Herabsteigen des Satans oder Ankunft der Gestapo
Prof. Tomasz Strzembosz
"Rzeczpospolita" Nr. 110 vom 12. Mai 2001
[Arbeitsübersetzung aus dem Polnischen von Beata Kubas]

English versionPolish version
 

Originalübersetzung unter der Adresse: http://www.pai.pl/jedwabne/niem/strzembosz1.html

Vor einigen Wochen, nach der Erscheinung meines letzten Artikels "Ein anderes Bild der Nachbarn" in "Rzeczpospolita" ("Rz" vom 31.03.2001) gab es sehr viele Anrufe an verschiedene Zeitschriftenredaktionen und Radiosender, es rief mich auch jemand an, der mich informierte, dass er [linksorientierte Tageszeitung] "Trybuna" repräsentiere. Als ich höflich auf mehrere mir gestellte Fragen über mein Wissen über das Verbrechen in Jedwabne antwortete, hörte ich: "Warum polemisieren Sie gegen Gross?". Ich antwortete: "Um der Wahrheit näher zu kommen". Mein Gesprächspartner legte ab.

 Da ist also des Pudels Kern. Mehrere Personen wissen ganz genau, was in Jedwabne am 10. Juli 1941 passierte. Professor Gross weiss es - denn er führte Forschungen. Frau Arnold - weil sie mit einer gewissen Anzahl der Stadteinwohner sprach. Andere - darunter auch ein paar Historiker - weil sie das Buch von Prof. Gross gelesen haben.

 Sie wissen. Und weil sie über dieses Wissen verfügen, äußern sie sehr selbstsicher verschiedene Urteile, darunter auch moralischer Art. Sie urteilen, missbilligen, verurteilen, sagen, man solle um Verzeihung bitten, und wundern sich sogar, dass so lange Schweigen herrschte - und heute, dank Prof. Gross - und ihnen auch, wurde dieses Schweigen gebrochen.

  Als wenn sie nichts über Polen der Jahre 1945-1989 wüssten, und als wenn sie von einem Teil der Schuld für dieses Schweigen befreit wären. Denn immer sind irgendwelche "andere" schuldig. Gleichzeitig vergessen sie, genauso wie es Prof. Gross vergaß, dass verschiedene "andere" bereits darüber geschrieben haben, nur das Thema wurde damals von der Presse nicht aufgegriffen, Radio und Fernsehen schwiegen. Sogar nach 1989, wo man schon "durfte". Die ganze Zeit herrschte Stille, so wie es jetzt darüber laut ist.

  Lenken wir also unsere Aufmerksamkeit auf eine interessante Erscheinung. Wegen dem Schweigen werden "alle Heiligen" angeschuldigt, außer einem Milieu, das wirklich verpflichtet war, über das Schicksal der Juden nicht nur in Warschau oder im Generalgouvernement, sondern auch im ganzen Gebiet der 2. Republik zu schreiben. Das heißt das Jüdische Historische Institut.

  In seinen Sammlungen wird ja seit 55 Jahren der Bericht von Wasersztajn aufbewahrt; da das Institut diesen Bericht der Staatsanwaltschaft des Bezirksgerichtes in Lomza übermittelte, kam es überhaupt zu Ermittlungen und zum Prozess der 22 Personen, die des Mordes an den Einwohnern von Jedwabne angeschuldigt wurden. Das Institut ist von allen polnischen wissenschaftlichen Institutionen am meisten dazu berufen, um polnisch-jüdische Beziehungen zu untersuchen, auch in den Ostgebieten, auch in den Jahren 1939-1941, auch dann, wenn es ein sehr komplizierter Fragenkomplex ist. Denn es wurde ja nicht dazu gegründet, um Arbeiten anderer zu rezensieren.

  Fehlende Fakten

  Es gibt also unter uns viele, die "wissen". Und Gleichzeitig, wenn man die Sache näher betrachtet, stellt sich heraus, dass unaufhörlich Fakten fehlen, auf denen man basieren könnte.

  Und so wissen wir nicht einmal, wie viele Polen und wie viele Juden in Jedwabne vor dem 10. Juli 1941 wohnten.

  Prof. Gross sagt, dass dort laut der im Dezember 1931 gemachten Volkszählung 2167 polnische Bürger wohnten, über 60% davon jüdischer Herkunft (S. 27) [1].
Wiederum im "Illustrierten Reiseführer über die Wojewodschaft Bialystok / Przewodnik ilustrowany po wojewodztwie bialostockim", der 1937 von einer großen Autorität in Sachen Landeskunde erarbeitet wurde, Dr. Mieczyslaw Orlowicz, lesen wir, dass zu jenem Zeitpunkt dort 2500 Personen wohnten, darunter 60% Katholiken und 40% Juden (S. 168). Einige meiner Gesprächspartner, die diese Zeiten noch gut in Erinnerung haben, sagten mir ebenfalls, dass Juden vor dem Krieg, wie während der Besatzungszeit, die Minderheit der Gesellschaft darstellten.
Dozent Krzysztof Jasiewicz beruft sich im Artikel "Unerforschte Nachbarn / Sasiedzi niezbadani" (Gazeta Wyborcza", 9.-10.12.2000) auf ein sowjetisches Dokument vom 16.09.1940 und behauptet, dass die Bevölkerung der Region Jedwabne (im Januar 1940 teilte die UdSSR den Bezirk Bialystok in Regionen ein, die kleiner als die ehemaligen Kreise waren) damals 38885 Personen zählte, darunter 37300 Polen, 1400 Juden und 185 Weißrussen. Also gab es in der ganzen Region weniger polnische Bürger jüdischer Herkunft als angeblich in der Scheune Sleszynskis verbrannt wurden: 1600 Personen. Wir sollten dabei nicht außer acht lassen, dass Jedwabne nicht die einzige Kleinstadt der Region war, und dass Juden ebenfalls in Dörfern wohnten. Aber vielleicht hat sich etwas in der Zeit bis Juli 1941 geändert? Ja, viele Juden verließen Jedwabne, aber es kamen andere aus Radzilow und Wizna. Nicht mal in dieser so grundlegenden Frage stehen wir nicht auf hartem Boden. Vielleicht wäre es aber für uns einfacher, Fakten zu beurteilen, denn nach den Geländeforschungen des Teams von Andrzej Przewoznik, das Erfahrungen in Katyn und Miednoje gesammelt hatte, wurden in dieser Scheune von 250 bis 400 Personen verbrannt.

  Stützt man sich auf so schwachen Prämissen, begeht man geradezu kompromittierende Fehler.

  Bei der Besprechung der polnisch-jüdischen Beziehungen in Jedwabne in den 30er Jahren, schreibt Prof. Gross über die ständige Pogrom-Bedrohung (S. 28-29). Vor einem Pogrom 1934 schützten die Juden aus Jedwabne die guten Beziehungen des Rabbiners zu dem örtlichen Pfarrer. Er schreibt (S. 30): "Der Rabbiner von Jedwabne und der örtliche Pfarrer hatten gute Beziehungen zu einander fast bis zum Kriegsausbruch, wo ein neuer Priester, Marian Szumowski, kam, der mit den Nationaldemokraten sympathisierte"; und an einer vorangehenden Stelle "Dem kommenden Pogrom - laut Gerüchten - beugte erst der Besuch des Rabbiners Awigdor Bialostocki bei dem örtlichen Pfarrer in Begleitung von Jena Rothchild vor (...)". Würde dagegen der Wissenschaftler in den Register der Diözese Lomza schauen, würde er erfahren, dass Pater Ryszard Marian Szumowski in Jedwabne Pfarrer von 1931 bis Juli 1940 war, wo er vom NKWD verhaftet wurde. Und eben dieser "mit den Nationaldemokraten sympathisierende Pfarrer", hielt das Pogrom von 1934 auf, was auch im Gedenkbuch der Jedwabne-Juden erwähnt wird, auf dem unser Autor basiert. Er würde ebenfalls dem Pfarrer wegen seiner Passivität in den Ereignissen 1941 nicht die Schuld zuschreiben, da damals Szumowski bereits verstorben war, und in der Pfarrgemeinde lediglich sein Vikar Kemblinski blieb.

  Es muss hier hinzugefügt werden, dass in solchen Städten wie Jedwabne, wo sich ständig dieselben Namen wiederholen, besondere Vorsicht geboten ist. Die Tochter von Czeslaw Krystowczyk, Sohn von Franciszek und Waleria, geboren am 14.07.1907 und verstorben am 23.03.1995, bat mich zu schreiben, dass er nicht derselbe Czeslaw Krystowczyk sei, Sohn von Jan und Stanislawa, örtlicher Kommunist, der im Bericht von Kielczewski vorkommt, der von   mir im Artikel "Verschwiegene Kollaboration / Przemilczana kolaboracja" ("Rz" vom 27.01.2001) zitiert wurde. Ich tue das also mit vollster Zufriedenheit.

Der Fall des Stadtvorstandes in Jedwabne (Juni - Juli 1941)

  Im Kapitel mit dem sehr charakteristischen Titel "Vorbereitungen", ganz am Anfang, schreibt Prof. Gross: "In der Zwischenzeit [d.h. zwischen dem 22. Juni und 10. Juli 1941 - T. S.] bildeten sich die neuen städtischen Behörden. Bürgermeister wurde Marian Karolak und Magistratsmitglieder unter anderen ein gewisser Wasilewski und Jozef Sobuta. Über die Aktivitäten des Stadtvorstandes in jener Zeit können wir nur sagen, dass er mit den Deutschen die Ermordung der Juden aus Jedwabne plante und absprach". [Unterstreichung stammt von mir - T.S.]

  Was bedeutet "bildeten sich"? Unter deutscher Okkupation, in dem hier zu errichtenden Bezirk Bialystok? Hat jemand diesen Vorstand gewählt? Wer? Er konnte spontan, auf Initiative mehrerer Personen gegründet werden, aber, zum Himmel, hier regierten die Deutschen und es konnte lediglich ein kommissarischer Vorstand gewesen sein, von Deutschen ernannt, der örtlichen, dort gerade gebildeten, NS-Verwaltung untergeordnet. Übrigens behauptet Jadwiga Kordas, war der Chef des Amt Komisariat in Jedwabne (wir wissen nicht seit wann) ein Deutscher, Bryczkus. (So wurde der Name von der Berichterstatterin ausgesprochen, ich weiß nicht, wie er sich schreibt).

  Wenn jetzt dieser Vorstand als polnische Institution, polnische Selbstverwaltung betrachtet wird, zielt man damit deutlich darauf ab, den Eindruck zu erwecken, dass die polnischen Behörden mit den Deutschen bei der Vernichtung der Juden kooperierten. Jedoch Marian Karolak und die anderen hier erwähnten Vertreter der Stadtbehörden waren einfach Kollaborateure, die ihre Funktionen ausübten, weil sie von den Deutschen dazu ernannt wurden. Dies wird durch die Tatsache unterstrichen, dass sowohl Marian Karolak, als auch Jozef Sobuta und Karol Bardon nicht gebürtige Jedwabne-Einwohner waren, sondern Ankömmlinge, die hier erst in den 30er Jahren sesshaft wurden. Karolak kam dorthin, wie mir mehrere Personen sagten, nach einem Gefängnisaufenthalt wegen einer Veruntreuung. Sie erfreuten sich also weder entsprechender Unterstützung noch Autorität, was dazu führte, dass sie wunderbar für die Rolle, die ihnen zugeschrieben wurde, geeignet waren. Darauf weist ihr Verhalten am 10. Juli 1941 hin.

  Weiter - auf Grund welcher Dokumente oder Berichte behauptet Prof. Gross, dass eben sie "mit den Deutschen die Ermordung der Juden aus Jedwabne geplant und abgesprochen hatten", dass sie Anstifter des Verbrechens und nicht nur Ausführer waren.

  Der Autor stellt mehrere "Argumente" und mehrere "Zeugenaussagen" vor.

  ● Warnung vor der vorbereiteten Aktion "durch nicht-jüdische Freunde" von Dwojra Pecynowicz und Mietek Olszewicz.

  ● Ankunft von Bauern aus den umliegenden Dörfern in Jedwabne, "obwohl es kein Markttag war" (S. 51).

  ● Die Zeugenaussage von Jerzy Laudanski, des damaligen Boten auf dem Gendarmerierevier: "1941 kamen mit dem Taxi vier oder fünf Gestapomänner und sprachen im Magistrat, ich weiß nicht worüber. Nach einiger Zeit sagte Karolak Marian zu uns Polen, dass wir polnische Bürger in den Stadtvorstand rufen sollen, nachdem wir die polnische Bevölkerung zusammenriefen, befahl er uns Juden zum Markt zu treiben, ihnen zu sagen, dass sie arbeiten werden, was die Bevölkerung auch machte, ich nahm an dieser Zeit ebenfalls an dem Zusammentreiben der Juden auf dem Markt teil". (S. 52)

  ● Die Zeugenaussage von Karol Bardon, einem deutschen Gendarme, der in den Gendarmerie-Werkstätten am Neuen Markt arbeitete, dass "er vor dem Magistrat in Jedwabne mehrere Gestapomänner sah, er weiß nur nicht, ob es am Tage des Massenmordes oder früher war". (S. 53) - Fragment aus dem Bericht von Szmul Wasersztajn, der schrieb, dass am 10. Juli "so ein Befehl von den Deutschen erteilt wurde". (S. 52)

  ● Die Zeugenaussage von Henryk Krystowczyk, der - was aus den Gerichtsakten folgt, zuerst entschieden behauptete, dass der Vertrag mit den Deutschen vom Bürgermeister Karolak mit Eugeniusz Sliwecki, seinem Stellvertreter, unterschrieben gewesen worden sei, und als dann der Richter auf ihn Druck ausübte, gestand, dass er es "von Leuten gehört hatte". (S. 53) Es gibt also wirklich viele Prämissen und Zeugenaussagen, tja! Sehen wir uns das doch etwas näher an.

  Jemand warnte Dwojra Pecynowicz und Mietek Olszewicz (wir wissen nicht, wer es war!) vor der geplanten Aktion, daraus kann man jedoch offensichtlich nichts über den abgeschlossenen "Vertrag" schließen. Man konnte den Schluss ziehen, da eine größere Gruppe der Deutschen (darüber später) gekommen war, es konnte das Ergebnis von irgendwelchen Gerüchten sein, Widerspiegelung von dem, was am 7. Juli in Radzilowo passiert war, usw. Der Bericht des Gendarmerieboten über die Ankunft der Gestapo, der vermutet, dass etwas besprochen wurde, aber nicht weiß was, selbst nichts gehört hat, verbindet lediglich diesen Fakt mit der Aufforderung, Juden zum Markt zu treiben, sagt auch nichts über den "Vertrag", sondern eher über die Befehlserteilung. Ich habe übrigens auch nie gehört, dass die Deutschen irgendwelche "Verträge" mit dem Warschauer Judenrat 1942 oder mit dem kommissarischen Bürgermeister Warschaus 1939-1944 abgeschlossen hätten. Verschweige denn "einen Vertrag" mit den Vertretern einer Kleinstadt. Die Deutschen befahlen einfach.

  Bardon, ähnlich wie Jerzy Laudanski, sah nur die Gestapo in das Vorstandsgebäude eintreten. Szmul Wasersztajn spricht übrigens nicht vom "Vertrag" sondern vom "Befehl", aber aus offensichtlichen Gründen war er die am schlechtesten informierte Person: zwischen dem kollaborierenden Stadtvorstand und der Gemeinschaft, die gleich ermordet werden sollte, musste eine Kommunikationsbarriere herrschen. Henryk Krystowczyk hat ebenfalls etwas gehört. Jedoch Henryk Krystowczyk ist eine höchst unglaubwürdige Person. Ein Lügner, der beim lügen erwischt wurde, außerdem ein Mensch, der sich als Zeuge des Verbrechens aus niedrigen Motiven, aus Rache, meldete. Als er aussagte, dass er gesehen hatte, wie die Juden von Czeslaw Laudanski und seinem Sohn Zygmunt sowie Aleksander Lojewski in die Scheune getrieben wurden, "mit einem Stock in der Hand", und das noch angeblich vom Dachboden des Hauses seines Vetters, Waclaw Krystowczyk, gelegen in der Przestrzelska-Str., erklärte der erwähnte Waclaw, dass "er es nicht gut von meinem Haus beobachten konnte, denn die Aussicht auf die Scheune Sleszynskis ist zugedeckt"[2] (GK SCL 123, f. 213v und 218). Tatsächlich. Von der Przestrzelska-Str. ist es unmöglich zu sehen, was auf dem Weg zur Scheune passiert, und nicht mal von der Cmentarna-Str., denn sie ist hinter den Häusern und Bäumen versteckt, außerdem ist es schwer, aus ungefähr 250 m Entfernung Personen zu erkennen und zu sehen, wer einen Stock in der Hand hatte. Deshalb erkannte Krystowczyk diejenigen, die er erkennen wollte, zusammen mit Czeslaw Laudanski, der dort mit Sicherheit nicht gewesen war.

  Fassen wir zusammen. Eine Information mit besonderer Bedeutung, sowohl von der Faktographie als auch von der moralischen Seite gesehen, die dem polnischen Stadtvorstand und den Polen die Schuld zuschreibt, folgt für Prof. Gross aus Gerüchten und Vermutungen. Während der deutschen Besatzung würde man sagen, dass sie auf PPP basiert (PPP - Pewna Pani Powiedziala - Wortspiel: Es sagte mal eine Dame - ad. Ü.). Und gerade wenn er so eine Anschuldigung formuliert, war er besonders verpflichtet, sich um die Glaubwürdigkeit seiner Quellengrundlage zu bemühen.

  Unterdessen formuliert es der Autor von "Nachbarn" folgendermaßen: "Wo entstand die Idee für diese Unternehmung - unter den Deutschen (dies könnte man dem Satz "dies befahlen die Deutschen" aus dem Bericht Wasersztajns entnehmen), war das eine Initiative von unten der Stadträte - es ist unmöglich, dies festzustellen. Übrigens ist es ohne größeren Belang [Unterstreichung stammt von mir - T.S.], denn beide Seiten kamen offensichtlich einfach zur Einstimmung". (S.52)

  Also das kann ich wirklich nicht verstehen! Wenn einem polnischen Historiker egal ist, ob die Initiative für diesen schrecklichen Mord an den Einwohnern der Kleinstadt, an Nachbarn, von den Besatzern stammte, oder auch "eine Initiative von unten" des kollaborierenden, obwohl aus Polen zusammengesetzten, Stadtvorstandes war, bin ich nicht imstande mit ihm zu diskutieren. Was würde denn die jüdische Gemeinschaft über einen jüdischen Historiker sagen, der schreiben würde, dass es ihm egal sei, ob tausende Warschauer Juden aus dem Warschauer Getto  vom Judenrat auf deutschen Befehl zum Umschlagplatz geschickt wurden, oder ob es eine Initiative von unten, vom Judenrat war, "denn beide Seiten kamen offensichtlich einfach zur Einstimmung". Ich lasse diese Frage ohne Antwort.

  Außerdem würde ich gerne dem Autor von "Nachbarn" zwei einfache Fragen stellen:

1.   Woher weiß er, dass es im Juli 1941 in Jedwabne außer dem Stadtvorstand noch einen Stadtrat gab, und dass er überhaupt an den eventuellen Gesprächen mit Deutschen teilnahm?

2.   Woher weiß er, dass beide "Parteien" sich leicht geeinigt hatten, wenn über die Gespräche selbst: ihren Verlauf, ihre Folgen und Umstände uns eigentlich nichts bekannt ist?

  Das alles sind unverantwortliche, leere Worte, ohne Begründung, aber mit einer sogar zu sichtbaren Tendenz, die Einwohner von Jedwabne in den Schmutz zu ziehen. Einfach eine Schande.

  Es gibt also keinen Grund, um sich Gedanken zu machen - wenn wir den Berichten von Szmul Wasersztajn und Eliasz Gradowski (Anmerkung 48, S. 54) folgen - ob die Deutschen wirklich den Polen vorgeschlagen hatten zu "erlauben" (das folgt aus dem Kontext), eine gewisse Anzahl der Juden - Fachleute - am Leben zu erhalten, und Bronislaw Sleszynski leistete dem Widerstand; sowie ob wir anerkennen - laut dem Bericht von Wiktor Nielawicki - dass "die Deutschen bereits direkt an der Scheune suggerierten, einige Juden zu schonen, weil Arbeitskräfte nötig waren, worauf einer der die Aktion leitenden Polen erwiderte, dass sie eine entsprechende Zahl der eigener Leute als Arbeitskräfte zur Verfügung stellen werden" [Unterstreichung stammt von mir - T.S.].

  Wasersztajn konnte eventuell etwas darüber gehört haben, aber aus wirklich "zweiter Hand" (wie Gross schreibt), dagegen Eliasz Gradowski, der bis Kriegsende in der UdSSR war, hatte damals nicht mal aus "zweiter Hand" etwas gehört. Und er ist - fügen wir hinzu - ein offensichtlicher Lügner, der in seiner Zeugenaussage nicht nur verheimlicht, dass er sich  am 10. Juli 1941 hunderte Kilometer von Jedwabne entfernt aufhielt, sondern sogar vormachte, er wäre einer der Repressionierten. Er sagte nämlich aus: "Am Anfang trieben sie alle Juden zum Markt in Jedwabne - ich floh in dieser Zeit (...)" und nannte in seiner Aussage sogar 26 Personen, die des Mordes schuldig waren, fügte noch hinzu, dass dasselbe Abram Boruszczak gesehen hatte, Hauptbelastungszeuge, der überhaupt nicht in Jedwabne wohnte.

  Alles wird noch schmackhafter durch die Tatsache, dass derselbe Eliasz Gradowski in seiner Aussage vom 8. Januar 1947 (also zwei Jahre früher) vor dem Kreisgericht Lomza im Prozess über die Übertragung an Gedal London der Liegenschaft an der Przestrzelska-Str. in Jedwabe, die vorher seiner Schwester Sora Drejarska gehörte, aussagte: "Drejarska wurde samt Familie von den Deutschen ermordet, es blieb nur der Bruder am Leben", in einem analogischen Prozess in Sachen Josech Lewin behauptete er: "Er ist der Bruder von Fajga aus der Familie Semin, die 1941 am 10. Juli von den Deutschen auf diese Weise ermordet wurde, dass die Juden und unter anderem sie in eine Scheune in Jedwabne zusammengetrieben und verbrannt wurden. Ich weiß es, da ich mich damals in der Gegend von Jedwabne versteckte" [Unterstreichung stammt von mir - T.S.]. In demselben Prozess war in Zeugenstand ein anderer polnischer Bürger jüdischer Herkunft, Jankiel Bena, er sagte: "Am 10. Juli sah ich wie die Deutschen alle Juden aus Jedwabne in eine Scheune zusammentrieben und in Brand setzten. (...) Ich versteckte mich damals vor den Deutschen und zu dieser Zeit hatte ich ein Versteck auf dem Friedhof, und ich habe alles gesehen".

  Jedoch wissen wir nicht, ob er vom katholischen Friedhof in der Cmentarna-Str. spricht, der mehrere hundert Meter von Sleszynskis Scheune entfernt war, oder vom jüdischen Friedhof, der einige Dutzend Meter entfernt war.

  Dies betrifft auch andere Zeugen. Das Kreisgericht in Lomza stellte damals fest: "Der Tod von Zelik Zdrojewicz wurde nach der Aussage des Augenzeugen Zelik Lewinski festgestellt, der am kritischen Tag Zdrojewicz gesehen hatte, wie er zusammen mit der ganzen jüdischen Bevölkerung aus Jedwabne zu einer Scheune geführt wurde, die dann von Deutschen in Brand gesetzt wurde. Dem Zeugen gelang es, im letzten Moment vor der Einführung in die Scheune zu fliehen" [Unterstreichung stammt von mir - T.S.].

  Es stellt sich also die Frage: Wann sagten Eliasz Gradowski und andere die Wahrheit - dann, als sie die Polen des Mordes beschuldigten, und dabei die deutsche Beteiligung eliminierten, oder dann, als sie über Deutsche aussagten, ohne Polen zu erwähnen. Es scheint nämlich, dass sie gerade das sagten, was sie im gegebenen Moment für günstig oder bequem hielten.

  Und noch eine Bemerkung. Die Behauptung Gross’, die Berichte der letzten Holocaust-Zeugen seien Dokumente von besonderer Glaubwürdigkeit und sollten auch so behandelt werden, wurde von ihm selbst disqualifiziert, lächerlich gemacht. Vielleicht in anderen Fällen - ja, aber in jenen, in denen er sie zur Darstellung seiner These verwendete - nein. Ich kann da nichts machen.

  Das, was Eliasz Gradowski und Abram Boruszczak betrifft, betrifft auch Wiktor Nielawicki, der laut Gross "geflohen war, bevor die Menge der Juden in die Scheune hineingetrieben wurde" (Anmerkung 48, S. 54).  Ist er zur Scheune zurückgekommen, um die Gespräche der Mörder zu belauschen? Und wer hat den vor der Todesgefahr Versteckten über diese Gespräche informiert, doch nicht die "die Aktion leitenden Polen".

  Auf diese Weise schwebt die ganze These über einen Vertrag zwischen irgendeiner polnischer Macht und der deutschen Polizei in der Leere, wird von keinen ernsten Argumenten belegt. Wer setzte die Scheune Sleszynskis in Brand

  Dies ist wirklich die Schlüsselfrage und wartet immer noch auf eine Antwort. Mir stehen zu Verfügung keine Dokumente, die entscheidende Bedeutung haben könnten, ich möchte aber trotzdem mehrere Zeugenaussagen präsentieren, die nützlich erscheinen können.

  Die erste ist die Erklärung von Aleksander Wyrzykowski, Ehemann von Antonina, die die wichtigste positive Heldin des Films "Nachbarn / Sasiedzi" von Agnieszka Arnold ist und ebenfalls im Gross` Buch vorkommt. Sie sind es, die zusammen sieben Personen jüdischer Herkunft bis 1945 versteckt hatten. Am 2. Mai 1962 unterschrieb Aleksander Wyrzykowski (geb. 1908 und damals wohnhaft in Milanowek bei Warschau) seine "Aussage", die mit den Worten beginnt: "Ich, Wyrzykowski Aleksander zusammen mit meiner Frau Antonina möchte folgendes erklären. Seit November 1942 bis zum 22. Januar 1945 versteckten wir bei uns sieben Juden. Wir wohnten damals in Janczewek, Kreis Lomza. Unweit von uns, in der Kleinstadt Jedwabne, verbrannten die Deutschen bei Mithilfe einiger Polen 1942 [Irrtum - 1941 - T.S.] 1600 Juden bei lebendigem Leib. (...)" [Unterstreichung stammt von mir - T.S.]. Die zweite Aussage stammt von Stefan Boczkowski vom Dorf Grady Male, das in der Nähe von Jedwabne liegt, der zusammen mit seinem Freund Roman Chojnowski aus demselben Dorf am 10. Juli Zeuge der Ereignisse in Jedwabne war. Beide waren damals mehr als 15 Jahre alt. Er schrieb mir in seinem Brief vom 21. November 2000: "Wir beide gingen mit anderen Einwohnern in gewisser Entfernung im hinteren Teil der Kolonne [der Juden - T.S.] - aber wir sahen fast die ganze Kolonne ziemlich genau. Als die Kolonne sich der Scheune näherte, wurden die Juden brutal aufgefordert hineinzugehen, meistens "halfen ihnen  physisch" deutsche Soldaten, sie traten, schlugen und schubsten einzelne Personen mit Gewalt. Als bereits alle von der Kolonne in der Scheune zusammengepfercht wurden, wurde ihr großes Tor geschlossen, d.h. das Tor, das zum Einfahren der Wirtschaftswagen diente. Dann kam schnell ein offener Armeelaster  mit Soldaten und ein Teil der Soldaten sprang sofort vom Laster ab, der Rest der oben gebliebenen Soldaten begann den da unten Metallbehälter mit Benzin schnell zu reichen, diese Soldaten fingen blitzschnell an, die Seiten der Scheune mit Benzin zu begießen; direkt danach begann ein Teil der Soldaten die Scheune von allen Seiten in Brand zu setzen. Die Scheune fing sofort Feuer, dass sich schnell in hohen Flammen verbreitete, Qualm umfasste sie. Furchtbare Schreie, furchtbares Gejammer und ein fast höllisches Gebrüll brachen aus (...)".

  Mit der Aussage Boczkowskis stimmt eine andere überein, die in New York gemacht wurde, nicht vor mir, sondern vor Waldemar Piasecki. Ich bin nicht imstande ihre Redlichkeit  einzuschätzen, obwohl sie sehr glaubwürdig erscheint. Sie wurde von Apolinary Domitrz gemacht, der im Dorf Rostki bei Jedwabne 1929 geboren wurde und zusammen mit Spielkameraden Jan Rakowski und Zenon Ryszkiewicz Kühe hütete, in einer Entfernung von 0,5 km von der Brandstelle. Nachdem sie den Brand erblickten, rannten sie dorthin, aber die Scheune stand schon ziemlich lange in Flammen. Der Bericht läuft wie folgt:

  "Als die Scheune zu brennen anfing, war es warm. Die Flammen gingen hoch. Wir rannten also sofort nach Jedwabne. (...) Bogen in die Cmentarna-Str. ein. Wir blieben stehen ungefähr 250m von der Scheune entfernt. Sie brannte schrecklich. Die Splitter knallten. Sie war aus Holzbrettern, strohgedeckt. Alles war warm. Dann kam es zu einer Explosion und gelber Qualm stieg auf. So groß. Die Deutschen gingen vom Feuer weg. Und andere? Welche andere? Da waren keine Polen. Nur Deutsche. Wir haben keinen Polen gesehen. Wieviel Gendarmen waren es? Viele sind gekommen. Zwanzig oder dreißig Mann. Ich habe sie nicht gezählt, aber es waren viele. (...)" (Zeuge Nr. 5. Jedwabne - Kulissen des Verbrechens / Jedwane - Kulisy zbrodni. "Kulisy", Nr. 16 vom 19.04.2001).

  Man kann sagen, die gegenwärtige Relation aus der Zeitschrift "Kulisy" sei belanglos. Da die Glaubwürdigkeit von Gradowski und Boruszczak, die vor Gericht aussagten, gleich Null ist, wäre ich nicht so skeptisch gegenüber Aussagen eingestellt, die nach Jahren gemacht werden, wenn sie völlig unabhängig voneinander gemacht wurden, und wenn die dort übermittelten Tatsachen und Bilder sich gegenseitig bestätigen. Der Unterschied zwischen den Zeugnissen von Boczkowski und Domitrz liegt darin, dass der erste das Zusammentreiben der Juden und das Feuer von Anfang an beobachtete, also auch die Beteiligung der Polen, dagegen der zweite erst kam, als die polnische Bevölkerung das Gelände um die Scheune herum verlassen hatte.

  Die Glaubwürdigkeit Boczkowskis steigert noch ein zusätzliches Element. Obwohl er als er seine Aussage machte, die Prozessakten von 1949 nicht kannte, unterschied er deutlich zwischen zwei Gruppen von Polen, die für die Bewachung der Juden auf dem Markt und das Zusammentreiben in die Scheune engagiert waren. Die erste setzte sich zusammen aus "Gezwungenen", die die Aufgabe unter Zwang ausführten, die zweite aus "Freiwilligen", die sich durch das Schlagen der Juden auszeichneten.

  Die örtliche Bevölkerung war überzeugt, dass die Deutschen die Juden in Jedwabne verbrannt hatten und das dasselbe Schicksal ebenfalls Polen zukommen kann - darüber spricht der Bericht von Pater Kazimierz Olszewski, Seelsorger in der Anstalt für Sehbehinderte in Laski bei Warschau. Er schrieb u.a.:

  "Ich wurde im Dorf Grady Duze geboren, 4 km von Jedwabne entfernt, und hier wohnte ich bis 1953. In Jedwabne befand sich meine Pfarrkirche. (...) Am 22. Juni 1941 flohen die Sowjets und kamen die Deutschen. Am 10. Juli 1941 war ich mit meinem Vater, der unseren Acker in der Nähe des Dorfes Przestrzele, etwa 1,5 km von Jedwabne entfernt, bebaute. Am späten Nachmittag sahen wir eine hohe Rauchsäule. Es war ein warmer, sonniger Tag. In Jedwabne gab es einen Brand, etwas war in Feuer.

  Am Abend kamen wir zurück nach Hause. Es verbreitete sich die Kunde - die Deutschen haben in einer Scheune in Jedwabne Juden verbrannt. In meiner Umgebung hörte ich Äußerungen, dass bald dasselbe mit den Polen passiert. Ich werde nie das Gespräch mit meiner Mutter, Helena, vergessen: "Mama, ich habe Angst, wir werden ja auch verbrannt". Ich hörte als Antwort: "Habe keine Angst, das dauert nicht lange". Diesen Qualm von der brennenden Scheune und das Gespräch mit meiner Mutter werde ich nie vergessen. (...) Man sprach nicht viel über die Teilnahme der örtlichen Bevölkerung am Juden-Holocaust, denn es gab keine Zweifel daran, wer der Haupttäter des Mordes in Jedwabne war". (Brief vom 6.03.2001)

  Ich schreibe nicht all das, um um jeden Preis die Teilnahme und Verantwortung der Polen zu mindern, die ja auch - und das steht fest - in irgendeiner Gruppe an diesem Mord teilgenommen hatten. Instruktiv ist jedoch die Feststellung von Prof. Adam Dobronski zu den Vorfällen in Tykocin, "die bislang als Beispiel der drastischsten Teilnahme der Polen an der Vernichtung der Juden in der Gegend von Bialystok galten. Aus jüdischen Berichten folgte, dass eben Polen dieses Pogrom organisierten (...) Nachdem jedoch die Quellen genauer untersucht wurden, wurde die polnische Beteiligung deutlich gemindert und aktuell spricht man, dass zwar eine gewisse Anzahl von Polen daran teilnahm, aber auf folgende Weise - die Deutschen machten davor eine Razzia auf Polen, einige wurden namentlich geladen, andere von der Straße gesammelt". (A. Dobronski - "Historische Kontroversen werden durch Dialog verifiziert / Historyczne kontrowersje weryfikuje sie w dialogu" ("Rzeczpospolita" vom 5.05.2000). Ähnlich wie in Jedwabne.

  Dieses Zitat führt uns zum Problem der Analogie, der Betrachtung des Mordes in Jedwabne aus dem Standpunkt anderer Städte und Kleinstädte der Region Lomza.

Wie war es in anderen Ortschaften

  Wir haben noch kein vollständiges Wissen über ähnliche Mordakte, wie die in Jedwabne. Es wurden in ungefähr derselben Zeit in mindestens mehreren Ortschaften solche Morde verübt, aber aus den Beschreibungen der damaligen Vorfälle folgen solche Szenen, die auf ein programmiertes "Szenario", "Ritual" der Massenvernichtung jüdischer Bevölkerung hinweisen. Jedes Mal sind hier die "Hauptregisseure" oder "-akteure" die Deutschen, bei einer kleineren oder größeren Beteiligung einer Gruppe der örtlichen Bevölkerung. Die Beschreibungen der polnischen und jüdischen Zeugen stimmen übrigens überein, es kann also von keiner Manipulation, Lüge der Berichterstatter die Rede sein.

  So wurden die Juden in Zareby Koscielne identisch behandelt wie in Jedwabne, jedoch bereits im September 1939. Waclaw Zakrzewski notierte 1973 in seiner Relation unter dem Titel "Unwegsame Gegend des Krieges / Na wojennych bezdrozach" (Ostarchiv, Sign. II/507/L), dass die Deutschen nach Zareby am 14. September 1939 einmarschierten.

  "Die jüdischen Ortseinwohner mit dem Rabbiner an der Spitze gingen die Deutschen begrüßen. Die deutschen ließen sich begrüßen und forderten dann alle Juden auf, sich auf dem Markt zu versammeln. Nachdem alle Juden sich dort versammelt hatten, befahlen sie ihnen, den Mist, der auf dem Marktplatz nach dem Markttag geblieben ist, zu sammeln und dem Rabbiner, ihn im Hut wegzutragen (...)".

  Ist das nicht ähnlich wie in Jedwabne, wo der Markt als Vortakt der Hinrichtung gesäubert wurde? Dagegen in Czyzewo, westlich von Jedwabne, befahlen die Deutschen nach ihrem Einmarsch im Juni 1941 die Lenin- und Stalindenkmale zu zerstören. Doktor Marian Godlewski aus Warschau, damaliger Bewohner der Kleinstadt, erinnert sich daran wie folgt:

  "Die Russen errichteten ein Lenin-Denkmal auf dem Markt in Czyzewo sowie eine Stalin-Büste auf dem Bahnhof, auf der Grünanlage neben dem Bahnhofsgebäude. Der Bahnhof war von dem Städtchen ungefähr 1 km entfernt. Gleich nachdem die Deutschen die Stadt besetzt hatten, trieben sie alle Juden aus Czyzewo mehrere Tage zusammen und befahlen ihnen das Lenin-Denkmal zu zerstören, dann zum Bahnhof zu gehen und das Stalin-Denkmal zu zerstören, dann die Überreste der beiden Denkmäler herumzutragen und jüdische Trauerlieder zu singen; nach dieser Prozession die zerstörten Denkmäler in den Fluss Broja zu werfen. Das wurde von den Deutschen organisiert". (Brief vom 19.04.2001)

  Dieser Befehl, die Denkmäler der "Anführer" zu zerstören, sie während einer Prozession mit Gesang (in Jedwabne sang man "Wegen uns Krieg / Przez nas wojna" und sowjetische Lieder) herumzutragen, ist doch ebenfalls ein rituelles Element vor dem Mord.

  Sehen wir uns das jetzt mit den Augen der örtlichen Juden an. Zuerst Zareby Koscielne. "Anfang August 1941 versammelten die polnischen Polizisten jüdische Männer, die bei den sowjetischen Behörden arbeiteten, und die sie als aktive Mitarbeiter kannten. Viele gelang es zu verstecken, es wurden ungefähr 30 Personen versammelt. Sie mussten die Lenin-Statue vom Marktplatz zum Fluss in der Nähe der Stadt tragen. Auf dem Weg zwangen die polnischen Polizisten die Juden Hatikwa zu singen, und einer von ihnen, Jaakow Krzybowicz (Grzybowicz?) musste Ziehharmonika spielen. Am Fluss, bei dem Einwerfen der Statue ins Wasser, befahl der örtliche Polizist Roman Zakrzewski dem örtlichen Juden Abram Bonowicz eine Rede zu halten, deren Inhalt er ihm diktierte. (...)" (AZIH, Berichte 301/386. Bericht von Rachela und Mindl Olszak, maschinengeschriebenes Manuskript). Auf ziemlich ähnliche Weise beschreibt das Cipa Goldberg (Bericht Nr. 301/383), sie fügt noch dieses Fragment hinzu: "An einem Tag jagten die Deutschen Rabbiner Spiewak auf die Straße hinaus, befahlen ihm die Schuhe auszuziehen und Straßen zu kehren, den Müll in den eigenen Hut zu sammeln".

  Sehr ähnlich lief es in Kolno ab: "5. Juli 1941 - die Deutschen und ihre polnische Mithelfer jagten die ganze jüdische Bevölkerung hinaus und versammelten sie um das Lenin-Denkmal herum. Die Männer wurden aufgefordert ihre Gebetsschale umzulegen, zu singen; bei dem Hatikwa-Singen, bei grausamen Schlägen und Schreien, wurde die Statue von jüdischen Schmieden zerstört. Ihre Stücke wurden auf Wagen geladen.  An die Wagen wurden Juden in ihren Gebetsschalen eingespannt, die Deutschen stiegen ein und nahmen die Zügel in die Hände. Die Polen trieben und schlugen (...) Auf dem Friedhof gruben sie ein Grab, befahlen zu beten, zu singen und bei großer Freude der Peiniger wurden die Reste der Lenin-Statue begraben". (AZIH, Bericht 301/1996, Bialystok, 28.11.1946)

  Neben dem sich wiederholenden Ritual - obwohl mit gewissen Abweichungen - beginnt die Welle der Grausamkeiten, die dann in der Vernichtung mündet, mit einem charakteristischen Moment - der Ankunft einer größeren Gruppe der Deutschen. Am sichtbarsten ist das in den Berichten über Radzilowo, 20 km nördlich von Jedwabne gelgen. Chana Finkelsztajn notierte in ihrem Bericht (Nr. 301/1284) vom 22.10.1945: "Am 7. Juli [1941 - T.S.] kamen viele Deutsche"; ein anderer Bericht von Menachem Finkelsztajn (Nr. 301/1994 vom 28.09.1946) informiert:

  "Es ist 3 Uhr nachmittags, 7. Juli 1941; vom Städtchen Stawiski kommen nach Radzilow 4 deutsche Autos mit Gestapomännern ausgefüllt, mit ihnen eine Person in polnischer Uniform". In einer anderen Version des Berichtes schrieb dieselbe Chana Finkelsztajn (Nr. 301/1284), dass "am 7. Juli drei Taxis mit Deutschen kamen". (Derselbe Zeuge hatte, trotz der Behauptungen von Gross über die marginale Teilnahme der Deutschen am Verbrechen in Radzilow, im Gestapoagent Hermann Schaper den "Anführer der ganzen Aktion wiedererkannt").

  Genauso lief es auch in Jedwabne ab: die bereits zitierten Personen - Bardon, Jerzy Laudanski und Szmul Wasersztajn - informieren über die Ankunft der Taxis. Es gibt aber noch andere Berichte, die nicht von "Taxis" sondern Lastkraftwagen sprechen. Prälat Tadeusz Klimaszewski, aktueller Pfarrer in Wizna, wurde von dem nahegelegenen Dorf Slupy in die Stadt geschickt, er sah einen deutschen Laster auf der Straße, die von  Jedwabne nach Wizna führte, und damals sprach man über vier Lastkraftwagen mit Deutschen. (Bericht vom 18.03.2001). Stefan Boczkowski sah einen offenen Laster neben der Scheune Sleszynskis.

All das würde zusammen darauf deuten, dass nicht "der Satan nach Jedwabne herabgestiegen war", wie es Prof. Jan Gross formuliert, sondern dass eher dorthin das Kommando aus Ciechanow kam, als zum nächsten Ort des Pogroms. Dieser Fakt wäre eine logische Erklärung für eine Reihe von Massenmorden im Sommer 1941 in den nördlich von Lomza gelegenen Ortschaften.

Tomasz Strzembosz Rzeczpospolita, 12. Mai 2001

Ins Deutsche übersetzt von Beata Kubas


[1] Die jeweiligen Seitenzahlen beziehen sich immer auf das polnische Original - ad. Ü.
[2]  In der deutschen Übersetzung wurden die Aussagen im Rahmen des Möglichen stilgetreu übersetzt. Die polnische, nicht immer korrekte, Rechtschreibung konnte jedoch aus verständlichen Gründen nicht beibehalten werden. - ad. Ü.

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