Vojta - Therapie

 

Die von dem Kinderneurologen Prof. Dr. Vojta Anfang der 50-iger Jahre entdeckte, und systematisch weiterentwickelte Reflexlokomotion (auch Reflexfortbewegunggenannt), findet heute ein breites therapeutisches Anwendungsgebiet.

Die Therapie beruht auf der Aktivierung des Bahnungssystems der Reflexlokomotion. Reflexlokomotionen sind definierte Bewegungsabläufe, die den ganzen Körper global erfassen und Teilmuster enthalten, die in der Spontanmotorik gesunder Kinder erstmalig zu unterschiedlichen Zeitpunkten während des ersten Lebensjahres auftreten. Sie werden aus einer genau definierten Ausgangslage ausgelöst und sind reziprok, so ist also die Endstellung des Bewegungsablaufs die Ausgangsstellung des folgenden Zyklus. Die Bewegungsabläufe werden von 9 definierten Zonen (Druckpunkte) am Körper in eine definierte Druckrichtung reflektorisch ausgelöst, hierbei erfolgt eine Reizung der Exterozeptoren der Haut, der Propriozeptoren und Interozeptoren. Man unterscheidet 2 Arten der Reflexlokomotion: Das Reflexkriechen aus der Bauchlage mit seinen Varianten und das Reflexumdrehen aus der Rückenlage (Phase 1) sowie aus der Seitenlage (Phase 2, 3, 4a und 4b).

Effekte der Vojta-Therapie:

Aktivierung der gesamten quergestreiften Muskulatur zur Änderung von Haltungs- und Bewegungsmustern. Normalisierung der Propriozeption, Erweiterung des Körperschemas. Vegetative Reaktionen . Trophikverbesserungen. Vergrößerung von sensibel versorgten Arealen.

Im Fortbewegungsprinzip VOJTA werden in bestimmten Ausgangslagen (Rückenlage, Seitenlage, Bauchlage) über definierte Zonen am Rumpf und an den Extremitäten Reize gesetzt. Diese bewirken Haltungs- und Bewegungsmuster, die den ganzen Körper, einschließlich der Hände, Füße und des Gesichts erfassen: das Reflexkriechen und das Reflexumdrehen. Sie beinhalten die für jede Fortbewegung untrennbaren Komponenten: die Aufrichtung gegen die Schwerkraft, die zielgerichtete Bewegung und die dynamische Anpassung der Körperlage. Neben der physiologischen Einstellung der Wirbelsäule und der Kugelgelenke sowie einer differenzierten Muskelarbeit sind u.a. eine Vertiefung der Atmung und eine Aktivierung des Kreislaufes und der Verdauung zu beobachten. Das Fortbewegungsprinzip VOJTA ist als Basistherapie in allen klinischen Bereichen (Kinderheilkunde, Orthopädie, Chirurgie, Neurologie, u.a.) und unabhängig vom Alter des Patienten einsetzbar.

Über diese Therapieform werden vom Patienten aktiv, ohne zu trainieren und zu üben, grundlegende Voraussetzungen geschaffen, auf die andere Therapieformen aufbauen können. Die Behandlung ist durch Kombination und Variation der Zonen und durch Auswahl der Ausgangsstellungen den Möglichkeiten des Patienten anzupassen. Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie ist die konsequente Arbeit 3 bis 4 mal täglich. Der Therapeut ist für den individuellen Aufbau der Behandlung sowie für die Anleitung der Eltern verantwortlich.

Diese Therapieform wurde auf empirische Weise gefunden, indem Vojta motorische Reaktionen des gesamten Körpers auf definierte Reize in bestimmten Körperlagen beobachtete. Er stellte fest, daß Teile der hierbei entstehenden dynamischen Muskelaktivitäten in nahezu allen menschlichen Fortbewegungsarten wiederzufinden sind.

Der Reflexlokomotion liegen "globale Muster" zugrunde, die von Vojta 1954 entdeckt wurden.Die Bezeichnung globales Muster bezieht sich auf motorische Reaktionen, die unter Anwendung der Reflexfortbewegung erscheinen.

Hier wird die gesamte Skelettmuskulatur des Körpers in einer bestimmten Koordination aktiviert und das Zentralnervensystem in allen seinen Schaltungsebenen angesprochen.

Neben der Skelettmuskulatur wird auch die mimische Muskulatur, die Augenbewegung, der Schluckvorgang, die Blasen-Mastdarm-Funktion und die Atmung aktiviert. Diese gesetzmäßig ablaufenden motorischen Reaktionen werden durch bestimmte Reize in bestimmten Körperlagen (Rücken-, Seiten-, Bauchlage) ausgelöst und sind jederzeit reproduzierbar.

Sie enthalten motorische Bestandteile der menschlichen Bewegungsabläufe wie Greifen, Umdrehen, Robben, Krabbeln und Gehen . Die globalen Muster stellen die Grundlage der motorischen Rehabilitation von Säuglingen, Kleinkindern, Jugendlichen und Erwachsenen dar.

Ziel der therapeutischen Anwendung der Reflexlokomotion ist, die automatische Steuerung der Körperhaltung, die Stützfunktion der Extremitäten und die dafür erforderlichen koordinierten Muskelaktivitäten zu bahnen.

Diese Fähigkeiten sind bei jeder zentralen und peripheren Schädigung des Nervensystems oder Bewegungsapparates mehr oder weniger gestört. Die sich daraus entwickelnden pathologischen Ersatzmuster können mittels der Reflexlokomotion umgestaltet und damit in ihrer Ausprägung reduziert oder sogar verhindert werden.

 

Im jungen Säuglingsalter wird die Reflexlokomotion im Rahmen der Frühbehandlung angewendet und zeigt in diesem Alter die besten Ergebnisse. In diesem Alter ist die Plastizität, sprich Formbarkeit des Zentralnervensystems noch sehr groß. Eine pathologische Motorik mit Ersatzmustern hat sich noch nicht entwickelt. Hier ist sozusagen die "Zugriffsmöglichkeit" auf normale Bewegungsmuster lediglich blockiert.

Bei der Anwendung der Reflexlokomotion werden koordinierte Muskelaktivitäten und Bewegungsmuster ausgelöst, die in der normalen motorischen Entwicklung wiederzufinden sind, einem Kind mit zerebralparetischer Bedrohung aber in seiner spontanen Bewegung nicht zur Verfügung stehen.

Diese Muskelaktivitäten und Bewegungsmuster werden dem Zentralnervensystem praktisch "zeitlich vorgezogen" angeboten und stehen später als "Bausteine" zur Verwirklichung der sich entwickelnden Motorik zur Verfügung. Es muß betont werden, daß die Reflexlokomotion in keinster Weise Bewegungsfunktionen, wie z.B. das Greifen oder das Umdrehen vom Rücken auf den Bauch, übt. Sie führt dazu, daß das Zentralnervensystem die dafür notwendigen Muskelaktivitäten und einzelne motorische Teilmuster schaltet.

Zur tatsächlichen Ausführung der Bewegungen sind dann neben der rein motorischen Funktion auch die geistige Reife und die Motivation des Kindes nötig.

 

Im Gegensatz zum jungen Säugling ist bei älteren Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen die Plastizität des Zentralnervensystems geringer ausgeprägt. Außerdem hat sich durch die bestehenden Schädigungen des Nervensystems oder des Haltungsapparates bereits eine pathologische Motorik entwickelt. Das Kind hat sich dazu habituiert. Durch die Anwendung der Reflexlokomotion kommen bei diesen Betroffenen Muskelaktivitäten zustande, die sie bewusst nicht einschalten können. Hierdurch erfährt der funktionelle Bewegungsablauf eine positive Veränderung. Eine verbesserte Ökonomie der Haltung und Bewegung im Rahmen der bestehenden Behinderung ist die Folge.

Auf Grund der sich schon fixierten Ersatzmuster und der verringerten Plastizität des Zentralnervensystems erweist es sich oft als nur bedingt möglich, das klinische Bild völlig zu normalisieren. Dennoch nimmt die therapeutische Anwendung der Reflexlokomotion im Rahmen der motorischen Rehabilitation einen hohen Stellenwert ein. Sie verhilft den Betroffenen durch Verbesserung ihrer Bewegungsökonomie zu einer erheblichen Verbesserung der Lebensqualität.

 

In der praktischen Anwendung der Reflexlokomotion kommen zwei sogenannte Koordinationskomplexe zur Anwendung :

- Reflexkriechen

- Reflexumdrehen

 

 

Das Reflexkriechen

Die Ausgangslage des Reflexkriechens ist die Bauchlage. Der Kopf wird passiv in Längsrichtung zum Körper gelegt und um etwa 30° zur Seite gedreht.

Die Körperhälfte der das Gesicht nun zugewandt ist wird als Gesichtsseite, die gegenüberliegende als Hinterhauptseite, bezeichnet. Entsprechend ergibt sich eine Unterscheidung in Gesichtsarm und –bein sowie Hinterhauptarm und –bein.

Die folgende Abbildung zeigt die Ausgangslage des Reflexkriechens und dessen Auslösungszonen. Diese "Reizpunkte" in Verbindung mit den Winkelstellungen der Extremitäten und des Kopfes starten den motorischen Ablauf des Kriechvorganges mit seinen muskulären Aktivitäten.

 

Beim neugeborenen Kind genügt eine einzige Zone, um den gesamten Vorgang auszulösen. Bei älteren Kindern und Erwachsenen müssen mehrere Zonen miteinander kombiniert werden. Die Kombination mehrerer Zonen, ihre Auslösung über eine bestimmte Dauer und ein Widerstand gegen die entstehenden Bewegungsabläufe führen zu einer Verstärkung der Reaktionen.

Das Reflexkriechen verläuft in bestimmten Schrittphasen, die einem Kreuzgangmuster entsprechen. Dieser Ablauf ist reziprok und zyklisch. Die Extremitäten übernehmen hierbei bewegende und stützende Funktionen, die ebenfalls beim Krabbeln oder Gehen zu beobachten sind. Vor allem durch die stützende Funktion der Extremitäten kommt es zu einer Vorwärtsbewegung des gesamten Rumpfes nach vorne.

Der zustande kommende Ablauf:

 

In der therapeutischen Anwendung des Reflexkriechens wird nicht der gesamte Bewegungsablauf zugelassen. So wird z. B. der Kopfdrehung ein Widerstand entgegengesetzt, um die Reaktionen an den Extremitäten und am Rumpf zu verstärken.

Dadurch kommt es zu einer massiven Aktivität der gesamten Körpermuskulatur, die zu Aufrichtevorgängen des Rumpfes führt, und damit eine Vorbereitung auf höhere Fortbewegungsmuster wie Krabbeln oder Gehen darstellen.

Die Aktivität der Bauchmuskulatur hat Auswirkungen auf die Funktion der inneren Organe, die Beckenbodenmuskulatur bis hin zur Schließmuskulatur von Blase und Darm. Im Bereich desKopfes kommt es zu Augenbewegungen, Schluckbewegungen und Bewegungen von Zunge und Kiefer, die für den Kauvorgang von Wichtigkeit sind.

 

Das Reflexumdrehen beginnt aus der Rückenlage, führt weiter über die Seitenlage und endet im Krabbeln. Der Bewegungsablauf des Reflexumdrehens entspricht weitestgehend dem des aktiven Drehvorganges, der sich in den ersten neun Lebensmonaten nacheinander entwickelt.

Das Reflexumdrehen wird therapeutisch in verschiedene Phasen unterteilt.

 

Erste Phase

Die erste Phase wird gestartet aus der Rückenlage und führt bis zur Seitenlage. Die Ausgangslage ist hier die Rückenlage, die Extremitäten liegen gestreckt auf der Unterlage auf. Der Kopf wird um 30° zu einer Seite gedreht, woraus sich entsprechend eine Gesichts- und eine Hinterhauptseite ergibt

Der Umdrehvorgang wird durch Reizung der Brustzone ausgelöst. Sie befindet sich auf der jeweiligen Gesichtsseite entweder zwischen der 5. und 6. oder zwischen der 6. und 7. Rippe unterhalb der Brustwarze in der Mamillarlinie.

Die recht schnell einsetzende Drehung des Kopfes zur anderen Seite wird durch einen Widerstand gebremst, um die Reaktionen an Rumpf und Extremitäten zu verstärken.

Unter anderem sind folgende Reaktionen zu beobachten :

- Die gesamte Wirbelsäule streckt sich und der Rücken wird zur Stützbasis.

- Die Beine werden in Hüft- und Kniegelenken 90° gebeugt, von der Unterlage abgehoben und automatisch gegen die Schwerkraft gehalten. Diese Gleichgewichtssteuerung geschieht ebenfalls automatisch.

- Die Arme nehmen eine unterschiedliche Haltung ein und bereiten sich auf ihre kommende Stützfunktion vor.

- Seitwärtsbewegung von Augen, Kiefer und Zunge zur Hinterhauptseite hin.

- Schluckvorgang.

- Entfaltung des Brustkorbes mit Vertiefung der Atmung.

- Aktivierung der Bauchmuskulatur mit Auswirkungen auf Blase und Darm

 

 

Zweite Phase

Die zweite Phase des Reflexumdrehens schließt sich fließend an die erste Phase an.

Es ist die Seitenlage, was eine sehr labile Situation darstellt. Der unten liegende Oberarm liegt rechtwinklig zur Körperlängsachse, das unten liegende Bein in einer halbgestreckten Position, so daß dessen Ferse ein einer Linie zum Sitzbeinhöcker liegt.

Der oben liegende Arm liegt auf dem Rumpf, und das oben liegende Bein wird in Beugung vor dem unteren auf die Unterlage gelegt. Die zweite Phase des Reflexumdrehens beinhaltet motorische Reaktionen und Muskelaktivitäten die im Krabbeln sowie im Seitwärtsgehen erscheinen, ohne daß dieses in der Therapie zugelassen wird.

Die unten liegenden Extremitäten haben eine stützende Funktion und bewegen den Körper gegen die Schwerkraft nach oben und vorne. Die Stützfunktion des unten liegenden Armes geht von der Schulter zum Ellenbogen und weiter auf die Hand.

- Am unten liegenden Bein verlagert sich die Stützfunktion von der Hüfte zum Kniegelenk.

- Die oben liegenden Extremitäten bewegen sich nach vorne oben und bereiten sich auf ihre im weiteren Umdrehvorgang erforderliche Stützfunktion vor.

- Die Wirbelsäule ist während es gesamten Umdrehvorganges gestreckt.

- Der Kopf wird in der Seitenlage gegen die Schwerkraft gehalten.

 

 

Quellenhinweis: Internationale Vojta-Gesellschaft e.V.

 

Eine Publikation über eine Zusammenschau Bobath-Konzept / Vojta-Therapie   (im pdf-Format)

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