|
HOME |
Die
einstige deutsche Kolonie in Zarev Brod bei Schumen Kersten, Sandra/Schenke, M. Frank (Hg.): Spiegelungen. Entwürfe zu Identität und Alterität. Festschrift für Elke Mehnert. Berlin: Franke & Timme, 2005. S.269ff. ... Bildmaterial siehe bulgarische Variante) Einleitung
Während
ihrer Reise durch Bulgarien stießen um das Jahr 1930 etwa zehn sächsische
Pfadfinder auf ein Dorf, das sie sehr bemerkenswert fanden und deshalb in ihren
1931 erschienenen Reisenotizen besonders ausführlich beschrieben:
Endje oder
Zarev Brod
bei Schumen[1].
Der Grund dafür ist die in diesem Dorf befindliche, wohl einzige geschlossene
Kolonie von Auslandsdeutschen zu jener Zeit in Bulgarien[2]. Zusammenhängende
Veröffentlichungen zum Thema „Deutsche in Bulgarien“ waren bisher nicht
aufzufinden, in den meisten Veröffentlichungen über die Auslandsdeutschen
werden die bulgarischen Deutschen bis auf wenige Ausnahmen überhaupt nicht erwähnt.
Das hat sicher seine Ursache darin, dass die deutschen Siedler in Bulgarien eine
sekundäre Migration darstellen, denn sie sind nicht direkt aus Deutschland
hierher umgesiedelt. Zudem war ihre Kolonie mit ca. 50 bis 70 Familien zahlenmäßig
sehr gering und mit ca. 40-45 Jahren Dauer historisch relativ kurz. Der
Versuch einer zusammenfassenden Darstellung wurde
mit einem Schulprojekt einer Klasse 11 des
Fremdsprachengymnasiums „Joan Ekzarh“ im Jahre 2003
in Form einer Dokumentationsmappe[3]
und eines Dokumentarfilms unternommen, wobei zwei Kapitel aus Chroniken/Büchern,
drei Stunden Zeitzeugeninterviews und Außenaufnahmen auf Videoband, drei
Stunden Aufnahmen auf Audiokassetten, 34 Archivdokumente, ca. 50 historische
Fotos und 20 eigene Fotos vom Dorf und seinem Friedhof auszuwerten waren. Hier
soll nun ein Überblick
über die Ergebnisse erfolgen:
Die Darstellung geht
dabei den Fragen nach, wann und warum Deutsche nach Bulgarien gekommen sind,
woher sie kamen, wie sie ihre Leben in Bulgarien eingerichtet haben, wie ihr
privater, ihr religiöser Alltag und ihre Wirtschaft aussahen, wie sie mit
anderen Nationalitäten zusammengelebt haben, wie die Kolonie der Deutschen ihr
Ende gefunden hat und was heute noch an den Orten ihres früheren Lebens zu
finden ist. Gegen
Ende des 19. Jahrhunderts siedelten sich einige deutsche Familien in Bulgarien
an. Nach Trifon Panajotov[4]
(S. 36) sind die ersten deutschen Siedler aus dem Dorf Valilej in Rumänien
nach Bulgarien gekommen: Ihr erster Weg führte sie zunächst ins bulgarische
Dorf Gostilija (b. Orjachovo/Donau), wo sie aber kein Land kaufen konnten. Nachdem
sie erfuhren, dass aus Endje (seit 1937 Zarev Brod) Türken emigrieren und ihr
Land sehr billig verkauften, wechselten sie den Ort ihrer Niederlassung. Hier in
Endje hat Panajotov zufolge der deutsche Priester Franz
Krings im Jahre 1899 die erste Taufe eines deutschen Kindes durchgeführt[5]. Die Einwanderung der Deutschen selbst ist bisher noch nicht dokumentarische nachgewiesen. Der Ortschronist Panajotov sowie Schwester Stanislava im Herz-Jesu-Kloster zu Zarev Brod vertreten die Auffassung, der bulgarische König Ferdinand habe die Deutschen aus Österreich-Ungarn (Banat) Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts selbst nach Bulgarien eingeladen und ihnen 3 ha Acker sowie 2000 qm Hof versprochen[6]. Petar Hummel, eine in Schumen lebender Nachkomme Deutscher aus Zarev Brod, konnte beim Interview den Zeitpunkt und die genauen Gründe und Bedingungen für die Wanderung seiner Vorfahren nicht nennen; bekannt ist aber, dass sein aus Russland eingewanderter Großvater um 1900 hier Land gekauft hat, weil es sich um fruchtbare Erde gehandelt habe.[7] Die
deutschen Einwanderer stammen aus drei Ländern: aus Russland, aus Rumänien und
aus Österreich-Ungarn. Am deutlichsten belegen dies die auf dem Friedhof von
Zarev Brod befindlichen Grabsteine mit den angegebenen Geburtsorten der
Verstorbenen die Herkunft einiger Deutscher. Danach stammen die aus Russland
Eingewanderten aus dem Schwarzmeergebiet um Odessa:
Die Herkunft der Familie Hummel lässt sich anhand des Grabsteines
von Franz Josef Hummel (1866 - 1938) mit dem Geburtsort „Karlsruhe
(Russland)“ nachweisen, ein weiterer Grabstein
von Adam Nikol(ai) verweist auf
den Ort Halbstadt im Odessaer Gebiet. Aus Ungarn stammt die Familie Hiller: der Grabstein
von Rosalia Hiller nennt den Geburtsort Fegyvernek
in Ungarn. Nach Panajotov siedeln auch Deutsche aus dem Banat nach Zarev
Brod: aus Vojteg, Margit Falva, Katerin Falva und Novi Sad. Die bereits erwähnten
Deutschen aus Valilej/Rumänien hatten ursprünglich in Russland gelebt.
Die Wanderungsbewegungen der Deutschen in Südosteuropa im 19. Jh. hängen offensichtlich mit der Politik und der Wirtschaft der Großmächte zusammen, vor allem mit der Zurückdrängung des osmanischen Machtbereiches zugunsten des Einflusses Österreich-Ungarns und Russlands auf dem Balkan. Die Ursache für die Emigration der Deutschen aus Russland, Rumänien und Ungarn liegt in der Verschlechterung ihrer Situation dort: der allmähliche Verlust der Privilegien in Russland[8], die zunehmende „Magyarisierung“ in Ungarn[9] sowie Konflikte mit der einheimischen Bevölkerung in Rumänien[10]. So siedelten noch vor dem Ersten Weltkrieg Deutsche massenhaft, d. h. ca. 300 000 Menschen, von Russland nach Süd- und Nordamerika über[11], wo sie teils Orte mit den Namen ihrer Heimatdörfer in Russland gründeten – mit den Namen der Heimatstädte ihrer fernen Vorfahren aus Deutschland: Karlsruhe, Halbstadt usw. Hier könnte die Hypothese aufgestellt werden, dass die nach Endje gesiedelten Deutschen möglicherweise nicht begütert genug oder nicht zureichend gesund waren, dass sie den Ozean hätten überqueren können. Die genauen Gründe für die Ansiedlung der Deutschen in Endje und die eventuell garantierten Privilegien durch König Ferdinand sind bislang dokumentarisch nachgewiesen.
Die in Endje lebenden Deutschen waren bulgarische Staatsbürger. Im Konzept zu einem Brief an das bulgarische Bildungsministerium schreibt eine deutsche Lehrerin und Ordensschwester im Jahre 1922: Das
Dorf Endje wird von etwa 50 deutschsprechenden kath. Familien bewohnt, die
bulgarische Staatsang. sind. (Archivdokument:
fond355k/opis1/arch. ed4)[12]
Die
Tatsache, dass außer
den Deutschen in Endje
auch noch
andere Nationalitäten siedeln, u.
a. in den
bereits erwähnten
Reisenotizen der sächsischen Pfadfinder dokumentiert:
Endje
ist sicher das merkwürdigste Dorf in ganz Bulgarien. Außer den etwa 50
deutschen Familien wohnen da noch Bulgaren, Tataren, Türken, Russen, Ungarn,
Mazedonier, Albanesen und Armenier. Endje kann ich vielleicht ein
‚internationales’ Dorf nennen. Und trotz dieser Vielfalt von Rassen ist es
eine friedliche Gemeinde.[13]
Die Angaben der Nationalitäten schwanken in der
Literatur zwischen 9 und 13. In
den ersten Jahren nach ihrer Ansiedlung kauften die Deutschen Häuser von den Türken
und Tataren, die in jener Zeit das Gebiet verließen. Später bauten sie ihr
eigenes Viertel in der Nähe des katholischen Klosters[14].
Die deutschen Pfadfinder schreiben:
Aus
dem endlosen Grün leuchten weißgetünchte Häuser vor uns auf, schöne große
Bauernhäuser mit Giebeldächern, die wir in Bulgarien auf dem Lande so selten
fanden. Wir wissen: hier haben Deutsche gebaut![15]
Die
Einwohner Zarev Brods
heben auch
heute die
solide Bauweise
der deutschen
Häuser hervor. In
den verschiedenen
Quellen wird der
Alltag der
Deutschen beschrieben, wobei
immer die
strenge Disziplin und die
Erhaltung der deutschen Lebensweise Erwähnung finden. Als spezifisch für die
Deutschen werden benannt: -
die Reinheit
der Kleidung:
man trägt
weiße Hemden,
gestärkt, gebügelt mit besonders
sorgfältig bearbeiteten
Kragen. Die Stärke
stellten die
Deutschen aus
Kartoffeln her – an den so
gestärkten Textilien,
Tischdecken, Spitzen und Vorhängen haftete
kein Staub[16];
-
Federbetten: die
Daunen wurden
von lebenden Enten gerupft;
mit derartigen Bettdecken
schliefen die Deutschen
auch im
Winter ohne
beheizten Ofen[17];
-
die Nahrung:
die Nahrung bestand
vor allem
aus Teigwaren
und Fleischprodukten
und wurde
in einem
großen Topf
auf der
Mitte des
Tisches serviert, damit
sich jeder
nehmen konnte
soviel er
wollte[18];
-
das Bewahren
der Tradition,
nach der der
Sonntag ein arbeitsfreier
Tag zu
sein hat:
die Vorbereitungen für den Sonntag
begannen jeweils am
Samstagnachmittag nach Beendigung
der Feldarbeit[19].
Zu
den Feiertagen
der Deutschen
wurden immer
auch Vertreter
der anderen
Nationalitäten eingeladen,
wobei es manchmal
auch zu
Streitereien kommen konnte
– durch Konkurrenz um
die Mädchen oder nach
dem Genuss
größerer Mengen Alkohol. Ein besondere Bedeutung hatte der
„Jungfernabend“, das Beisammensein der jungen Leute am Vorabend einer
deutschen Hochzeit.
Überwiegend waren die
Deutschen in Endje
mit Ackerbau
und Viehzucht
beschäftigt. Mancher
brachte es mit der Zeit auch zu einem größeren Reichtum, Panajotov erwähnt in
diesem Zusammenhang die Brüder Hummel. Ein
Teil der
Deutschen arbeitete als
Knechte in den
Gehöften, andere
pflegten ein bescheidenes
Handwerk, einige blieben
arm[20].
Huffzky erwähnt
in den
Reisenotizen der Pfadfinder
die „einzige Zuckerfabrik
Bulgariens“ und beschreibt, dass „die modernsten Maschinen ... auf den
nebenliegenden Feldern“ laufen[21]. Das
katholische Kloster wirtschaftet
für den
eigenen Unterhalt, nach
dem Statut
des Klosters
1936 finanziert man sich aus der
klösterlichen Landwirtschaft, aus
den Gebühren der deutschen
katholischen Grundschule und
aus Spenden.[22]
Der Grundbesitz
des Klosters
umfasste 60 ha, die
von Knechten
und von
im Kloster
beherbergten Waisenkindern bearbeitet
wurden[23].
Noch
vor dem
Jahre 1900 kommt der
rheinische Passionist Pater
Franz Krings
nach Endje, um eine Kirche als
Zentrum der gerade entstandenen deutschen Kolonie zu stiften.
Im Jahre 1910 ist die Kirche vollendet und wird eingeweiht. Auf
Initiative des Paters Krings beantragt der katholische Bischof von Rustschuk/Russe,
Leonhardt von Baumbach, im Jahre 1913 die Entsendung von Benediktinerschwestern
zur Sicherung einer deutschen Schulbildung für die deutschen Kinder[24].
Im Jahre 1914 treffen
vier Schwestern
vom Missionsbenediktinerorden
Tutzing in Endje
ein: eine Lehrerin,
eine Landwirtin, eine
Krankenschwester und eine
Näherin[25],
während des Ersten Weltkrieges kommen noch drei Schwestern zur Verstärkung
hinzu. Die Benediktinerinnen haben nicht das Missionieren in Bulgarien zum Ziel,
ihre Mission ist die Unterstützung des kulturellen und geistigen Lebens der
deutschen Siedler. Noch im Jahre 1914 eröffnen sie die private katholische
deutsche Grundschule „St. Josef“. Von Anfang an sorgen sich die
Klosterschwestern auch um Waisenkinder, die ersten sind Kriegswaisen aus dem
Balkankrieg 1913-16[26].
Im
Ergebnis des Ersten
Weltkrieges werden die
Schwestern im Jahre
1918 gezwungen das Land
zu verlassen,
unter großen
Schwierigkeiten en sie
im Jahre
1920 zurück
nach Endje. 1928
entsteht auf Initiative
der Benediktinerinnen
ein Kulturhaus
im Dorf;
im Oktober des
Jahres 1935 wird der
katholische Jugendverein „St.
Michael“ ins
Leben gerufen, der sich
das Ziel
setzt Vorträge zu organisieren
und die kulturelle und
moralische Entwicklung seiner
Mitglieder zu fördern[27],
das Gründungsdokument ist auch von zwei Mitgliedern der Familie Hummel
unterzeichnet. Im Oktober 1936 genehmigt das bulgarische Ministerium für Innere
Angelegenheiten und Gesundheit die Registrierung des Klosters religiöse
Gemeinschaft und als juristische Person[28]. Schlussfolgernd
lässt sich
feststellen, dass die
Religion und die
religiösen Feiertage
als wesentliches
Element gelten können
für den Zusammenhalt
der Deutschen
im Dorf
als ethnische
Gemeinschaft, für die
kulturelle Identität
und für die Abgrenzung
gegenüber den
anderen ethnischen und
religiösen Gruppen.
Dabei war Toleranz im Zusammenleben mit den anderen Ethnien üblich: im Gespräch
betonte Familie Hummel, dass ihnen beispielsweise die Türken bei ihrem
Bayram-Feiertag Baklava, also türkische Süßspeisen brachten[29].
|