlich, natürlich (iron.), nämlich (erkl.)
popularis/is: Komplize, Genosse
















obnoxius3: straffällig, unterworfen, verpflichtet, ausgesetzt
opulentia/ae: Reichtum, Macht, Wohlstand im Überfluß‘
voluptas/atis: Vergnügen, Lust, Lüste, Wollust


















omitto3/misi/missus: wegwerfen, unterlassen, aufgeben
supra caput esse: im Nacken sitzen
deprendo3/di/sus: auffangen, aufgreifen, ergreifen
misereor2/eritus sum: Mitleid fühlen, sich erbarmen
immo vero: ganz im Gegenteil
socordia/ae: Beschränktheit, Dummheit, Sorglosigkeit, Untätigkeit














parricida/ae: Mörder, Hochverräter, Verbrecher
pudicitia/ae: züchtiges Betragen, Sittsamkeit, Schamhaftigkeit
mehercule(s): beim Herkules!, bei Gott!, wahrhaftig!, fürwahr!
sinus/us: Krümmung, Biegung; hier: Herz

 

 

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