E I N E - W I C H T I G E - E N T S C H E I D U N G



Die Monate verstrichen. Fiodor und Capriccio wurden an ein Gest�t verkauft; Red Point fand neue begeisterte Verehrer auf einer Western-Ranch und f�r Stella hatten sich sogar zwei Bewerber gefunden. Die bessere Unterbringung entschied letztendlich. Die zwei Norweger und Salome zogen im Ende September in einen Offenstall mit zwei Koppeln um, die meine Eltern gepachtet hatten. In einem ausf�hrlichen Zeitungsbericht bedankten wir uns nochmals bei allen Helfern, die uns mit Sach- und Geldspenden unterst�tzt hatten. Im Reitverein war man stets �ber alles informiert und Daniel und ich konnten uns nicht �ber zu wenig Anerkennung beschweren. Dazu verhalfen uns nat�rlich auch unsere Turniererfolge und der Titel des Junioren-Vereinsmeisters und der Vize-Junioren-Vereinsmeisterin. Ich war wirklich mit Aischa sowohl in der Dressur als auch im Springen der Klasse A angetreten und nur ein Abwurf warf mich auf insgesamt den zweiten Platz hinter Daniel und Camiro zur�ck. Es machte Spa� sich in Wettbewerben zu konkurrieren um sich danach gegenseitig liebevoll zu begl�ckw�nschen. Gemeinsam ritten wir, zuerst mit Camiro und Aischa, danach mit Salome und Merian, Troika nat�rlich nicht. Ich nahm sie �fters als Handpferd mit ins Gel�nde, stets darauf bedacht sie nicht zu �beranstrengen und somit das Fohlen zu gef�hrden. Ende M�rz sollte es auf die Welt kommen; ich freute mich schon wie verr�ckt darauf, ebenso wie auf das erste Turnier der neuen Saison, das am dritten M�rzwochenende in unserem Reitverein stattfinden sollte. Doch bis dahin gab es noch viel zu arbeiten: mehrmals lie� ich mich mit Salome zum Reitstall kutschieren um ihr das Gel�nde zu zeigen. Inzwischen war ich hundertprozentig sicher, dass sie einst ein super Dressurpferd gewesen sein muss, das, ausrangiert und nicht mehr f�r die h�here Leistungsklasse brauchbar, auf einen Schlachttransport abgeschoben worden war. Die A-Dressur w�rde sie spielend schaffen! Bei der FN in Warendorf hatte ich sie auch angemeldet, Pferde- und Impfpass hatte der Tierarzt stets ordentlich gef�hrt, es stand also nichts einem Comeback entgegen. Wie selbstverst�ndlich stieg sie in unseren inzwischen eigenen H�nger! Mit Merian war das schon eher ein Problem, doch nach zwei Wochen Training stieg auch er hinein um in sein neues Domizil gebracht zu werden. Er w�rde es gut haben in der Familie mit einem Shetlandpony als Kamerad.

Am Freitag Abend w�rde ich Salomes schwarze M�hne einflechten und sie in den ger�umigen Stall einsperren, damit sie das gl�nzende hellbraune Fell nicht mit ein paar Matsch- und Grasflecken verzierte. Am Nachmittag jedoch war zun�chst Aischa dran. Gleich nach der Schule radelte ich zum Reitverein, wehrte alle verzweifelten Hilfegesuche der aufgeregten Helfer und Organisatoren ab - "Du kannst uns doch sicher im Parcours helfen..." - und flocht in Windeseile (inzwischen hatte ich �bung darin) Aischas M�hne in einen spanischen Zopf entlang des M�hnenkammes. Dann �ffnete ich den wie immer bandagierten Schweif und band ein rotes Schleifchen in den Einsatz; es konnte gut sein, dass die junge Stute auf dem Abreiteplatz etwas �berm�tig wurde.
Die Dressurpferdepr�fung der Klasse A fand um vier Uhr statt. Wir waren das 23. Paar von 27, so konnte ich mir vor dem Abreiten noch einige Ritte anschauen. Die Aufgabe war nicht besonders schwer, nur Mittel- und Arbeitstempo im Trab und Galopp, Mittelschritt, Halten aus dem Trab und R�ckw�rtsrichten. Die normale A-Dressur morgen w�rde etwas schwieriger sein.
Daniel trenste und sattelte Aischa bereits auf. Er musste erst morgen reiten und stand mir heute mit Rat und Tat zur Seite. Wie erwartet guckte die Hellfuchsstute zun�chst in der Gegend herum - so viel neue Pferde! - bevor sie sich gehorsam konzentrierte. Vor den Richtern gab sie stets das Beste, das wusste ich. In dieser Pr�fung war es �blich, dass Alter und Abstammung des Reitpferdes bekannt gegeben wurden. Ein Raunen ging durch die Reihen beim Anblick der edlen Hellfuchsstute. Mit Schwanenhals und in stolzer Anmut trabte sie schwungvoll auf die Richter zu, blieb auf ein leichtes Annehmen der Z�gel stehen und blickte sich interessiert um. Da ihr die Umgebung vertraut war, konnten wir uns voll auf die Aufgabe konzentrieren und bei der Schlussaufstellung lag ein zufriedenes L�cheln auf meinem Gesicht. Egal welche Wertnote wir bekamen, wir hatten unser pers�nliches Ziel erreicht. Daniel, der den Ritt von der Trib�ne aus verfolgt hatte, machte mir grinsend das V-Zeichen und klatschte mit den anderen, bisher wenigen Zuschauern. Das schlechte, an den April erinnernde Wetter schien wohl die meisten von dem kleinen Ausflug in die Natur abzuhalten.
Ich winkte meinem Freund beim Herausreiten zu, er solle auf die Wertnote achten. Zum Trockenreiten entwich ich dem Get�mmel auf dem Abreiteplatz und lie� Aischa am langen Z�gel eine Runde um das Gel�nde schreiten. Als wir zur�ckkamen, ritt gerade das letzte Paar aus der Halle. Kurz darauf knackste der Lautsprecher:
"Die Wertnote f�r das letzte Paar: 6,3. Wir bitten nun zur Siegerehrung alle Paar mit einer Wertnote von 6,7 und besser."
"Du bist drin, Maike! Du bist drin!" rief Daniel mir aufgeregt zu. "Mit 7,4!"
7,4! Das war super! Stolz lenkte ich Aischa in die Halle. Insgesamt wurden sechs Pferde platziert. Da ich nicht wusste, welches die beste Wertnote war, machte es die Wartezeit noch spannender. Endlich hatten die Richter ihre Bl�tter sortiert und begaben sich in die Bahn.
"Gewonnen hat in einer Dressurpferdepr�fung der Klasse A f�r vier- bis sechsj�hrige Pferde... gewonnen hat die Nummer 36, Aischa, geritten von Maike Kramer, mit der Wertnote 7,4. Herzlichen Gl�ckwunsch!"
Als w�re es das Selbstverst�ndlichste der Welt lie� meine kleine Siegerstute sich die gelbe Schleife ans Zaumzeug heften und guckte sich um, ob es auch alle sehen konnten. Meine liebe kleine Aischa, genauso stolz auf ihre Leistung wie ich.

Beim ersten Start in der neuen Saison gleich ein Sieg! Na, wenn das keine super Voraussetzungen f�r den morgigen Tag waren. Als ich abends todm�de von einem Spaziergang mit Troika zur�ckkam, stibitzte ich noch schnell eine Sektflasche aus dem Keller und stellte sie in den K�hlschrank. F�r alle F�lle.
Ausgeruht und bester Laune mistete ich am n�chsten Morgen den Offenstall aus und pr�fte Salomes M�hne nach, ob sich auch kein Z�pfchen gel�st hatte. Die hellbraune Stute schien zu sp�ren, dass es auf ein Turnier ging und freute sich auf die Abwechslung. Auf unseren Ausritten musste ich stets neue Wege suchen, damit es ihr nicht langweilig wurde. Als ich sie verladen wollte, �berrumpelte sie mich und h�pfte fast in den H�nger. Ich bat meine Mutter etwas abseits der vielen Transporter zu parken, doch meine Sorge war unbegr�ndet. Salome genoss den Trubel um sie herum, wieherte ab und zu irgend einem Pferd zu. Da sie erst zum Schluss und Aischa am Anfang der A-Dressur gemeldet war, sollte Mama sich um sie k�mmern, sie satteln und im Schritt etwas warm reiten - soweit hatte sie schon gelernt - und sp�ter Aischa �bernehmen.
Das Wetter hatte es gut mit uns gemeint, nicht zu kalt und trocken, gerade richtig f�r einen anstrengenden Turniertag. Die A-Dressur fand direkt nach dem gerade beginnenden Reiterwettbewerb statt. Mit halbem Ohr h�rte ich die Kinderstimmen auf dem Abreiteplatz. Noch vor wenigen Monaten war ich eine von ihnen gewesen, eine kleine, unbedeutende Anf�ngerin ohne Aufstiegschancen. Nicki starte heute ebenfalls, nat�rlich mit Goliath. H�tte sie es im letzten Jahr nicht geschafft den riesigen Schimmel in einen H�nger zu bekommen, h�tte sie die ganze Saison nur auf weniger guten Schulpferden in Reiterwettbewerben reiten k�nnen. Springen war kein Problem, das konnten alle Schulpferde - au�er Goliath. Diese zwei und nat�rlich Daniel mit Camiro waren die gr��ten Konkurrenten, dazu noch eine Privatreiterin mit einer Rotfuchsstute.
Aischa gefiel die Turnieratmosph�re mit den vielen Zuschauern und fremden Pferden; hier gab es immer etwas zu sehen. Auch die etwas schwierigere Aufgabe meisterte sie gut und wurde mit der Wertnote 7,0 und einer Karotte belohnt, bevor ich mich Salome widmete, die inzwischen zig Runden im Schritt auf dem Abreiteplatz hinter sich hatte. F�r ihr Alter recht schwungvoll absolvierte sie die Lektionen, nur nach dem Mitteltrab gab ich eine etwas zu harte Parade und sie trabte einige Takte fast auf der Stelle, es schien wie ein paar Tritte Passage. Ich wusste gar nicht, dass sie so etwas konnte, geschweige denn, wie man die Hilfen dazu gab, deshalb gab ich schnell mit der Hand nach und presste leicht die Schenkel an den Bauch. Mein erstauntes Gesicht zeigte den Richtern, dass ich ebenso von dieser Reaktion �berrascht war wie sie. Jedenfalls brauchten sie ziemlich lange um sich auf eine angemessene Wertnote zu einigen: 6,7. Ich war sehr zufrieden, bedenke man meinen kleinen Fehler. Egal, ich wurde inzwischen schon wo anders gebraucht: Mama hatte anscheinend ziemliche Probleme mit meiner nicht gerade temperamentlosen Araberstute. Als Anf�ngerin konnte sie die �berm�tigen Seitenspr�nge nicht aussitzen und war heilfroh, als ich ihr das widerspenstige Pferd abnahm. Bei meinem Anblick war sie sofort brav wie ein Lamm.
"M�dchen, so geht's nicht!" wies ich sei energisch zurecht und brachte sie in ihre Box. Wie der Blitz war ich zur�ck an der Halle und wartete dicht beim Lautsprecher auf den Aufruf zur Siegerehrung. Noch drei Reiter, noch zwei, noch einer, endlich: 6,7 und besser!
"Jaaa!" Ein paar Leute guckten mich etwas pikiert an, l�chelten jedoch freundlich und begl�ckw�nschten mir. Mit beiden Pferden platziert! Pl�tzlich durchfuhr es mich wie ein Schlag: mit welchem Pferd sollte ich die Schleifen entgegen nehmen? Normalerweise war es �blich mit dem besseren. Doch, wieso sollte Salome nicht f�r ihre Leistung belohnt werden? Aischa hatte schlie�lich gestern schon gewonnen. Kurzentschlossen lief ich zu meiner Mutter und schwang mich in den Sattel der wartenden Stute. Unter den anderen Pferden, die nun die Halle betraten, war auch Camiro. Ich hatte Daniels Ritt gar nicht mitbekommen. W�hrend die Siegerin ihren Pokal �berreicht bekam, lenkte ich Salome schnell zu ihm und erkundigte mich danach.
"6,9," war die Antwort. "Und du?"
"Aischa 7,0 und Salome 6,7."
"Gerade noch drinnen, echt gut f�r das alte M�dchen." Bewundernd musterte er die h�bsche braune Stute, die den Eindruck machte, als sei das Turnier und vor Allem die Siegerehrung etwas aus ihrem alten Leben. Es war, als sei sie hier zu Hause und freue sich, dass ei doch noch so etwas erleben durfte. Mit guter Pflege und vern�nftigem Reiten w�rde sie noch einige Jahre leben, zusammen mit Troika und dem Fohlen �ber die Weide preschen und ab und zu auf kleinen Turnieren starten, ohne dass sie es �beranstrengte oder unter Druck setzte.
Sie bedankte sich mit heftigem Kopfnicken �ber die gr�ne und die wei�e Rosette - die eigentlich Aischa zugedacht war - und wieherte hell zu dem klatschenden Publikum hin: "Hey, Leute, ich bin wieder da!"
Sie und Aischa waren der lebende Beweis daf�r, dass Pferde Turnieren auch Spa� machen konnte. Nat�rlich musste man dies vern�nftig angehen und sie in der Disziplin f�rdern, die ihnen am meisten lag.
Dass ich abends im E-Springen nur zweite Reserve wurde, tr�bte den Tag kein bisschen. Am heutigen Tag konnte einfach nichts Schlechtes passieren - dachte ich.

Als wir in Hochstimmung zu Hause ankamen, erwartete uns ein von starken Taschenlampen erleuchteter Stall. Dumpfe Stimmen drangen heraus. Ich nahm Salome schnell Halfter und Transportgamaschen ab und schickte sie in den Auslauf. Dann �ffnete ich die Stallt�r.
"Was ist denn..." Weiter kam ich nicht. Ein zweistimmiges "Psst!" zwang mich zum Schweigen. Da knieten mein Vater und der Tierarzt neben der schwer atmenden Troika. Herr Winkler hatte ein scheinbar lebloses, hellgelbes Fellb�ndel im Scho� und zog eine Spritze auf.
"Du musst leben, kleines M�dchen," fl�sterte er beschw�rend als der dem kleinen Tierchen die Injektion verabreichte. Ich wagte kaum zu atmen, als es nach einer Ewigkeit nieste und leicht den Kopf hob: es lebte!
"Na endlich, ich dachte, sie kommt nicht mehr." Herr Winkler bedeutete uns, uns zur�ckzuziehen. Papa war die Aufregung der letzten Stunden deutlich ins Gesicht geschrieben, st�hnend rieb er sich das schmerzende Kreuz. Mama hatte bereits das Sattelzeug aus dem Auto geholt und erfuhr erst jetzt was Sache war.
"Bei der Abendf�tterung habe ich es gemerkt," berichtete Papa. "Troika lag schnaubend auf dem Boden und hatte anscheinend gro�e Schmerzen."
"Kein Wunder," warf der Tierarzt ein. "Ein gro�es Kind hat sie da zur Welt gebracht. Durch die Geburt sind beide noch ziemlich geschw�cht, aber das wird schon. Sie brauchen jetzt Ruhe und gutes Futter. Morgen komme ich noch mal vorbei. Wenn die Kleine nicht innerhalb der n�chsten Stunde trinkt, m�sst ihr ihm behilflich sein. Die erste Milch ist sehr wichtig f�r das Fohlen."
"Ich wei�." Endlich war ich wieder f�hig mich zu r�hren.
Herr Winkler wechselte das Thema. "Wie war's denn mit der Braunen auf dem Turnier?"
"Sehr gut." Ich erz�hlte begeistert von Salomes Erfolg und ihrem Verhalten im Reitstall.
"Ja, das hast du gut hingekriegt," lobte er. "Die Stute scheint richtig aufgebl�ht hier, und nicht nur sie. Auch die zwei Norweger, die sich anfangs kaum von mir untersuchen lassen wollten, sind v�llig ruhig geworden, ohne eine Spur von Misstrauen."
Ich schmolz unter dem Lob weg wie Butter in der Sonne.
"Also bis morgen."
Als ich das Koppelgatter hinter dem netten Tierarzt schloss, drehte er sich um. "Wenn ich mal ein Problempferd habe, schicke ich es bei dir in Therapie."
"Geht klar." Nachdenklich sah ich ihm nach wie er in der Dunkelheit verschwand. Kurz blinkten die Autolichter auf, bevor der Wagen um die n�chste Kurve bog.
"Problempferde, Therapie," dachte ich laut. Unbemerkt trat meine Mutter hinter mich. "Ja, das werde ich tun."
"Was wirst du tun?" Sanft legte sie den Arm um mich, obwohl sie gut einen Kopf kleiner war als ich. Langsam drehte ich mich um und schaute sie mit gl�nzenden Augen an.
"Ich werde mich als Bereiterin ausbilden lassen und dann mit Problempferden arbeiten. Ich tr�ume von einem eigenen Stall, auf dem ich junge und alte Pferde trainiere und sie mit sanften Methoden zu Leistungen bringe, die andere Leute nur durch Zwang und Gewalt erreichen. Vielleicht sogar eine kleine Reitschule oder ein Buch, in dem meine Sch�ler lernen ein Pferd als Freund und nicht als Sportger�t zu behandeln. Das ist mein Plan..."
Von der Stallt�r her erklang Papas begeisterte Stimme: "Es trinkt, es trinkt wirklich!"

Einen Monat sp�ter erschien in einer Fachzeitschrift ein kleiner Artikel mit Bild �ber die Geschichte der Schlachtpferde. Ein Bild zeigte Salome bei der Siegerehrung und ein zweites Troika mit ihrem Baby. Ich nannte das kleine Stutfohlen Traumnacht, da es in einer Nacht geboren wurde, in der ein Traum dazu bestimmt wurde in die Realit�t umgesetzt zu werden.




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