E I N P � N K T L I C H E R G L � C K S F A L L



Es war im Mai, genauer gesagt: der Vierzehnte, noch genauer: mein sechzehnter Geburtstag. Da es ein Sonntag war lie�en meine Eltern mich ausschlafen. Das tat ich auch; um halb zw�lf kroch ich endlich aus den Federn. Die Party gestern Abend hatte ganz sch�n geschlaucht. Bis kurz nach eins hatten meine Freunde und ich im Keller gefeiert - bei dem Gedanken daran fiel mir sofort die heute anfallende Putzaktion ein - die Stereoanlage war voll aufgedreht und der Tisch mit Knabberzeug und H�ppchen �berf�llt.
Punkt zw�lf hatten alle mit mir angesto�en, dann hatte meine Mutter sie heim gefahren. Au�er Nicki, meine Freundin aus dem Reitstall. Diese drehte sich gerade auf die andere Seite, streckte und reckte sich und schaute verschlafen von ihrer Matratze zu mir auf.
"Na, ausgeschlafen?"
Mit einem Sprung war ich aus dem Bett und schaltete gleich gewohnheitsgem�� das Radio ein. Hei�e Beatrhythmen erf�llten die schl�frige Stille. Fr�hlich pfeifend tanzte ich ins Bad.
"Oh, bitte Maike! Schalt diese verdammte Musik aus," st�hnte Nicki. Als ich nicht reagierte, zog sie sich die Decke bis �ber die Ohren. Schlie�lich gab sie sich doch geschlagen und tappte nach mir ins Bad. Nach einer kurzen Dusche waren wir beide putzmunter.

Unten erwartete uns ein liebevoll gedeckter Fr�hst�ckstisch mit allem was ein hungriger Magen begehrt: Br�tchen, Butter, Honig, drei verschiedene Marmeladensorten, Eier, Milch und Kakao, umrahmt von mehreren Kerzen, sechszehn an der Zahl. In der Mitte prangte ein bunter Fr�hlingsstrau�. Darin steckte ein kleiner Brief. Schon bevor ich ihn �ffnete, wusste ich den Inhalt.

Liebe Maike!
Herzlichen Gl�ckwunsch zu deinem Geburtstag! Es tut uns Leid, dass wir heute nicht mit dir feiern k�nnen, wir m�ssen ins Konzert nach Karlsruhe. Das Mittagessen steht im K�hlschrank und deine Geschenke und die Post liegt auf dem Wohnzimmertisch.
Verlebe einen sch�nen Tag!
Deine Mama
PS: wir kommen erst in der Nacht zur�ck

Langsam legte ich den Zettel zur Seite. Eigentlich war es mir ganz recht, wenn meine Eltern weg waren, egal ob heute mein Geburtstag war oder nicht. Ohne sie f�hlte ich mich frei und unabh�ngig, konnte tun und lassen was ich wollte. Gerade sprach Nicki mich darauf an.
"Was h�ltst du davon, wenn wir nachher zum Stall fahren? Herr Ruben erlaubt sicher, dass wir zwei Pferde reiten."
Ich setzte mich ebenfalls an den Tisch und schmierte mir ein Br�tchen dick mit Honig.
"Klar, �berl�sst du mir heute Goliath?"
Wir stritten uns immer um den riesigen Schimmelwallach, vor dem die meisten Angst hatten - zu Unrecht, wie wir meinten. Auf ihm hatte ich bei meinem zweiten Turnier gleich einen zweiten Platz und in diesem Fr�hjahr immerhin vier weitere Platzierungen erlangt.
Fr�her wollte kaum jemand ihn reiten, weil er f�rchterlich gebuckelt hatte und der Fall von solch einem Riesen soll sehr tief sein. Ich hatte diese Erfahrung noch nie mit ihm gemacht; ich wollte beweisen, dass auch weniger gute Reiter Goliath reiten konnten, mit Erfolg. Mit einem Mal - er war etwa sieben Jahre alte und seit zwei Jahren im Schulbetrieb - legte sich sein Buckeln. Ich hatte den Verdacht, dass man ihm den Willen gebrochen hatte, doch beweisen konnte ich dies nie. Seitdem musste ich �fters um ihn k�mpfen, unter anderem gegen Nicki, die zwar j�nger, aber eine bessere Reiterin war.
"Ausnahmsweise," mampfte diese nun. "Dann nehme ich Lady oder Blacky oder so."
Ich angelte mir ein weiteres Br�tchen aus dem Korb.
"Hat Herr Ruben eigentlich schon die Liste f�r das Turnier in Schutterwald ausgeh�ngt?"
Nicki sch�ttelte den Kopf bis sie wieder etwas sagen konnte. Mit einem gro�en Schluck Milch sp�lte sie den Bissen hinunter.
"N�, aber ich denke wir sind dabei."
"Echt Gl�ck, dass Goliath gerade noch in einen H�nger passt! So haben wir ein super Turnierpferd."
"Hmm," kam es zustimmend von meiner Freundin.
"Wann kommt denn deine Mutter?"
"Um halb eins. Willst du bei uns zu Mittag essen? Dann fahren wir gleich danach zum Stall."
"Okay, dann m�ssen wir innerhalb einer halben Stunde den ganzen Saustall im Keller aufr�umen; ich freu mich schon drauf," seufzte ich theatralisch. "Das ist der Nachteil an Partys: die Unordnung hinterher.
"Und das, wo du soooo ordnungsliebend bist," neckte mich Nicki und rannte vor mir die Treppe hinunter. An der T�r zum Partyraum blieb sie wie angewurzelt stehen. "Wahnsinn!"
"Was ist?" Neugierig dr�ngte ich mich an ihr vorbei und blieb genauso abrupt stehen.
Der Raum war blitzsauber aufger�umt, die St�hle standen aufgestapelt an der Wand, der zuvor mit Chips, Gummib�rchen und Kuchenkr�meln �bers�te Teppich war gesaugt, nur die Stereoanlage wartete noch darauf an ihren urspr�nglichen Platz im Wohnzimmer gestellt zu werden.
"Und hier sieht man unverkennbar den Vorteil seiner Eltern an seinem Geburtstag," sagte Nicki philosophisch.

"Immer wieder herrlich, Goliaths Galopp!"
Begeistert parierte ich den gro�en Schimmel zum Schritt durch. Nicki galoppierte noch immer mit der Rappstute Lady auf dem Zirkel. Das junge Pferd wich mehrmals zur Seite aus und versuchte seine Reiterin auszutricksen. Diese behielt sie aber streng und konsequent zwischen den Schenkeln und trieb weiter vorw�rts. Schlie�lich f�hrte sie sie weich �ber den Trab in den Schritt zur�ck.
"Die Stunde ist fast um, ich mach Schluss," verk�ndete sie und schnallte die Ausbinder aus. Mir kam eine Idee.
"Ich reite noch eine A-Dressur-Aufgabe. Goliath l�uft heute so gut, das muss ich ausnutzen." Sprach's und trabte an.
F�nf Minuten sp�ter lie� ich meinem Pferd die Z�gel lang und klopfte ihm den schwei�nassen Hals
"Nicht schlecht," lobte uns meine Freundin. "Machst du im Sommer beim Ferienlager das Kleine Reitabzeichen?"
"Wenn ich bis dahin nicht mehr so oft im Springen runterfalle, ja. Dressur ist kein Problem, aber nach nur einem halben Jahr Springunterricht, ich wei� nicht recht. Vielleicht mache ich lieber den Reiterpass f�rs Gel�nde, den will ich sowieso mal machen."
"Ach was," winkte Nicki ab. "Das Kleine Reitabzeichen schaffst du mit links, wenn du das richtige Pferd hast. Au�erdem hast du ja noch �ber drei Monate Zeit."

Ersch�pft, aber gl�cklich kam ich um halb acht nach Hause. Wie erwartet waren meine Eltern noch nicht zur�ckgekommen. Mir fielen die Geschenke und die Post ein. Ich hatte am Abend zuvor schon so viele P�ckchen ausgepackt, dass ich die meiner Familie fast vergessen h�tte. Also setzte ich mich aufs Sofa und begann umst�ndlich das Papier von dem ersten zu entfernen. Schon jetzt wusste ich, dass es ein Buch war. Um die Spannung etwas zu steigern, stand ich auf und schaltete das Radio an. Die Stille war ja unertr�glich! Endlich hatte ich das Buch ausgepackt.
"Die Ausbildung des jungen Reitpferdes," las ich und seufzte abgrundtief. Gut gemeint von meinen Eltern, aber was sollte ich mit einer solchen Lekt�re ohne passendes Pferd? Naja, ich w�rde es mir schon zu Gem�te f�hren, bei mir verstaubte selten ein Buch. Ich legte es zur Seite und wandte mich dem n�chsten Geschenk zu: eine neue Reithose im eleganten Karo-Look. Endlich konnte ich meine alte speckige wegwerfen. Die �brigen Geschenke, ein weiteres Buch, dieses Mal ein Roman, ein Gebiss f�r meine Turniertrense und eine wei�e Jeans, fielen zu meiner vollsten Zufriedenheit aus. Ich r�umte sie gleich weg und sammelte das Geschenkpapier ein. Dabei fielen ein Brief und zwei Postkarten heraus. Die Postkarten waren, das erkannte ich auf einen Blick, von meinen Omas. Fl�chtig �berflog ich sie, ich wusste sowieso schon was drin stand. Herzlichen Gl�ckwunsch, je ein paar Euro auf mein Konto �berwiesen, was die Schule machte und so weiter. Der Brief interessierte mich schon eher. Verlag Bruhn-Neumann stand als Absender drauf.
"Nicht schon wieder Werbung!"
Diese ewigen Wurfsendungen gingen mir allm�hlich auf die Nerven. Trotzdem schlitzte ich das Kuvert auf und nahm das Schreiben heraus. Sofort fiel mein Blick auf die fettgedruckte Zahl in der Mitte: 10.000 Euro. Nun wurde ich doch interessiert. Je weiter ich las, desto ungl�ubiger weiteten sich meine Augen. Meine Beine schienen ihren Dienst zu versagen, ich raufte mir die langen blonden Haare. Langsam setzte ich mich auf den n�chstbesten Stuhl und studierte nochmals den Inhalt des Briefes:


Sehr geehrte Frau Kramer,
ich freue mich Ihnen eine erfreuliche Mitteilung machen zu d�rfen:
Sie haben an unserem Preisr�tsel in der Zeitschrift "Pferd und mehr" teilgenommen und den 1. Preis gewonnen. Ich w�rde mich freuen Ihnen bei einem zuvor vereinbarten Termin einen Scheck �ber

10.000 Euro

�berreichen zu d�rfen.
Ich gratuliere Ihnen herzlich zu Ihrem Gewinn und verbleibe mit freundlichen Gr��en
i.A. Neumann


"Ich glaub's nicht!", �chzte ich. Allm�hlich begriff ich was dieser Brief zu bedeuten hatte. "Das muss ich sofort Nicki erz�hlen!"
Wie ein ge�lter Blitz raste ich zum Telefon und w�hlte die Nummer meiner Reiterfreundin. Nerv�s trommelte ich mit den Fingern auf die Schenkel.
"Bitte, Nicki, heb ab!", fl�sterte ich beschw�rend. Da endlich meldete sie sich.
"Nicki! Rat mal was ich gerade bekommen habe!", rief ich aufgeregt in den H�rer.
"Woher soll ich wissen was du zum Geburtstag bekommen hast! Sag schon, warum bist du so aufgedreht?"
Ganz ruhig, Maike, ermahnte ich mich. Ich atmete tief ein.
"Am besten du setzt dich jetzt hin, damit du die Neuigkeit verkraftest," riet ich.
"Schie� los!"
"Also, begann ich ganz langsam um die Spannung noch etwas zu steigern. "Ich habe... bei einem... Preisausschreiben... gewonnen und..."
"Hey, super," unterbrach mich Nicki. "Was denn?"
Ich nannte ihr die Summe. Sekundenlang herrschte Stille. Ich bef�rchtete schon der Schlag h�tte sie getroffen.
"Hallo... Nicki! Hallo! Bist du noch dran?"
"Klar bin ich noch dran. Du brauchst nicht so zu schreien. Sag mal, willst du mich auch nicht auf den Arm nehmen?"
"Nein, hier steht es schwarz auf wei�: ich habe 10.000 Euro gewonnen!" "Ich fasse es nicht! Bring den Brief am Dienstag zur Reitstunde mit, sonst glaub ich es dir nicht!"

Ich blieb wach bis meine Eltern heimkamen, das war ungef�hr um halb zw�lf. Meine Mutter wollte schon ein Donnerwetter loslassen, warum ich noch nicht im Bett war. Ich erstickte es im Keim, indem ich ihr den Brief unter die Nase hielt. Sie las ihn aufmerksam, starrte mich an, dann rief sie mit �berkippender Stimme nach meinem Vater. Dieser kam murrend aus dem Schlafzimmer, er wollte gerade unter die Dusche. Ich beachtete ihn nicht, sondern erz�hlte ihm die unglaubliche Neuigkeit. Unglaublich, ja, so klang es f�r ihn zun�chst. Er �berpr�fte den Brief auf seine Echtheit, schlie�lich gab er sich geschlagen.
"Was f�r ein Geburtstagsgeschenk! Was willst du denn mit dem vielen Geld machen? Ein Pferd kaufen?"
"Ich wei� nicht recht," antwortete ich unsicher. "Eigentlich schon, aber das Geld w�rde gerade mal f�r anderthalb Jahre Unterkunft reichen, wenn ich mein Pferd im Reitverein unterstellen w�rde, Tierarzt mitgerechnet. Dazu erst der Anschaffungspreis und, und, und. Au�erdem ist es viel zu umst�ndlich. Ihr m�sstet mich bei schlechtem Wetter immer abholen. Das w�rde nicht lange klappen."
"Und wenn wir hier im Dorf eine oder zwei Weiden pachten," schlug Mama vor. "Das ist viel billiger und �berhaupt nicht umst�ndlich."
Ich schlug den Vorschlag sofort ab. "Wenn schon, dann m�chte ich Turniere reiten und dazu brauche ich zumindest einen Reitplatz. Und bis so einer angelegt ist..."
"Ilse Baar hat doch einen. Und bei ihren Ponys ist bestimmt noch ein Pl�tzchen..."
"... f�r ein Pony," vollendete ich den Satz. Ich sch�ttelte den Kopf. "Nein, ich hebe das Geld auf. Einen Teil lege ich mir f�r den F�hrerschein zur Seite und vom Rest... Wenn ich einen Beruf habe, dann kann ich mir ein Pferd kaufen. Auch wenn's schade ist, ein eigenes Turnierpferd w�re genau das, was ich jetzt brauche." Ich nahm den Brief wieder an mich und w�nschte eine gute Nacht. Nachdenklich ging ich zu Bett.




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