Carl Amery

Dem Science Fiction-Leser ist der Autor Carl Amery wohl am ehesten durch seinen erfolgreichen Roman Der Untergang der Stadt Passau (1975) bekannt. Vielleicht noch durch Das K�nigsprojekt (1974) oder Das Geheimnis der Krypta (1990). Ohne diese allesamt hervorragenden B�cher herabw�rdigen zu wollen, verbirgt sich hinter Carl Amery aber weitaus mehr. Ein "Einzelk�mpfer, der auf Solidarit�t vertraut; ein Rufer in belebter Gartenwelt (nicht in der zuk�nftigen W�ste, noch nicht); ein Bayer und Kosmopolit ... ein Aufkl�rer, der aufs Bewahren und Beh�ten ausgeht (sofern es sich lohnt), ein konservativer Rebell, der zugleich radikal und behutsam, zornig und sanft ist". Walter Jens hat dies 1991 �ber Carl Amery in seinem Vorwort zu Bileams Esel, einer Sammlung von Amerys Aufs�tzen, geschrieben. Die FAZ meinte zu Amerys 70. Geburtstag: "Er ist ein Sammelsurium von Widerspr�chen - ein Intellektueller mit Seele, anarchistisch und versiert, Querkopf und Funktion�r, Politiker und Possenrei�er, Polemiker und Poet, Sinnenmensch und Asket, Wallfahrer und Bibliothekar, apokalyptischer Wanderprediger und Humorist im Tr�nental. Er ist trivial und maniriert, aufgekl�rt und mystisch, gutherzig und radikal, sesshaft und umgetrieben, bayerisch und international. Wie er es mit sich aushalten mag, wissen die G�tter - dieser Polterer, der die Nuancen in den Fingerspitzen hat, dieser Patriot, dem die Heimat davongelaufen ist. Redselig, um nicht zu verstummen, witzig, um nicht zu verzweiflen, ein K�nner, den das Gekonnte anwidert, eiserner Arbeiter und sprudelnder Quell, der pausen- und m�helos erz�hlen kann, dass sich die Tische biegen, ein Kulturpessimist, aber das Lachen nimmt kein Ende, wenn man mit ihm zusammensitzt". Die bayrischen Gr�nen schlie�lich w�rdigten das Gr�ndungsmitglied der Partei zu seinem 80. Geburtstag im April diesen Jahres als "wortgewaltigen Vision�r und unerm�dlichen Mahner". Carl Amery ist seit �ber 50 Jahren verheiratet, f�nffacher Vater, war von 1989 bis 1991 Pr�sident des deutschen PEN-Zentrums, stand dem Verband deutscher Schriftsteller vor und wurde mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet.

Carl Amery wurde 1922 als Christian Anton Mayer in M�nchen geboren, verbrachte gro�e Teile seiner Jugend in Passau und Freising, lebte von 1943 bis 1946 in amerikanischer Kriegsgefangenschaft in Arkansas und nahm anschlie�end das durch den Krieg unterbrochene Studium in M�nchen wieder auf. Als Chris Mayer fing er an zu schreiben, sp�ter folgte er dem Rat des Verlegers Berthold Spangenberg und legte sich einen Autoren-Namen zu: Carl Amery, ein Anagramm aus den Buchstaben seines Nachnamens.

Unter diesem Pseudonym erschien 1954 Der Wettbewerb, sein erster Roman, der zwar nur ein eher bescheidenes Echo hervorrief, aber bei der Kritik durchaus lobende Worte fand: "Carl Amery ist jedenfalls ein Talent und eine Hoffnung", schrieb damals die S�ddeutsche Zeitung. Inzwischen Mitglied der Gruppe 47, ver�ffentlichte Amery 1958 den heiter-satirischen Roman Die Gro�e Deutsche Tour, der die geistig-politische Situation der Bundesrepublik indirekt an einer ihrer ersten gro�en Mythen ins Visier nahm, am Wirtschaftswunder. Der Autor wurde in die Schublade des Satirikers gesteckt: "Wenn er sich selbst zur Ordnung ruft, k�nnte der Mann ein gefragter Satiriker werden" (S�ddeutsche Zeitung), eine Vereinfachung, gegen die sich Amery noch lange vergeblich wehrte.

Nach kulturkritischen Arbeiten im Rundfunk, journalistischen und essayistischen Arbeiten trat Carl Amery 1963 mit der Ver�ffentlichung des �u�erlich unscheinbaren Taschenbuchs Die Kapitulation oder Deutscher Katholizismus heute wieder st�rker ins Licht der �ffentlichkeit. Ob der darin ge�u�erten Kirchenkritik wurde er gar gemeinsam mit Heinrich B�ll und Friedrich Heer zum Gegenstand eines Hirtenbriefs der deutschen Bisch�fe. Amery blieb dem Thema in seinen verschiedenen Schriften auch weiterhin verhaftet, f�gte aber ab dem Beginn der siebziger Jahre die �kologische Perspektive hinzu.

Nach Ende seiner dreij�hrigen T�tigkeit als Direktor der St�dtischen Bibliotheken in M�nchen ver�ffentlichte Amery 1972 das Buch Das Ende der Vorsehung. Die gnadenlosen Folgen des Christentums, in dem er provokant das Christentum f�r die �kologische Zerst�rung der Welt verantwortlich machte und ein radikales Umdenken forderte: Der Mensch sei kein Gesch�pf ganz eigener Art; sondern ebenso Natur und Sch�pfung. Tiere, Pflanzen und Himmelsk�rper, seien nicht zu seinem Dienst bestimmt.

1974 beendete der Autor seine lange belletristische Pause und ver�ffentlichte Das K�nigsprojekt, einen "schottisch-r�misch-bayerischen Superkrimi" (Heinrich B�ll), der sich mit dem Stilmittel der Zeitreise erstmals im Science Fiction-Genre bediente. Amery erkl�rte seine Hinwendung an ein Genre, das bis dato �berwiegend als dem Trivialen zugeh�rig galt, sp�ter damit, dass er im Amerika der McCarthy-Zeit eine Tendenz festgestellt habe, die Sozialkritik via Science Fiction zu transportieren. Dies habe ihm einer der f�hrenden Autoren, Frederik Pohl, pers�nlich best�tigt. Pohl habe gesagt, die kritischen Autoren seien bewusst in dieses Genre gegangen, um einen Freiraum zu haben, den sie in der McCarthy-Zeit in der gro�en Literatur nicht hatten. Der mit dieser Entwicklung verbundene Qualit�tsschub innerhalb der amerikanischen Science Fiction machte das Genre auch f�r den Autor Amery interessant. Schon ein Jahr sp�ter, 1975, ver�ffentlichte er mit Der Untergang der Stadt Passau, animiert von Walter M. Millers A Canticle for Leibowitz, dann einen wirklichen Science Fiction-Roman in der Taschenbuchreihe des Heyne Verlags, der prompt zu seinem bisherigen gr��ten schriftstellerischen Erfolg wurde. Den theoretischen Hintergrund zu diesem Roman lieferte dann 1976 das Buch Natur als Politik. Die �kologische Chance des Menschen, in dem Amery sein Modell des "�kologischen Materialismus" entwickelte. 1979 erschien An den Feuern der Leyermark, ein Roman, der ein alternatives Bayern, genannt Leyermark, schildert. Amerys �kologisches Engagement fand Ausdruck in dem f�r jugendliche Leser verfassten Sachbuch Marsch, zur�ck auf die B�ume ... oder: Wie wir es besser machen k�nnen, das ebenfalls 1979 ver�ffentlicht wurde.

1985 begann der S�ddeutsche Verlag mit Die starke Position oder Ganz normale MAMUS, einer Sammlung von acht neuen Satiren, das Gesamtwerk Carl Amerys in Einzelausgaben herauszugeben. Es folgten bis heute noch zwei weitere Romane: Die Wallfahrer, 1986, in dem sich bayerische Spiritualit�t und moderne Zivilisationskritik, barocke Fabulierkunst und apokalyptische Untergangsvisionen vermengten, und 1990 Das Geheimnis der Krypta, ein stark autobiographisch gepr�gter Roman Amerys, der unter anderem das aus Der Untergang der Stadt Passau bekannte Thema einer globalen Katastrophe wieder aufgreift, diese aber durch eine geheime Verschw�rung in einem fiktiven Balkanstaat erkl�rt. Weitere Romane werden wohl nicht mehr folgen, hat der Autor doch in einem Interview im Jahr 2001 erkl�rt, dass er gesundheitlichen Gr�nden keine Romane mehr schreiben k�nne.

1994 wendete sich Amery mit Die Botschaft des Jahrtausends wieder der �kologischen Thematik zu, 1998 erschien mit Hitler als Vorl�ufer sein vielleicht provozierendstes Buch. Dessen These lautete, dass der Holocaust die erste zusammenh�ngende Antwort der Moderne auf die Frage nach dem �berleben angesichts von begrenzten Ressourcen und Umweltzerst�rung sei - eine Art �kologische Entscheidung also.

Gemeinsam mit Hermann Scheer, Politiker und Tr�ger des alternativen Nobelpreises, ver�ffentlichte Amery 2001 das Buch Klimawechsel - Von der fossilen zur solaren Kultur, ein Dialog �ber die kulturellen Gr�nde �kologischer Ignoranz und dar�ber, wie diese �berwunden werden kann. Global Exit - Die Kirchen und der totale Markt (2002) ist dann schlie�lich Amerys j�ngste Streitschrift. Sie fordert die Kirchen dazu auf, gegen den Kult eines "totalen Marktes", wie Amery den modernen, globalisierten Kapitalismus hier bezeichnet, anzutreten, der mit der Sch�pfung ohne Erbarmen verf�hrt. Der Autor sagt, dass unsere Lebenswelt im Lauf des Jahrtausends zusammenbrechen und unbewohnbar werde. Dieser Prozess werde beschleunigt gemacht durch den Sieg des totalen Marktes, der auf dem Zenit seiner Macht und Wirksamkeit alle nat�rlichen Ressourcen verzehre und sich wie eine allm�chtige Religion als alternativlos darstelle.


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