MAN SPRICHT DENGLISCH . . .

von Jens Findeisen (Stern Webreporter)

mit einigen Anmerkungen von N. Dikigoros

"Wer Ladyisches will, searcht nicht bei Jil Sander. Man muss Sinn haben für das Effortless, das Magic meines Stils." Eindrucksvoller als Modediva Jil Sander kann man es kaum ersichtlich machen: Sprache befindet sich in einem ständigen Wandlungsprozess.

So war es schon immer - aber nicht immer zu ihrem Besten. Dass dieser Prozess allerdings viele Menschen in Panik versetzt, weil sie das baldige Ende der deutschen Sprache vorhersehen, ist dagegen eine relativ aktuelle Entwicklung. Einen Namen haben die Mahner sich schon erdacht: "Denglisch" heißt das Phantom, dem sie den Kampf angesagt haben.

In vorderster Sprachfront steht der Verein zur Wahrung der deutschen Sprache e.V.. Er versteht sich selbst als Hüter über "Selbstachtung und Würde aller Menschen, die Deutsch als Muttersprache haben." Beides, betont Vereinsvorstand Wolfgang Krämer, drohe nämlich angesichts der zunehmenden "Vermanschung des Deutschen mit dem Englischen" unwiederbringlich zerstört zu werden. Krämer hat die Gefahr erkannt: Wie weiland der junge Siegfried zieht er aus, den anglo-amerikanischen Sprachgut-Drachen zu töten. Statt eines Schwertes bedient er sich dabei schneidiger Rubriken wie etwa der Wahl zum Sprachpanscher des Jahres für besonders üble Verfehlungen wider die deutsche Sprachkultur. Klar, dass neben Telekom-boss Ron Sommer, dem Schöpfer des German-Calls [und Totengräber, pardon Undertaker am Milliardengrab der Deutschen Telekom AG, Anm. Dikigoros], auch Jil Sander in dieser "Ruhmeshalle" vertreten ist.

Absolutes Highlight, Verzeihung, Glanzlicht der Seite ist die Aktion Sprachtest. Mit beeindruckender Sorgfalt gehen die Sprachdetektive auf die Jagd nach "überflüssigen, irreführenden oder angeberischen Anglizismen" in den Internetpräsenzen von Büromöbel-Herstellern [für des Deutschen nicht mehr mächtige Leser: Office Furniture Provider, Anm. Dikigoros]. Lob und Anerkennung finden so knackige deutsche Werbesprüche wie "Kompakt. Komplett. Kommt an" der Firma Voko - holpere es, wie es wolle - während englische Slogans als "Schimpansendeutsch" gebrandmarkt werden. [Das ist in der Tat eine Beleidigung für jeden Schimpansen, Anm. Dikigoros]

Derartige Aussetzer sind beim VWDS allerdings die Ausnahme. Mag man ihm Pedanterie und Humorlosigkeit vorwerfen, pure Deutschtümelei betreibt er nicht. Dafür gibt es im Netz andere Seiten. So stellt ARKUS, der "Arbeitskreis Unsere Sprache", fest, dass das Deutsche zunehmend verwildert und verroht. Um zu retten, was noch zu retten ist, können Gleichgesinnte eine zehn Gebote umfassende Selbstverpflichtungs-Erklärung an den Arbeitskreis schicken - darunter sind Sprüche wie "Ich kaufe keine auf englisch beworbenen Waren und Dienstleistungen." Weckt irgendwie Erinnerungen an vergangene Zeiten...

Dem TOKO-Institut e.V. für systemüberschreitendes Denken gelingt es trotzdem, auch auf solche Geschmacklosigkeiten noch einen draufzusetzen. Hier wird versucht, die drohende Kulturapokalypse mit markigen Versen des 1814 gestorbenen Nationaldichters Johann Gottlieb Fichte zu bekämpfen: "Du sollst an Deutschlands Zukunft glauben - an deines Volkes Aufersteh'n! - Laß diesen Glauben dir nicht rauben - trotz allem, allem was gescheh'n." Da kommt wahre Freude auf. [Das zitierte Gedicht stammt nicht von Fichte, sondern aus den "Weinsprüchen" (1922) des gebürtigen Preußen und Wahl-Bayern Albert Matthäi (1853-1924); es trägt lediglich den Titel: "Fichte an jeden Deutschen", frei nach einer Rede, die Fichte anno 1808 in Berlin gehalten haben soll. (Richtig bekannt wurde es aber erst, als es im Februar 1923 im Simplicissimus erschien, unter dem Titel "Fichte an die deutsche Nation".) Es lautet vollständig:

"Du sollst an Deutschlands Zukunft glauben, an deines Volkes Aufersteh'n,
Laß diesen Glauben dir nicht rauben, trotz allem, allem was gescheh'n
Und handeln sollst du so als hinge von dir und deinem Tun allein
Die Zukunft ab der deutschen Dinge, und die Verantwortung wär' dein!"

[Fichte an die deutsche Nation - Illustration aus dem 'Simplicissimus', Jahrgang XXVII, Bd. 2, Heft-Nr. 45 vom 5.2.1923, p. 640 (für alle, die es ganz genau wissen wollen :-)]

Fürwahr ein Text, den sich unsere Politiker aller Couleurs, pardon Farben, gehörig hinter die Ohren schreiben sollten, insbesondere die von Findeisen - und auch von anderer, kirchlicher Seite - wohlweislich verschwiegene zweite Hälfte, Anm. Dikigoros]

Der humoristische Lichtblick in dieser dunklen Debatte ist auf der privaten Homepage von Heiko Schwalm zu finden. Die Seite enthält fiktive Zeitungsmeldungen aus der Zukunft. Das klingt dann im Jahre 2026 ungefähr so: "Die changes der Reform wurden heute nach long discussions ratified." Womit endgültig bewiesen wäre, dass Jil Sander ihrer Zeit weit, weit voraus ist. [Etwa so weit wie die Reisenden in dem Film "Planet der Affen", Anm. Dikigoros, dem durchaus klar ist, wie real diese Gefahr ist. Wer das nicht glauben will, möge nach Indien fahren und sich anhören, welche Art Sprache dort heuer gesprochen wird - die einzige Frage ist, ob man sie besser "Hinglish" oder "Engdustani" nennen sollte.]


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