Bomben auf Swinemünde

Am 12. März 1945 starben bei einem einzigen Angriff auf Usedom 23.000 Menschen

Heute vor 58 Jahren griffen 671 Bomber und 412 Begleitjäger der US-Streitkräfte Swinemünde an. Die heute polnische Hafenstadt auf den Inseln Usedom und Wollin war 1945 Knotenpunkt für die deutschen Flüchtlingsströme. Mehr als 50.000 Flüchtlinge lagerten im Kurpark, warteten auf Schiffe oder hofften in Personenzügen auf die Weiterfahrt, als 1.609 Tonnen Bomben über ihnen abgeladen wurden. 23.000 Menschen kamen bei dem Massaker ums Leben.
Lange war die Kriegsführung der Alliierten gegen die deutsche Zivilbevölkerung in der öffentlichen Diskussion ein Tabu. Zu entsetzlich waren die eigenen Verbrechen der Deutschen im Zweiten Weltkrieg. Groß auch die Gefahr des primitiven Aufrechnens und der Relativierung deutscher Schuld.
Nach dem Buch "Brand" von Jörg Friedrich ist die Diskussion über Sinn und Berechtigung der Bombenangriffe auf deutsche Städte mit 50.0000 Opfern entfacht. Waren sie militärisch überhaupt notwendig? Berechtigt der Kampf gegen einen Diktator die hunderttausendfache Vernichtung unschuldiger Zivilisten?

von Thomas Volgmann

12. März 1945. Swinemünde. Die Wolken hängen tief. Fähren bringen Flüchtlingsströme aus Ostpreußen und Pommern über die Oder von Wollin nach Usedom. Von der nur 30 km entfernten Front ist bereits das Donnern russischer Geschütze zu hören.

Auf der Plantage, dem weitläufigen Park zwischen Hafen und Strand warten dicht gedrängt Treckkolonnen mit Flüchtlingen auf die Weiterfahrt. Im Hafen und auf Reede liegen 50 Schiffe mit Tausenden Menschen. Unter ihnen die 900 Überlebenden der "Wilhelm Gustloff", die im Januar nach russischen Torpedotreffern mit vermutlich mehr als 9.000 Menschen sank.

Von England aus waren am Morgen 671 Bomber und 412 Begleitjäger der 8. US-Luftflotte mit 3.500 Bomben an Bord gestartet. Ihr Auftrag: die Zerstörung deutscher Nachschublinien und Truppenkonzentrationen in Swinemünde. Die Zünder vieler Bomben waren so eingestellt, dass sie detonieren, sobald sie mit Ästen in Berührung kamen. Auf die Splitterwirkung kam es an.

Etwa gegen 11 Uhr heulen die Sirenen. "Starke feindliche Bomberverbände im konzentrischen Anflug auf Swinemünde", warnt das Radio. Fluchtartig versuchen die Schiffe im Hafen die offene See zu erreichen.

Schutzmöglichkeiten für Tausende Menschen auf der parkähnlichen Plantage gibt es nicht. Gegen 11.30 ist das Dröhnen der anfliegenden Bomber zu hören. Die Luft wibriert. Einer der ersten Bombenteppiche geht über die Plantage nieder. Frauen, Kinder und Alte haben sich neben ihren Trecks flach auf den Boden gelegt und setzten sich in voller Körpergröße den mörderischen Splittern der über ihnen in den Bäumen explodierenden Bomben aus. Ein Zeuge berichtet später, die Plantage habe danach wie ein "gepflügter Acker" ausgesehen, auf dem "lauter Körperteile von Menschen und Tieren lagen".

Schlimm erwischte es auch die am Kaiserbollwerk liegenden langen Lazarettzüge. Waggons wurden durch die Explosionen in die Luft geschleudert. Die Bergungskommandos mussten später menschliche Überreste aus den Bäumen holen.

Im Hafen sanken 14 Flüchtlingsschiffe mit mehreren tausend Menschen. Swinemünde, das erste preußische Kurbad an der Ostsee mit seiner leichten und mondänen Bebauung brannte allen Ecken.

23000 Opfer soll der Angriff gefordert haben. Die meisten von ihnen wurden auf dem Golm, einem nahen ehemaligen Ausflugsziel, begraben. Nur 1667 Tote sind namentlich bekannt.

Militärisch fragwürdig war die Bombardierung in diesem Ausmaß allemal. Eine Truppenkonzentration gab es in Swinemünde nicht. Der schwere Kreuzer "Lützow" in der Kaiserfahrt wurde erst im April versenkt.

Englische Zeitungen feierten die Zerstörung des Bahnhofes als Hilfe für die Rote Armee. Den Angriff selbst werteten sie als Zeichen alliierter Schlagkraft. Die getöteten Zivilisten wurden mit keinem Satz erwähnt. Den Begriff "Kollateralschaden" gab es damals noch nicht.

Zeitzeuge

Prof. Erwin Rosenthal, Greifswald

Gedenkstätten - große
Prediger des Friedens

Herr Professor, Sie haben das Inferno Swinemünde vor 58 Jahren überlebt. Erinnern Sie sich an den 12. März 1945?

Prof. Rosenthal: Unsere Mutter war am Vortag mit uns von der Insel Wollin kommend in unsere Wohnung in der Steinbrückstraße 18 zurückgekehrt. Als die Sirenen heulten, flüchteten wir zwei Häuser weiter zur Oma. Das war unser Glück. Das gerade verlassene Haus wurde von einer der ersten Bomben dem Erdboden gleichgemacht. Das Haus der Oma wurde durch die Druckwelle abgedeckt, ich wurde in eine Kellerluke geschleudert.

Der Angriff auf Swinemünde hat eine Stunde gedauert. 23 000 Menschen starben in dieser einen Stunde einen sinnlosen Tod. Uns ist nichts passiert. Wir haben die Stadt sofort verlassen, zu Fuß, in ein Dorf auf Usedom. Ich war damals fünf Jahre alt.

Dresden, Hamburg, Lübeck, Rostock - diese Städte sind als Ziele alliierter Bombenangriffe allgemein bekannt. Von Swinemünde wissen die Wenigsten...

Prof. Rosenthal: Das ist insofern nicht verwunderlich, ist doch "das Massaker von Swinemünde" (J. Friedrich) weder in den Annalen der Zeitgeschichte, noch in denen der 8.US-Flotte verzeichnet (dort ist der Angriff als Verkehrsangriff auf Rangierbahnhöfe abgebucht worden).

Ein weiterer Fakt kommt hinzu: Die Stadt Swinemünde wurde im Herbst 1945 polnisch; die Toten des Bombenterrors waren auf dem naheliegenden Golm, einem früheren Ausflugsgebiet der Swinemünder, beigesetzt worden, diesseits der Grenze.

Auf dem Golm wurde später eine Gedenkstätte eingerichtet und schon in der DDR eine intensive Erinnerungsarbeit geleistet; aber mit Vorbehalten. Swinemünde war nicht mehr deutsch und die Erinnerung daran sollte wohl verblassen. Auch die etablierten westdeutschen Historiker haben erst 50 Jahre nach dem Ereignis mit seiner unbefangenen Aufarbeitung begonnen. Wer ein Beispiel für den alliierten Bombenterror suchte, wandte sich in Ost und West allgemein Dresden zu. So blieb wenig bekannt, dass in Swinemünde mehr als die Hälfte der Menschen, die sich zu diesem Zeitpunkt in der Stadt aufhielten, getötet worden ist, eine Verlustquote, die in keiner anderen deutschen Stadt zu beklagen war. Die Ehrfurcht vor den Opfern verlangt, dass auch ihr sinnloses Sterben nicht vergessen wird.

Gerade dieser Aufgabe haben Sie sich verschrieben. Wo sind Sie am heutigen Jahrestag?

Prof. Rosenthal: Auf dem Golm. Ich werde zu polnischen und deutschen Schülern sprechen. Vor allem Jugendliche und Lehrer nehmen das Angebot des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge gern an, diese Stätte kennen zu lernen. Dabei habe ich oft beobachtet: Die Hinwendung zu den Gräbern der Kriegsopfer, die Fragen nach Namen und nach den Ursachen ihres Todes sensibilisierte die Beteiligten für den Gedanken des Friedens und der Versöhnung zwischen den Völkern. Die größte Kriegsgräberstätte unseres Landes auf Usedom ist für jedermann zugänglich.


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