BASKENLAND: IN DEN STÄDTEN WÄCHST DIE KRITIK AN ETA

DIE SPRACHLOSIGKEIT DER MILITANTEN

Es gibt sie immer noch, die Hochburgen der baskischen Separatisten.
Doch auch auf den Dörfern gehen den SympathisantInnen die Worte aus.


(von Dorothea Wuhrer, Pamplona / Wochenzeitung, Nr. 51/2000)

«Euskaraz», heisst es kurz und bündig auf dem grossen Schild am Ortseingang von Mutiloa, «hier wird baskisch gesprochen». In Euskera, der baskischen Sprache, unterhalten sich dementsprechend auch alle Gäste in der einzigen Kneipe des kleinen Dorfes, das aus zehn Bauernhöfen besteht. Wer hier das Bier auf Spanisch bestellt, sollte zumindest den baskischen Tonfall beherrschen; wer spanisches Spanisch spricht (der Unterschied ist deutlich hörbar) wird vom Wirt und den anderen zumindest misstrauisch beäugt. Denn Spanisch ist hier eine Fremdsprache und Spanien ein fremdes Land. Das zeigt auch die Dekoration. In dem als Wirtsraum dienenden Zimmer eines Bauernhauses hängt in Grossformat das Emblem der baskischen Separatistenorganisation ETA («Baskenland und Freiheit»): eine Axt, um die sich eine Schlange windet. Darunter steht der Spruch «Bietan Jarrai», was so viel bedeutet wie «Kampf auf zwei Ebenen».

Mit der Ebene des militärischen Kampfes hat man in der Dorfbeiz von Mutiloa keine Mühe - da mögen sie in den Städten des Baskenlandes und erst recht im fernen Spanien noch so lange demonstrieren. Auch in den Dörfern ringsum - alle fünf bis zehn Gehöfte gross und mit einem Schankraum als sozialem Zentrum - stehen die Menschen mit bemerkenswerter Selbstverständlichkeit zu den militanten KämpferInnen. Die paramilitärische Guardia civil und die spanische Nationalpolizei könnten hier, so steht zu vermuten, manches Versteck finden. Aber sie fahren nur ungern aufs Land. Die Staatsorgane sind verhasst und haben selten Erfolg. Nach Mutiloa führt nur eine Strasse, und die ist gut einsehbar; fremde Fahrzeuge und erst recht die Autos der Polizei werden schon lange vor ihrer Ankunft im Ort gesichtet.

Das gilt auch für grössere Dörfer wie etwa Etxarri-Aranaz, ein Zweitausend-Seelen-Ort in der Nähe von Pamplona, das von den EinwohnerInnen auch «Klein-Belfast» genannt wird. Wenn hier die Beamten der Guardia civil auftauchen, gehen auch ältere Frauen auf sie los. In Etxarri-Aranaz sind alle vom Konflikt betroffen - es gibt niemanden, der oder die nicht mindestens einen Angehörigen im Gefängnis oder auf dem Friedhof hat. Der «Kampf um ein freies Baskenland» ist auch hier präsent.

150 Kilometer weiter weg, kurz vor der spanisch-französischen Grenze, das gleiche Bild. Auf den ersten Blick erscheint der Pyrenäen-Ort Orontze wie ein völlig normales Bergdorf. Aber am Ortsausgang, weiter oben in den Bergen, thront eine Kaserne der Guardia civil, über der gleich dreimal die rot-gelbe spanische Flagge weht. Die drei Gebäude wirken wie eine Festung. Im Dorfladen, dessen Zugang wie der Rest der Ortes von der Kaserne aus gut einsehbar ist, wird viel geredet und viel gelacht. Die Menschen sind freundlich, die Stimmung ist locker - bis ein Uniformierter erscheint. Dann verstummen alle sofort, und die Verkäuferin bedient ihn auf Anhieb, obwohl er eigentlich als Letzter an der Reihe wäre. Je weniger man mit der Besatzungsmacht zu tun hat, desto besser. Entlassene ETA-Häftlinge werden bei ihrer Heimkehr hingegen mit einem ordentlichen Dorffest begrüsst, das unter Umständen schon mal zwei bis drei Tage dauern kann.

Die Politik der Sprache

Eine tiefe Kluft durchzieht das Baskenland: Während auf dem Land die baskische Sprache weit verbreitet ist, hört man in Bilbao, Donostia (San Sebastian), Gasteiz (Vitoria) und Pamplona - den vier Provinzhauptstädten auf spanischer Seite - eher selten jemanden baskisch sprechen. Insgesamt beherrschen nur etwa 25 bis 30 Prozent der Bevölkerung die Sprache, aber vor allem unter den Jugendlichen nimmt der Anteil rasch zu. Die älteren Menschen in den Städten hingegen haben nur selten Baskisch als Muttersprache gelernt: Unter dem faschistischen Franco-Regime (bis 1975) war die Sprache auch im privaten Bereich verboten. Allerdings konnte das Verbot nicht überall durchgesetzt werden. Lurdes Goikoetxea aus der Ortschaft Zúmarraga kann sich bespielsweise noch genau daran erinnern, wie sie als Schülerin in den siebziger Jahren Prügel bezog, weil sie kein Spanisch sprach.

Sprache spielt eine wichtige Rolle. Das Baskenland heisst auf Baskisch Euskal Herria, das «Land, in dem Baskisch gesprochen wird», und als Euskaldun, als Baskin oder Baske gilt, wer «der baskischen Sprache mächtig ist». In einem Land, das sich so definiert, ist Sprache stets ein Politikum, das durch den Unabhängigkeitskampf von ETA und der ihre nahe stehenden linkspatriotischen Wahlallianz Herri Batasuna («Vereintes Volk») noch an Bedeutung gewann. Bis vor etwa 15 Jahren wurden baskischsprachige Schulen bei der Vergabe öffentlicher Gelder kaum berücksichtigt - für viele war das ein Beleg dafür, dass sich auch nach Franco wenig geändert hatte. Und noch heute ist etwa der Lehrer und bekennende Nationalist Asis Ibarrola davon überzeugt, dass die Zentralregierung in Madrid alles daran setze, die baskische Identität zu unterdrücken.

Dass sich Herri Batasuna (HB) schon früh für die Förderung des Euskera und die Finanzierung privater baskischsprachiger Schulen einsetzte, hat der ETA-nahen Organisation viel Unterstützung eingetragen. Ähnliche kulturpolitische Forderungen stehen auch im Zentrum der politischen Arbeit der 1997 neu entstandenen Wahlplattform Euskal Herritarrok («Baskische Bürger», EH). Die enge Verknüpfung von Kultur und Politik hat freilich auch ihre Nachteile, jedenfalls für all jene, die sich um die Förderung des Kulturellen bemühen: Sergio Goñi, den der Grossvater Baskisch lehrte, bemängelt, dass angesichts der anhaltenden ETA-Anschläge immer mehr Menschen die Lust vergehe, die Sprache zu lernen.

Das grosse Schweigen

Nicht nur Sprachfragen trennen Stadt- und Landbevölkerung. Auch die politischen Einstellungen sind meilenweit voneinander entfernt. Auf dem Land können ETA-Mitglieder weiterhin mit der Unterstützung vieler Menschen rechnen. Nicht alle befürworten Mittel und Aktionen von ETA, aber in Dorfbeizen wie der von Mutiloa sind die Militanten keine Terroristen, sondern «Gudariak», baskische Soldaten, die ihr Leben für die Freiheit des Vaterlandes aufs Spiel setzen. Doch auch sie reden nur ungern über die Attentatsserie, die seit Ende des ETA-Waffenstillstands im November 1999 unvermindert anhält und eine politische Strategie kaum erkennen lässt. Dazu gebe es nichts zu sagen, meinen die Leute; «unsere Jungs werden schon wissen, was sie tun». Lurdes' Vater formuliert es schlicht und zutreffend: «Wir Basken denken mit dem Herzen und aus dem Bauch heraus.» Aus dem Bauch kommt etwa die Empörung über die Behandlung der rund 550 inhaftierten ETA-Mitglieder. 550 Gefangene haben viele Verwandte, die zwar nicht unbedingt den bewaffneten Kampf unterstützen, aber von den Anti-Terrorismus-Gesetzen direkt betroffen sind. Der Neffe von Carmen Múgica zum Beispiel sitzt in einer Haftanstalt bei Madrid und wurde, wie viele andere ETA-Mitglieder immer wieder von einem Gefängnis in das nächste verlegt. Dabei hat es Carmen Múgica vergleichsweise gut - mitunter müssen Angehörige bis zu tausend Kilometer (eine Wegstrecke) für eine halbe Stunde Besuchszeit zurücklegen. Die Verlegung der Inhaftierten in Gefängnisse im Baskenland ist eine der Grundforderungen von ETA - und ihr können tausende aus eigener Erfahrung nur beipflichten.

Auch in den Herriko Taberna sind alle dieser Meinung. In den «Volkstavernen» - es gibt sie fast in jedem Ort - treffen sich die mit der Unabhängigkeitsbewegung sympathisierenden Jugendlichen. Hier werden spontane Demonstrationen organisiert, von hier aus ziehen vermutlich auch viele derjenigen los, die den bewaffneten Kampf von ETA auf ihre Art unterstützen - durch Sabotageaktionen und «kale borroka», den Strassenkampf. Zu vorgerückter Stunde findet man hier kaum noch einen, der nicht der Meinung ist, dass sich das baskische Volk im Krieg mit den Repressionsregierungen in Paris und Madrid befände und dass «im Kampf um die Freiheit alle Mittel legitim» seien.

Aber was haben die derzeitigen ETA-Aktionen mit Befreiung zu tun? Gibt es noch eine politische Strategie? Wie sieht diese aus? Auf diese Fragen will niemand antworten. In den Tavernen nicht und an der Spitze der ETA-nahen Organisationen schon gar nicht. Die «patriotische Linke hat in den letzten zwei Jahren gewonnen und wird weiterhin gewinnen», sagt EH-Führer Arnaldo Otegi im Gespräch mit der WoZ; das zeige doch, dass der gewählte Weg der richtige sei. Kein Wort zu den Anschlägen, kein Wort der Kritik. Niemand will für ETA sprechen. Aber eine Meinung habe man doch sicher? Auch dazu keine Antwort.

Tod eines Vermittlers

Dafür rumort es im Sympathisantenkreis. Seit der Aufkündigung des ETA-Waffenstillstands vor einem Jahr grüssen sich nicht einmal mehr Freunde, die von Jugend an in denselben Gruppen organisiert waren und gemeinsam demonstrieren gingen. Immer wieder hatten spanische Medien von einer bürgerkriegsähnlichen Stimmung im Baskenland berichtet. So langsam sieht es aus, als könnten sie nun Recht bekommen.

Die Kritik ehemaliger EH-WählerInnen wird jedenfalls immer lauter. Das Attentat auf den katalanischen Wirtschaftshistoriker Ernest Lluch Ende November hat viele baskische NationalistInnen schockiert. Der ehemalige Gesundheitsminister der sozialistischen PSOE hatte als einer von nur wenigen Politikern in Spanien stets für einen Dialog mit den baskischen Separatisten plädiert. Seine Ermordung zu rechtfertigen, dürfte allen schwer fallen, die auch nur über ein bisschen politischen Verstand verfügen: ETA folgt offenbar nur noch der Logik des Krieges. Die aber dient derzeit bloss der regierenden konservativen Volkspartei in Madrid.

Nur weil man dieselben Ziele verfolge, müsse man noch lange nicht jedes Attentat schweigend akzeptieren, sagt beispielsweise Iñaki Izagirre. Er ist einer von vielen, die bisher immer linkspatriotisch wählten, sich nun aber abwenden. Izagirre könnte sich gut vorstellen, demnächst für die bürgerliche baskische Partei PNV zu stimmen. Dasselbe sagen auch Maite Etxeberria und Itziar López - dabei waren die Bürgerlichen bis vor kurzem für sie noch der Feind im eigenen Land, der mit den spanischen Parteien paktierte. Mikel Urra bringt die Kritik auf den Punkt. «Wenn nicht einmal mehr intern das Problem bewaffneter Kampf diskutiert werden kann, dann hat eine politische Betätigung keinen Sinn mehr», sagt er. Bis vor wenigen Monaten war Urra noch Mitglied in der HB-Jugendorganisation Jarrai. Offensichtlich denken viele BaskInnen ja doch nicht nur mit dem Herzen und dem Buch.


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