Vier Phasen des Übergangs

von einem Nationalstaat in eine
"multikulturelle Gesellschaft"

von Kassandra2040 {26. Juni 2010}

Links und Anmerkungen: Nikolas Dikigoros

Seit einigen Jahrzehnten befinden sich Deutschland und die anderen Staaten Westeuropas im wohl bedeutsamsten Umbruch ihrer Geschichte: Die kulturelle Homogenität, die sich seit dem frühen Mittelalter in territorial organisierten Körperschaften etablierte, im 18. und 19. Jahrhundert die Grundlage für die neugegründeten Nationalstaaten stellte, und schließlich in und nach den beiden Weltkriegen teilweise grausam forciert wurde, weicht in einem Prozess von historisch einmaliger Schnelligkeit zugunsten multikultureller Gesellschaftszusammensetzungen.

Diese Tatsache mag reichlich komisch anmuten: Die Idee und Praxis kultureller Homogenität waren ja zunächst nicht, wie man meinen könnte, durch die nationalsozialistische Ausrottungspolitik kompromittiert, sondern – im Gegenteil – auch Grundlage der Neugestaltung Europas nach dem Krieg und der damit einhergehenden Grenzziehungen und (euphemistisch ausgedrückt) Bevölkerungsbewegungen. In der Folgezeit haben unzählige Befreiungs- und Abspaltungsbewegungen auf dem gesamten Erdball zu mehr als einer Verdopplung der Zahl der Nationalstaaten geführt. Die Nationalstaatsidee – die Kongruenz zwischen „Nation“ und „Staat“ – stand auch Pate bei der Neuorganisation Mittel- und Osteuropas nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und Jugoslawiens, bis in die jüngste Vergangenheit hat dies zu Nationalstaatsneugründungen auf europäischem Territorium geführt (Montenegro, Kosovo).

In den westlichen Industriestaaten1 sind die vormals einigermaßen kulturell homogenen Staatsvölker dagegen im Schwinden begriffen, unverkennbar danken diese zugunsten einer multikulturellen Bevölkerung ab. Diese Entwicklung besitzt eine historisch nie dagewesene Dynamik: Als der heutige (2010) Durchschnittsdeutsche geboren wurde (1969), war noch kaum etwas von diesem Prozess bemerkbar, und 15 Jahre früher war der Ausländeranteil in Deutschland praktisch bei null gewesen, wohingegen 2005 schon ein Drittel aller Kinder von in der Zwischenzeit Eingewanderten abstammten; in westdeutschen Großstädten bis zu 70%.

Trotz der enormen Schnelligkeit dieses Prozesses wurde er phasenweise gänzlich unterschiedlich aufgenommen und interpretiert in der Bevölkerung und der medialen Öffentlichkeit. Es lassen sich vier Phasen identifizieren, in denen eine solche Transformation abläuft. Sie werden im Folgenden näher erläutert.

1. Verdrängungsphase

In dieser Phase will die Gesellschaft den Prozess schlicht nicht wahrhaben. Die neu eingewanderten Minderheiten werden entweder ignoriert, oder es wird unterstellt, dass die ohnehin wieder gehen würden. In der Bundesrepublik dauerte diese Phase von den Anfängen der Nachkriegszuwanderung aus dem Ausland bis in die frühen 1970er Jahre, wobei natürlich fließende Übergänge bestehen und diese Phase in manchen Kreisen durchaus noch länger anhielt. Als typisch ist der Gebrauch des Begriffes des „Gastarbeiters“ anzusehen. Auch die damals gebräuchliche Wendung, Deutschland sei „kein Einwanderungsland“, ist in dieser Phase noch deskriptiv und nicht normativ zu verstehen. Das bedeutet, dass damit lediglich die Realität zu beschreiben geglaubt wurde: Es gebe doch gar keine „Einwanderer“ in Deutschland, wenn überhaupt dann lediglich ein paar „Gäste“.

2. Abwehrphase

Wenn irgendwann nicht mehr zu übersehen ist, dass es wachsende neue Minderheiten im Land gibt, weicht die Verdrängungs- der Abwehrphase. Das soll nicht bedeuten, dass ausnahmslos alle Bundesbürger in dieser Phase der Einwanderung gegenüber ablehnend standen, aber doch der überwiegende Teil: Laut einer Allensbach-Umfrage befanden 1981 vier von fünf Deutschen, im Land lebten „zu viele Ausländer“, und ein Jahr später wünschten EMNID zufolge 68%, die Gastarbeiter sollten „wieder in ihr Land zurückkehren“. Datieren kann man den Beginn dieser Phase auf die frühen 1970er Jahre, exemplarisch zu betrachten an dem SPIEGEL-Titel vom 20. Juli 1973, auf dem eine türkische Familie abgebildet und darunter zu lesen war: „Gettos in Deutschland – Eine Million Türken“. Zu dieser Zeit hatte die Brandt-Regierung die Gastarbeiteranwerbung aufs Eis gelegt, was die unbeabsichtigte Folge hatte, dass die zu diesem Zeitpunkt in Deutschland befindlichen Ausländer aus Angst vor einem Wiedereinreiseverbot das Land nicht gemäß dem zuvor geltenden Rotationsprizip verließen, sondern stattdessen ihre Familien nachholten. Mit einem Male sank der ökonomische Nutzen der ausländischen Bevölkerung, ihr Anteil an den Sozialleistungsbeziehern stieg genauso wie die Bleibeabsichten der nunmehr eindeutig als „Einwanderer“ zu qualifizierenden. Das Ignorieren wich in der Bevölkerung dem Unmut darüber, was aus ihrer Sicht so nicht abgemacht war. Der Satz, Deutschland sei kein Einwanderungsland, wird in dieser Phase von der (empirisch widerlegten) Feststellung, die es zuvor war, zur wertenden Forderung, im Sinne von „Deutschland hat gefälligst kein Einwanderungsland zu sein“, mit der Implikation, dass die „Gäste“ nun, wie es vereinbart gewesen war, auch wieder gehen müssten. Die Stimmung in der Bevölkerung wird von der Politik aufgegriffen, und so ging Herausforderer Helmut Kohl in den Wahlkampf von 1982 mit dem Wahlversprechen, die Zahl der Ausländer zu halbieren. Sein amtierender Widerstreiter Schmidt gab sich nicht minder kämpferisch, und versprach: „Mir kommt kein Türke mehr über die Grenze“. Lediglich eine Minderheit, vorzugsweise bei den neugegründeten Grünen, dann auch z.B. Heiner Geißler (CDU), konzipierte schon damals positiv besetzte Konzepte von einer multikulturellen Gesellschaft. Die Abwehrphase gipfelte in Deutschland in den ausländerfeindlich motivierten Brandanschlägen gegen Asylbewerberheime und andere tödlichen Angriffe zu Beginn der 1990er Jahre.

3. Die Identifikationsphase

Dies markiert den Beginn der Identifikationsphase, in welcher sich die ursprünglich kulturell recht homogene Bevölkerung mit einer multikulturellen Gesellschaft identifiziert, Zuwanderung nicht mehr als Ärgernis sondern als Bereicherung begrüßt und die bis vor wenigen Jahren noch von einer breiten Mehrheit geteilten Ansichten als rechtsextremistisch brandmarkt und bekämpft. Die Ursache für diesen Umschwung ist nicht so sehr darin zu sehen, wie es oftmals dargestellt wird, dass die Zuwanderer aufgrund ihrer langen Aufenthaltszeit in Deutschland bereits so gut integriert seien, oder sich mit dem Land identifizierten, so dass eine multikulturelle Gesellschaft nun sachlogisch angesagt wäre. Vielmehr zeigen die Untersuchungen, dass Integrationsindikatoren wie Sprachkenntnisse und Kontakt zu Deutschen in den jüngeren Generationen sogar abgenommen haben. Zudem kam der Großteil der Einwanderer nicht in der Zeit der Gastarbeiteranwerbungen (1956-1973), sondern erheblich später, als Familiennachzug, Asylbewerber, sowie aus anderen oder ungeklärten Gründen. Mitte der 1990er Jahre war die zugewanderte Bevölkerung daher auch im Mittel nicht länger im Land als noch 10 Jahre zuvor. Es ist daher letztlich nicht leicht rekonstruierbar, weshalb eine positive Haltung zur Zuwandererfrage plötzlich die Deutungshoheit gewann. Wahrscheinlich resultiert dies aus verschiedenen Faktoren. Dazu könnten die ausländerfeindlichen Exzesse zählen, die das Ende der vorigen Phase begleiteten, aber auch der Verlust kultureller und religiöser Bindungen, die für viele den Erhalt der eigenen Kultur nicht mehr wichtig erscheinen ließen. Auch wurde durch die große Zahl der Zuwanderer irgendwann der Punkt erreicht, an dem alle Parteien glaubten, nicht mehr auf die Wählerstimmen der Zuwanderer verzichten zu können, denn in wenigen Jahren werden ein Drittel der Neuwähler aus ausländischen Familien stammen (der heutige Anteil an den Kindern zwischen 6 und 10 Jahren), und diese Proportion wird weiter steigen. Auch wenn diese, trotz oftmaliger religiös-konservativen Gesinnung, bevorzugt linke Parteien wählen, ist auch die CDU in der Identifikationsphase angekommen, etwa, wenn ihr ehemaliger Innenminister Schäuble, von den politischen Gegnern oft als Hardliner dargestellt, den Islam als Teil der „Zukunft Deutschlands“ betrachtet, die CDU-Ministerin Böhmer Zuwanderung grundsätzlich als „Bereicherung“ bezeichnet und viele Landesverbände aktive Anstrengungen unternehmen, die Partei „für Migranten zu öffnen“. Ein CDU-geführtes Bundesministerium produziert unterdessen steuergeldfinanzierte Plakate und Filme, in denen unter dem Motto „Vielfalt als Chance“ z.B. eine türkischstämmige Polizistin in einer multikulturellen Schulklasse doziert. Dieser Wandel hat sich, wie man sieht, erstaunlich schnell ergeben, wodurch die Identifikationsphase, obgleich erst in den 1990ern begonnen, mittlerweile als weitestgehend abgeschlossen betrachtet werden kann.

4. Die Diffusionsphase

Die letzte Phase in diesem welthistorischen Umwandlungsprozess kann als „Diffusionsphase“ bezeichnet werden. Die Bundesrepublik steht heute an deren Anfang und wird sie in den kommenden Jahrzehnten durchschreiten. Kennzeichnend für diese Phase ist, dass die Zahl der Menschen mit anderen ethnischen Wurzeln und kulturellen Identifikationen anteilsmäßig so groß wird, dass sich alle Diskussionen erübrigen, die darauf abzielen, wie man die Zugewanderten integrieren sollte. Der Prozess hat sich nun verselbstständigt und die Diffusion der Gesellschaft ist nicht mehr zentral steuerbar. Während in den vorangegangenen Phasen die Mehrheitsgesellschaft darüber stritt, ob Zuwanderung begrüßenswert oder nicht sei, gibt es nun keine zahlenmäßige autochthone Mehrheit mehr, und die üblichen Integrationsdiskurse verlieren ihren Sinn, weil keiner das nun offensichtlich sinnlose Unterfangen diskutieren will, eine Mehrheit in eine Minderheit, oder genauer gesagt: verschiedene (aus dem Ausland stammende) Minderheiten in eine (einheimische) Minderheit zu integrieren. Der nun folgende Diffusionsprozess hat mehrere mögliche „Endzustände“, die noch erörtert werden. Zunächst soll der zeitliche Rahmen abgesteckt werden, in welchem die Bundesrepublik diese Phase durchlaufen wird. Da Personen mit Migrationshintergrund 2005 19% der Bevölkerung, aber 35% der Kinder stellten, ist davon auszugehen, dass diese Überproportionalität reproduziert wird und schon die nächste Generation über 50% stellt. Abhängig von der Höhe zukünftiger Wanderungsbewegungen und Geburtenzahlen kann dies in 20-30, oder auch schon in 10 Jahren eintreffen. Bleibt es bei der momentan recht niedrigen Einwanderung (netto im Schnitt 100.000 pro Jahr) und der sogar noch etwas höheren Nettoauswanderung von Deutschen sowie den heute beobachtbaren Geburtenraten, so ist mit einer Mehrheit der Kinder mit ausländischen Wurzeln zwischen 2025 und 2030 zu rechnen. Sollte sich die Zuwanderung dagegen wieder erhöhen, etwa aufgrund des Beitritts neuer (ost- und südosteuropäischer) Länder in den Schengen-Raum, oder weil Deutschland aufgrund der verschärften Aufenthalts- und Sozialstaatsrichtlinien unserer Nachbarländer wieder Zuwandererzahlen wie in den 1990er Jahren erlebt, dann kann dieser Punkt schon im Jahre 2020 oder früher erreicht werden. {Anm. Dikigoros: So geschehen, nachdem Sarah Sauer, die größte Politverbrecherin der deutschen und jüdischen Geschichte, anno 2015 die Schleusen für Millionen Rapefugees Asylanten Migranten "Flüchtlinge" weit aufgerissen hat.} Selbst wenn ein absoluter und ausnahmsloser Zuwandererstopp verhängt werden würde (was weder von einer der im Bundestag vertretenen Parteien auch nur ansatzweise angestrebt wird, noch aufgrund der offenen Grenzen und der EU-weiten Freizügigkeit praktisch und rechtlich machbar ist), würde sich das Kippen der Mehrheitsverhältnisse lediglich um 10-15 Jahre verzögern. Spätestens Mitte des Jahrhunderts wird dieser Punkt also aller Voraussicht nach erreicht werden, der in Großstädten wie Offenbach, Frankfurt/Main und Stuttgart (je ca. 70% Kinder mit Migrationshintergrund bei noch 40% Bevölkerungsanteil) unmittelbar bevorsteht. In Teilen des Landes, etwa im Ruhrgebiet, Südhessen, sowie in so gut wie allen Großstädten, kann in den nächsten Jahren die gesamtgesellschaftliche Zukunft beobachtet werden. Wohin wird das mittel- bis langfristig führen? Es kommen mehrere Szenarios in Frage:

a) Das Brasilienszenario

Brasilien ist offiziell ein Staat, in dem ethnische Herkunft keine Rolle spielt. Weiße, Schwarze, Amerindios, Mestizen, Mulatten leben räumlich recht gemischt beieinander, wobei es gewisse regionale Konzentrationen gibt, auch ist der alltägliche Rassismus keineswegs überwunden. Die sich selbst als „weiß“ bezeichnenden Einwohner haben laut offiziellem Bevölkerungszensus in den letzten Jahren die Mehrheit verloren. Bezogen auf die Bundesrepublik würde das „Brasilienszenario“ für Deutschland bedeuten:

b) Das Balkanszenario

Die auf dem Balkan lebenden Sprach- und Religionsgruppen verteilen sich nicht nur zwischen, sondern auch innerhalb der Staaten (z.B. Bosnien), auf regional recht homogene Bevölkerungscluster. Es gibt zwar durch demographische Ungleichheiten und Migration, sowie auch durch vorübergehende kriegsähnliche Zustände hervorgerufene Veränderungen (z.B. Kosovo), aber langfristig verhärten sich die Fronten entlang der kulturellen und religiösen Spaltungslinien. In der BRD hieße dieses Szenario: Es finden Wanderungsbewegungen statt, welche zu einer Ballung von Bevölkerungsgruppen mit bestimmtem Hintergrund in bestimmten Stadtvierteln, Städten und Landstrichen führen, die dann, anders als im Brasilienszenario, ausschließlich oder fast ausschließlich von dieser Gruppe bewohnt werden. In diesem Szenario kann es zu separatistischen Bewegungen kommen, welche aufgrund der höheren Mischung im anderen Szenario nicht auftreten. Feindschaften zwischen den Gruppen werden dann unter Umständen offener zutage treten, auch vermittelt durch Protagonisten regionaler Selbstverwaltung, während solche Feindschaften im Brasilienszenario nur „inoffiziell“ auftauchen. Welcher dieser Szenarien wahrscheinlicher ist, kann schwer eingeschätzt werden. In den nächsten Jahren steuert man in Deutschland wohl eher in Richtung Brasilien, mittelfristig können aber Elemente aus beiden Szenarien eine Rolle spielen. Am unwahrscheinlichsten ist eine Umkehr zum Nationalstaatsprinzip. Diese Option wird in naher Zukunft in etwa so sinnvoll sein, wie das Unterfangen, aus Brasilien einen amerindischen Nationalstaat zu machen.


1 Wozu auch bspw. die USA zu zählen sind, welche, obgleich schon immer Einwanderungsland, nach dem durch Theodore Roosevelts Ausspruch bekannten Grundsatz, man sei entweder nur Amerikaner und nichts anderes, oder aber gar kein Amerikaner, ihre weiße Bevölkerung, welche in den 1960ern noch 90% des Landes ausmachte (und rechtlich privilegiert war gegenüber den Nichtweißen) in eine angelsächsische Leitkultur assimiliert hatten.


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