Sallusts Entscheidung für die Geschichtsschreibung

Aber bei der großen Fülle von Möglichkeiten zeigt die Natur jeden einen anderen Weg. Es ist schön für den Staat Gutes zu leisten, es ist auch nicht sinnlos ein guter Redner zu sein; entweder im Frieden oder im Krieg, kann man berühmt werden; sowohl die, die Taten vollbracht haben, als auch die, die die Taten anderer niedergeschrieben haben, werden in großer Zahl gepriesen. Und obwohl keineswegs die gleiche Ehre dem Geschichtsschreiber und dem der die Tat vollbracht hat zu Teil wird, erscheint es mir besonders schwierig, Taten niederzuschreiben: erstens, weil man die Taten in angemessener Form darstellen muß; ferner, weil die meisten glauben, daß das, was man als Fehler tadelt, aus Mißgunst und Neid gesagt wurde, sobald man eine große Leistung und eine Ruhmestat tüchtiger Männer erwähnt, nimmt jeder mit Gleichgültigkeit hin, was er für sich leicht zu tun glaubt; was darüber hinausgeht, hält er wie Erdichtetes für falsch. Ich wurde nun als ganz Mann vom Anfang an wie die meisten von meiner Leidenschaft zur Politik hingezogen, und dort war mir vieles widerwärtig. Aber anstelle von Anstand/Ehrgefühl, von Uneigennüzigkeit, Zurückhaltung und Tugend herrschten Verwegenheit/Frechheit, Bestechlichkeit und Habsucht. Obwohl mein Sinn diese Dinge verachtete, da ich üble Praktiken nicht gewöhnt war, wurde doch meine noch nicht gefestigte Jugend die von Ehrgeiz verdorben war, inmitten so großer Laster festgehalten. Und obwohl ich mit den schlechten Sitten der anderen/übrigen nicht übereinstimmte, verfolgte mich nichtsdestoweniger (die Ehrsucht) mein Ehrgeiz mit derselben schlechten Nachrede und demselben Neid wie die anderen/übrigen.

Sobald daher ich (= mein Geist) nach vielen Leiden und Gefahren zur Ruhe gekommen war, und ich beschlossen hatte, den Rest meines Lebens fern von der Politik zu verbringen, was es nicht meine Absicht, wertvolle Zeit gedankenlos und faul zu vertrödeln, aber auch nicht, indem ich mich dem Ackerbau und der Jagd widme, da dies Sklavenarbeiten sind, mein Leben zu verbringen; aber von welchem Beginnen und Interesse mich mein flascher Ehrgeiz abgehalten hatte, dorthin kehrte ich zurück, und beschloß, die (vollbrachten) Taten des römischen Volkes in Auswahl (sorgfältig) niederzuschreiben, so wie eine jede einer (Erinnerung) Überlieferung würdig schien, und das umso mehr, weil ich (= mein Geist) frei von Hoffnung, Angst und Parteileidenschaft bin.

absurdus3: ungeschickt, mißtönend, unbrauchbar
haudququam
: keineswegs
etsi; tametsi; etiamsi: obwohl
par = paris: gleich
exaequo1: die Taten in angemessener From darstellen
dein = deinde: von da an
delictum/i: Fehler, Vergehen
repre(he)ndo3/di/(he)nsus: zurück-, festhalten, tadeln, rügen
male(i)volentia/ae: Übelwollen, Haß, Abneigung
velut(i): (gleich)wie
pudor/oris: Ehrfurcht, Scham, Anstand
abstinentia/ae: Enthaltsamkeit
audacia/ae: Waghalsigkeit, Verwegenheit, Frechheit
largitio/onis: Freigebigkeit, Bestechung, Spende
avaritia/ae: Geiz, Habgier, -sucht
vigeo2: vorherrschen, blühen
insolens/ntis: nicht gewöhnt (an etwas)
aspernor1: zurück-, abweisen, sich weigern
malae artes: üble Praktieren
imbecillus = inbecillus3: schwach, krank
ambitio/onis: Ehrfurcht, Aufzug, Prunkt, Parteilichkeit
dissentio4/sensi/sensus: anderer Meinung sein, uneinig sein
requiesco3/evi/etus: zur Ruhe kommen, sich erholen
intentus3: rastlos, (an)gespannt, eifrig, schlagfertig, aufmerksam
detineo2/tinui/tentus: zurück-, fest-, aufhalten, beschäftigen
carptim adv. : in Auswahl, stückweise, vereinzelt

 

 

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