Arion
Welches Meer kennt nicht, welches Land weiß nichts von Arion? Jener hielt durch ein Lied die fließenden Wasser an; oft wurde der Wolf, ein Schaf verfolgend, von seiner Stimme zurückgehalten, und oft blieb das Lamm, vor dem gefräßigen Wolf fliehend, stehen; oft lagen Hunde und Hasen gemeinsam im Schatten, und die Hirschkuh stand auf einem Felsen nahe bei der Löwin; und der geschwätzige Rabe saß ohne Streit neben dem Steinkauz der Athene und vereint war die Taube mit dem Habicht. Artemis soll oft über deine Weisen, liederreicher Arion, so Abstand wie über die des Bruders, gestaunt haben. Der Namen des Arion hatte sizilische Städte erfüllt und die Ausonische Küste (=Süditalien) war durch seine lyrischen Klänge gefangen gewesen. Von hier bestieg Arion, nach Hause strebend, ein Schiff, und führte so die durch seine Kunst erworbenen Schätze mit sich. Vielleicht fürchtetest du, Unglücklicher, Winde und Wellen: aber das Meer war dir sicherer als dein Schiff. Denn der Steuermann stand da mit gezückten Schwert, und (mit ihm) die übrige mitwissende Schar mit bewaffneter Hand. "Was willst du mit dem Schwert? Lenke das schwankende Schiff, Seemann! Deine Finger dürfen nicht diese Waffen halten!", Jener sagte frei von Furcht, "ich will den Tod nicht durch Bitten abwenden, aber es möge mir erlaubt sein, (euch) ein wenig auf der genommenen Leier vorzutragen." Sie gaben ihm die Erlaubnis und lachten über die Verzögerung. Jener ergreift den Kranz, der dein Haar, o Phoebus (Apoll), schmücken könnte; er zog den durch den Saft der Purpurschnecke zweimal gefärbten Mantel an, und die durch den Daumen geschlagene Saite, gab ihre Klänge von sich, gleichwie der Schwan, dessen weiß schimmernde Brust von harten Pfeilen durchbohrt ist, weinende Weisen singt. Vorwärts stürzt er sich mit dem Schmuck mitten in die Wellen, und das blaue Schiff wurde durch das aufgewühlte Wasser, angespritzt. Hierauf - unglaublich erinnert man sich, daß ein Delphin die neue Last auf seinen gekrümmten Rücken genommen hat. Jener saß und hielt die Leier und sang als Preis für die Fahrt und durch das Lied besänftigte er die Meerwasser. Die Götter sahen die gute(n) Tat(en): Juppiter nahm den Delphin unter den Gestirnen auf und befahl, daß er neun Sterne hat. |
tellus/uris: Erde, Land, Boden agna/ae: Lamm cerva/ae: Hirschkuh lea/ae: Löwin avidus3: gefräßig, be-, gierig, begehrend cubo1/bui/bitum: liegen, ruhend cornix/icis: Krähe ales/itis: Vogel lis/litis: Streit accipiter/tris: Habicht vocalis/e: liederreich, tönend tamquam = tanquam: sowie, als wie, gleich wie, wie obstupesco3/pui: erstarren, erstaunen, betäubt werden impleo3/plevi/pletus: voll-, anfüllen, sättigen, erfüllen sonus/i: Laut, Klang, Wort, Stimme Ausonia ora: dichterische Bezeichnung für Süditalien lyricus3: lyrisch repeto3/ivi/itus: sich einer Sache zuwenden, zurückgehen conscendo3/scendi/scensus: besteigen, an Bord gehen forsitan = fors sit, an: vielleicht aequor/oris: Ebene, Wasserfläche = Meerwasser, Meer namque = nam: denn, nämlich gubernator/oris: Steuermann destringo3/strinxi/strictus: ab-streifen, zücken, ziehen, ritzen conscius3: mitwissend, eingeweiht, Mitwisser, Vertrauter quid tibi: was willst du dubius3: schwanken rego3/rexi/rectus: lenken, leiten navita/ae = nauta/ae: Seemann sumo3/sumpsi/sumptus: nehmen, gebrauchen, verwenden mora/ae: Verzögerung crinis/is: Haar deceo2/cui: schmücken, zieren induo3/dui/dutus: anziehen palla/ae: Obergewand, Mantel murex/icis: Schnecke tinctus3: gefärbt polex/icis: Daumen chorda/ae: Saite flebilis/e: weinend, klagend numerus/i: Takt, Melodie, Lied canens/ntis: weiß schimmernd veluti: wie, gleichwie, gleichsam olor/oris: Schwan protinus = protenus: vorwärts, unverzüglich, sofort, beständig ornatus/us: Schmuck, Kleidung desilio4/silui: herabspringen, sich stürzen spargo3/sparsi/sparsus: spritzen, be-, zer-, streuen, auswerfen impello3/puli/pulsus: schlagen, erschüttern, antreiben, bewegen fide maius: unglaublich recurvus3: zurückgebogen aequoreus3: Meer-, mulceo2/mulsi : besänftigen stella/ae: Stern, Gestirn |