Philemon und Baucis

Der Fluss schwieg nach diesen Worten. Das wunderbare Ereignis hatte alle bewegt: Der Sohn des Ixion verlacht die, die (daran) glauben, und da er Verächter der Götter und wild in seinem Sinn war, sagte er: „Erdichtetes berichtest du und glaubst, Archelous, die Götter seien allzu mächtig, wenn (du glaubst,) sie nähmen Gestalten an und legten sie (wieder) ab.“

Alle entsetzten sich und missbilligten solche Worte, und vor allen (anderen) sprach Lelex, gereift in Sinn und Alter, folgendes [wörtl.: so]: „Unermesslich ist die Macht des Himmels und hat keine Grenze, und alles, was die Götter gewollt haben, ist noch immer ausgeführt worden, und damit du weniger zweifelst: Es gibt eine Eiche, benachbart einer Linde, auf den Hügeln Phrygiens, von mittelhoher Mauer umgeben. (622) Ich habe den Ort selbst gesehen: Denn mich sandte Pittheus ins Land [wörtl.: auf den Fluren] des Pelops, das einst von seinem Vater beherrscht wurde. Nicht weit von dort ist ein Teich, ehedem bewohnbares Land, nun (sind) die Wellen bevölkert von Tauchern und Wasser­hühnern, die im Sumpf leben.

Hierher kam Iuppiter in Menschengestalt und mit dem Vater der Enkel des Atlas, der Stabträger ohne Flügelschuhe. (628) Tausend Häusern hatten sie sich genähert, um einen Platz zum Ausruhen zu erbitten, tausend Häuser verschlossen ihre Türriegel. Dennoch nahm sie eines auf, ein zwar kleines, (das) mit Strohhalmen und Schilfrohr aus dem Sumpf gedeckt (war), aber die fromme Greisin Baucis und der gleichaltrige Philemon waren in jener Hütte in jugendlichen Jahren vermählt worden, in jener wurden sie gemeinsam alt und machten sich dadurch die Armut leicht, dass sie sie offen eingestanden und gleichmütig ertrugen. (635) Auch kommt es nicht darauf an, ob man dort nach den Herren oder Dienern fragt: Das ganze Hauswesen sind die zwei, die gleichen befehlen und gehorchen.

Sobald also die Himmelsbewohner die kleinen Penaten erreicht hatten und gebückten Hauptes durch die niedrige Tür eingetreten waren, hieß (sie) der Alte die Glieder auf einer: hingestellten Sitzbank ausruhen, über die die geschäftige Baucis ein grobes Gewebe darübergeworfen hatte; (641) und auf dem Herd schob sie die (noch) warme Asche auseinander und weckt das Feuer von gestern und nährt es mit Laub und trockener Rinde, entfacht es mit ihrem altersschwachen Atem zu (hellen) Flammen; kleingespaltenes Kienholz und trockenes Reisig holte sie vom Dachboden herab und zerkleinerte es (noch) und legte es unter [wörtl.: näherte es dem] den kleinen Kessel und entblättert den Kohl, den ihr Mann im bewässerten Garten zusammengesucht hatte; sie hebt mit einer zweizinkigen Gabel das rauchgeschwärzte Rückenstück eines Schweins herunter, das am schwarzen Balken hing, und schneidet vom lang aufbewahrten Rücken ein kleines Stück ab und kocht das Abgeschnittene in wallendem Wasser weich.

(651) Unterdessen verkürzen sie [wörtl.: täuschen sie] (ihnen) die Zwischenzeit mit Gesprächen und schütteln den Polster aus zartem Schilfgras vom Fluss auf, der aufs Bett gelegt war, das ein Gestell und Füße aus Weidenholz hatte [wörtl.: von einem weidenen Gestell und weidenen Füßen]. (657) Diesen hüllen sie in Decken, die sie nur zur Festzeit aufzubreiten pflegten. Aber auch diese Decke war billig und alt, über die sich das Bett aus Weidenholz nicht zu entrüsten brauchte. Die Götter legten sich zu Tisch. Aufgeschürzt und zitternd stellt die Alte den Tisch hin, aber der dritte Fuß des Tisches war zu kurz [wörtl.: ungleich]; eine Scherbe machte ihn gleich lang; nachdem diese darunter gelegt worden war und die Neigung beseitigt hatte, wischte grüne Minze den gerade gestellten (Tisch) ab. (664) Nun werden die zweifarbige Olive der reinen Minerva aufgetischt und herbstliche Kornelkirschen, die in klarer Hefe eingelegt waren, und Endivien und Rettich und Klumpen geronnener Milch und Eier, die in nicht glühender Asche leicht hin- und hergewendet worden waren, alles (war) in Tongeschirr. Danach werden der ziselierte Mischkrug aus dem gleichen ‚Silber’ und Becher aufgetragen, die aus Buchenholz hergestellt und auf der Innenseite mit gelbem Wachs bestrichen sind. (671) Bald darauf sandte der Herd die heißen Gerichte, und wiederum wird abgetragen der Wein von nicht hohem Alter und macht, etwas beiseite geschoben, Platz für den Nachtisch. Da gibt es eine Nuss, da eine Feige, mit runzeligen Datteln vermischt, Pflaumen und duftende Apfel in offenen Körbchen und Trauben, die von purpurroten Weinstöcken gelesen sind. (677) In der Mitte liegt [wörtl.: ist] eine glänzende Honigwabe; zu alledem kamen freundliche Gesichter dazu und eine diensteifrige und reichliche Willigkeit.

Inzwischen sehen sie, dass sich der so oft ausgeschöpfte Mischkrug von selbst und von sich aus nachfüllt und der Wein nachfließt: Bestürzt von dem noch nie Dagewesenen, haben sie Angst, und mit erhobenen Händen sprechen Baucis und Philemon ängstlich ein Gebet und bitten um Nachsicht wegen des dürftigen Mahles und des Mangels an Ausstattung [wörtl.: wegen keiner Ausstattung]. (684) Eine einzige Gans war da, die Wächterin des winzigen Hauses; die Hausherren wollten sich nun anschicken, diese den göttlichen Gästen zu schlachten. Jene ermüdet mit raschem Flügelschlag [wörtl: schnell mit dem Flügel] die infolge ihres Alters langsamen Leute und hält sie zum besten und schien endlich zu den Göttern selbst Zuflucht zu nehmen. Die Götter verboten, sie zu schlachten, und sagten: „Götter sind wir, und die ruchlose Nachbarschaft wird ihre verdiente Strafe büßen; euch wird vergönnt sein, frei von diesem Unheil zu sein. Verlasst nur euer Haus, (692) begleitet unsere Schritte und geht mit uns [wörtl.: zugleich] auf die Höhe des Berges!“ Beide gehorchen, und gestützt auf den Stock [eigentlich Plural], bemühen sie sich, den leicht ansteigenden Hang emporzuklimmen [wörtl.: Schritte zu setzen].

Sie waren so weit vom Gipfel (des Hügels) entfernt, wie ein einmal abgeschossener Pfeil fliegen [wörtl.: gehen] kann: Sie wandten ihre Augen zurück und erblicken vor sich, (wie) alles übrige im Sumpf versunken (ist), (aber) nur ihr Haus stehen blieb. (698) Und während sie darüber staunen, (und) während sie das Unglück der Ihren beweinen, verwandelt sich jene alte Hütte, selbst zu klein für zwei Bewohner, in einen Tempel - an die Stelle der Dachstützen traten Säulen, das Strohdach wird goldgelb -, man sieht ein vergoldetes Dach, ziselierte Türflügel und einen Boden, der mit Marmor bedeckt ist. (703) Dann sprach der Sohn des Saturn solche (Worte) mit gütigem Mund: „Sagt, redlicher Alter, und du, des redlichen Gatten würdige Frau, was ihr wünscht!“ Mit Baucis bespricht sich Philemon nur kurz und teilt den Göttern die gemeinsame Entscheidung mit: „Priester zu sein und euren Tempel zu hüten, erbitten wir; und da wir in Eintracht die Jahre verbracht haben, (709) möge uns die gleiche Todesstunde hinwegraffen, damit ich niemals die Grabstätte meiner Gattin sehe, noch von ihrer Hand bestattet werden muss!“

Dem Wunsch folgt die Erfüllung: Sie waren die Hüter des Tempels, solange (ihnen) das Leben gewährt war; als sie, von Jahren und Alter geschwächt, (einmal) zufällig vor den heiligen Stufen standen und das Schicksal des Ortes erzählten, sah Baucis, dass Philemon [von Laub bedeckt war], (und) der alte Philemon, dass Baucis mit Laub bedeckt war. (716) Und als schon über beider Antlitz ein Wipfel wuchs, tauschten/erwiderten sie, solange es möglich war, Worte und sagten zugleich: „Leb wohl, Gemahl!“, zugleich bedeckte und verbarg das Geäst ihre Münder. Jetzt noch zeigt der Bewohner Thyniens dort nebeneinander stehende Baumstämme, die aus den beiden Leibern entstanden sind.“

keine Angaben

 

 

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