P R � F U G E N - A U F R E G U N G E N



"Ab welcher Temperatur hat ein Pferd Fieber?"
"Ab 38,2 Grad."
"Gut. Und wie hei�t dieser Teil des Sattels?" Ich deutete auf einige Stellen an Aischas Sattel.
"Sturzfeder, Gurtstrippen, D-Ring, Vorderzwiesel, Hinterzwiesel," kam es wie aus der Pistole geschossen von Daniel.
Dieses kleine Frage-Antwort-Spiel fand auf der Stallgasse unseres Reitvereins statt. Aischa und Camiro standen d�send vor ihren Boxen und lie�en sich versch�nern. Sie hatten eine anstrengende Dressurstunde hinter sich, Herr Ruben hatte uns vor der morgigen Pr�fung nochmals hart rangenommen und nicht eher geruht bis alles nach seiner Zufriedenheit verlief. Die E-Dressur war nicht schwer, daf�r achtete man vermehrt auf Sitz und Hilfengebung und darin war der Reitlehrer unerbittlich. "Wir schaffen das locker," meinte ich zuversichtlich und begann Aischas M�hne in kleine Z�pfchen zu flechten.
"Bist du nicht aufgeregt?"
"Doch, aber was n�tzt die Aufregung? Gar nichts: ich kann mich nicht konzentrieren, Aischa sp�rt meine innere Unruhe und wird selbst hibbelig. Dann kann ich die Sache gleich vergessen; so brauche ich erst gar nicht an Turniere zu denken!"
Daniel legte die Kard�tsche auf Camiros Kruppe und trat von hinten an mich heran. Z�rtlich schloss er die Arme um mich und k�sste mich sanft in den Nacken.
"Irgendwie hast du Recht. Camiro hilft es nicht, wenn ich nicht an uns glaube. Ich kann die Theorie, Dressur und Springen ist ein Klacks f�r mein Pferd, wir werden es schaffen. Und du erst recht! Was f�r eine Dressurnote bekommst du wohl? 8,0 oder besser?"
"Mach keine Witze!", wehrte ich ab und steckte ein Z�pfchen hoch. "Mir reicht auch 7,9."
"Haha," machte mein Freund und wandte sich wieder seinem Pferd zu. Zweifelnd guckte er auf die rotbraune M�hne. Er hasste einflechten. "Am liebsten w�rde ich die M�hne offen lassen."
"Das gibt garantiert Abzug," sagte ich unger�hrt. "Ich helfe dir jedenfalls nicht, ich muss noch Halifax fertig machen."
"Hab ich irgend etwas in dieser Richtung gesagt?" Daniel tat ganz unschuldig, sein Gesicht verriet ihn jedoch. Diesem Blick konnte ich nur schwer widerstehen.
"Na gut, ich flechte Camiro ein und du putzt daf�r Aischas und Halifaxs Sattelzeug, okay?"
Statt einer Antwort lie� Daniel alles stehen und liegen und setzte sich mit Lappen und Lederfett bewaffnet, Aischas Sattel auf den Knien, auf seine Putzbox.

Die Pr�fung war wirklich nichts, vor dem man Angst haben musste: Die zwei Richter waren sehr nett, ich kannte sie bereits von Turnieren. Die Reihenfolge der Abteilung hatten wir schon zuvor ausgemacht, Daniel ritt an erster und ich an letzter Stelle der siebenk�pfigen Abteilung.
Als erstes mussten wir im Trab leichttraben, durch die ganze Bahn wechseln, aussitzen und durchparieren zum Halt. Nun wandte sich der eine Richter jedem einzeln zu und lie� ihn eine Vorhandwendung ausf�hren. Danach hie� es wieder antraben und auf dem Zirkel geritten, aus dem Zirkel wechseln, durchparieren zum Schritt.
"B�gel �berschlagen!"
Ich l�chelte vor mich hin. Bisher hatte alles einwandfrei geklappt, Aischa ging mit aufmerksam spielenden Ohren und machte keinen einzigen Versuch aus der Reihe zu tanzen. Vielleicht erm�dete sie auch das schw�le Wetter; Danny hinter mir trottete mit h�ngendem Kopf und sch�ttelte nur ab und zu die hartn�ckigen Fliegen ab. Vorsorglich hatte ich Aischa mit Fliegenspray eingespr�ht, was sich jetzt als sehr n�tzlich erwies.
"Erster Reiter kehrt und angaloppieren."
Das Einzelprogramm, vor dem viele am meisten gezittert hatten, entpuppte sich als sehr einfach: angaloppieren, auf dem Zirkel geritten, zum Trab durchparieren, Handwechsel, erneut angaloppieren und an der langen Seite die Galoppspr�nge verl�ngern. Schlie�lich noch eine Runde auf dem Zirkel traben, das war's. Der gro�e Fuchs Camiro donnerte im Mittelgalopp los, lie� sich jedoch leicht wieder einfangen, im Gegensatz zu Danny, der aus dem schlurfenden langsamen gerade einmal einen ordentlichen Arbeitsgalopp machte. Zum wiederholten Male war ich froh ein leichtrittiges Pferd unterm Sattel zu haben, das noch nicht hart und gef�hllos im Maul war. Es ging doch nichts �ber ein eigenes Pferd, das man reiten konnte sooft und wann man wollte, statt auf ein oder zwei Reitstunden pro Woche angewiesen zu sein.
Nach dem Mittagessen war die theoretische Pr�fung an der Reihe. Jedem von uns wurden f�nf Fragen gestellt, bei denen ich mich fragte, warum ich all die Wochen gepaukt hatte! Aber wahrscheinlich h�tte man mich dann genau die Dinge gefragt, die ich nicht gelernt hatte. Es war mich im Moment auch egal. Ich hatte - wenn mir nicht beim Springen ein ganz grober Fehler unterlief - das Kleine Reitabzeichen in der Tasche.
Ich half einem kleinen M�dchen mit Halifax, das jetzt die Pr�fung f�rs gro�e Hufeisen ablegen w�rde. Ich erinnerte mich an das letzte Reitlager, als ich an der Stelle dieses kleinen M�dchen gewesen war. Als w�re es gestern gewesen, klangen mir die Worte des Pr�fers im Ohr: "Bei mir ist mir der gute Dressursitz aufgefallen - trotz des wohl nicht einfachen Pferdes." Ich hatte damals die temperamentvolle Tamara geritten. Ob man dieses Jahr wieder so gut von mir sprechen w�rde?
Gedankenverloren sa� ich auf der Trib�ne bis ich raus musste um noch ein paar Probespr�nge zu machen. Halifax war gut aufgew�rmt und in harmonischem Fluss �berwanden wir ein Hindernis nach dem anderen. Daniel musste gleich nach mir in die Halle und kam mit dem Gesicht eines strahlenden Siegers heraus. Den gr��eren Turnieren stand nun nichts mehr im Wege!
Der Himmel hatte sich - wie jeden Nachmittag der letzten Woche - mit dunklen Wolken bezogen, doch keiner glaubte an Regen. Wir lie�en unsere Pferde im Schritt �ber den gro�en Au�enplatz gehen und horchten nach dem immer n�her rollenden Donner. Inzwischen war es dunkel wie am Abend, im S�dwesten erhellten die ersten Blitze das Dunkelblau des Himmels.
"Komm, wir versorgen die Pferde, Halifax geht mir bei jedem Blitz fast durch."
Meine Worte gingen in einem weiteren Schlag unter. Daniel verstand trotzdem. Kaum stand Halifax in ihrer Box, ging auch schon ein Platzregen runter, der im Nu den Sandplatz in ein Schlammbad verwandelte. Endlich Regen nach der langen Trockenheit! Doch zugleich rann mir ein Schauer �ber den R�cken. Was war mit den Schlachtpferden? Hoffentlich hielt der provisorische Unterstand dem Wind und dem starken Regen stand! Ich musste sofort zu Hause anrufen.
"Hast du mal ein paar M�nzen f�r mich?"
"Klar, hier." Daniel kramte eine Eurom�nze aus seiner wei�en Turnierhose. "Wof�r denn?"
"Da fragst du noch! Ich muss Mama anrufen!" Und schon war ich weg, hetzte durch den Regen zur Reithalle, in deren Vorraum sich ein M�nzapparat befand. Mit zitternden H�nden steckte ich die M�nze in den Schlitz und w�hlte. Nerv�s trommelte ich mit den Fingerspitzen auf den Apparat. Warum meldete sich keiner! Na, vielleicht waren meine Eltern von selber auf die Idee gekommen nach den Pferden zu sehen, beruhigte ich mich. Ich probierte es nochmals im Abstand von f�nf Minuten, dann gab ich auf. Gleich nach der kleinen Feier im Reiterst�bchen, wo die Abzeichen verliehen wurden, wollte ich es nochmals versuchen.
"Was ist? Warum machst du so ein tr�bes Gesicht?" Liebevoll zog Daniel mich auf seinen Scho� und bot mir seine Cola an.
"Ich habe sie nicht erreicht. Hoffentlich ist nichts passiert! Ich habe so ein ungutes Gef�hl..." Auf meine Intuition konnte ich mich meistens verlassen.
Ich lenkte mich ab, indem ich mit ein paar Kameradinnen �ber die Pr�fung diskutierte und Pl�ne schmiedete. Mit dem Kleinen Reitabzeichen war ich in der Klasse A startberechtigt. Meinen ersten Versuch wollte ich beim gro�en Herbst-Freilandturnier unseres Reitvereins machen, eine Dressurpferdepr�fung A f�r vier- bis sechsj�hrige Reitpferde und eine normale A-Dressur, in der auch Daniel starten wollte, auch wenn er sich in Zukunft auf den Springsport konzentrieren wollte. Er stachelte mich an Aischa wieder an kleine Spr�nge heranzuf�hren.
"Vergiss es, Aischa ist nicht f�rs Springen geeignet," wehrte ich ab.
"Du hast es nur noch nicht probiert! Ein E-Springen wird sie doch noch schaffen! Denk doch mal an die Vereinsmeisterschaft, w�re ein Start mit dem eigenen Pferd nicht viel sch�ner? Ich meine, an Camiro und mich kommt ihr eh nicht..."
Weiter kam er nicht, da kitzelte ich ihn schon durch. Er schaffte es doch immer wieder mich zum Lachen zu bekommen!

"Psst, sie kommen!"
Erwartungsvoll wandten sich alle Kinder und Jugendlichen den beiden Richtern zu, sogar die vorlautesten waren f�r einen Moment still. Herr Hetzel begann mit einer einf�hrenden Rede, in der er die Begeisterung der jungen Leute f�r den Reitsport lobte und die Arbeit von Reitlehrer und Betreuern hervorhob. Danach rief er jeden Einzelnen zu sich, angefangen bei den J�ngsten.
Da klingelte das Telefon. Anita hob den H�rer ab. Wie elektrisiert sa� ich da und dr�ckte Daniels Hand. Wenn das meine Mutter war! Jetzt winkte sie uns zu. Vorsichtig schoben wir uns durch die Stuhlreihen zur Theke durch. Die junge Betreuerin dr�ckte mir den H�rer in die Hand und wechselte dann ein paar Worte mit dem zweiten Richter, der bisher nur unbeteiligt neben seinem Kollegen gesessen hatte.
"Ja?", meldete ich mich leise um die Versammlung nicht zu st�ren. Es war Papa.
"Maike, bist du's? Mama ist auf dem Weg zu euch. Die Pferde haben den Zaun niedergetrampelt und sind auf und davon..."
"Um Gottes Willen! Doch nicht etwa auch die Kreisstra�e?" Mir stockte der Atem.
"Nein, die Spuren zeigen in Richtung Wald. Da k�nnen wir lange suchen. Frau Baar ist informiert, sie bringt nur schnell ihre Kinder zu ihrer Mutter, dann hilft sie uns."
"Was ist mit den Fohlen?" stotterte ich, voller Angst um meine kleinen Lieblinge.
"Den Fohlen geht's gut; ich hab sie in Baars Auslauf gebracht, da k�nnen sie nicht von herabst�rzenden �sten erschlagen werden. Der Sturm ist ziemlich heftig."
"Das ist gut, wir kommen gleich!" Mit einem tiefen Seufzer legte ich auf. "Du hast es geh�rt, Dani?"
Mein Freund nickte. "Nichts wie los!"
Wir wollten durch die Hintert�r verschwinden, doch Herr Ruben hielt uns auf.
"Anita hat es mit schon erkl�rt; ihr kommt gleich dran, dann k�nnt ihr zu euren Pferden."
"Danke."
Mit angedeutetem Knicks trotz Reitstiefel und Handschlag nahm ich die Anstecknadel und die Urkunde entgegen. Meine Augen weiteten sich erstaunt, als ich einen Blick auf die Wertnoten warf: Springen 6,8 , Theorie 6,5 und - was mich echt umhaute - Dressur 7,3! Daniel hatte 7,1 , 6,5 und 6,7 , womit er sehr zufrieden war.
Drau�en hupte Mama. Schnell verabschiedeten wir uns und rannten durch den str�menden Regen zum Auto.

Zwanzig Minuten sp�ter durchforschten die Taschenlampen die Nacht. Nacht war etwas �bertrieben, es war erst halb sieben. Dennoch war der Himmel nachtschwarz. Zun�chst sahen wir nach den Fohlen. Fiodor und Capriccio unterhielten sich �ber den stabilen Holzzaun mit Ilse Baars Ponys, die einen Offenstall mit gepflastertem Vorplatz bewohnten. Hier war alles in Ordnung; die Pferde genossen die Wassermassen wie eine Massage. Weiter stapften wir, noch immer in Turnierkluft und Reitstiefeln, gelbe Ponchos �bergest�lpt, den Feldweg entlang bis zu Kopfs Weide. Ilsa und Papa hatten die Plastikpf�hle wieder aufgestellt und das Elektroband neu gespannt. Die Suche konnte beginnen.
Den Hufspuren nach waren alle f�nf Ausrei�er in Richtung Wald gerannt, weg vom Dorf. Ich atmete auf, wenigstens waren sie nicht auf die Kreisstra�e gelaufen. Noch nicht!
"Hinterher!" rief ich. "Mama, du f�hrst mit dem Auto in Richtung Waldh�tte. Am Parkplatz parkst du und l�ufst den Rest. Wir anderen folgen den Abdr�cken. Los!"
Ich schnappte mir zwei Halfter und stob davon, Daniel hinterher.
Die Spuren f�hrten am Waldrand entlang, an einer Kreuzung scharf rechts in Richtung Waldh�tte. Hatte ich es mir doch gedacht: Ich w�hlte gerne diesen Weg zum Spazieren gehen. Wenn Mama von der anderen Seite kam, sa�en sie in der Falle.
Viel fr�her als erwartet trafen wir auf die ersten zwei Ausrei�er: Merian und Troika war es zu anstrengend geworden hinter den anderen her zu hetzen, sie rupften lieber schmackhafte Kr�uter am Wegrand ab. Bald zog Ilse mit den beiden ab.
"Komisch, einige Spuren gehen den Hauptweg weiter, die anderen in diesen Pfad," bemerkte mein Vater kopfsch�ttelnd. "Der f�hrt doch nicht zur Waldh�tte."
"Nein, es ist eine Abk�rzung zum Stall. Du kannst hinterherlaufen, den Abdr�cken nach handelt es sich hier um ein einzelnes Tier. Wahrscheinlich hat es die zwei Anf�hrer verloren und hat sich selber den richtigen Weg gesucht."
Ich setzte mich wieder in Trab. Dank meiner guten Fahrradfahrer-Kondition legte ich den Kilometer zur Waldh�tte in wenigen Minuten zur�ck, zumal es immer sanft bergab ging. Dort angekommen hielt ich schwer atmend inne und hielt mir den Bauch, allerdings vor Lachen. Da standen unter dem kleinen Vordach Stella und Red Point und beknabberten sich gegenseitig die M�hnen. Mama sa� daneben auf einer Band; sie hatte es nicht gewagt zwei Pferde zugleich alleine zu f�hren, au�erdem hatte sie keine Halfter, sonder nur einen Strick und ein Seil aus dem Auto, das sie ihnen um die H�lse geschlungen hatte.
"Jetzt hoffe ich nur, dass Salome wirklich zum heimischen Stall gelaufen ist. Sie kennt sich hoffentlich gut genug aus."
"Wo f�hrt denn der Weg von vorhin genau hin?" Daniel kannte die Gegend nicht besonders gut.
"Erst aus dem Wald raus, bei der Isl�nderweide vorbei..."
"Die Isl�nderweide! Vielleicht ist Salome dort," vermutete Daniel und halfterte Stella auf. Willig trotteten die zwei Pferde hinter uns her durch den inzwischen gleichm��ig str�menden Regen.

Wie erwartet trafen wir die anderen am Stall, auch Salome. Das Gewitter hatte sich weiter nach Osten verzogen; nass bis auf die Haut, aber gl�cklich �ber den erfolgreichen Tag schleppten wir uns nach Hause. Ich lieh Daniel ein Handtuch und ein frisches T-Shirt von mir, damit er wenigstens etwas Trockenes an sich hatte. Papa kutschierte ihn nach Hause und versprach uns am n�chsten Morgen wieder zum Reitverein zu bringen. Nach einer warmen Dusche sank ich ersch�pft ins Bett und r�hrte nicht einmal mehr das belegte Brot an, das Mama mir hingestellt hatte.




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