Prof. Dr.Tomasz Strzembosz, Betrifft den 10. Juli in Jedwabne.
Jedwabne - Manipulationen, Sühneveranstaltung

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Der unbewußte Antisemitismus

Vor einigen Jahren hat Tadeusz Mazowiecki (der erste postkommunistische Ministerpräsident Polens) in der katholischen Zeitschrift "Więź" ["das Band"] geschrieben: es gibt ehrliche und anständige Menschen, die von sich sagen: ich bin keineswegs Antisemit; selbst wenn meine Tochter einen Juden heiraten wollte, würde ich sie nicht daran hindern. In der Tat, sie würden ihre Tochter zwar nicht daran hindern, es würde ihnen aber auch nicht in den Kopf kommen, ihre Tochter daran zu hindern, einen Italiener oder einen Ungar zu heiraten, ob er nun blonde oder rote Haare hat. Aber gerade darin, daß sie Juden als solche überhaupt herausstellen, läge ein unbewußter, latenter Antisemitismus. Die Juden sind für sie eben "besondere" Menschen, sie sind halt anders.

Ich habe mich an diesen Artikel infolge der Sühneveranstaltung vom 10. Juli in Jedwabne erinnert, bei der Staatspräsident Kwaśniewski die führende Rolle gespielt hat.

Warum hat er als polnischer Staatspräsident die Juden überhaupt um Verzeihung gebeten? Doch wohl deswegen, weil die in Jedwabne Ermordeten, sei es unbewußt oder bewußt, als Bürger der II Republik von besonderer Art angesehen werden; weil diese Ermordeten so behandelt werden als ob sie außerhalb der polnischen Gesellschaft gestanden hätten, als ob sie in Polen FREMDE gewesen wären.

Warum nahmen an dieser Gedenkveranstaltung hohe Vertreter des Staates Israel, der amerikanischen Juden sowie prominente Vertreter der jüdischen Gemeinden in Polen teil? Denn, wenn es nämlich darum ginge, daß ein Tausend Kowalskis ebenso viele Brzezinskis getötet hätten, würde keiner auf die Idee kommen, eine solche Sühneveranstaltung durchzuführen, weil es hierbei nur um POLEN ginge. Es wurde also stillschweigend angenommen, daß die in Jedwabne ermordeten Juden, die vom niemanden nach ihrer Haltung zum polnischen Staat bzw. zur polnischen Nation befragt worden waren (es könnten ja unter ihnen auch solche gewesen sein, die sich - völlig zu Recht - für Polen hielten), keine Polen, sondern Juden waren. Keiner der für diese Veranstaltung Verantwortlichen hat auch erklärt, worauf er diese Unterscheidung zurückführt: etwa auf Religions- bzw. Rassenzugehörigkeit oder auf ein Bekenntnis zu Staat und Nation? Oder gar auf die Haltung der Ermordeten gegenüber dem durch den Krieg vernichtend getroffenen polnischen Staat?

Es wurde auch nicht hinreichend geklärt, aus welchen Gründen sie überhaupt ermordet wurden: aus rassischen und religiösen - d.h. weil sie schlicht Juden waren? Vielleicht waren es aber auch politische Gründe - z.B. Rache für die Kollaboration mit den sowjetischen Besatzern, oder etwa gar pure Raff- und Raubgier? Weder Untersuchungen von Historikern noch die nicht abgeschlossenen staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen haben bisher klären können, aus welchen Gründen polnische Staatsangehörige aus Jedwabne an der Ermordung (oder lediglich an dem diese vorbereitenden Zusammentreiben) anderer polnischer Staatsangehörigen von Jedwabne teilgenommen haben. Es wurde schlicht angenommen, daß die "Unsrigen" FREMDE, d.h. "Nichtunsrige" ermordet haben. Daraus erklärt sich auch die Teilnahme der Vertreter des Staates Israel sowie das Sühneersuchen des erschütterten Präsidenten der Republik Polen.

Warum weckt gerade dies meine Aufmerksamkeit ? Eben, weil der Präsident Kwaśniewski zu keinem Zeitpunkt anderer, seinerzeit ermordeter polnischer Staatsangehöriger, auch nicht derer, die von den Funktionären der politischen Formation, der er selbst in leitender Funktion angehörte und deren finanzielles und moralisches Erbe eine Partei übernommen hat, deren erster Vorsitzender er dann wurde, mit solcher Inbrunst gedacht hat. Dies hat er nie getan, obwohl besagte Formation sowie deren östlicher Förderer den Tod von Tausenden und mehr Bürgern der III. Republik zu verantworten haben als in Jedwabne und Radziwiłów zusammen zu Tode gekommen sind.

Ich erinnere nur daran, daß alleine infolge der Justizmorde über 3.000 polnische Staatsangehörige, darunter auch solche, die nicht polnischer Volkszugehörigkeit waren, ihr Leben lassen mußten. Ganz zu schweigen von den vielen Tausenden, die durch Gefängnis und Lagerhaft krank bzw. invalide wurden und deswegen außerstande waren, ihre Frauen und Kinder zu ernähren. Mehrere hundert Personen wurden u.a. vor den Wahlen 1947 als politische Gegner der Polnischen Arbeiterpartei (PPR) hinterrücks umgebracht. Das ehemalige KZ-Lager Majdanek und andere ehemalige NS-Konzentrationslager wurden mit polnischen Staatsangehörigen gefüllt. Im berüchtigten Gefängnis Schloß Lublin wurden in den Jahren 1944-56 kaum weniger Polen eingekerkert als in den Jahren 1939-44.

Mit Zustimmung des damaligen Regimes wurden mehrere Tausend polnische Bergleute sowie um ein vielfaches mehr andere polnische Arbeiter zur Zwangsarbeit in sowjetischen Bergwerken und Betrieben in die UdSSR deportiert. Dieses Schicksal mußten auch tausende ehemalige Soldaten der Heimatarmee (AK) mit diesen teilen. Es wurden aber auch genuin polnische Konzentrationslager errichtet - wie z.B. das Lager in Rembertów bei Warschau, die den deutschen KZ-Lagern in Nichts nachstanden. Im auf dem linken Ufer der Weichsel gelegen Stadtteil Warschaus, Praga, wurden einzelne Häuser zu Folterkammern umfunktioniert. Junge polnische Männer sog. klassenfeindlicher Herkunft wurden zur tödlichen Arbeit in den Uranbergwerken gezwungen, wo sie ihr Leben für die imperiale UdSSR hingeben mußten. In den polnischen Lagern und Gefängnissen wurden mehr ehemalige Mitglieder der Heimatarmee (AK) gefangen gehalten als ehemals in Auschwitz während der deutschen Besatzung usw., usf.

Greifen wir nur ein Beispiel, das Beispiel von Jaworzno in der Wojewodschaft Katowice [Kattowitz], eines Sublagers des ehemaligen KZ-Lagers in Auschwitz, auf. Während der Herrschaft der Polnischen Arbeiterpartei (PPR) und ihrer Nachfolgerin, der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PZPR), erfüllte dieses Lager über lange Jahre hinweg dieselbe Funktion wie zu Zeiten von Gestapo und NSDAP. Zunächst wurden dort Deutsche und Volksdeutsche polnischer Staatsangehörigkeit unter furchtbaren Bedingungen gefangen gehalten, von denen viele darob verstarben. Nach der Aktion "Wisła" ["Weichsel"] wurden dort dann ukrainische Zivilisten, darunter Frauen und Kinder polnischer Staatsangehörigkeit inhaftiert. Danach wurden dort polnische Jugendliche wegen "politischer Verbrechen" zur Verbüssung langjähriger Haftstrafen weggesperrt. Zu Recht trägt das diesen gewidmete Buch den Titel: "Jünger als die Dauer ihrer Gefängnisstrafen".

Hat der Präsident Kwaśniewski etwa je polnische Staatsangehörige (Ukrainer) für die mörderische Gefängniszeit, für den Tod hunderter Zivilpersonen, darunter Frauen und Kinder, die nie gerichtlich verurteilt, sondern lediglich der Kollaboration mit der Aufständischen Ukrainischen Armee (UPA) verdächtigt wurden, um Verzeihung gebeten? Diese wurden nämlich nicht von irgendwelchen "Kowalskis", sondern von Staatsfunktionären, die auf Geheiß höchster Stellen des polnischen Staates handelten, inhaftiert und mißhandelt. Hat er etwa polnische Staatsangehörige (Deutsche), die dort ebenfalls ohne Schuldnachweis gefangen gehalten wurden, um Verzeihung gebeten? Hat er schließlich polnische Staatsangehörige - [gebürtige] Polen, die 15-18-jährig wegen Verbreitung von Flugblättern oder Gründung von eher kindlichen politischen Organisationen zu Sklavenarbeit gezwungen wurden, um Verzeihung gebeten?

- Nein, nie! Er hat lediglich die Juden wegen eines Mordes, der unter den Auspizien eines anderen, nämlich des deutschen Staates, ohne jedwede Beteiligung des polnischen Staates begangen wurde, um Verzeihung gebeten.

- Warum? Darauf habe ich keine klare Antwort. Vielleicht nur deswegen, weil er ein latenter Antisemit ist, für den ein Jud - halt nur ein Jud ist, den niemand fragt, für wen er sich überhaupt hält. Aber diese Menschen könnten sich doch z.B. für sowjetische Bürger halten; eben nicht für Juden, sondern für Bürger der Sowjetunion. Oder sie könnten einfach sich auch für Polen judischer Herkunft halten, oder für irgendwen anderen.

Kehren wir nun aber noch einmal zur hier in Rede stehenden Sühneveranstaltung zurück, die bei der Mehrheit von Publizisten und Politikern großen Zuspruch gefunden hat. Der Staatspräsident hat dabei solche Formulierungen verwendet, von denen keine einzige in seiner vor dem polnischen Sejm herausgestammelten Entschuldigungsrede für die Verbrechen des Kommunismus, für die Verbrechen seiner eigenen politischen Formation also, zu finden war. So hat er z.B. nie gesagt: "Für den Tod, das Leid und das Unrecht (...), für alle schmerzhaften Ereignisse, die einen dunklen Schatten auf die Geschichte Polens werfen, tragen deren Täter und Anstifter die Verantwortung.(...) Unsere Gewissen werden rein bleiben, wenn wir in Erinnerung an diese Ereignisse in unseren Herzen Eintracht und moralische Empörung beibehalten. Wir haben uns hier zu einer gemeinsamen Gewissenserforschung zusammengefunden. Wir ehren die Opfer und sagen - nie wieder! (...) Das heutige Polen hat den Mut, der Wahrheit des Albtraums ins Gesicht zu sehen, der ein Kapitel seiner Geschichte verdüstert hat" Wir sind uns unserer Verantwortung auch gegenüber den dunklen Kapiteln unserer Geschichte bewußt geworden.(...) Wir drücken unseren Schmerz und unsere Beschämung aus, wir geben unserer Entscheidung zur Erlangung der Wahrheit, unserem Mut zur Überwindung der bösen Vergangenheit sowie unserem unbeugsamen Willen zu Verständigung und Eintracht Ausdruck. Wegen dieses Verbrechens sollten wir die Schatten der Toten, die Familien der Toten, wir sollten jeden, dem Unrecht angetan wurde um Verzeihung anflehen(...)."

Niemals zuvor hat der Präsident der Republik Polen sich dazu durchgerungen, solche Worte im Munde zu führen. Weder als es um nicht einmalige, sondern jahrelang andauernde Verbrechen der Polnischen Arbeiterpartei (PPR) bzw. der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PZPR) an Polen noch um solche an Ukrainern und Deutschen polnischer Staatsangehörigkeit ging.

Oh, wie leicht ist es an die fremde Brust, die Brust der armen, einfachen Leute von Jedwabne zu schlagen und seine eigene, die Brust eines Mitglieds der kommunistischen Nomenklatura zu schonen. Oh, wie leicht ist es!

Schon deswegen hat diese "große Rede" des Herrn Präsidenten auf mich keinen überwältigenden Eindruck gemacht. Aber auch deswegen nicht, weil seine eigenen Mitarbeiter, die für die antijüdische Hetze im Jahre 1968 verantwortlich waren, ihre Ämter unbehelligt und von niemanden gestört, behielten. Doch hier handelte es sich um "seine" Antisemiten, Antisemiten aus seinen Reihen, nicht aber um "fremde".

Dazu noch zwei Bemerkungen, die sich jedoch nicht auf den Staatspräsidenten, sondern auf unsere Gäste aus Israel, den Vereinigten Staaten von Amerika usw. beziehen. Die erste: warum hat der runde 60-gste Jahrestag der Verbrennung von 800 Juden durch die Deutschen in der Synagoge von Białystok am 27. Juni 1941 keine analoge Ehrung zu Jedwabne erfahren? Warum wurde nicht auch hier gebetet, wurden nicht auch hier Steinchen auf die jüdische Grabstätte gelegt? Deswegen, weil etwa die Juden von Białystok weniger wert waren als die aus Jedwabne oder weil sie weniger gepeinigt wurden? - Ich begreife das nicht!!! Vielleicht nur deswegen, weil in Białystok unbezweifelbar die Funktionäre des Dritten Reiches Täter waren?

Und die zweite: warum wird in Israel nicht ebenso laut das Schicksal der semitischen Kinder beweint, die von den Israelis mit Handfeuerwaffen und Maschinengewehren auf palästinensischem Boden erschossen werden? Dort sind bereits hunderte von Kindern getötet worden! Gibt es gegenwärtig auf Erden überhaupt noch ein anderes Land, wo so leicht und so erbarmungslos mit scharfer Munition auf semitische Kinder geschossen wird ? Ist dies vielleicht kein Antisemitismus, wenn auch von besonderer Art?

Diejenigen, die die jüdischen Kinder aus Jedwabne und Radziwiłów beweinen, deren Schmerz ich gut verstehe und teile, rufe ich dazu auf, daß sie ebenso inbrunstig über das Schicksal der semitischen Kinder auf eigenem Boden und auf dem Boden ihrer nächsten Nachbarn weinen. Ich rufe sie dazu auf, daß sie dem Blutbad an unschuldigen Kindern ein Ende setzen. Dies liegt doch in ihrer Macht. Sie sind hier nicht - wie ehemals in Jedwabne - Opfer in einem besetzten Land, sondern üben selbst Souveränität aus. Sie könnten dies, sie könnten alles. Sie sollen also auch zeigen, daß sie Gewissen haben!.

Prof. Dr.Tomasz Strzembosz

(Übersetzung E.K.)

Unterstreichungen im Text - WK.

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