Die ETA hat sich selbst übertroffen. Die Attentatskampagne dieses Sommers ist die blutigste und willkürlichste ihrer gesamten Geschichte. Nicht so sehr wegen der "Quantität" der begangenen Morde — von insgesamt 792 Opfern in den vergangenen dreißig Jahren gab es seit dem Bruch des Waffenstillstands "nur" 12 —, sondern wegen der "Qualität". Wenn wir das Wort "Qualität" in Anführungszeichen setzen, so deshalb weil es eigentlich völlig fehl am Platz ist, denn es handelt sich um Menschenleben. Doch haben nicht alle Todesfälle dieselbe politische Bedeutung.
Als sich die ETA in ihren Anfängen ihre Angriffsziele unter den Dienern des Staatsapparats (Guardia Civil, Polizei, Militär) aussuchte, gab es schnell politische Unterstützung oder zumindest verständnisvolle Kritik seitens bedeutender Teile der baskischen nationalistischen Bewegung. Seitdem das Ziel aber nur noch in der "Sozialisierung des Schmerzes" besteht und unterschiedslos Attentate begangen werden, gesteht ihr niemand mehr im Baskenland, nicht einmal ihre engsten Anhänger, irgendeine Legitimität zu.
Die von ihr "ausgewählten Ziele" seit dem Bruch des Waffenstillstands sind in ihrer Mehrheit ziviler Natur: gewählte Vertreter der konservativen Volkspartei (PP); Führer der sozialdemokratischen PSOE; Unternehmer, die Mitglieder der nationalistischen baskischen PNV sind (Korta, Präsident des Unternehmerverbands der Provinz Gipuzkoa, hatte offen nach einer Verhandlungslösung im Rahmen des Pakts von Lizarra gesucht); kritische Journalisten (Lacalle saß in der Franco-Zeit im Gefängnis); und der Zivilgouverneur der Provinz Gipuzkoa — Jauregui, ein weiterer alter Aktivist der Linken —, der für seine Entschlossenheit bekannt war, die Verbrechen der "Antiterroreinheit" GAL aufzudecken und eine Lösung des baskischen Problems auf dem Verhandlungsweg anstrebte.
Politische Degeneration
Die baskische Gesellschaft versteht weder die Gründe der Handlungen der ETA
noch ihre Taten; die Mehrheit steht hilflos vor ihrer politischen Degeneration.
Die unseligen Folgen für das ganze baskische Volk sind ganz offensichtlich,
und man begreift um so weniger diesen politischen Wahnsinn.
Allen ist klar, dass der Bruch des Waffenstillstands seine Ursache darin hat, dass sich die PNV nicht ohne Grund geweigert hat, sich den Forderungen der ETA zu unterwerfen — in diesem Fall der Forderung nach Schaffung einer
Nationalversammlung in allen sieben Territorien des Baskenlands, ohne die
Meinung der Mehrheit der betroffenen Bürger zu berücksichtigen.
Ebenso klar ist, dass die Ermordung von Verantwortlichen der PP und der PSOE jede Möglichkeit zu einem Dialog über eine Verhandlungslösung des baskischen Problems zunichte macht; dass die Rückkehr zu bewaffneten Aktionen dem baskischen Nationalismus feindlich gesinnte Bewegungen wiederbelebt; dass die öffentliche Meinung im Spanischen Staat dazu gebracht wird, Euskadi und den baskischen Nationalismus mit Terrorismus und Gewalt gleichzusetzen; dass das Netz politischer Bündnisse, das im Zuge der Unterzeichnung des Pakts von Lizarra aufgebaut wurde, um eine Mehrheit der Gesellschaft für das Selbstbestimmungsrecht zu gewinnen, nun zerrissen ist; dass sich der Prozess der Erneuerung der baskischen Linken in eine reine Chimäre verwandelt hat.
Die Morde der ETA kennzeichnen auch den Selbstmord der baskischen Linken, weil sie die politischen Ziele pervertieren, in deren Namen sie zu handeln vorgeben, so dass man sich die Frage nach dem Charakter der ETA stellen muss: Ist die ETA noch eine linke Organisation?
Niemand bezweifelt, dass sie es in der Vergangenheit gewesen ist, aber
alles scheint darauf hinzudeuten, dass die politische Kultur der neuen
Generation, die heute das Sagen hat, nicht umstandslos zu den Werten und
Traditionen der Linken gezählt werden kann.
Die Führer der ETA, die den
Waffenstillstand gebrochen haben, sind nicht diejenigen, die ihn beschlossen
haben. Die alten Kader, die im Kampf gegen den Franquismus und in den ersten
Jahren des demokratischen Übergangs geschmiedet wurden, haben einer Generation
von Jüngeren Platz gemacht, die durch eine andere Kultur geprägt wurden. Ihr
Credo ist, dass in der Politik alles erlaubt ist und dass ein ungünstiges
Kräfteverhältnis durch Terror verändert werden kann. Sie strebt nicht an, eine
Mehrheit der Gesellschaft für die Verwirklichung ihres Programms zu gewinnen,
sie will vielmehr die Mehrheit, von der sie abgelehnt wird, durch Verbreitung
von Angst neutralisieren.
Diese Generation ist im Kampf der
vermummten Kommandos in den Städten und in der Vergötterung der ETA erzogen
worden. Sie betrachtet sich als die selbsternannte Avantgarde des baskischen
Volkes, was ihr angeblich das Recht verleiht, im Namen eines eingebildeten
baskischen Volkes gegen die Mehrheit der Gesellschaft zu handeln.
Ihre Ideologie — oft
eine reaktionäre Mischung aus Stalinismus und fundamentalistischem Nationalismus
— wirft das Problem des politischen Charakters dieser Organisation auf, die
Bestandteil einer baskischen Linken ist, in der ansonsten unbestreitbar linke
Werte gelten, die von der Gewerkschaftsbewegung und den alternativen sozialen
Bewegungen getragen werden.
Selbstmörderische Unterstützung
Das negativste Element in dieser Situation ist die Aufrechterhaltung der
Komplizenschaft mit der ETA von Führern der baskischen Linken. Sie nehmen in
diesem Prozess der Degeneration der ETA dieselbe Haltung ein wie Führer der
Kommunistischen Parteien gegenüber der stalinistischen Entartung der UdSSR.
Im privaten Gespräch verhehlen sie nicht, anderer Meinung zu sein, aber sie verschweigen ihre Kritik, weil sie nicht "das Spiel des Feindes" spielen wollen, und enden in einer Haltung der Lobhudelei, weil es "keine Alternative" gebe. Gegenüber ihrer sozialen Basis und der gesamten baskischen Gesellschaft haben sie sich jedoch verpflichtet, dem Kreislauf des bewaffneten Kampfes ein Ende zu bereiten, um einen neuen Prozess zu eröffnen und die baskische Linke neu zu begründen.
In Zutik haben sich viele Aktive und führende Mitglieder zusammen mit anderen Teilen der sozialen und politischen Linken daran beteiligt, diesen Prozess in Gang zu bringen. Heute verhindert die Komplizenschaft der Führer der baskischen Linken mit einer degenerierten ETA die Zusammenarbeit beim Aufbau von etwas Neuem.
Warum beugen sie sich dem Diktat der ETA? Erneut liefert uns die Bezugnahme auf den Stalinismus die Antwort: Es ist die Angst. Angst vor einer Organisation, die keinen Unterschied macht zwischen Feinden und kritischen Partnern; Angst, als "Verräter" betrachtet zu werden; Angst vor der Spaltung der Bewegung. All dies führt zu einer tiefen politischen Führungskrise, die die Organisationen der baskischen Linken ihrer aktiven Basis beraubt. Auch zur Mutlosigkeit angesichts der Machtlosigkeit des Sisyphus, der ein für allemal aus dem Kreislauf der Gewalt ausbrechen wollte.
José Ramón Castaños (Bilbao)
Der Autor ist Vertreter von Zutik in Euskal Herritarrok. (Aus: Rouge [Paris], Nr.1889, 14.9.2000.)
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