Arion
Ovid, fasti II, 83-118

Welches Meer kennt nicht, welches Land weiß nichts von Arion? Jener hielt durch ein Lied die fließenden Wasser an; oft wurde der Wolf, ein Schaf verfolgend, von seiner Stimme zurückgehalten, und oft blieb das Lamm, vor dem gefräßigen Wolf fliehend, stehen; oft lagen Hunde und Hasen gemeinsam im Schatten, und die Hirschkuh stand auf einem Felsen nahe bei der Löwin; und der geschwätzige Rabe saß ohne Streit neben dem Steinkauz der Athene und vereint war die Taube mit dem Habicht. Artemis soll oft über deine Weisen, liederreicher Arion, so Abstand wie über die des Bruders, gestaunt haben. Der Namen des Arion hatte sizilische Städte erfüllt und die Ausonische Küste (=Süditalien) war durch seine lyrischen Klänge gefangen gewesen. Von hier bestieg Arion, nach Hause strebend, ein Schiff, und führte so die durch seine Kunst erworbenen Schätze mit sich. Vielleicht fürchtetest du, Unglücklicher, Winde und Wellen: aber das Meer war dir sicherer als dein Schiff. Denn der Steuermann stand da mit gezückten Schwert, und (mit ihm) die übrige mitwissende Schar mit bewaffneter Hand. "Was willst du mit dem Schwert? Lenke das schwankende Schiff, Seemann! Deine Finger dürfen nicht diese Waffen halten!", Jener sagte frei von Furcht, "ich will den Tod nicht durch Bitten abwenden, aber es möge mir erlaubt sein, (euch) ein wenig auf der genommenen Leier vorzutragen." Sie gaben ihm die Erlaubnis und lachten über die Verzögerung. Jener ergreift den Kranz, der dein Haar, o Phoebus (Apoll), schmücken könnte; er zog den durch den Saft der Purpurschnecke zweimal gefärbten Mantel an, und die durch den Daumen geschlagene Saite, gab ihre Klänge von sich, gleichwie der Schwan, dessen weiß schimmernde Brust von harten Pfeilen durchbohrt ist, weinende Weisen singt. Vorwärts stürzt er sich mit dem Schmuck mitten in die Wellen, und das blaue Schiff wurde durch das aufgewühlte Wasser, angespritzt. Hierauf - unglaublich – erinnert man sich, daß ein Delphin die neue Last auf seinen gekrümmten Rücken genommen hat. Jener saß und hielt die Leier und sang als Preis für die Fahrt und durch das Lied besänftigte er die Meerwasser. Die Götter sahen die gute(n) Tat(en): Juppiter nahm den Delphin unter den Gestirnen auf und befahl, daß er neun Sterne hat.

tellus/uris: Erde, Land, Boden
agna/ae: Lamm
cerva/ae: Hirschkuh
lea/ae: Löwin
avidus3: gefräßig, be-, gierig, begehrend
cubo1/bui/bitum: liegen, ruhend
cornix/icis: Krähe
ales/itis: Vogel
lis/litis: Streit
accipiter/tris: Habicht
vocalis/e: liederreich, tönend
tamquam = tanquam: sowie, als wie, gleich wie, wie
obstupesco3/pui: erstarren, erstaunen, betäubt werden
impleo3/plevi/pletus: voll-, anfüllen, sättigen, erfüllen
sonus/i: Laut, Klang, Wort, Stimme
Ausonia ora: dichterische Bezeichnung für Süditalien
lyricus3: lyrisch
repeto3/ivi/itus: sich einer Sache zuwenden, zurückgehen
conscendo3/scendi/scensus: besteigen, an Bord gehen
forsitan = fors sit, an: vielleicht
aequor/oris: Ebene, Wasserfläche = Meerwasser, Meer
namque = nam: denn, nämlich
gubernator/oris: Steuermann
destringo3/strinxi/strictus: ab-streifen, zücken, ziehen, ritzen
conscius3: mitwissend, eingeweiht, Mitwisser, Vertrauter
quid tibi: was willst du
dubius3: schwanken
rego3/rexi/rectus: lenken, leiten
navita/ae = nauta/ae: Seemann
sumo3/sumpsi/sumptus: nehmen, gebrauchen, verwenden
mora/ae: Verzögerung
crinis/is: Haar
deceo2/cui: schmücken, zieren
induo3/dui/dutus: anziehen
palla/ae: Obergewand, Mantel
murex/icis: Schnecke
tinctus3: gefärbt
polex/icis: Daumen
chorda/ae: Saite
flebilis/e: weinend, klagend
numerus/i: Takt, Melodie, Lied
canens/ntis: weiß schimmernd
veluti: wie, gleichwie, gleichsam
olor/oris: Schwan
protinus = protenus: vorwärts, unverzüglich, sofort, beständig
ornatus/us: Schmuck, Kleidung
desilio4/silui: herabspringen, sich stürzen
spargo3/sparsi/sparsus: spritzen, be-, zer-, streuen, auswerfen
impello3/puli/pulsus: schlagen, erschüttern, antreiben, bewegen
fide maius: unglaublich
recurvus3: zurückgebogen
aequoreus3: Meer-,
mulceo2/mulsi : besänftigen
stella/ae: Stern, Gestirn

 

Hosted by www.Geocities.ws

1