Guillaume Duchenne 1806-1875

Muskeldystrophien sind erblich bedingte Muskelerkrankungen, die aufgrund eines fortschreitenden Schwundes des Muskelgewebes zu einer zunehmenden, bestimmte Körperregionen bevorzugende, meist symmetrisch ausgebildeten Muskelschwäche führen. Die beiden wichtigsten Formen, die Muskeldystrophie vom Typ Duchenne und vom Typ Becker-Kiener, werden beide x-chromosomal-rezessiv vererbt und beginnen an der Beckengürtel- und Oberschenkelmuskulatur. Während die Muskeldystrophie vom Typ Duchenne schon im Kleinkindalter beginnt, rasch voran schreitet und im jungen Erwachsenenalter immer zum Tode führt, nimmt die Muskeldystrophie von Typ Becker-Kiener einen wesentlich günstigeren Verlauf. Die Diagnose wird anhand von Laborparametern, dem Elektromyogramm, einer Muskelbiopsie oder zunehmend auch durch Gentests gestellt. Eine ursächliche Therapie ist bisher nicht möglich. Der schicksalhafte Krankheitsverlauf lässt sich durch Krankengymnastik und Medikamente lediglich verzögern.

Unter einer Muskeldystrophie versteht man eine erblich bedingte Muskelerkrankung, die zu einem fortschreitenden Schwund des Muskelgewebes führt und mit einer dramatischen Erhöhung der Serum-Creatinphosphokinase (CPK) verknüpft ist.  Kennzeichnend für Patienten mit einer Muskeldystrophie ist eine zunehmende, bestimmte Körperregionen bevorzugende, meist symmetrisch ausgebildete Muskelschwäche. Es sind mehr als 30 verschiedene Formen der Muskeldystrophie bekannt. Die einzelnen Formen der Muskeldystrophie unterscheiden sich hinsichtlich des Vererbungsmodus, der bevorzugten Körperregionen, dem Erkrankungsalter und dem Verlauf. Einige Beispiele sind in der folgenden Tabelle aufgeführt:

Muskeldystrophie

Vererbung

Bevorzugte Region

Alter

Typ Duchenne

x-chromosomal-rezessiv

Becken, Oberschenkel

3.-5. Lebensjahr

Typ Becker-Kiener

x-chromosomal-rezessiv

Becken, Oberschenkel

6.-16. Lebensjahr

Typ Leyden-Möbius

Autosomal-rezessiv

Schulter-, Beckengürtel

2.-20. Lebensjahr

Typ Erb

Autosomal-dominant

Gesicht, Schultergürtel

7.-25. Lebensjahr

 

Die Muskeldystrophie Duchenne ist weltweit eine der häufigsten monogen bedingten Erkrankungen bei Jungen und Männern. Sie tritt bei einem von 3200 Knaben auf. Die Becker-Kiener Form ist seltener. Die Krankheit ist gekennzeichnet durch den Muskelschwund, der an den unteren Extremitäten beginnt. Die Muskeldystrophie vom Typ Duchenne zeigt einen nahezu gesetzmäßigen Verlauf. Im 3.-5. Lebensjahr fällt bei den Patienten eine leichte Muskelschwäche der Beine auf, die zu häufigem Stolpern und Fallen führt. Im weiteren Verlauf ist das Treppensteigen nur mit Zuhilfenahme eines Geländers möglich. Die Muskelschwäche der Becken- und Oberschenkelmuskulatur verursacht einen watschelnden Gang sowie ein erschwertes Aufstehen aus dem Sitzen oder Liegen. Die Kinder klettern an sich selbst hoch bzw. gebrauchen Wände und Möbel zum Abstützen. Schon im 5.-7. Lebensjahr können Treppensteigen und Aufstehen aus dem Sitzen oder Liegen nur noch mit Hilfe durch andere möglich sein, da die Erkrankung auch auf die Muskulatur der Schulter und Arme übergreift. Zwischen dem 7. und 12. Lebensjahr ist ein Anheben der Arme in die Horizontale oft schon nicht mehr möglich. Viele Kinder sind in diesem Alter bereits auf den Rollstuhl angewiesen, können sich aber noch eingeschränkt selbständig versorgen. Meist besteht ab dem 18. Lebensjahr vollständige Pflegebedürftigkeit. Infolge des Muskelschwundes kommt es zu Fehlstellungen von Gelenken sowie zu Verformungen von Knochen. Charakteristisch für Kinder mit Muskeldystrophie vom Typ Duchenne sind die sogenannten Gnomen- oder Kugelwaden. Sie entstehen indem das zugrunde gehende Muskelgewebe durch Fett- und Bindegewebe ersetzt wird. Typisch für einen Muskelschwund der Rumpf- und Schultermuskulatur ist die Ausbildung der Scapulae alatae. Darunter versteht man das flügelartige Abstehen der Schulterblätter vom Rumpf. Letztendlich werden auch die Atemmuskulatur und der Herzmuskel von der Erkrankung befallen. Die Muskeldystrophie von Typ Duchenne verläuft immer tödlich. Die Patienten erreichen ein Alter zwischen 20 und 25 Jahren und versterben fast immer an Herzversagen oder Ersticken. Die geistige Entwicklung und die Intelligenz der Kinder sind bis auf einige Ausnahmen nicht eingeschränkt. Bei anderen Formen der Muskeldystrophie, die einen langsameren und weniger schweren Verlauf haben, muss die Lebenserwartung nicht eingeschränkt sein.

Die Erkrankung wird X-chromosomal rezessiv vererbt, d.h., Jungen und Männer mit einem mutierten Gen erkranken, während Frauen, die ein mutiertes Gen aufweisen, gesunde Überträgerinnen sind. Sie geben die Erkrankung statistisch an die Hälfte ihrer Söhne weiter. Sehr selten zeigen auch Mädchen Krankheitssymptome. Das Muskeldystrophie-Gen (DMD-Gen) liegt auf dem kurzen Arm des X-Chromosoms und wurde 1987 identifiziert. Es ist mit einer Länge von 2,4 Millionen Basenpaaren und 79 Exons das bisher größte bekannte menschliche Gen und kodiert für das muskelspezifische (stabilisierende) Protein Dystrophin. Die Mutationsrate ist sehr hoch (etwa 1/10 000), bei einem Drittel der Patienten wird die Erkrankung durch eine Neumutation verursacht. Bei etwa 60 % der Betroffenen kann eine Deletion, bei etwa 6 % eine Duplikation eines Teils des Gens nachgewiesen werden. Die übrigen 34 % der Erkrankungen resultieren aus Punktmutationen, die wegen der Größe des Gens bisher nicht routinemäßig nachgewiesen werden können. In den meisten Familien kann dennoch durch eine Haplotypanalyse das Überträgerinnenrisiko der Ratsuchenden bestimmt werden.

Forscher haben das Dystrophin 1987 entdeckt. Jungen mit Muskeldystrophie vom Typ Duchenne - etwa einer von 3500 neugeborenen Jungen hat die X-chromosomal-rezessiv vererbte, rasch progressiv verlaufende Muskeldystrophie - können kein Dystrophin bilden, weil sie einen Schaden am Duchenne-Gen auf dem kurzen Arm des X-Chromosoms haben.   Dystrophin ist ein Eiweiß, das ein Netz in den Muskelfasermembranen bildet. Fehlt es, werden die Membranen durchlässiger als bei gesunden Menschen. Enzyme wie die Kreatinkinase strömen vermehrt aus der Zelle aus. Deshalb haben die Kranken im Serum 10- bis 40fach erhöhte Spiegel dieses Enzyms.  Infolge des gestörten Zellstoffwechsels sterben die Muskelzellen ab, zuerst im Bereich des Beckengürtels. Wenn die Krankheit bei den Kindern deutlich erkennbar wird, meist ist das zwischen dem zweiten und vierten Lebensjahr, sind bereits 40 Prozent der Muskelfasern zerstört oder in der Funktion deutlich verringert.

 Die Diagnose kann durch DNA-Analyse oder anhand einer Muskelbiopsie mit immunchemischem Dystrophin-Nachweis (Histochemie oder Western-Blot Analyse) gestellt werden. Anhand der feingeweblichen Untersuchung einer Gewebeprobe kann die Zerstörung der einzelnen Muskelfasern sowie der Ersatz des Muskelgewebes durch Fett- oder Bindegewebe nachgewiesen werden. Die Muskeldystrophie Duchenne ist klinisch nicht immer hinreichend sicher von anderen autosomal rezessiven Muskeldystrophien zu unterscheiden. Daher ist der immunchemische Dystrophin-Test in der Regel bei sporadischen Fällen angezeigt, wenn keine Mutation im Dystrophin-Gen gefunden wurde und auch bei den weiblichen Familienangehörigen keine erhöhten CPK-Werte gemessen wurden, aus denen eine X-chromosomale Vererbung ersichtlich ist.

Einige für die Muskulatur charakteristische Enzyme sind häufig schon vor dem Auftreten der ersten Symptome der Erkrankung im Blut erhöht. Dazu gehören die Kreatin-Kinase (CK) und die Lactat-Dehydrogenase (LDH). Beide Enzyme kommen in unterschiedlichen Formen in den Zellen der Skelettmuskulatur und im Herzmuskel vor. Bei einer Zerstörung der Muskelzellen durch die Muskeldystrophie werden diese Enzyme freigesetzt und sind dann im Blut nachweisbar. Bei der Muskeldystrophie vom Typ Duchenne können bereits im Nabelschnurblut stark erhöhte Werte der Kreatin-Kinase nachgewiesen werden.

Ein weiterer typischer Laborbefund ist ein verminderter Wert des Kreatinins im Harn, wohingegen das Kreatin erhöht ist. Kreatin ist im menschlichen Organismus vorwiegend in Muskelzellen enthalten und wird dort in Kreatinin umgewandelt, das über die Nieren ausgeschieden wird.

Elektromyogramm (EMG) und Elektrokardiogramm (EKG)

Durch beide Verfahren werden die Aktionspotentiale der Skelettmuskulatur (EMG) bzw. der Herzmuskulatur (EKG) abgeleitet. Unter einem Aktionspotential versteht man eine schnelle elektrische Spannungsschwankung, die durch eine Änderung des Erregungszustandes einer Zelle, z.B. durch einen Nervenreiz oder einen elektrischen Reiz, ausgelöst wird. Diese Spannungsschwankungen werden graphisch als Kurvenbild aufgezeichnet und zeigen je nach Krankheitsbild charakteristische Veränderungen. Bei Patienten mit Muskeldystrophie sind z.B. die Dauer und die Amplitude der einzelnen Aktionspotentiale im EMG deutlich vermindert.

Therapie

Es gibt bisher keine kausale, das heißt gegen die Ursache gerichtete, Therapie der Muskeldystrophie. Die therapeutische Betreuung umfasst die Motivation des Patienten zur Bewegung, die Verhinderung von Kontrakturen und die möglichst lange Erhaltung guter Atemfunktionen durch gezielte Atemtherapie. 

Die Behandlung sollte assistive, dynamische und isometrische Komponenten umfassen, dabei ist immer zu berücksichtigen, dass die Muskulatur sehr dehnungsempfindlich ist. Bewährt hat sich auch die Behandlung im Bewegungsbad. Für den Fall, daß ein Schlingentisch zur Verfügung steht, sollte dieser ebenfalls eingesetzt werden.  Das regelmäßige Stehen in entsprechenden Geräten (Heidelberger Stehständer, Stehbrett) ist unerläßlich und fördert Stoffwechselfunktionen, wirkt kreislaufregulierend, begünstigt die Atmung und hat auch kontrakturprophylaktische Bedeutung. Hierbei sind aber in jedem Falle Zeitlimits einzuhalten, um organische Funktionen (z.B. Nieren, Verdauungsorgane) nicht überzustrapazieren, insbesondere auch das schwerkraftbedingte Absacken des Blutes bei nicht vorhandener Muskelpumpe.

Eine sich zwangsläufig entwickelnde Skoliose kann u.U. chirurgisch korrigiert werden. 

Durch eine medikamentöse Behandlung kann der Krankheitsverlauf zwar nicht aufgehalten aber verzögert werden. Zum Einsatz kommen Ribonukleinsäuren, die die Muskulatur stabilisieren und den Schwund der Muskulatur verlangsamen. Es gibt auch Behandlungsansätze mit dem Einsatz von Kreatinpräparaten, Kortikoiden und sogar Anabolika (unterschiedliche aufschiebende Erfolge  bei nicht unerheblichen Nebenwirkungen, wie z.B. Adipositas).

Das Ziel jeglicher Therapie besteht darin, die Lebensqualität der Patienten solange wie möglich zu erhalten. Dazu gehören selbstverständlich auch ausführliche Gespräche mit den Eltern und den Patienten selber über die Erkrankung. Darüberhinaus existieren vielerorts Selbsthilfegruppen.

Eine ausführliche Betrachtung zu Therapieformen, Hilfsmitteln, Operationen und Studien zur medikamentösen Behandlung findet sich auf einer gesonderten Seite und im Linkverzeichnis zum Thema.

 

zurück zur Seite  Krankheitsbilder, Neuromuskuläre Erkrankungen

dgm

neuroscript

sonderpaed-online

 

 

Hosted by www.Geocities.ws

1