Fernost: Stalins Probe-Krieg Korea

aus: DER SPIEGEL 26/1950

(Links und Anmerkungen von N. Dikigoros)

In Korea ist Krieg. 48 Stunden nachdem der fernöstliche Donnerschlag als Sonntagsüberraschung totalitären Musters um die Welt lief, standen die Panzer des roten Generals Kim Il-sung in der südkoreanischen Hauptstadt Söul.*

Der Chef der Nordkoreanischen Volksrepublik ist dabei, sein Versprechen wahrzumachen: "1950 wird das Jahr der Entscheidung." Oft genug wurde das Drama angekündigt, das jetzt auf der Landnase zwischen Japan und dem asiatischen Kontinent abrollt.

Seit Monaten verherrlichte der rote Sender in Pjöngjang ununterbrochen seine Sabotagetruppe südlich der Zonengrenze. Stolz verkündete er, daß seine Guerillas allein im April 2900 südkoreanische Soldaten und Polizisten töteten oder verwundeten. Trotzdem hoffte der Westen.

Dieser Vogelstraußpolitik bereitete die rote Kriegserklärung vom letzten Sonntag ein unerwartetes Ende.

Dabei hätte alles vermieden werden können. September 1943 einigten sich Roosevelt, Churchill und Tschiang Kai-schek in Kairo, daß das von Japan "versklavte Korea ... frei und unabhängig sein sollte".

Siebzehn Monate später wurde in Jalta der körperlich kranke Roosevelt auch politisch schwach. Trotz fast fertiger Atombombe warb er bei den Russen um Eintritt in den Japankrieg. Auch bei der Befreiung Koreas sollten sie ihm helfen: Genau bis zum 38. Breitengrad.

Roosevelt wollte amerikanisches Blut sparen. Aber es war eine Rechnung auf kurze Sicht.

Noch im Dezember 1945 ahnten die Amerikaner nichts. Auf der Moskauer Außenminister-Konferenz einigte man sich auf eine amerikanisch-russische Korea-Kommission. Sie sollte den 30 Millionen im westdeutschlandgroßen "Land der Morgenfrische" eine vom Volk zu wählende rechtmäßige Regierung geben.

Doch dem russischen Befreiungsgeneral Trofim F. Schtykow paßte die südkoreanische Delegation nicht. Er nannte sie japanhörige, politisch belastete Faschisten. Für sie sei im roten Pjöngjang kein Platz.

"Wieso Pjöngjang?" fragte Schtykows amerikanischer Kollege General Hodge. Für ihn war die 500jährige Reichshauptstadt Söul der historisch-logische Regierungssitz. Trofim F. Schtykow lachte. Verbittert berichtete Hodge nach Washington.

Präsident Truman schlug vor, daß sich die Vertreter der Großen Vier in Washington treffen und einigen sollten. Dem amerikanischen 7-Punkte-Vorschlag stimmten Großbritannien und China zu. Als die Sowjetunion ablehnte, wandte sich Washington an die UNO.

Die beschloß am 14.11.1947, zum Studium der verworrenen Lage eine vorläufige Kommission nach Korea zu senden. Aber die internationalen Herren kamen nur bis zum 38. Breitengrad. Dort wurde schon geschossen.

Besorgt logierten sie sich im 65 km südlich der Grenze liegenden Söul ein. Die Südkoreaner waren begeistert. Ihr Sprachrohr, der zurück gekehrte Exilpolitiker Dr. Syngman-Rhee, sicherte dem Besuch aus Lake Success jede Unterstützung zu.

Mit dem Norden hingegen konnten die Herren keine Verbindung bekommen. Weder diplomatisch über die UdSSR, noch durch Briefe an den roten Zonenchef und Ex-Guerillageneral Kim Il-sung. Auch nordwärts gerichtete Radiorufe blieben ohne Echo.

Doch das Übersehbare war bereits erfreulich genug. Politische Kurzsichtigkeit hatte Korea in zwei gleiche Hälften geteilt. Im Süden nährten sich 20 Millionen Menschen recht und schlecht vom Reisbau. Die zum Wiederaufbau des Landes notwendige Industrie lag jenseits der Zonengrenze im Norden. Dort waren 10 Millionen hungriger Koreaner gerade beim Volksenteignen der früher japanischen Betriebe. Nach Sowjet-Muster. Nord und Süd sprachen bereits verschiedene Sprachen.

So verblieb der vorläufigen Korea-Kommission nur, die für den 10.5.1948 angesetzten südkoreanischen Wahlen zum Kuk Hoi, dem Parlament, zu beaufsichtigen. 92,5% der Abstimmenden gaben für eine Unzahl verschiedener Parteien ihre Stimmen ab.

Die demokratisch gebildete Regierung unter dem heute 75-jährigen Präsidenten Syngman Rhee trat ihr amt am 15.8.1948 an, genau drei Jahre nach der Befreiung von den japanischen Besatzern. Ihr gesetzlicher Charakter wurde von der UNO bestätigt. Zwanzig Staaten anerkannten die "Republik von Korea".

Nur die nördliche, russisch gesteuerte Landeshälfte war nicht einverstanden. Aus Protest schnitt sie dem Präsidenten Rhee den elektrischen Strom ab und bremste damit den Wiederaufbau des energieschwachen Südens erfolgreich ab.

Auch sonst war die "Demokratische Volksrepublik von Korea" aktiv. Eine kommunistische Volkspolizei machte die Zonenregierung innenpolitisch autark. Beruhigt konnten - am 21.10.1949 - die sowjetischen Truppen Nordkorea verlassen.

Ahnungsvoll beschwor Präsident Rhee die Amerikaner, nicht gleiches zu tun. Sie taten es dennoch. Die UNO machte aus der vorläufigen eine ständige siebenköpfige Korea-Kommission.**) Von Fachleuten wird sie UNCOK (United Nations' Commission of Korea) genannt.

Am 30.1.49 trafen die UNCOKler in der rechtmäßigen Hauptstadt Söul ein. Ihre Aufgaben waren optimistisch weit gespannt. Sie sollten

Daß die UNO-Herren ein völliges Fiasko erlitten, ist nicht ihre Schuld. Der von ihnen in sechs Monaten verfaßte Bericht wird als klassisches Beispiel vorbildlicher Sachlichkeit in die Archive der UNO eingehen. Die UNCOK stellte fest:

Der von den Sowjets aufgestachelte Norden sei weitgehend für das Dilemma verantwortlich. Aber die südkoreanische Einstellung, die UNO solle via Sowjetunion die rote Regierung aus Pjöngjang vertreiben, sei alles andere als ein kooperativer Schritt zum Kompromiß.

Doch für Präsident Rhee in seiner über 20fach bestätigten Legalität war eine Diskussion mit den "roten Rebellen" undiskutabel. Hatte die UNO nicht den Norden für ungesetzlich erklärt? Warum erdreistete sich die UNCOK, mit General Il-sung Verbindung aufnehmen zu wollen?

Der "eisenharte" Rhee - so hört er sich gern nennen - war auch in diesem Punkt eisenhart. Die UNCOK hatte zugleich den Auftrag, den Handel zwischen Nord und Süd in Gang zu bringen. Der Norden schwieg. Der Süden verhinderte eifersüchtig jeden Versuch zur Diskussion über die Zonengrenze. Mit Rebellen treibe man keinen Handel.

"Beide Teile haben sich in eine gefährliche militärische Pose geworfen", berichtete die UNCOK. Auch als die amerikanischen Beschützer am 29.6.1949 - vor genau einem Jahr - aus Südkorea abzogen, änderte sich hieran nichts. Durch vieles Bellen hoffte der nur eine Autostunde von der Zonengrenze residierende Syngman Rhee vom Gebissenwerden verschont zu werden.

Er irrte. Er versäumte auch, den Nationalisten seines Landes eine Chance zu geben. Als Kopf eines innenpolitisch gespaltenen südkoreanischen Körpers konnte er seinen Regierungssitz gegen den auf Einheit gedrillten Norden nicht halten. Trotz der den Südkoreanern zurück gelassenen Berge von US-Waffen, der 500 militärischen Berater, der umfangreichen US-Wirtschaftshilfe der letzten fünf Jahre.

Der kommunistische Einfall in Korea war lange, in aller Stille und psychologisch gut vorbereitet. Zwei Monate vor dem Angriff, am 25.4.1950, verbreiteten Pjöngjang, Peking und Moskau gleichzeitig:

Beides sei eine Bedrohung der friedlichen, arbeitsamen Bevölkerung Ostasiens.

Dann folgte von Pjöngjang aus ein Sand in die Augen streuendes Zugeständnis an Südkorea: die lang herbeigesehnten Gesamtwahlen sollten am 6.8.1950 stattfinden.

Hinter dieser Nebelwand Ostasiens galt es zu handeln, ehe die Tokioter*** Besprechungen der obersten US-Militärs Früchte tragen könnten. Ein (laut UNCOK-Bericht) von General Kim Il-sung in Moskau persönlich unterzeichneter Militärpakt gab Nordkorea Rückendeckung.

Die Sowjetunion ihrerseits kann - ohne selbst angreifen zu müssen - feststellen, nicht nur, was die USA, sondern was die Vereinten Nationen sich bieten lassen.

Es gibt keinen Punkt in der ganzen Welt, wo der 70-jährige Marschall Stalin diesen Probe-Krieg günstiger abrollen lassen könnte.****


*Damals wußte man in Deutschland noch, wie das richtig ausgesprochen und geschrieben wird!

**Darin waren vertreten: Australien, Nationalchina (Taiwan), El Salvador, Frankreich, Indien, die Philippinen und Syrien (später ersetzt durch die Türkei).

***Das war und ist dagegen falsch: Es heißt nicht To-ki-o (das würde kein Japaner verstehen :-), sondern "Tō-kyō!

****Im Rückblick ist diese Naivität der Spiegel-Redakteure beinahe unfaßbar: Es gab damals kaum einen anderen Punkt auf der Welt, der für einen Probekrieg ungünstiger lag: Fernab der Sowjet-Union, mit dem künftigen Rivalen Rotchina dazwischen. Der günstigste Punkt wäre der Nordiran gewesen - aber die Chance ließ sich Stalin entgehen; Dikigoros schreibt darüber auf der zuletzt verlinkten Webseite ausführlicher und will sich hier nicht wiederholen.


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