Urlaubszeit ist für viele gleichbedeutend mit Lesezeit, so auch für mich. Zu meiner diesjährigen Lektüre gehörte der "Schwarze Sonntag", ein älteres Werk (© 1975) von Thomas Harris. Ja genau, das ist der Erfolgsautor von "Das Schweigen der Lämmer" und "Hannibal".
Der "Schwarze Sonntag" ist bei Weitem nicht mit dem selben Erfolg beschieden, wie diese zwei Bestseller. Während man bei dooyoo Dutzende von Beiträgen und Kritiken zu letztgenannten Buch- wie Filmversionen finden kann, mußte ich die Rubrik für den "Schwarzen Sonntag" erst beantragen. Eigentlich seltsam, doch gleichzeitig auch ein interessanter Aspekt zum Thema "Massengeschmack"...
Gleichzeitig mutet es auch irgendwie seltsam an, von der (relativen) Erfolglosigkeit des "Black Sunday", so
sein Originaltitel, zu sprechen, wenn doch die mir vorliegende
Taschenbuchausgabe aus dem Heyne-Verlag (ISBN - 3-453-02917-8 zu dereinst
12,80 DM) bereits 1992 aus der 17. Auflage stammt. Vielleicht ist
schlichtweg die Auseinandersetzung mit dem nüchternen Inhalt vielen zu
"schocking", zu unangenehm, zu emotionslos, zu kalt.
Die
Komplexität der Handlung des 350 Seiten Buchs ist jedenfalls gering, in
etwa mit der Hannibals zu vergleichen, wo der Kern der Story sich ja auch
in wenigen Sätzen zusammenfassen läßt:
Arabische Terroristen
planen einen ("konventionellen") Terroranschlag in den USA, der in seinen
tödlichen Dimensionen alles bisher Dagewesene übertreffen soll. Dazu
bedienen sie sich des zum Selbstmord bereiten amerikanischen Vietnam -
Veterans Michael Landers, direkt unterstützt von der palästinensischen
Überzeugungstäterin (und Schönheit) Dahlia. Den Wahnsinn in einer ihm
nicht gerade aufgeschlossenen Umgebung zu verhindern hat der israelischer
Geheimagent Kabakov. Ob und wie er es schafft ist der Spannungsbogen
dieses Romans - that's it.
Insofern unterscheidet sich der
"Schwarze Sonntag" in der Tat nicht zu sehr von Hannibal, wo die Spannung
ja auch lediglich darin besteht, ob und wie Dr. Lecter seinen Häschern
entwischt und - weniger ob, als vielmehr wie - er sich an ihnen rächt.
Diese deskriptiven Grausamkeiten und Perversitäten der neueren
Harris-Werke sind seinem alten jedoch fremd. Hier fasziniert er meines
Erachtens vielmehr noch mehr durch die Fähigkeit, den Leser sich in die
handelnden Akteure hineinversetzen zu lassen, was ja eigentlich gar nicht
so leicht sein dürfte, denn wer von uns (in unserer Kulturzone) ist schon
bereit, sich für etwas - sei es eine Wahnidee oder tiefste innerste
Überzeugung - in die Luft zu jagen. Genau das aber versteht Harris
meisterlich. Und hierin sehe ich auch die Aktualität des fiktiven
Harris-Romans, der eigentlich - Vietnam, die mehrfache Erwähnung des
Münchner Olympiaattentats von 1972 und die Assoziation mit dem real
existierenden "Schwarzen September" machen es deutlich - im Geiste der
70er Jahre geschrieben ist.
Zum einen machen die in den letzten
Monaten - vorerst nur im Nahen Osten - gehäuft verübten
Selbstmordattentate dieses relativ unbekannte Werk Harris so interessant.
Wer vermag sich schon ohne - literarische oder medizinische - Hilfe in das
Denken solcher Überzeugungstäter und Fanatiker versetzen? Harris schafft
es, mehrere mögliche Blickwinkel solcher - aus unserer "normalen" Sicht -
gesellschaftlicher Außenseiter zu schildern, ja nicht nur zu beschreiben,
sondern sogar in gewisser Weise mit (hoffentlich nur bedingtem!)
Verständnis nachvollziehen zu lassen. (Anmerkung: das ist genau das, was
Harris von einigen intellektuellen Kritikern bei der Verfilmung seines
neusten Buchs vorgeworfen wird!)
Man braucht aber zum anderen gar
nicht so ins Extreme zu gehen, durch Harris Schreibstil nur Einblicke in
die skruden Denkweisen potentieller Selbstmörder zu erhalten. Nein, die
nüchterne Beschreibung des Innenlebens "extremer" Charaktäre, zu denen
ideologische Fanatiker und Sektierer zweifellos zählen, zu denen aber
durchaus auch Mitmenschen gehören können, denen man zufällig im
Alltagsleben begegnet, erleichtern bei bewußter Auseinandersetzung mit
Harris Lektüre durchaus den Umgang mich solchen Menschen.
Besonders gelingt Harris hier die Beschreibung der
allgegenwärtigen Schizophrenie, der sich die Unlauteren zwangsläufig
aussetzen müssen, um der Enttarnung durch die "normale" Gesellschaft oder
ihre "guten" Widersacher zu entgehen und die ihnen letztlich auch zum
Verhängnis wird. Insofern trifft die Umschlagrezession, daß der "Schwarze
Sonntag" eine eigentümliche Mischung aus eiskalter Vernunft und
amoklaufenden Wahnsinns sei, voll ins Schwarze. Man lernt den Irrsinn zu
verstehen?
Dabei tröstet es wohltuend, daß Harris es dem Leser
einfach macht, sich mit dem "guten" Einzelkämpfer Kabakov zu
identifizieren, auch wenn dieser erwartungsgemäß die letzten Seiten des
Buches nicht mehr erleben darf. Und ebenso erschreckend, wie wohltuend,
lehrreich, wie ernüchternd, ist es zu sehen, daß auch in der realistischen
Fiktion dieses Romans die vermeintlich wohlmeinenden Neutralen, die
Gleichgültigen und die überall vorhandenen Naiven, natürlich dem
zielgerichtet handelnden Bösen - bewußt oder unbewußt - Vorschub leisten.
Ein toller und empfehlenswerter Roman - in seiner Extremität aus
dem täglichen Leben!
;-) Gruß MKohlhass
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