Eiskalter Wahnsinn - TRAURIG AKTUELL

Besprechung von Thomas Harris, Schwarzer Sonntag

von MKohlhass (dooyoo, 30.07.2001 - geändert am 11.09.2001)

Urlaubszeit ist für viele gleichbedeutend mit Lesezeit, so auch für mich. Zu meiner diesjährigen Lektüre gehörte der "Schwarze Sonntag", ein älteres Werk (© 1975) von Thomas Harris. Ja genau, das ist der Erfolgsautor von "Das Schweigen der Lämmer" und "Hannibal".

Der "Schwarze Sonntag" ist bei Weitem nicht mit dem selben Erfolg beschieden, wie diese zwei Bestseller. Während man bei dooyoo Dutzende von Beiträgen und Kritiken zu letztgenannten Buch- wie Filmversionen finden kann, mußte ich die Rubrik für den "Schwarzen Sonntag" erst beantragen. Eigentlich seltsam, doch gleichzeitig auch ein interessanter Aspekt zum Thema "Massengeschmack"...

Gleichzeitig mutet es auch irgendwie seltsam an, von der (relativen) Erfolglosigkeit des "Black Sunday", so sein Originaltitel, zu sprechen, wenn doch die mir vorliegende Taschenbuchausgabe aus dem Heyne-Verlag (ISBN - 3-453-02917-8 zu dereinst 12,80 DM) bereits 1992 aus der 17. Auflage stammt. Vielleicht ist schlichtweg die Auseinandersetzung mit dem nüchternen Inhalt vielen zu "schocking", zu unangenehm, zu emotionslos, zu kalt.

Die Komplexität der Handlung des 350 Seiten Buchs ist jedenfalls gering, in etwa mit der Hannibals zu vergleichen, wo der Kern der Story sich ja auch in wenigen Sätzen zusammenfassen läßt:

Arabische Terroristen planen einen ("konventionellen") Terroranschlag in den USA, der in seinen tödlichen Dimensionen alles bisher Dagewesene übertreffen soll. Dazu bedienen sie sich des zum Selbstmord bereiten amerikanischen Vietnam - Veterans Michael Landers, direkt unterstützt von der palästinensischen Überzeugungstäterin (und Schönheit) Dahlia. Den Wahnsinn in einer ihm nicht gerade aufgeschlossenen Umgebung zu verhindern hat der israelischer Geheimagent Kabakov. Ob und wie er es schafft ist der Spannungsbogen dieses Romans - that's it.

Insofern unterscheidet sich der "Schwarze Sonntag" in der Tat nicht zu sehr von Hannibal, wo die Spannung ja auch lediglich darin besteht, ob und wie Dr. Lecter seinen Häschern entwischt und - weniger ob, als vielmehr wie - er sich an ihnen rächt. Diese deskriptiven Grausamkeiten und Perversitäten der neueren Harris-Werke sind seinem alten jedoch fremd. Hier fasziniert er meines Erachtens vielmehr noch mehr durch die Fähigkeit, den Leser sich in die handelnden Akteure hineinversetzen zu lassen, was ja eigentlich gar nicht so leicht sein dürfte, denn wer von uns (in unserer Kulturzone) ist schon bereit, sich für etwas - sei es eine Wahnidee oder tiefste innerste Überzeugung - in die Luft zu jagen. Genau das aber versteht Harris meisterlich. Und hierin sehe ich auch die Aktualität des fiktiven Harris-Romans, der eigentlich - Vietnam, die mehrfache Erwähnung des Münchner Olympiaattentats von 1972 und die Assoziation mit dem real existierenden "Schwarzen September" machen es deutlich - im Geiste der 70er Jahre geschrieben ist.

Zum einen machen die in den letzten Monaten - vorerst nur im Nahen Osten - gehäuft verübten Selbstmordattentate dieses relativ unbekannte Werk Harris so interessant. Wer vermag sich schon ohne - literarische oder medizinische - Hilfe in das Denken solcher Überzeugungstäter und Fanatiker versetzen? Harris schafft es, mehrere mögliche Blickwinkel solcher - aus unserer "normalen" Sicht - gesellschaftlicher Außenseiter zu schildern, ja nicht nur zu beschreiben, sondern sogar in gewisser Weise mit (hoffentlich nur bedingtem!) Verständnis nachvollziehen zu lassen. (Anmerkung: das ist genau das, was Harris von einigen intellektuellen Kritikern bei der Verfilmung seines neusten Buchs vorgeworfen wird!)

Man braucht aber zum anderen gar nicht so ins Extreme zu gehen, durch Harris Schreibstil nur Einblicke in die skruden Denkweisen potentieller Selbstmörder zu erhalten. Nein, die nüchterne Beschreibung des Innenlebens "extremer" Charaktäre, zu denen ideologische Fanatiker und Sektierer zweifellos zählen, zu denen aber durchaus auch Mitmenschen gehören können, denen man zufällig im Alltagsleben begegnet, erleichtern bei bewußter Auseinandersetzung mit Harris Lektüre durchaus den Umgang mich solchen Menschen.

Besonders gelingt Harris hier die Beschreibung der allgegenwärtigen Schizophrenie, der sich die Unlauteren zwangsläufig aussetzen müssen, um der Enttarnung durch die "normale" Gesellschaft oder ihre "guten" Widersacher zu entgehen und die ihnen letztlich auch zum Verhängnis wird. Insofern trifft die Umschlagrezession, daß der "Schwarze Sonntag" eine eigentümliche Mischung aus eiskalter Vernunft und amoklaufenden Wahnsinns sei, voll ins Schwarze. Man lernt den Irrsinn zu verstehen?

Dabei tröstet es wohltuend, daß Harris es dem Leser einfach macht, sich mit dem "guten" Einzelkämpfer Kabakov zu identifizieren, auch wenn dieser erwartungsgemäß die letzten Seiten des Buches nicht mehr erleben darf. Und ebenso erschreckend, wie wohltuend, lehrreich, wie ernüchternd, ist es zu sehen, daß auch in der realistischen Fiktion dieses Romans die vermeintlich wohlmeinenden Neutralen, die Gleichgültigen und die überall vorhandenen Naiven, natürlich dem zielgerichtet handelnden Bösen - bewußt oder unbewußt - Vorschub leisten.

Ein toller und empfehlenswerter Roman - in seiner Extremität aus dem täglichen Leben!

;-) Gruß MKohlhass


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