E H R G E I Z - O D E R - M I T L E I D - O D E R - B E I D E S



Doppelter Sieg!
Fr�hlich pfeifend und lachen zogen wir mit dem schleifenbeh�ngten Siegespferd zum H�nger zur�ck. Vor Freude h�tte ich am Liebsten laut geschrieen.
Bis zum E-Springen, bei dem Nicki mit Danny antreten w�rde, hatten wir noch �ber drei Stunden Zeit. Solange lie�en wir beide im H�nger ihr Mittagessen mampfen, w�hrend wir es uns mit Cola und W�rstchen ausgestattet in der Sonne gem�tlich machten. Obwohl die Sonne schien, war es nicht sehr warm, jedenfalls f�r Mitte Juni. Uns war es recht, ins Schwitzen kamen wir beim Reiten ohnehin schon.
"Als wievielte startest du?", erkundigte ich mich mit vollem Mund.
"Moment mal." Sie kramte das Programm aus der Jackentasche. "E-Springen, Seite sieben. Ah ja." Sie tippte auf das Blatt. "Als neunzehnte von 24 Reitern."
"Und die Konkurrenz?"
"Die �blichen, die meisten kenne ich. Aus unserem Stall starten sechs."
"Und wann bin ich morgen dran?"
"Um halb elf. Um zw�lf f�ngt der Pferdemarkt an."

P�nktlich sattelten wir Danny. Das erfahrene Schulpferd lie� alles �ber sich ergehen, er kannte diese hektischen Turniertage. Wenig sp�ter nahm er locker das �bungshindernis. Ich stand am Rande des Abreiteplatzes und gab meiner Freundin ein paar Tipps. Obgleich ich nicht die beste Springerin war, wusste ich sehr gut zu beobachten, fand Fehler und korrigierte sie so gut ich konnte. Meine angelernte Theorie bei anderen in die Praxis umzusetzen, das war meine St�rke.
Das Stilspringen der Klasse E fand auf dem gro�en Springplatz statt. Wie erwartet nahmen die beiden die neun zu �berwindenden Hindernisse in vorz�glicher Manier; im Stilspringen machte den beiden so leicht keiner etwas vor. Nur sind meistens Ponys die Publikumslieblinge und so landete Nicki auf dem zweiten Platz, was sie allerdings nicht allzu sehr zu st�ren schien. Dritte wurde ein M�dchen aus unserem Stall - auf einem Pony.
Auf dem Abreiteplatz jedoch schien sich jemand regelrecht aufzuregen. Doch, wie ich beim fl�chtigen Hinh�ren mitbekam, nicht �ber die Richter, sondern �ber das Pferd. So ging es meistens: die Pferde waren schuld. Und wenn die es nicht waren, dann die ungerechten Richter. Als n�chstes auf der Meckerliste lagen ung�nstiges Wetter, rutschende Z�gel oder zu lange Martingale. Seltener waren da Reiterfehler. Viel zu selten, wie ich fand.
Ich konnte nicht l�nger die keifende Stimme der h�chstens Vierzehnj�hrigen mit anh�ren, so winkte ich Nicki, dass ich Danny am H�nger versorgen w�rde. Es stimmte mich immer traurig, wenn ich solche Szenen wie gerade eben miterleben musste, und wenn ich sie nicht �ndern konnte, dann wich ich eben aus. Auch wenn es mir schwer fiel.
Umso mehr �rgerte es mich, als ich das unsympathische M�dchen und ihre Mutter, von der sie ganz offensichtlich verzogen wurde, am n�chsten Morgen wieder traf, noch dazu als Konkurrentin beim Springreiterwettbewerb. Als Konkurrenz konnte man sie allerdings kaum bezeichnen; schlie�lich kam es bei dieser Pr�fung sowohl auf fehlerfreies als auch auf harmonisches Reiten an. Und dies war nicht gerade Marion Ritters St�rke.
Mit dem alten Hasen Grando hatte ich keine Probleme, er machte fast alles alleine. So konnte ich mich voll und ganz auf meinen Sitz konzentrieren. Der Parcours war relativ einfach, mit flachen Kurven und h�chstens achtzig Zentimeter hohen Hindernissen. Flie�end, aber f�r den Geschmack meines Reitlehrers zu langsam, �berwanden wir fehlerfrei die ganze Strecke. Letztendlich bekamen wir die selbe Wertnote wie Marius Baloch, der ebenfalls mit Grando am Start war. Jetzt blieb abzuwarten, wie unsere Konkurrenz sprang. Und die sprang gut! Mal abgesehen von Fr�ulein Ritters Hetzjagd, gespickt mit Gertenschl�gen und im Maul herumziehenden H�nden. Die Hellfuchsstute tat mir unendlich Leid so eine schlechte Reiterin auf sich tragen zu m�ssen. Zudem schien sie gar keine Lust zum Springen zu haben; immer wieder stoppte sie kurz vor dem Sprung und �berwand ihn schlie�lich fast aus dem Stand, angetrieben von den Sporen, die sich ihr in den Bauch bohrten. Es war zum Heulen!
Ich �berlie� Marius bereitwillig die Ehrenrunde, was den gratulierenden Richter zum Schmunzeln brachte. "Zu meiner Zeit h�tte ein Junge h�flich dem M�dchen den Vortritt gelassen." Der Grauhaarige zwinkerte uns noch mal zu und rief den F�nfplatzierten auf.
"Haha," schnaubte Marius mit knallrotem Kopf. "Der ist doch vor f�nfzig Jahren sein letztes Turnier geritten!"
Ich befestigte meine blaue Schleife neben Marius' am Martingal.
"Mach dir nichts draus, du darfst die Ehrenrunde trotzdem mitreiten."

Nach der kurzen Runde gratulierten mir ein anderer Reiter, der mit seinem Fuchs den zweiten Platz belegt hatte. Ich sch�tzte ihn auf sechzehn oder siebzehn und wunderte mich. In den kleinen Jugendreiterpr�fungen waren Jungen ziemlich selten, vor allem in dem Alter! Marius war auch eine Ausnahme mit seinen vierzehn Jahren. Hier wunderte es mich allerdings, dass ein so gro�gewachsener Junge auf einem Kleinpferd ritt! In der Dressur mussten die Beine um einiges unter dem Pferdebauch runterh�ngen.
"Gl�ckwunsch."
"Danke, gleichfalls."
Die ewig gleichen H�flichkeitsfloskeln. Er war sogar dazu abgesprungen und streckte mir die Hand hin. Ich ergriff sie mit meinem recht kr�ftigen H�ndedruck. Nach einer kurzen Schrecksekunde erwiderte er den Druck. Dabei l�chelte er mich an und ich bemerkte seine hellen Augen, die in der Sonne blitzten. Sympathisch, dachte ich mir.
Doch pl�tzlich war die Idylle vorbei. Hinter uns schrie und zeterte ein M�dchen herum: Marion. Nat�rlich war sie mit der Leistung ihrer Stute beim Springen nicht zufrieden. Ihre Mutter hielt das arme verschwitzte Pferd und sagte brav zu allem Ja und Amen.
Mein Gespr�chspartner rollte genervt die Augen zum Himmel. "Aus meinem Stall," raunte er mir zu.
Ich zog die Augenbrauen hoch. "Au weia."
"Du sagst es ."
Das M�dchen wollte ihr Pferd anscheinend los werden, sie sprach von "Auktion" und "Vorstellung". Ich h�rte schon gar nicht mehr richtig hin, da brachte mich ein Nachsatz zum Gr�beln: "Wenn sie keiner kauft, kommt sie zum Schlachter!"
F�r einen Augenblick schien es totenstill um uns herum. Frau Ritter bemerkte die unangenehme Situation und h�tte sich wohl gerne ein Mauseloch zum Verstecken gesucht.
"Marion, bitte!"
"Nein, Mama. Wer will denn schon so einen Nichtsnutz wie Aischa? Sie taugt doch zu gar nichts! Sie verweigert doch fast jeden Sprung!"
Und Dressur?, dachte ich, wagte es jedoch nicht auszusprechen. Nachdenklich beobachtete ich die zierliche Stute mit dem leichten Hechtkopf, der ein bisschen an einen Araber erinnerte. Daf�r war sie aber etwas zu gro�. Jedenfalls war sie kein Sportger�t, das man einfach abschieben konnte, wenn es den eigenen Anspr�chen nicht mehr gen�gte. Hoffentlich kaufte jemand das arme Tier der brutalen Besitzerin ab!

P�nktlich um zw�lf hielt der Vorsitzende des Schutterwalder Reitvereins eine kleine Ansprache, erkl�rte den Ablauf der folgenden Stunden und bedankte sich f�r das "rege Interesse". In Wirklichkeit war die Trib�ne der Reithalle nicht einmal bis zur H�lfte gef�llt. Nicki, ich und Daniel, wie der Junge von vorhin hie�, hatten uns Pl�tze nahe beim Ausgang gesucht. So konnten wir gleichzeitig die Vorstellung in der Halle und das rege Treiben auf dem Abreiteplatz verfolgen. Pferde aller Farben und Gr��en trabten, galoppierten und sprangen dort herum. Sofort erkannte ich Marion auf ihrer Hellfuchsstute. Was f�r ein h�bsches Pferd! Und was f�r eine gr�ssliche Reiterin! Ausger�stet mit Sporen und Gerte trieb sie sie �ber das kleinste Hindernis. Das arme Pferd sch�ttelte den Kopf, stoppte kurz und sprang dann mit einem eckigen Satz �ber die Stange. Ich sah wie das M�dchen sich in der M�hne festkrallte und gleichzeitig mit der Gerte ausholte, einmal, zweimal.
"Schrecklich," murmelte ich kopfsch�ttelnd.
"Ja, nicht wahr? Die soll sich einen anderen Sport suchen," stimmte mir Daniel leise zu. "Dabei hat sie Aischa erst seit wenigen Monaten. Vorher hatte sie einen Welsh-Pony-Hengst. Echt �tzend, ihre Eltern kaufen ihr einfach alles, was sie will. Und reiten kann sie �berhaupt nicht! Ich will ja nicht behaupten ich w�re gut, aber besser als Marion allemal!"
"Auf jeden Fall! Am Liebsten w�rde ich ihr die Stute wegnehmen. Die ist doch viel zu schade f�r so eine Reiterin!"
"Wieso kaufst du sie nicht?", scherzte er.
Ich runzelte nachdenklich die Stirn. Geld hatte ich ja, aber das musste nicht gleich die ganze Schutterwalder Reithalle wissen. Trotzdem: warum eigentlich nicht? Es w�rde zwar Monate dauern aus diesem �ngstlichen verkorksten Pferd ein Turnierpferd zu machen, aber vielleicht w�rde sich der Aufwand lohnen. Der Erfolg war keineswegs garantiert!
Nicki stupste mich an. Die Vorstellung begann. Das erste zum Verkauf stehende Pferd wurde vorgef�hrt. Ein W�rttemberger, zw�lf Jahre. Danach eine Stute, auch W�rttemberger. Jedes Pferd wurde unter dem Reiter in allen Grundgangarten vorgef�hrt und nach Wahl auch �ber ein, zwei Spr�nge. W�hrenddessen pries der Auktionator Abstammung, Ausbildung und Exterieur des jeweiligen Pferdes an.
Ich passte nur zur H�lfte auf, immer wieder ging mir die Frage "Warum kaufst du sie nicht?" durch den Kopf. Wie viel Aischa wohl kosten w�rde? Bestimmt drei, vier Tausend oder mehr. Dann w�re nicht mehr viel von den einstigen 10.000 Euro �brig. Naja, so sch�n wie die Stute aussah, erschien es mir unwahrscheinlich, dass sich keiner f�r sie interessierte. Ich sch�ttelte die Kaufgedanken ab und fachsimpelte mit Nicki und Daniel herum.
Endlich, als Vorletzte, wurde Aischa vorgef�hrt. Das hei�t, die Reiterin versuchte es. Immer wieder brach das nerv�se Pferd zur Seite aus und ging deutlich unregelm��ig, lahmte aber nicht. Den Sprung nahm sie erst auf den dritten Anlauf und nach drei harten Schl�gen. Ein emp�rtes Raunen ging durch die Reihen. Dies war selbst f�r die h�rtesten Reiter hier zu viel.
W�hrenddessen redete der Auktionator unger�hrt weiter. "Aischa, Vater Araber, Mutter Araber-Vollblut-Mix, f�nf Jahre, au�ergew�hnlich helle Fuchsfarbe, Mindestgebot viertausendf�nfhundert Euro."
Nochmals ging ein Murmeln um. Viertausendf�nfhundert f�r solch ein verkorkstes Pferd! Nein, das ging zu weit, selbst bei Vollblut in der Abstammung!
"Nicht einmal geschenkt wollte ich dieses Pferd haben," kommentierte jemand neben Nicki. Anscheinend dachten die anderen genauso, jedenfalls bot niemand mit, auch nicht als der Auktionator bis auf zweitausend runter ging.
Ich war entsetzt. Sah denn keiner die wundersch�nen G�nge? Dass sie so verkorkst war, lag schlie�lich an der Besitzerin!
"Keiner? Dann machen wir weiter mit Camilla, eine Holsteiner Stute von..."
Mit hocherhobenem Kopf verlie� Marion die Bahn. Aus den Augenwinkeln sah ich das M�dchen ihr Pferd drau�en anschreien. Pl�tzlich fiel mir ihre Drohung von vorhin ein. "Wenn sie keiner kauft, kommt sie zum Metzger!"
Kurzentschlossen rannte ich raus. Gerade h�rte ich sie keifen: "... du versaust mir kein Turnier mehr! Morgen kommst du zum Schlachter!"
Ich dr�ngte mich zu ihr durch. Sp�ter wunderte ich mich wie ich den Mut dazu aufgebracht hatte. "Wie viel zahlt der Schlachter?", fragte ich k�hl.
"Was geht dich das an?", blaffte die J�ngere mich unfreundlich an. Sie musterte mich abwertend. Ich lie� mich nicht beirren.
"Wie viel etwa?"
Die Kleine zuckte mit den Schultern.
"Vierzehnhundert, f�nfzehnhundert vielleicht. Ist ja nicht viel dran an der." Sie riss den Sattel runter und reichte ihn ihrer Mutter, die stumm daneben stand.
"Ich biete sechszehnhundert," sagte ich schnell.
"DU?" Sie zog das Wort wie Kaugummi auseinander. "Willst du dir das wirklich antun? Die ist zu nichts zu gebrauchen, nicht mal f�rs Gel�nde. Erst geht sie nicht vorw�rts, dann rennt sie wie �ne Irre."
"Ich suche ein Beistellpferd f�r mein Pony," log ich gekonnt. "Mir reicht's, wenn sie sich f�hren und putzen l�sst. Dann kommt sie zu meinem Haflinger in den Offenstall, damit er Gesellschaft hat. F�r mehr brauch ich sie nicht und mehr ist sie wohl auch nicht wert."
Entschuldige, Aischa, f�r diese Beleidigung, sagte ich in Gedanken, w�hrend ich sie sanft streichelte. Sobald ich n�her an den Kopf kam, rollte sie �ngstlich die Augen und riss den Kopf hoch.
"Putzen und f�hren ist kein Problem," versicherte Frau Ritter, erfreut, dass sich doch jemand f�r die Stute interessierte. Der Gedanke an den Schlachter rief ein mulmiges Gef�hl bei ihr hervor. "Aber du kannst doch kein Pferd kaufen! Wenn, dann deine Eltern."
Die behandeln mich ja wie eine F�nfj�hrige, dachte ich w�tend. Mit letzter Kraft setzte ich ein strahlendes L�cheln auf.
"Wenn Sie wollen, kann ich morgen mit meinen Eltern bei Ihnen vorbeischauen. Ich bin heute n�mlich nur mit Freunden da. Wenn Sie mir Ihre Telefonnummer geben, melden wir uns bei Ihnen."
Die Frau nickte zustimmend und holte schnell eine Visitenkarte aus dem Auto. Dazu schrieb sie die Adresse ihres Reitstalls. Ich verabschiedete mich h�flich, da Frau Baloch mit der Abfahrt dr�ngte. Endlich konnte ich meine Gesichtsz�ge wieder entspannen. Jetzt musste ich nur noch meine Eltern unterrichten; Aischa geh�rte so gut wie mir!

Hastig verabschiedeten wir uns von Daniel Schuster, von dem wir inzwischen wussten, dass er sechzehn Jahre alt war, in der gleichen Gemeinde wie Nicki und ich wohnte und das Pferd seiner Tante ritt, die sich derzeit von einer l�ngeren Krankheit erholte. Wir w�rden ihn in Zukunft �fters auf Turnieren treffen, so hoffte ich jedenfalls.
Meine Eltern reagierten erstaunlich gelassen auf meine Kaufpl�ne, als sie mich von meinem Heimatstall abholten. Sofort sprachen wir mit Herrn Ruben, der mir eine Box im Privatstall zuwies. Ab morgen sei sie zu haben, versprach er. Er w�rde Gerd, dem Stallburschen Bescheid sagen. Auch er reagierte betroffen, als er von der geplanten Schlachtaktion erfuhr.
"Solange kein altersbedingter oder k�rperlicher Grund vorliegt, sollte man ein Tier nicht t�ten, nur weil mal ein schlechter Reiter ist und nicht mit ihm zurecht kommt."
�berrascht reagierten die Erwachsenen darauf, dass ich nicht erlaubte, dass Gerd Aischas Box ausmisten w�rde. Ich konnte weder ihn noch seinen Umgang mit Pferden leiden; eher wollte ich das selber besorgen, als durch ihn eine weitere Angstquelle f�r Aischa zu bereiten. Z�hneknirschend zeigte mir Herr Ruben wo Mistgabeln und Schubkarren zu finden waren; schlie�lich verdiente er weniger an mir, wenn ich den Stalldienst selbst �bernahm. Doch er musste es akzeptieren, viel zu viele Boxen standen derzeit leer.
Als die Formalit�ten gekl�rt waren, setzte sich meine Mutter mit Frau Ritter in Verbindung. Ich sa� neben ihr und soufflierte. Schon nach wenigen Minuten machte sie mir das V-Zeichen. Ich presste meine Hand auf den Mund um nicht vor Freude loszuschreien. Ungeduldig rutschte ich auf meinem Stuhl hin und her bis das Gespr�ch beendet war. Endlich legte sie den H�rer auf.
"Morgen Nachmittag um drei."
Ich fiel ihr um den Hals.
"Jetzt wird ein Traum wahr," fl�sterte ich mit Tr�nen in den Augen.
"Na, dann wollen wir mal hoffen, dass es kein Alptraum wird," stichelte mein Vater, l�chelte aber. "Ich nehme an, dass du uns auch mal reiten l�sst, Maike."
Ich sch�ttelte den Kopf.
"Ich hab sie euch doch beschrieben: Aischa ist f�r dich doch viel zu zierlich. Au�erdem bin ich froh, wenn sie �berhaupt wieder ein normales Reitpferd wird!"

"... dass es kein Alptraum wird."
Dauernd spuckte dieser Satz in meinem Kopf herum. Hatte ich zu vorschnell gehandelt? Nein, sonst w�rde Aischa morgen zum Schlachter zu wandern. In Gedanken entwarf ich bereits einen Trainingsplan f�r die n�chsten Tage. Und f�r morgen. F�r die Auktion war Aischa schon vom Tierarzt untersucht worden, darum mussten wir uns also nicht mehr k�mmern. Der Transport! Ob Nicki mir ihren H�nger leihen w�rde? Am besten, ich rief sie gleich an.
Gesagt, getan. Etwas �berrascht, aber bereitwillig lieh sie uns ihren H�nger. Mama w�rde mich mittags von der Schule abholen und ihn hinterher mitnehmen. Zum Gl�ck hatten wir ein gro�es Auto mit Anh�ngerkupplung.
Ob Aischa sich verladen lie�? Ob sie sich gut im neuen Stall einleben w�rde?
Fl�chtig erledigte ich die Hausaufgaben und dachte noch lange bis in die Nacht �ber meine und Aischas Zukunft nach. Auf jeden Fall freute ich mich drauf.
5. Alles relativ


An diesem Montagmorgen war alles relativ bzw. ziemlich. Ich stand relativ fr�h auf, da ich ziemlich schlecht geschlafen hatte. Zum Fr�hst�ck a� ich relativ wenig, in der Schule war ich ziemlich unaufmerksam - zum Gl�ck schrieben wir an diesem Tag keine Arbeit - und insgesamt ziemlich ungeduldig. Am blauen Himmel schien die Sonne ziemlich warm, aber das war relativ normal f�r einen Tag Mitte Juni. Zu allem Gl�ck waren meine Eltern ziemlich p�nktlich und so fuhren wir zu Nickis Eltern um den H�nger zu holen. Nicki bedauerte es zutiefst nicht mitzuk�nnen; sie hatte noch Nachmittagsunterricht.
Wir beeilten uns mit dem Mittagessen um gleich zu Aischas Noch-Besitzern zu fahren. Schnell hatten wir den Reitstall gefunden. Es war erst halb drei. Bis Familie Ritter erschien, guckte ich mich um. Wenigstens hatte Aischa ein sch�nes Zuhause. Sie stand in einer ger�umigen sauberen Box mit netten Nachbarn und d�ste vor sich hin. Leise trat ich n�her um sie in Ruhe zu betrachten. Jetzt erst bemerkte ich die schmale Blesse und die vier schneewei�en schlanken Fesseln. Die M�hne war noch in Z�pfchen geflochten und ziemlich verstrubbelt.
Vorsichtig �ffnete ich die T�r und rief Aischa beim Namen. Ihr Kopf schoss hoch und sie starrte mich misstrauisch an. Ich blieb ruhig an die T�r gelehnt stehen und sprach halblaut mit ihr. Ihr reges Ohrenspiel verriet mir, dass sie zuh�rte. Nach einigen Minuten senkte sie langsam den Kopf. Gerade wollte ich die Hand ausstrecken, als ich bekannte Stimmen vernahm. Sogleich riss Aischa wieder den Kopf hoch. Alles an ihrem K�rper zeugte von der Angst vor ihrer Besitzerin, die gerade in Begleitung ihrer und meiner Eltern den Stall betrat. Langsam schloss ich die T�r wieder und tat so, als h�tte ich die ganze Zeit nur von au�en in die Box geguckt.
Innerlich war ich inzwischen v�llig ruhig; ich war mir sicher, Aischa w�rde bald mir geh�ren. Ich hatte Papa beschworen mir die Verhandlung zu �berlassen; er hatte einfach zu wenig Ahnung von Pferden. So setzte ich mein strahlendstes L�cheln auf und streckte Herrn Ritter die Hand hin, einem etwa vierzigj�hrigen sympathischen Mann. Er schien nicht das arrogante Verhalten seiner Tochter hervorgerufen zu haben; er wirkte eher wie ein zerstreuter Professor, der mehr im B�ro als zu Hause bei der Familie hockte. Seine Frau dagegen hielt ich f�r ein typisches Exemplar einer betuchten Mami, die ihre Tochter verh�tschelte und zu dem machte, was sie heute war: selbsts�chtig und eingebildet.
"Guten Tag, Herr Ritter. Tag, Frau Ritter."
Mein kr�ftiger H�ndedruck wurde sofort erwidert, bei Frau Ritter hielt ich mich h�flicherweise zur�ck. Marion nickte ich nur zu.
"Du hast Aischa schon angesehen?", begann Herr Ritter.
"Fl�chtig, ich w�rde sie mir gerne noch mal in Ruhe drau�en ansehen, okay?"
Er nickte und Marion nahm das Halfter vom Haken. Ich nahm es ihr ruhig, aber bestimmt aus der Hand. "Danke, aber das w�rde ich gerne selber machen."
Aischa hatte sich schon an meine Stimme gew�hnt und blieb stehen, als ich ihr das Halfter �berstreifte. Locker fasste ich sie und sie stakste mit hoch erhobenem Kopf hinter mir her, fragte sich anscheinend was das ganze hier sollte. Auf dem Hof dr�ckte ich meiner Mutter den F�hrstrick in die Hand und trat zur�ck.
Herr Ritter versuchte sein - angeblich vorhandenes - Fachwissen kundzutun und lobe Aischa in h�chsten T�nen. Marions Gesicht aber sprach B�nde. Sie war froh das Pferd loszuwerden.
Ich kommentierte leise - scheinbar zu meinem Vater gewandt - Aischas Exterieur, wobei ich bei schlechten Eigenschaften meine Stimme leicht hob. Schlie�lich tastete ich Aischa von vorn bis hinten ab. An manchen Stellen wie am Nacken oder an der Lende war sie sehr empfindlich und zuckte zusammen, die Ohren �ngstlich zur�ckgelegt, als ob sie Schl�ge erwartete.
"Ist sie schon immer so empfindlich gewesen?", wandte ich mich an Marion. Diese zuckte mit den Schultern. "Wei� nicht, hab nicht so drauf geachtet. Soll sich nicht so anstellen, die Zicke."
Selber Zicke! Fast h�tte ich laut gedacht. Statt dessen nahm ich nun abwechselnd die Hufe auf.
"Okay, dann bringe ich Aischa wieder in die Box zur�ck." Ich hatte genug gesehen. Die Araberstute war noch nicht total verkorkst, in ein paar Wochen w�rde sie wieder zutraulich und reitbar sein.
"Willst du sie denn nicht reiten?", warf mein Vater ein. Ich blickte ihn warnend an und sch�ttelte den Kopf. "Nein, das ist nicht n�tig. Ich habe gestern genug gesehen. Au�erdem will ich sie ja nicht unbedingt als Reit- sondern haupts�chlich als Beistellpferd f�r Max. Und daf�r scheint sie mir geeignet, auch wenn's schade ist. Aber anscheinend ist sie nicht reitbar," erkl�rte ich. "K�nnte ich nun bitte Aischas Papiere und den Attest vom Tierarzt sehen?"
"Ja, nat�rlich." �berrascht �ber mein k�hles �berlegtes Auftreten beeilte sich Frau Ritter das Gew�nschte aus dem silbernen Mercedes zu holen.
"Wei�e Papiere, aha," murmelte ich und verzog das Gesicht, was mir beim Anblick der einwandfreien Abstammung wirklich schwer fiel. Die Vorbesitzer interessierten weitaus mehr: ein Gest�t und gleich danach Familie Ritter. Diese hatten Aischa vor knapp f�nf Monaten erworben. Ich musste mich unbedingt mit dem Gest�t in Verbindung setzen. Nun das Attest. Kerngesund, sehr gut. Ich reichte den Schrieb meinen Eltern und wandte mich an die Noch-Besitzer.
"So, dann wollen wir zum Gesch�ftlichen kommen. Wie viel w�rde der Schlachter bieten?" �ber dieser direkten Frage sichtlich verbl�fft, guckte mich Herr Ritter verst�ndnislos an.
"Schlachter? Wir bringen Aischa doch nicht zum Schlachter!"
"Gestern habe ich aber etwas anderes geh�rt," erwiderte ich unger�hrt. "Aber ich m�chte Ihnen gleich sagen: f�r solch ein d�nnes Tier bekommen Sie nicht viel! Wie viel also?"
Er hatte sich wieder etwas gefangen.
"Nun, du musst beachten, dass sie zu drei Vierteln Araber ist und Englisches Vollblut ist auch..."
"Papiere haben hier nichts zu sagen. Ich m�chte Aischa jediglich vor dem Schlachter retten und dazu werde ich nicht viel mehr ausgeben als er." Ich betrachtete Aischa noch mal kritisch, die ruhig neben Mama stand. "Also... ich w�rde sagen, dem Metzger w�re sie tausenddreihundert oder -vierhundert wert, dann biete ich f�nfzehnhundert..."
"Sechszehnhundert," rief Marion schnell und Aischa machte einen erschrockenen Satz r�ckw�rts. "Gestern hast du noch sechszehnhundert gesagt."
"Da habe ich sie mir auch noch nicht genau angesehen," redete ich mich heraus. Puh, die war ja ganz sch�n gerissen, wenn sie jetzt noch um hundert Euro feilschte. "Ich wei� nicht einmal ob sie das harte Offenstallleben durchh�lt."
"Okay, f�nfzehnhundertf�nfzig," seufzte Herr Ritter und streckte mir die Hand hin. Ich ergriff sie nicht. "Mit Zubeh�r?", vergewisserte ich mich. "Ich meine Trense, Sattel, Halfter, Decke usw. Den Sattel k�nnte ich gut f�r meinen Haflinger brauchen..."
"Tausendachthundert mit Zubeh�r."
"Tausendsiebenhundertf�nfzig."
"Tausendsiebenhundertachtzig."
"Okay." Ich schlug endlich in die dargebotene Hand ein. Die Familie staunte noch einmal nicht schlecht, als ich ohne mit der Wimper zu zucken den Kaufvertrag selber unterschrieb und den Scheck ausstellte. Doch angesichts des Verkaufsgespr�chs wagten sie nicht zu fragen und erlaubten auch ohne weiteres, dass die K�ufer das Kommando �bernahmen. Meine Mutter bat Ehepaar Ritter um das Zubeh�r und trug es mit dessen Hilfe zum Auto. Mein Vater lie� die Klappe des H�ngers hinunter und ich entwirrte mit Marions Hilfe Aischas M�hne. Nebenbei erfuhr ich, dass Aischa schon immer temperamentvoll war. Anfangs hatte Marion gerade das gereizt, mit der Zeit wurde ihr die Aufs�ssigkeit der Stute zu viel und sie wurde hart. Zu hart. Des weiteren wurde mir best�tigt, was ich schon seit gestern ahnte: Marion sah ihr Pferd nur als Sportger�t, einen laufenden Untersatz zum Angeben. Mit Sport und Tierliebe hatte dies wenig zu tun. Ich legte ihr nahe den Pferdesport an den Nagel zu h�ngen. Erstaunlicherweise ging sie sofort darauf ein, sie interessierte sich in letzter Zeit sowieso vermehrt f�r Volleyball. Ich atmete auf, allm�hlich fand ich sie schon netter. Als ihre Mutter erschien, �berraschte sie mich, in dem sie sagte: "Gib Maike alles mit, ich m�chte kein neues Pferd."
Mir blieb der Mund offen vor Staunen.
"Wirklich? Ist das dein Ernst?", stammelte ich schlie�lich ungl�ubig.
Marion nickte.
"Ich brauche das Zeug nicht mehr. Ihr k�nnt auf dem Heimweg bei uns vorbei fahren, dann gebe ich dir alles. H�tten wir Aischa zum Schlachter gebracht, w�rde ich jetzt auf dem Kram rumsitzen. Du kannst sicher das eine oder andere gebrauchen, auch f�r deinen Haflinger. Wie hei�t er noch?"
"Der Haflinger... ���hm, Max hei�t er. Das ist echt super von dir," strahlte ich sie an. "Dann kommen wir nachher bei dir vorbei..."
"Oder nein," unterbrach mich Marion. "Ich fahre schnell mit Mama heim und suche alles zusammen. Es ist nicht weit. Du kannst solange Aischa verladen."
Ich grinste verst�ndnisvoll. Wahrscheinlich lie� sich Aischa nicht gerne transportieren.
Kaum h�rte ich den Mercedes wegbrummen, legte ich Aischa Decke und Transportgamaschen an, beides in leuchtendem Blau. Die kurze M�hne stand gewellt nach allen Seiten ab. Seit Marion weg war, war Aischa wesentlich entspannter und lie� sich gen�sslich von mir kraulen. Schlie�lich beugte ich mich vor um den F�hrstrick von den Gitterst�ben zu l�sen. Als ich mich aufrichtete, blickte ich in ein bekanntes Gesicht: Daniel!
"Was machst du denn hier?," stotterte ich verlegen. Daniels Anwesenheit brachte mich total aus dem Konzept.
"Das Gleiche k�nnte ich dich fragen. Was machst du denn bei Marions Pferd?"
"... bei meinem Pferd," korrigierte ich l�chelnd.
Daniel guckte mich an wie ein Auto, dann breitete sich ein Strahlen auf seinem Gesicht aus, das mich buchst�blich umhaute.
"Dein Pferd? Dann hast du ja auch eines!"
"Auch eines?", wiederholte ich verwirrt. "Du reitest doch das Pferd deiner Tante!"
"Nicht mehr lange, sie ist wieder gesund. Und zum Trost schenken mir meine Eltern ein Pferd, eines, das auch gr��enm��ig besser zu mir passt."
"Das ist ja super!", freute ich mich mit ihm.
"Und wei�t du was noch besser ist? Im Sommer wechsle ich aufs Gymnasium und da ist es besser, wenn ich mein Pferd in deinem Stall einstelle, das ist n�her."
Ich kam nur schwer aus dem Staunen heraus.
"Dann sehen wir uns ja �fter," murmelte ich betont gleichg�ltig, obwohl es in meinem Inneren brodelte. "Hilfst du mir beim Verladen? Ich wei� nicht wie Aischa sich da anstellt."
Nat�rlich half mir Daniel, auch wenn das kaum n�tig war. Z�gernd folgte mir die Hellfuchsstute die Rampe hinauf, �berrascht, dass sie nicht wie sonst heftig angetrieben wurde. Drinnen wartete ein gef�lltes Heunetz und eine Hand voll Leckereien. Ich sprach noch lange mit ihr und Daniel bis die Damen Ritter erschienen. Zu Sattel, Trense und Satteldecken kamen jetzt noch Bandagen, Putzzeug, M�hnengummis, Gerten, Sporen und sonstiges Kleinzeug hinzu.
Marion schluckte als sie Aischa friedlich am Heu knabbernd im H�nger stehen sah. Es schien als wusste die junge Stute, dass ihr Leiden ein Ende hatte.
Wir verabschiedeten uns. In einem unbeobachteten Moment fl�sterte ich Daniel zu: "Besuch uns mal! In ein paar Wochen ist Aischa sicher wieder Ok."
Herrn Ritter gab ich vor dem Einsteigen noch einen Rat: "Kaufen Sie Ihrer Tochter lieber einen Volleyball oder sonst ein Sportger�t. Ein Pferd ist n�mlich keines."




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