DIE VERPAßTE CHANCE
von Numantia nach Toledo
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(ein Anhang zu: Ein feste Burg ist unser Götze)

Man schreibt das Jahr 133 v.C., pardon, wir schreiben das heute so; aber das hatten wir ja schon. Die Römer schrieben 620 a.u.c. (ab urbe condita, nach Gründung Roms), pardon, auch das stimmt nicht; denn der Mensch, der sich diese Jahreszählung ausdenken sollte - ein gewisser Marcus Terentius Varro Reatinus - wurde erst 17 Jahre später geboren. Aber was solls, bleiben wir der Einfachheit halber bei der heutigen Zählung und werfen einen Blick auf die Karte des "Kaninchenlandes" - so hatten die Karthager die iberische Halbinsel getauft, was die Römer zu "Hispania" verballhornt hatten.

Die Römer hatten sich schon seit dem 2. Punischen Krieg der löblichen Aufgabe gewidmet, die Iberer an den Segnungen ihrer großartigen Zivilisation - einschließlich res publica, pax romana etc. - teilhaben zu lassen und sie zu "Schutzbündnissen" zu nötigeneinzuladen. Ihr müßt Euch das so vorstellen, liebe Leser, wie das löbliche Bemühen der US-Amerikaner im 20. Jahrhundert, alle Welt an den Segnungen ihrer großartigen Zivilisation - einschließlich democracy, pax americana etc. - teilhaben zu lassen. Leider gab es auch schon im 2. Jahrhundert v.C. unverbesserliche Nazis (Abkürzung für "Nationalisten", das sind so böse Leute, die ihre eigene Nation und Kultur über die "höhere" Zivilisation der Großmacht stellen wollen), und zu denen zählten auch die Einwohner des - auf der Karte oben als grüner Punkt eingezeichneten - Städtchens Numantia. (So nannten es die Römer; wie die Nazisprimitiven Eingeborenen es nannten, wissen wir nicht genau.) Unverschämterweise hatten sie ihre Siedlung ziemlich stark befestigt, und nun verweigerten sie den Römern die Unterwerfungdas Bündnis. Aber die Römer wußten, was gut war für Hispania, und in ihrer bekannten Großzügigkeit nahmen sie auch eine langwierige und kostspielige Belagerung auf sich.

Und als es nach sage und schreibe 14 Jahren endlich so weit war, daß die Festung ausgehungert und der letzte Ausbruchversuch gescheitert war und sich die letzte Hoffnung der Belagerten auf Entsatz durch andere Iberer zerschlagen hatte, beschlossen die überlebenden Numantier, daß sie den Römern nicht in die Hände fallen wollten. (Sie wußten aus dem Schicksal anderer Städte, was ihnen bevor gestanden hätte: Die Männer würden zu Tode gefoltert, die Frauen und Kinder versklavt werden.) Also steckten sie ihr Städtchen in Brand und töteten einander allesamt; die Römer gewannen nur einen Trümmerhaufen (an dem die Archäologen heute noch herum buddeln :-).

So weit, so gut. Numantia und jene Ereignisse gerieten für fast 2.000 Jahre in Vergessenheit, bis sich wieder jemand daran machte, Spanien an den Segnungen seiner großartigen Zivilisation - einschließlich der Republik (Spanien war noch Königreich, pfui aber auch, wie reaktionär!) und des Friedens - teilhaben zu lassen: Kaiser Napoléon von Frankreich. ("L'Empire, c'est la paix", sollte sein Neffe später behaupten; nur böse Zungen machten daraus "L'Empire, c'est l'épée" - aber das wollte man erst glauben, als jenes Empire 1870 im Krieg gegen die bösen Preußen sein Ende gefunden hatte :-) Viele Spanier wollten sich damit nicht abfinden und begannen einen Kleinkrieg (den heute alle Welt auf Spanisch "guerrilla" nennt - damals wurde dieses Wort geprägt) gegen die Besatzer, die nicht weniger brutal zurück schlugen als einst die Römer. Und um zu beweisen, daß beim "Freiheitskampf" gegen die Franzosen kein Opfer zuviel war, gruben die spanischen Guerrilleros die alte Geschichte von Numantia wieder aus und stilisierten die Toten zu "Helden" hoch. Und als Napoléon endlich vertrieben war (übrigens nicht von den Spaniern selber, sondern von den Engländern, auch wenn sich die ersteren gerne etwas anderes einredeten, so wie sich die Franzosen 1944 einreden sollten, daß sie selber die bösen Nazi-Deutschen vertrieben hätten und nicht etwa die US-Amerikaner :-). Und noch viele Jahrzehnte später war jene Vorstellung so präsent, daß ein gewisser Alejo Vera y Estacas mit einem heroïschen Gemälde, dem er den Titel "Numancia" gab, den 1. Preis bei der Nationalausstellung der schönen Künste in Madrid 1880 gewinnen konnte.

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Wir schreiben das Jahr 1936, genauer gesagt den Juli 1936. Der spanische Bürgerkrieg ist gerade erst ein paar Wochen alt: Die Aufständischen, die sich gegen das rote Terror-Regime erhoben haben, haben die Truppen der "Republik" im Westen überrumpelt, könnten direkt auf Madrid marschieren und dem Spuk - und damit dem Blutvergießen - binnen weniger Tage ein Ende bereiten. Doch General Franco zögert: Im Alcázar von Toledo, der ehemaligen Hauptstadt Kastiliens, wird sein alter Freund, Oberst Moscardó, mit einer Handvoll Kadetten von der Offiziers-Akademie, Verkehrspolizisten, Frauen und Kindern von Truppen der Roten belagert, und jeder weiß aus anderen Städten, welches Schicksal sie erwartet, wenn die Festung fällt... s.o. (Den Sohn des Obersten hatten die Roten, da dieser nicht kapitulieren wollte, bereits gefangen genommen und zu Tode gefoltert.)

Was hättet Ihr an Stelle der Beteiligten getan, liebe Leser? Wie gesagt, Kapitulation war keine Alternative, und mit den paar Handfeuerwaffen war auch kein Ausfall und Durchbruch zu schaffen - man konnte sich allenfalls noch ein paar Wochen in den Ruinen der von den roten Terror-Bombern zerstörten Festung verteidigen, bis Munition und/oder Proviant alle waren. Und dann? Aber keine Sorge, Franco ließ seine Kameraden - immerhin ein paar hundert - nicht im Stich: Er zweigte seine besten Truppen vom Kampf um Madrid ab und befreite Toledo; und im September 1936 hatte er einen Trümmerhaufen gewonnen (dessen Bilder Besuchern noch in den 1970er Jahren vorgeführt wurden, als Dikigoros erstmals Toledo besuchte; "bis heute" kann er in diesem Fall allerdings nicht schreiben; denn inzwischen werden den Besuchern irgendwelche verlogenen Märchen aufgetischt, die in ihrem Wahrheitsgehalt peinlich an die heutigen Märchen vom Untergang der Cap Arcona 1945 in der Neustädter Bucht erinnern - aber das ist eine andere Geschichte).

Um welchen Preis gewann Franco jenen Trümmerhaufen? Nun, das ist leicht auszurechnen: um drei Jahre Bürgerkrieg und eine Million Tote. Hätte sich das verhindern lassen? Ja, durch eine "Heldentat" à la Numantia - und diesmal wäre es ausnahmsweise tatsächlich eine gewesen. Wohlgemerkt nicht, um den Gegner zu schädigen, sondern um den närrischen Verbündeten davon abzuhalten, aus Gefühlsduselei die Chance auf eine schnelle und relativ unblutige Entscheidung zu verpassen. Aber mittlerweile war Numantia offenbar vergessen - jedenfalls bei den ungebildeten Kommißköppen, die im Alcázar das Sagen hatten.

Hat Dikigoros eben von einer Million Toten gesprochen? Ja, aber das ist noch viel zu niedrig gegriffen. Kaum jemandem ist klar, wie vieler Tote Blut am Alcázar klebt. Nie wäre Hitler auf die Schnapsidee gekommen, in den spanischen Bürgerkrieg einzugreifen, wenn ihm nicht die erfolgreiche Verteidigung und der Entsatz von Toledo so imponiert hätten. (Mit der Aufstellung der "Legion Condor" wurde erst im Oktober 1936 begonnen.) Nie hätte er altmodische Flugzeuge dort "erprobt" und sich dadurch in dem Irrglauben verheddert, mit jenen Kaffeemühlen ausreichend gerüstet zu sein, als ihm England und Frankreich 1939 den Krieg erklärten. (Statt dessen hätte er vielleicht rechtzeitig das Düsenflugzeug bauen lassen, das ein deutscher Ingenieur bereits erfunden hatte, und noch viele andere moderne Waffen, die serienreif waren, auf die er aber angesichts des Schein-Erfolgs in Spanien glaubte verzichten zu können.) Toledo kostete Spanien "nur" eine Million Menschen; Europa und Asien kostete sie je 40 Millionen (wobei sich Dikigoros erlaubt, die "Nachkriegstoten" aus den unmittelbar auf den Weltkrieg folgenden Kämpfen bis 1949 mit zu zählen). Nie hätten die Westmächte gewagt, ein Reich anzugreifen, in dem nicht nur ständig von "Kanonen statt Butter" gefaselt wurde, sondern das tatsächlich in einem solchen Maße für einen Krieg gerüstet gewesen wäre, wie das heute in unseren Geschichts- und Märchen-Büchern daher gelogen wird. Welch eine Heldentat wurde hier ausgelassen... der Ärger ist nur: Hätten Moscardó & Co sie begangen, so hätte es im Nachhinein niemand gewußt; und auch Dikigoros hätte einen "Jauhar von Toledo" - oder wie immer man das dann genannt hätte - nur als ein Ereignis von vielen ähnlichen in seine Sammlung "Ein feste Burg ist unser Götze" aufgenommen.


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